M. Meyen u.a.: Klassiker der Kommunikationswissenschaft

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Titel
Klassiker der Kommunikationswissenschaft. Fach- und Theoriegeschichte in Deutschland


Autor(en)
Meyen, Michael; Löblich, Maria
Erschienen
Konstanz 2006: UVK Verlag
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang R. Langenbucher, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien

Resümiert man den Stand der Geschichtsschreibung über das Fach Kommunikationswissenschaft und seine Vorläufer, so fällt das Ergebnis durchaus ernüchternd aus: Zwar gibt es eine kontinuierliche Kette von fachgeschichtlichen und theoriegeschichtlichen Einzelstudien, meist Abschlussarbeiten im Diplom-, Magister- und Dissertationsstudium. Man muss aber fast 60 Jahre zurückgehen, zu Otto Groths „Die Geschichte der Deutschen Zeitungswissenschaft“ 1, um ein Buch mit monografischem Charakter zu finden. Nun legen Michael Meyen und Maria Löblich aus München endlich wieder ein Buch mit dem Anspruch vor, die größeren Zusammenhänge der Disziplingeschichte darzustellen. Gerade, wenn man aus Anlass der Lektüre dieses Buches wieder einmal in der Monografie von Otto Groth blättert, wird einem das Desiderat deutlich: Groth endet im Grunde mit dem 19. Jahrhundert, so dass es um nicht mehr und nicht weniger als einhundert Jahre der Geschichte des Faches Zeitungskunde, Zeitungswissenschaft, Publizistikwissenschaft und endlich Kommunikationswissenschaft geht. Noch lieber würde man also von einer Gesamtdarstellung der Disziplingeschichte schreiben, aber dazu ist der Weg wohl noch weit.

Den gewissermaßen dramaturgischen Schwerpunkt bei Meyen und Löblich machen zwölf Porträts von Personen und Werken aus, die sie als „Klassiker der Kommunikationswissenschaft“ charakterisieren. Angesichts der ausgewählten Personen wird man über diese Etikettierung streiten können, aber gerade das sollte man als intellektuelle Provokation akzeptieren. Adorno und Luhmann beispielsweise können sich nicht mehr dagegen wehren, hier aufgenommen zu werden, aber andererseits steht außer Frage, dass sie die fachliche Arbeit als Nicht- Angehörige der Zunft nachhaltig beeinflusst haben. Auch mit Emil Löbl oder Max Weber rekonstruieren die Autor/innen den wissenschaftlichen Ertrag von Personen, die nicht als Fachzugehörige verstanden werden können, wohl aber als Wissenschaftler, ohne deren Werk die Fachgeschichte der Disziplin anders verlaufen wäre. Die Frage nach dem Klassiker-Kanon wird also dezidiert nicht anhand der zeitgenössischen Grenzen der Disziplin beantwortet, sondern anhand der innovativen und langfristigen Wirkung auf das Fach (S. 19).

Methodisch ist dieses Vorgehen eher eine Art Personenlexikon denn eine Monografie. Aber mit seinen einleitenden Kapiteln hat das Autorenpaar genau dazu wichtige und gehaltvolle Vorarbeiten geleistet. Zunächst wird der Frage „Wie schreibt man Theoriegeschichte?“ nachgegangen. Nach einer einführenden Skizze in das Gedankengebäude von Thomas S. Kuhn, wird von den Dimensionen Gebrauch gemacht, die Dirk Kaesler für die Analyse der frühen Soziologie entwickelt hat: Sozialgestalt, Ideengestalt, Milieu. Da Michael Meyens und Maria Löblichs Buch eine personenzentrierte Darstellung ist, muss die Kategorie der Werkanalyse hier in den Vordergrund gerückt werden. Dazu bieten die Autor/innen ein umfangreiches Kategoriensystem (S. 32).

