U. Riemer: Die römische Germanienpolitik

Cover
Titel
Die römische Germanienpolitik. Von Caesar bis Commodus


Autor(en)
Riemer, Ulrike
Erschienen
Anzahl Seiten
167 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Körner, Historisches Institut, Universität Bern

Riemers Überblick über die römische Germanienpolitik von Caesars erster Rheinüberquerung 55 v. Chr. bis zu Commodus' Vertrag mit den Markomannen 180 n. Chr. will die bisherige Lücke mit einer größeren Monographie schließen. Dem verbreiteten Bild, die römische Politik habe zwischen Expansion (Augustus und Marc Aurel) und "zögerlichem Zurückweichen" (Tiberius und Commodus) geschwankt, setzt Riemer die These einer Kontinuität der grundlegenden Zielsetzung entgegen: Nie sei ein dauerhaftes Ausgreifen auf das freie Germanien Absicht römischer Politik gewesen, vielmehr habe man die Grenzen an Rhein und Donau vor Einfällen schützen wollen (S. 8, 142).

Riemer beschränkt sich für ihre Arbeit auf die literarischen Quellen, da "die archäologische Beweisführung immer von literarischen Quellen abhängt" (S. 8). Die Marcus-Säule wird zwar kurz vorgestellt, ihr aber jeder Aussagewert für die Rekonstruktion der Germanienpolitik Marc Aurels abgesprochen (S. 131ff.). Auch epigrafische Zeugnisse finden keine Berücksichtigung. Letztlich muss die Arbeit damit von vornherein Stückwerk bleiben. Auch stellt sich die Frage, ob es so leicht ist, zwischen einer "faktischen" Germanienpolitik, die sich aus den literarischen Quellen ableiten lasse, und deren propagandistischer Verfremdung in archäologischen und epigrafischen Zeugnissen zu unterscheiden. Da eine Germanienpolitik ja immer von Menschen gemacht wird, fließen hier Wunschvorstellungen und Ideen ein, die sich in der Selbstdarstellung auf Münzen oder Inschriften spiegeln. Diese "Propaganda" wirkt wiederum auf die Protagonisten zurück, so dass man statt einer Trennung von "realer Politik" und "Propaganda" vielmehr von einer wechselseitigen Beeinflussung und Wechselwirkung auszugehen hat. Im Übrigen vermisst der Leser bei einigen literarischen Quellen auch eine kritische Einordnung ihrer Vorlagen. Besonders problematisch ist der Umgang mit der Historia Augusta, eine "etwas zweifelhafte Quelle" (S. 112), deren ,Autoren’ als "Propagandisten der Senatsaristokratie aus dem Ende des 4. oder Anfang des 5. Jahrhunderts […] auf älteres Material" zurückgreifen (S. 117). Eine Diskussion der möglichen Intentionen der Schrift und der Verfasserfrage bleibt aus.

Die Einführung (S. 11-14) versucht, in aller Kürze die Germanen vorzustellen. Während der Überblick über die ersten Begegnungen relativ gut durch Quellen abgestützt ist, endet das Kapitel mit einigen pauschalen Angaben zur römischen Sichtweise auf die Germanen während der Kaiserzeit: Hier fehlen nicht nur zeitliche Differenzierungen (ab wann sind "ganze Kohorten germanischer Herkunft"? was heißt "in späterer Zeit?", S. 13), sondern auch Hinweise auf die Quellen. Das erste Kapitel befasst sich mit Caesars Germanienpolitik (S. 15-38), vor allem dem Konflikt mit Ariovist. Hierbei zeigt sich die Stärke des Buches: Ausführlich wird aus den Primärquellen zitiert oder paraphrasiert, um dann die Aussagen vor dem Forschungshintergrund zu interpretieren. Der Darstellung Caesars wird der kritische Bericht von Cassius Dio gegenüber gestellt; wenig überzeugend ist Riemers Argumentation, Dios Bericht sei weniger zuverlässig, da der Historiker später schreibe und griechischer Herkunft gewesen sei: Zum einen wird die Frage nach den Quellen Dios nicht gestellt, zum anderen führt Riemer nicht weiter aus, weshalb die griechische Identität des Historikers für seine Caesar-Kritik verantwortlich gewesen sein soll. Die Herkunft aus dem östlichen Reichsteil spielte im frühen 3. Jahrhundert kaum noch eine Rolle für die Sicht auf die frühere römische Geschichte, zumal für einen Schriftsteller, der als Senator in kaiserlichen Diensten Karriere gemacht hatte. Als Hauptmotiv Caesars sieht Riemer mit Karl Christ die Besorgnis, Germanen und Gallier könnten sich gegen Rom vereinigen.1 Caesars Rheinüberquerungen hätten zum einen der Abschreckung der Germanen gedient, zum anderen Roms unbegrenzten Herrschaftsanspruch dokumentieren sollen; eine dauerhafte Besetzung sei hingegen nicht geplant gewesen (S. 38).2

