H.-H. Kortüm (Hrsg.): Transcultural Wars across the Centuries

Cover
Titel
Transcultural Wars from the Middle Ages to the 21st Century.


Herausgeber
Kortüm, Hans-Henning
Erschienen
Berlin 2006: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
350 S.
Preis
€ 54,80
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Christian Th. Müller, Arbeitsbereich Theorie und Geschichte der Gewalt, Hamburger Institut für Sozialforschung

Seit der ersten Hälfte der 1990er-Jahre wird die Analyse des weltweiten Kriegsgeschehens maßgeblich durch zwei Interpretationsmuster geprägt. Das erste hebt in Anlehnung an Martin van Crevelds These von der „Transformation des Krieges“ hin zu den von Mary Kaldor so bezeichneten „Neuen Kriegen“ auf die Entstehung „neuer“ Formen und Strukturen des kriegerischen Konfliktaustrages seit Ende des Kalten Krieges ab. Das zweite Muster betont die Rolle unterschiedlicher „Kulturen des Krieges“ (John Keegan), die im Zuge des „clash of civilizations“ (Samuel P. Huntington) aufeinander treffen. In jüngster Zeit ist gerade von Historiker/innen immer wieder gefragt worden, in welchem Maße die Erscheinungen der so genannten „Neuen Kriege“ tatsächlich auch aus historischer Perspektive neuartig sind und wie sich das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen auf die Gewaltdynamik kriegerischer Auseinandersetzungen auswirkt.

Einige Antworten und zahlreiche Anregungen für weitere Überlegungen bietet der vorliegende Sammelband. Das Buch geht auf die international und interdisziplinär ausgerichtete Konferenz „Transcultural Wars from the Middle Ages to the 21st Century” vom 31. März bis zum 2. April 2004 in Regensburg zurück, die von der Universität Regensburg in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Institut für Sozialforschung organisiert worden war. Die Veranstalter verfolgten dabei die Zielstellung, die Befunde der Mediävistik mit den Ergebnissen der Forschung zur Kriegsgeschichte der frühen Neuzeit und der neuesten Zeit zu verbinden, sich über Begriffe und Deutungskonzepte zwischen den Disziplinen auszutauschen und Epochen übergreifend zu untersuchen, was Kriege zwischen verschiedenen Kulturen bzw. innerhalb gleicher Kulturen ausmacht und wie sie sich typologisch fassen lassen. Als besonders fruchtbar erwies sich dabei die Parallelbetrachtung von ausgewählten Einzelaspekten durch je einen Mittelalter- und einen Neuzeithistoriker.

In seiner Einleitung diskutiert der Herausgeber Hans-Henning Kortüm zunächst noch einmal die eingangs genannten Überlegungen von Creveld und Kaldor und stellt die These auf, dass die mit dem Begriff der „Neuen Kriege“ verbundenen Erscheinungen keineswegs neu seien, sondern allesamt bereits in der mittelalterlichen Kriegführung anzutreffen gewesen seien. Die „Transformation des Krieges“ sei folglich auch in erster Linie als Rückkehr zu aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit bekannten Formen und Praxen der Kriegführung zu interpretieren, während der Staatenkrieg des 18. bis 20. Jahrhunderts, der aus moderner eurozentrischer Sicht gleichsam den „normalen“ Krieg darstellt, in erweiterter historischer und globaler Perspektive letztlich nur eine keineswegs verallgemeinerbare Ausnahmeerscheinung bildete. Im zweiten Schritt entwickelt er sodann eine Typologie für mittelalterliche und neuzeitliche Kriege vom Vernichtungs- bis zum Terrorkrieg, die er im dritten Schritt mit dem Faktor Kultur in Beziehung setzt. Dabei ergeben sich die für die Einzelbeiträge wesentlichen Analysekategorien des intrakulturellen und des transkulturellen Krieges. Transkulturelle Kriege unterteilt er dabei in interkulturelle und subkulturelle Kriege.

Diese „general typology of transcultural wars” bildet den Focus von vier Epochenanalysen, die den zweiten Teil des Bandes bilden. Den Anfang macht Stephen Morillo, der bei seiner Untersuchung von Kriegen des Früh- und Hochmittelalters vor allem deutlich macht, welche vielschichtigen kulturellen Differenzierungen und Abgrenzungen jenseits der Unterteilung in „big cultures“ und „subcultures“ möglich sind, die nachhaltige Bedeutung für die Anerkennung oder Nichtanerkennung des Gegners haben können. Michael Prestwich macht in seinem Aufsatz zum Spätmittelalter am Beispiel der Kriege Edward I. gegen Waliser und Schotten um 1300 vor allem auf die wechselseitigen Lerneffekte und die Angleichung der Praxen und Konventionen aufmerksam, die bis zu einer Transformation des vormals interkulturellen zum intrakulturellen Krieg führen konnte. Bernhard R. Kroener betont in seinem Beitrag die Herausbildung eines allgemein anerkannten ius in bello während der europäischen Staatsbildungskriege des 15. bis 17. Jahrhundert, das den europäischen Kriegen seit 1648 grundsätzlich den Charakter intrakultureller Kriege mit einer „gezähmten Bellona“ gab. An der europäischen Peripherie und in Übersee trugen die Kriege hingegen oft transkulturellen Charakter und wurden ohne die Einhegungen des europäischen ius in bello geführt. Hew Strachan hebt für das 18. bis 20. Jahrhundert hervor, dass es trotz der weitgehenden Konvergenz der europäischen Streitkräfte in Codex und Doktrin auch in den europäischen Kriegen schnell zu einer Enthegung des Krieges kommen konnte, wenn irreguläre Kämpfer wie Kosaken und Highlander auf den Plan traten oder wenn zum Mittel der Guerilla gegriffen wurde. Gleichzeitig konnten die interkulturellen Kriege in den Kolonien wie im Fall der britischen Luftkriegführung im Irak der Zwischenkriegszeit als Laboratorium neuer Techniken und Konzepte für die intrakulturelle Kriegführung im Zweiten Weltkrieg dienen. Die damit einhergehende Dynamik kriegerischer Gewaltanwendung ist bei den beteiligten Akteuren mit mannigfaltigen Anpassungs- und Lerneffekten verbunden, die wie Strachan verdeutlicht, nicht wegen, sondern trotz des Faktors Kultur wirksam werden (S. 103).

