S. Zankel: Die "Weisse Rose" war nur der Anfang

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Titel
Die "Weisse Rose" war nur der Anfang. Geschichte eines Widerstandskreises


Autor(en)
Zankel, Sönke
Erschienen
Köln 2006: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
215 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jakob Knab, Kaufbeuren

„Drogenkonsumenten, Verräter, Antijudaisten: Der Historiker Sönke Zankel will das Helden-Image der Geschwister Hans und Sophie Scholl ins Wanken bringen.“1 Dieser Ansatz ist nicht völlig neu; die amerikanische Publizistin Ruth Sachs vom „Center for White Rose Studies“2 begann schon vor Jahren einen ähnlichen Kreuzzug. Zusätzlich hatte sie Anstoß genommen an homosexuellen Neigungen von Hans Scholl, die dieser in seiner pubertären Sturm- und Drangzeit gehabt hatte. Beim ersten Durchblättern des Zankel-Buches hatte ich ein Déjà-vu-Erlebnis; doch den Namen Ruth Sachs suchte ich in den Anmerkungen dieser Neuerscheinung vergeblich.

„Die Debatte kann beginnen“ – so Zankel in seinem Vorwort. Mein Fazit vorneweg: Trotz der quellenreichen Darstellung bleiben seine Ausführungen uninspiriert, unkritisch und subjektiv. Dies hat seinen Grund darin, dass Zankel von einem äußerlichen, oberflächlichen Helden-Image der Geschwister Hans und Sophie Scholl ausgeht. Doch diese Perspektive ist verkürzt und wird in der Forschung auch kaum mehr vertreten. Einen tieferen Zugang zu Hans und Sophie Scholl findet nur, wer differenziert: Sie waren verführbare Menschen einerseits und Christen im Widerstand andererseits.

Sophie Scholl las im Frühjahr 1941, als sie ihren Reichsarbeitsdienst ableisten musste, in den Werken des Kirchenlehrers Augustinus. Diese Lektüre brachte ihr manche „spöttische Bemerkung“ ihrer RAD-Kameradinnen ein.3 Für Zankel ist es fraglich, ob diese Lektüre einen „entscheidenden Einflussfaktor“ darstellte (S. 30). Mit dieser Einschätzung liegt Zankel falsch; hier und an anderen Stellen schiebt er ihm bekannte Quellen beiseite, wenn sie seine Sicht stören. So übersieht er, dass die Wende und Umkehr in Sophie Scholls Leben just im Frühjahr 1941 geschah und sie seither gerade in augustinischen Schriften eine Orientierung fand.

Zur Haltung der Geschwister Scholl gegenüber der Judenverfolgung schreibt Zankel: „Hier [d.h. im fünften Flugblatt] finden wir eine Parallelisierung von Deutschen und Juden: Wenn sich die Deutschen jetzt nicht gegen die Nationalsozialisten wehrten, so Scholl, dann drohe ihnen eine – wohlgemerkt – ‚gerechte Strafe’, ähnlich wie sie den Juden widerfahren ist. Betrachtet man dies textimmanent, dann heißt dies, dass den Juden eine ‚gerechte Strafe’ widerfahren sein soll. Weshalb eine Strafe erfolgt sei, liegt bei dem geistesgeschichtlichen Kontext, in dem Hans Scholl sich bewegte, auf der Hand: für die ‚Verstockung’, die Nicht-Erkennung Jesu als Messias, den Gottesmord.“ (S. 158)

Diese Interpretation ist, mit Verlaub, töricht. Ich zitiere die entscheidenden Textstellen aus dem fünften Flugblatt: „Hitler kann den Krieg nicht gewinnen, nur noch verlängern! Seine und seiner Helfer Schuld hat jedes Maß unendlich überschritten. Die gerechte Strafe rückt näher und näher! Was aber tut das deutsche Volk? […] Deutsche! Wollt Ihr und Eure Kinder dasselbe Schicksal erleiden, das den Juden widerfahren ist?“4 Und als weiteren Beleg führt Zankel diesen Satz aus dem dritten Flugblatt an: „Wir würden es verdienen, in alle Welt verstreut zu werden wie der Staub vor dem Winde, wenn wir uns in dieser zwölften Stunde nicht aufrafften und endlich den Mut aufbrächten, der uns seither gefehlt hat.“ Zankel übersieht, dass Hans Scholl hier einen Gedanken seines christlichen Mentors Theodor Haecker aufnimmt; dessen immer wiederkehrende Klage lautete: „Was jetzt die Juden leiden, wäre ein Auftrag der Christen.“5 Zankel kennt zwar Haeckers „Tag- und Nachtbücher“, aber er übergeht wichtige Stellen: „Die Juden sind schon das auserwählte Volk. Zwar lehnten sie als Volk ihren Messias ab und kreuzigten ihn sogar: Aber die, welche ihn annahmen, nahmen ganz an. Wo ist bei den Heidenchristen ein Beispiel für einen solchen schmerzlichen Bruch mit dem ‚Nationalen’? […] Auch die ersten Märtyrer waren ja doch – Juden.“6 Das folgende Notat Haeckers passt ebenfalls nicht in Zankels Skandalisierungsstrategie: „Die Zustimmung des Christen zu einer offenkundigen Sünde seines Volkes ist ein große Sünde und es ist der Ruin jeder ‚nationalen’ Kirche, die nicht offenen Einspruch erhebt.“7