Das zweite Kapitel widmet sich der Germanienpolitik der beiden ersten principes (S. 39-69). Auch hier kreist die Forschung um die Frage, ob die römische Politik als defensiv oder offensiv zu beurteilen ist (S. 39f.). Sorgfältig werden die Quellenzeugnisse zu den Vorstößen des Drusus, Domitius Ahenobarbus und Tiberius zur Elbe analysiert und kritisch beurteilt (S. 41ff.). Riemer kommt hier ebenfalls zu dem Ergebnis, dass keine systematische Eroberung geplant war, und stellt sich gegen die auf archäologischen Neufunden basierenden Hypothesen von Schnurbeins (S. 50).3 Die Niederlage des Varus sieht Riemer nicht als Wendepunkt in der römischen Politik, der die kaiserliche Regierung von Eroberungsplänen abgeschreckt hätte (S. 51ff.). Letztlich sei Germanien wirtschaftlich zu wenig interessant gewesen (vgl. Tac. ann. 1,3,5-6), um den Aufwand einer Provinzialisierung zu rechtfertigen (S. 57ff.). Vor diesem Hintergrund sei auch die Abberufung des Germanicus zu sehen: Wie seine Vorgänger habe Germanicus durch Präventivschläge die Germanen von den römischen Grenzen fernhalten sollen. Da aber die Beute gering und die Opfer enorm gewesen seien, habe Tiberius ihn abberufen müssen, bevor die Germanenkriege zu einer ernsthaften Belastung der römischen Wirtschaft geworden wären (S. 66ff.). Ähnlich wird die Abberufung des Corbulo durch Claudius gedeutet (S. 75f.).

Der Titel des Kapitels "Widerstand gegen Rom" (S. 70-101) ist etwas unglücklich gewählt, da es nicht nur um kriegerische Konflikte, sondern auch um andere Kontakte zwischen Germanen und Römern geht: So hätte man eine tiefere Analyse der Quellenzeugnisse zu friedlichen Kontakten erwartet, zum Beispiel anlässlich der Bitte der Cherusker, die Römer möchten ihnen einen König schicken (S. 73f.): Wie kommt es denn nur wenige Jahre nach den heftigen Konflikten zu dieser Form von Kontaktaufnahme? Ist nicht das gesamte Wechselspiel zwischen Germanen und Römern differenzierter anzusehen denn als reine Kriegsgeschichte, eine Sichtweise, die sich aus der Überbewertung der literarischen Überlieferung ergibt?

