M. Borgolte: Christen, Juden, Muselmanen

Cover
Titel
Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1400 n. Chr


Autor(en)
Borgolte, Michael
Reihe
Siedler Geschichte Europas 2
Erschienen
München 2006: Siedler Verlag
Anzahl Seiten
639 S.
Preis
€ 74,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Steffen Patzold, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Die ,Siedler Geschichte Europas‘ will die europäische Geschichte anhand übergreifender Leitfragen behandeln. Michael Borgolte hat diesen Anspruch in seinem Band zum europäischen Mittelalter konsequent umgesetzt. Das Buch ist deshalb kein Handbuch der Geschichte Europas im klassischen Sinne, sondern eher ein großer, elegant formulierter Essay, geleitet von jener Idee, die auch dem DFG-Schwerpunktprogramm 1173 („Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter“) zugrunde liegt: Borgolte zufolge zeichnete sich die Geschichte Europas im Mittelalter dadurch aus, dass drei monotheistische Religionen in Konkurrenz zueinander standen, von denen die eine – das Christentum – sich sogar noch in zwei Observanzen aufspaltete. Von dieser Grundidee ausgehend, hat Borgolte seine Darstellung entwickelt. Sie gliedert sich in drei große Abschnitte: Der erste (und umfangreichste) erzählt die Geschichte des Judentums, des Islam und des Christentums – und zwar jeweils von den Anfängen an, so dass Borgolte hier den Rahmen einer europäischen Geschichte im Mittelalter zeitlich wie räumlich immer wieder überschreitet; der Klarheit der Argumentation kommt diese Erweiterung freilich nur zugute. Zu einer reinen Missionsgeschichte ist dieser erste Teil – glücklicherweise – nicht geraten: Es geht Borgolte vielmehr darum, die Konkurrenzsituation, aber auch die Kontakte und Austauschprozesse zwischen den monotheistischen Religionen in Europa zu veranschaulichen. Zugleich sucht er zu erklären, warum sich auf lange Sicht in diesem Raum gerade das Christentum wenn nicht ausschließlich, so doch aber am weitesten verbreiten konnte. Drei Ursachen für diesen Erfolg benennt Borgolte: den allein im Christentum formulierten Missionsauftrag (Mt. 28,18-20); das Erbe der römischen Antike, die seit dem 4. Jahrhundert das Christentum anerkannt hatte; und die besondere historische Konstellation, in der nur das Christentum sich nach Norden und Osten hin in jene weiten Räume auszubreiten vermochte, in denen die Menschen polytheistischen Religionen anhingen. „Es gibt keinen überzeugenden Grund für die Annahme, daß Juden oder Muslime, wären sie an der Stelle der Christen gewesen, ihre Chance schlechter genutzt hätten“, folgert Borgolte.

Im zweiten Hauptteil seines Buches wendet sich der Verfasser dann der Politikgeschichte zu. Von der Dominanz des Monotheismus ausgehend, sieht er die politische Geschichte des Mittelalters geprägt von einer großen, letztlich unauflöslichen Spannung: dem Widerspiel zwischen dem Streben nach Universalismus einerseits und der zunehmenden Regionalisierung zumindest des christlich-katholischen Europa andererseits. Auch in diesem Teil seines Buches bietet Borgolte wieder einen weiten Kulturvergleich: Nacheinander behandelt er den Islam, Byzanz (mit Ausblicken auf die temporären Kaiserherrschaften in Bulgarien und Serbien) und die katholische Christenheit. Im Zentrum steht dabei das Bemühen, die Kluft aufzuzeigen, welche die weit reichenden Vorstellungen und Ansprüche auf universale Herrschaft von den tatsächlichen Machtverhältnissen in der politischen Praxis trennte. Im Unterschied zum islamischen und zum byzantinischen Universalismus lernte die katholische Christenheit dabei allmählich, eine kirchliche Sphäre, die dem Papst zugeordnet war, von einer säkularen Sphäre zu unterscheiden, die vom Kaiser geleitet wurde. Dieser „dualistische Universalismus“, so Borgoltes These, habe es schließlich auch ermöglicht, dass sich in der katholischen Christenheit neben dem Kaiserreich noch andere, politisch definierte Reiche „unter dem Dach der römischen Kirche“ ausbildeten. Eine je eigene Entwicklung im Laufe dieser Regionalisierung zeichnet der Verfasser dabei für vier Großregionen nach: dem „Westen“ (der vor allem Frankreich und England umfasst), Spanien, Skandinavien und Ostmitteleuropa.

Einen letzten und deutlich kürzeren Teil hat Borgolte der Geschichte von Bildung und Wissenschaft in den verschiedenen Kulturen des mittelalterlichen Europa gewidmet. Auch hier wieder stellt er in grob chronologisch strukturierten Durchgängen vergleichend die Wissenschaftskulturen im Islam, im Judentum, im orthodoxen Byzanz und in der katholischen christianitas nebeneinander; und einmal mehr legt der Verfasser Wert darauf, die vielfältigen Kontakte zwischen den drei Wissenschaftskulturen herauszustellen, die sich immer von neuem gegenseitig befruchteten. Eine Besonderheit der katholischen Sphäre aber sieht Borgolte in der Ausbildung der Universitäten. Ihnen spricht er deshalb auch eine wichtige Rolle für die weitere weltgeschichtliche Entwicklung zu: Während im Hochmittelalter in Byzanz, im Islam, aber auch im Judentum die Bemühungen gescheitert seien, „den Rationalismus im Bildungssystem selbst zu verankern“, habe damals das „Abendland“ in dieser Hinsicht einen „Vorsprung gegenüber den anderen Kulturen“ erworben.

Über die Grundthese des Buches wird man natürlich in dem Maße streiten können, wie sich über einen jeden Versuch diskutieren lässt, ein Jahrtausend Geschichte zu strukturieren und zu erklären. Zu fragen ist beispielsweise, in welchem Maß zumindest in der Zeit des Frühmittelalters der Eindruck einer Dominanz der drei monotheistischen Religionen in Europa nicht auch der Überlieferungssituation geschuldet ist: Die polytheistischen Kulturen kamen überwiegend ohne den Gebrauch der Schrift aus – und entziehen sich daher weitgehend dem Blick des Historikers. Das heißt aber kaum, dass sie geschichtlich unbedeutend waren; nur sehr allmählich, in einem jahrhundertelangen Prozess verschwanden sie von der europäischen Landkarte. Für weite Regionen Europas war die Dominanz des Monotheismus erst das Ergebnis einer langwierigen Entwicklung, die im Übrigen wohl kaum zwangsläufig war.

Anregend jedoch bleibt Borgoltes Essay allemal; er reagiert in glücklicher Weise auf das gegenwärtige Interesse an den Kontakten und Konflikten zwischen Islam, Christentum und Judentum. Überdies beeindruckt sein Buch durch die reiche Kenntnis byzantinistischer und islamwissenschaftlicher Fachliteratur, die von Mediävisten gewöhnlich wenig oder gar nicht rezipiert wird. Gerade damit wirft die große Synthese freilich indirekt auch ein wissenschaftstheoretisches Problem auf: Wenn der von Borgolte aufgezeigte, viel versprechende Weg des Kulturvergleichs künftig in Einzelforschungen weiter beschritten werden soll, dann müsste sich die universitäre Ausbildung von Mediävisten verändern. Denn wer nicht nur die Forschungsliteratur, sondern die Quellen selbst lesen und vergleichen möchte, sollte neben Latein und Griechisch zumindest noch Arabisch und Hebräisch beherrschen.

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