Im dritten Teil gehen Matthew Strickland und Martin van Creveld am Beispiel der Behandlung von Non-Kombattanten in transkulturellen Kriegen des Mittelalters und der Behandlung von Kriegsgefangenen in Kriegen des 19. Jahrhunderts der Frage nach Verregelung bzw. Regellosigkeit der Kriegführung nach.

Corinne Saunders und Birgit Beck-Heppner untersuchen im Anschluss daran die Rolle sexueller Gewalt in den Kriegen des Mittelalters und der Neuzeit. Saunders folgert dabei aus ihrer Analyse mittelalterlicher englischer Literatur, dass die mittelalterliche Art der Kriegführung generell eng mit sexueller Gewalt verknüpft gewesen sei. Beck-Heppner wirft nach einer Diskussion der Rolle sexueller Gewalt im modernen Krieg und ihrer Behandlung im internationalen Recht für die weitere Forschung zum Thema die Frage nach dem Einfluss der Integration von Frauen in die Streitkräfte und der Rolle rassistischer Stereotypen für Auftreten und Bedeutung sexueller Gewalt auf.

Der fünfte Teil ist den Konzepten und der Funktion von Feindbildern gewidmet. Hannes Möhring untersucht dazu die christlichen Konzepte des muslimischen Feindes während der Kreuzzüge. Diese dienten einerseits der Identitätsbildung des europäischen Christentums durch Abgrenzung vom Islam, während die christlich-islamische Konfrontation in den Kreuzfahrerstaaten andererseits zu einer deutlichen Relativierung des Feindbildes Islam führen konnte. Michael Hochgeschwender analysiert die Rolle von Feindbildern während des Amerikanischen Bürgerkrieges. Nachdem er die zahlreichen religiösen, sozialen und ethnischen Fragmentierungen der US-Gesellschaft sowie die Propagandadiskurse und tradierten Stereotypen skizziert hat, kommt er zu der wenig überraschenden Schlussfolgerung, dass die im Bürgerkrieg generierten Feindbilder deutlich geringere Wirkung zeigten als das propagandistische Anknüpfen an tradierte und immer wieder gern aufgegriffene Langzeitstereotypen.

Die Beiträge von Andrew Ayton und Daniel Hohrath im letzten Teil des Bandes untersuchen die Protagonisten des Krieges im Spannungsfeld zwischen Pluralität und Monopolisierung kriegerischer Gewaltanwendung. Besondere Bedeutung haben dabei interkulturelle Lerneffekte, die in militärische Innovationen und den Aufstieg neuer oder erneut auftretender Typen von Gewaltakteuren münden. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Debatten um die Rolle substaatlicher und transnationaler Gewaltakteure schlussfolgert Hohrath: “The new appearance – or resurgence – of private war organizations which has been observable recently, from warlords and tribal leaders on the periphery of the modern world of states through to internationally active mercenary companies of „western“ calibre shows in any case that even military history does not need to show any unchangeably directed development.“ (S. 256)
Insgesamt bietet der vorliegende Band eine anregende Einführung in das äußerst facettenreiche und bislang nicht systematisch untersuchte Forschungsfeld der transkulturellen Kriege. Die Stärke des Bandes besteht dabei zweifelsohne in der kaleidoskopartigen Darstellung möglicher Konstellationen, Akteure und Gewaltpraxen, die vor allen anderen Ergebnissen die These von der Neuartigkeit der „Neuen Kriege“ relativiert, wenn nicht gänzlich widerlegt. Dennoch kann das Buch nur als ein erster Schritt auf diesem relativ jungen Forschungsfeld angesehen werden. Die Ergebnisse können daher auch nicht voll befriedigen. Die einzelnen Beiträge stehen tendenziell unvermittelt nebeneinander. Hier wäre der Versuch einer Syntheseleistung durch den Herausgeber als Teil der Einleitung oder als separate Zusammenfassung hilfreich gewesen. Nicht minder bedauerlich ist das Fehlen eines Literaturverzeichnisses, das auch gleichsam den Charakter einer Übersicht des bisherigen Forschungsstandes hätte tragen können. Perspektivisch gilt es daher, die vorliegenden Befunde der Einzelbeiträge zu ergänzen, sie zu systematisieren und schließlich in einer Synthese zu verbinden.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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