2003 hatte der Münchner Historiker Detlef Bald mit seiner These „Von der Front in den Widerstand“ eine Debatte ausgelöst.8 Zankel schreibt hierzu: „Interpretationen, nach denen er [d.h. Hans Scholl] das Leid des Krieges, wenn nicht des Vernichtungskrieges gesehen habe, und es daraufhin zu einer Radikalisierung gekommen sei, greifen zu kurz.“ (S. 82) Vier Seiten später jedoch zieht Zankel ein Fazit im Duktus von Bald: „Insgesamt kann es als gesichert gelten, dass der Russlandaufenthalt und der dortige Krieg den Widerstand von Scholl und Schmorell radikalisiert hat.“ (S. 86) Balds Veröffentlichung freilich wird von Zankel an keiner Stelle zitiert; Zankel gibt in der Einleitung an, in diesem Buch – anders als in seiner unmittelbar vorausgegangenen Dissertation zum selben Thema – keine detaillierte Einordnung in die Forschungslandschaft leisten zu wollen (was den wissenschaftlichen Wert des Bandes allerdings sehr schmälert).

Dass die Scholls Aufputschmittel nahmen – ein weiterer Punkt in Zankels Argumentation, der provokativ wirkt –, ist durchaus bekannt. Auch dem damaligen Umfeld, so dem Weggefährten Manfred Eickemeyer, war dieses merkwürdige Verhalten aufgefallen: „Eines Nachts im Januar um 2 Uhr sei Hans Scholl zu ihm gekommen und habe ihn zu einem Spaziergang abgeholt. Erstaunt habe er Scholl später gefragt, ob er eigentlich nie schlafe. Scholl habe ihm geantwortet, Sophie und er hätten sich Spritzen gegeben, um wach bleiben zu können.“9 Zankel nun schreibt von „Opiaten, wie z.B. Morphium“ (S. 121). Im heutigen Kontext werden Hans und Sophie Scholl damit öffentlich abgewertet, wenn man die Konnotationen von Drogenkonsum bedenkt.

Zankels Rechercheleistung sowie seine Quellenerschließung sind in manchen Teilen durchaus beachtlich. Niemand wird auch in Abrede stellen, dass sein psychologischer Ansatz eine neue Sichtweise eröffnet. Doch Zankels negativer Vorausverdacht verstellt ihm mitunter den Blick; so wird „Recherche-Fuchs“ Zankel Opfer der eigenen Skandalisierungsstrategie. „Vielleicht trägt diese Arbeit dazu bei“, so Zankel in seinen Schlussbetrachtungen, „aus den scheinbar unnahbaren Helden Menschen zu machen, die Fehler hatten und letztlich nichts Unerreichbares geleistet haben“ (S. 171). Die Frage muss erlaubt sein: Geht es Zankel um flapsige Provokation oder um erhellende Geschichtswissenschaft?

Anmerkungen:
1 „Hören wir endlich auf, das Bild von Halbgöttern zu zeichnen“, in: Spiegel online, 14.9.2006, <http://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/0,1518,436915,00.html>, (Interview mit Zankel).
2 <http://www.deheap.com/White%20Rose%20Studies.htm>.
3 Scholl, Hans und Sophie, Briefe und Aufzeichnungen, hg. von Inge Jens, Frankfurt am Main 1984, S. 175.
4 Der komplette Text findet sich im Internet z.B. unter: <http://www.bpb.de/themen/EGK24S,0,0,Flugblatt_V.html>.
5 Zitiert nach: Petry, Christian, Studenten aufs Schafott. Die Weiße Rose und ihr Scheitern, München 1968, S. 41.
6 Haecker, Theodor, Tag- und Nachtbücher 1939-1945, hg. von Hinrich Siefken, Innsbruck 1989, S. 187.
7 Ebd., S. 188.
8 Bald, Detlef, Die „Weiße Rose“. Von der Front in den Widerstand, Berlin 2003; als Gegenposition vgl. etwa: Tuchel, Johannes, Neues von der „Weißen Rose“? Kritische Überlegungen zu Detlef Bald: Die Weiße Rose. Von der Front in den Widerstand, Berlin 2003 (POLHIST Nr. 15, erhältlich bei der Forschungsstelle Widerstandsgeschichte an der FU Berlin); dort auch Hinweise auf weitere Rezensionen.
9 Zit. nach Petry (wie Anm. 5), S. 94.

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