Vor diesen Personendarstellungen steht ein Kapitel, das eine skizzenhafte Darstellung des Weges von der Zeitungs- zur Kommunikationswissenschaft enthält. Methodisch geht das Kapitel über bisherige Entwürfe zur Institutionalisierungsgeschichte des Faches deutlich hinaus und entwirft vor allem einen anregenden Zusammenhang zwischen der Medienentwicklung und der des Faches und seiner Theorien zur öffentlichen Kommunikation (S. 44f.). Darin finden dann auch einige Gründungsväter ihren Platz, die nicht mit einem eigenen Klassikerporträt gewürdigt werden (wie Karl Bücher und Karl d’Ester). Ein durchgehendes Thema ist die Legitimationsproblematik, von der die Fachentwicklung immer begleitet war. Dabei wird einem zum wiederholten Male klar, dass die einst schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreichte Nähe von Zeitungswissenschaft und Soziologie durch den Nationalsozialismus zerstört wurde und es nach dem Krieg vieler Jahrzehnte bedurfte, um aus dem „Sondergebiet“ – wie das Fach in einem Dokument des Wissenschaftsrates 1960 bezeichnet wurde – zu einer allmählichen Konsolidierung unter sozialwissenschaftlichen Vorzeichen zu kommen. Michael Meyen und Maria Löblich schreiben: „An der Nähe zur Politik im Dritten Reich wäre das Fach fast kaputtgegangen.“ (S. 64) Kaputt ist es in der Tat daran nicht gegangen, aber es wurde auch lange Zeit nach dem Ende des Nationalsozialismus davon noch schwer geschädigt. Es musste erst eine jüngere Generation kommen, die diese Defizite fachhistorisch aufgearbeitet hat. Mitursächlich dafür war auch die Tatsache, dass in den 1940er- und folgenden Jahrzehnten die Rezeption dieser vertriebenen Wissenschaft versäumt wurde. So ist es nur langsam gelungen, einen eigenen Nachwuchs als selbstverständliche personelle Garantie der Institutionalisierung heranzubilden. Erst Ende der 1960er-Jahre begann der Weg zur Normalwissenschaft – leider immer noch unter unterschiedlichen Fachbezeichnungen. Wer neu in dieser Wissenschaft ist, bekommt mit diesen einleitenden 70 Seiten eine denkbar kompakte Einführung.

Nun zu den Einzelporträts. Neben den schon erwähnten werden in zeitlicher Reihenfolge folgende Personen und Werke dargestellt: Kaspar Stiehler, Karl Knies, Albert Scheffle, Karl Jaeger, Paul F. Lazarsfeld, Gerhard Maletzke, Henk Prakke und Elisabeth Noelle-Neumann. Alle diese Porträts sind gründlich recherchiert und beweisen eine stupende Sachkenntnis. Nur ganz detaillierte Sachkenner auf einem Einzelgebiet werden hier wohl Fehler oder gravierende Lücken entdecken. Bei Emil Löbl vermisse ich beispielsweise eine Berücksichtigung von einschlägigen Texten dieses Autors über Fragen der Zeitungsgestaltung. Ansonsten imponiert, wie einfühlsam Leben und Werk von Persönlichkeiten rekonstruiert werden, die immerhin aus drei verschiedenen Jahrhunderten stammen. Dabei widerlegen die Autor/innen in jedem Einzelfall das nahe liegende Vorurteil, diese alten Texte könnten uns angesichts des dynamischen Fortschrittes der Wissenschaft kaum noch relevante Erkenntnisse liefern. Gerade weil Michael Meyen und Maria Löblich die historischen Texte mit dem Wissen der heutigen Fachdisziplin analysieren, demonstrieren sie augenfällig und in jedem Einzelfall immer wieder die Nützlichkeit von Fachgeschichte. Manchmal gerät das auch ein wenig kritisch-besserwisserisch, aber man nimmt das ohne weiteres Stirnrunzeln in Kauf, weil man mit einfallsreichen Querverbindungen, in die Tiefe gehenden Assoziationen und der Andeutung breiter Kontexte belohnt wird. Kein Zweifel: Dieses Buch ist eine Fleißarbeit, aber das schöne ist, dass man ihm dies in keiner Zeile anmerkt.

Zugleich handelt es sich um ein richtiges Lern- und Lehrbuch. Wer in Zukunft ein fachhistorisches Seminar anzubieten gedenkt, dem haben Michael Meyen und Maria Löblich mehrere Monate Arbeit abgenommen. Die zwölf Porträts liefern die jeweiligen biografischen, sozialen und politischen Hintergründe, die auch den Studienbeginner/innen des Jahres 2006 einen mühelosen Zugang zur Fachgeschichte ermöglichen. Dabei wird auf intelligente und den Leser nicht unterfordernde Weise mit didaktischen Mitteln gearbeitet wie Übersichtsdarstellungen, Abbildungen, Auflistung der Lebensstationen, Kurzfassungen der Inhalte größerer Bücher, und z.B. einer Liste mit den Namen der Hochschullehrer aus der „Mainzer Schule“ (S. 260f.). Übrigens ist gerade dieses Kapitel über Elisabeth Noelle-Neumann ein schönes Dokument der schreiberischen Tugenden und der Urteilssicherheit von Michael Meyen und Maria Löblich, denn diese „Klassikerin“ ist im Fach ja notorisch umstritten.

Dies ist kein Buch von Anspruch und Rang der Studie von Otto Groth aus dem Jahre 1948. Es ist auch nicht die monografische Summe des immerhin vorliegenden fachgeschichtlichen Wissens aus den letzten hundert Jahren. Aber das umfassende, theoretische wie fachgeschichtliche Wissen, das in diesen Porträts nachlesbar ist, ist von Seite zu Seite der Beleg dafür, wie gewinnbringend der systematische Blick nach rückwärts sein kann.

Anmerkungen:
1Groth, Otto, Die Geschichte der Deutschen Zeitungswissenschaft, München 1948.

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