Das letzte Kapitel untersucht die Entwicklung unter Marc Aurel und Commodus (S. 117-135). Grundthese Riemers ist, dass der Friedensschluss Commodus' mit den Markomannen keinen Bruch mit der väterlichen Politik darstellte, sondern den Plänen Marc Aurels entsprochen habe (S. 117, 130f.). Heikel ist die weitgehend unkritische Verwendung der Anekdoten aus der Historia Augusta (S. 119ff.). Skeptisch ist Riemer immerhin bezüglich der Behauptung, Marc Aurel habe die Errichtung einer markomannischen und sarmatischen Provinz geplant (S. 126). Vielmehr sieht sie auch seine Politik in der bisherigen Tradition von Grenzsicherung; Ziel seines letzten Feldzugs sei ein "dauerhafte[r] Frieden mit Markomannen und Quaden" gewesen (S. 127). Gut zeigt Riemer die Widersprüche in der Schilderung des Cassius Dio zum Friedensschluss des Commodus auf: Während der Historiker den Vertrag verurteilt, legen die von ihm aufgezählten Details doch nahe, dass der Frieden keineswegs überstürzt geschlossen wurde und dass die Bestimmungen aus römischer Perspektive durchaus sinnvoll waren (S. 128f.).

Das Ergebnis der Untersuchung ist, dass die Römer im behandelten Zeitabschnitt lediglich defensiv reagiert hätten, da es für sie auch keinen wirtschaftlichen Anreiz gegeben habe, Germanien zu unterwerfen. Die Bedrohung durch die Germanen sei geringer gewesen, als in Rom oft (zum Teil auch aus politischen Gründen) behauptet worden sei (S. 142f.). Erst im 3. Jahrhundert habe "das unheilvolle Zusammenspiel der zunehmenden innenpolitischen Schwäche Roms unter den sich schnell abwechselnden ,Soldatenkaisern’ und der außenpolitischen Bedrohung durch den unaufhaltsamen Ansturm immer neuer Stämme […] dem Riesenreich den Untergang" gebracht (S. 143, ähnlich bereits S. 7 u. 13). Dieser Ausblick hätte differenzierter ausfallen müssen: Dass die "Reichskrise" den Untergang des Römischen Reiches ausgelöst habe, stimmt natürlich nicht. Zudem hätte die Verfasserin deutlich machen müssen, dass sie eine umstrittene Deutung der Rolle der Germanen beim Ende des Römischen Reiches vorlegt. Schließlich wäre der Begriff "Untergang" (der im Westen ja nicht als solcher wahrgenommen wurde), wenn er denn überhaupt verwendet werden muss, zu definieren gewesen.

In der Arbeit mit der Sekundärliteratur fällt störend auf, dass Riemer gelegentlich von "der Mehrzahl der Forscher" (S. 51) oder "aus Sicht vieler Forscher" (S. 66) spricht, ohne diese in den Anmerkungen zu benennen. Man vermisst einen Hinweis auf Pohls Publikation zu den Germanen.4 Für die Prägungen Marc Aurels (S. 123, Abb. 14) fehlt ein Literaturnachweis wie auch für den Ausschnitt aus der Trajanssäule (S. 116, Abb. 11). Wenig sinnvoll ist die Einfügung einer Karte der Grenzen des Römischen Reiches um 117 n. Chr. in das Kapitel zu Caesars Germanienpolitik (S. 16, Abb. 1).

Insgesamt hinterlässt die Arbeit einen zwiespältigen Eindruck: Während die Arbeit mit den literarischen Quellen zum Teil sehr sorgfältig ist, finden sich Unzulänglichkeiten in der historischen Methodik, die die Nützlichkeit der Untersuchung stark einschränken. Zumindest wird die Grundthese des Werks überzeugend anhand der Primärquellen vorgestellt.

Anmerkungen:
1 Christ, Karl, Caesar und Ariovist, in: Chiron 4 (1974), S. 251-292.
2 Wolters, Reinhard, Römische Eroberung und Herrschaftsorganisation in Gallien und Germanien. Zur Entstehung und Bedeutung der sogenannten Klientelstaaten, Bochum 1989, S. 134.
3 Vgl. Schnurbein, Siegmar von, Augustus in Germania and his new ,town’ at Waldgirmes east of the Rhine, Journal of Roman Archaeology 16 (2003), S. 93-108.
4 Pohl, Walter, Die Germanen, München 2000.

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