S. Buttinger: Mittelalter; C. Märtl: Die 101 wichtigsten Fragen

: Das Mittelalter. . Stuttgart 2006 : Theiss Verlag, ISBN 3-806-21967-2 192 S. € 19,90

: Die 101 wichtigsten Fragen: Mittelalter. . München 2006 : C.H. Beck Verlag, ISBN 3-406-54102-X 159 S. € 9,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christina Deutsch, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte II, Humboldt-Universität zu Berlin

Gesamtdarstellungen und Handbücher zur mittelalterlichen Geschichte erfreuen sich seit mehreren Jahren einer publizistischen Beliebtheit 1, die durch das postulierte Interesse einer breiteren Öffentlichkeit an „dem Mittelalter“ getragen wird. Dabei, so betonen die Autor/innen in der Regel, sei die Vorstellung des Publikums vom Mittelalter jene einer finsteren, wenn auch recht lebensfrohen Epoche, in der nach Ständen geordnete Menschen zwischen Himmel und Hölle, Askese und Sinnenfreuden, Gottesfurcht und Heidenangst schwankten. Dieses antagonistische, populäre Bild des Mittelalters evoziert in seiner Widersprüchlichkeit einerseits das Interesse an dieser Epoche, andererseits bedarf es dringend einer differenzierten Darstellung, die das Bild vom Mittelalter präzisiert, ohne das Interesse der intendierten Leserschaft zu unterminieren. Dass dieses wohlbekannte Phänomen hier Erwähnung findet, ist dem Grundtenor der vorliegenden Bände geschuldet, die beide, wenn auch mit sehr unterschiedlichem didaktischem Konzept, die interessierten Laien über das Mittelalter nicht nur informieren, sondern ihnen ein differenziertes Bild vermitteln wollen und als Ausgangs- und Anknüpfungspunkt explizit auf die Vorstellung vom „finsteren Mittelalter“ rekurrieren.

Sabine Buttinger, deren Publikation in der Reihe ‚WissenKompakt’ erschienen ist, legt ihren Ausführungen nach einer knappen Einleitung („Fremdes, faszinierendes Mittelalter“, S. 7-11) die bewährte Einteilung in einen chronologisch-ereignisgeschichtlichen („Eine dynamische Zeit: 1000 Jahre Mittelalter“, S. 13-69) sowie einen sachthematischen Abschnitt („Ein Panorama des Mittelalters“, S. 71-183) zugrunde. Angereichert werden die unkompliziert-plakativ betitelten Unterkapitel durch knappe Exkurse zu einzelnen Themen sowie durch eine Vielzahl von Abbildungen; abgeschlossen wird der Band durch Hinweise auf weiterführende Literatur zu den einzelnen Kapiteln (S. 185ff.) sowie ein recht kurzes, 30 Begriffe umfassendes Glossar (S. 189ff.).

Die vertraute wie übersichtliche Struktur hätte die Möglichkeit geboten, selbst bei einer vereinfachten Darstellung ein detailliertes und auch differenziertes Mittelalterbild zu vermitteln. Beides scheint letztlich nicht recht gelungen zu sein, da die Ausführungen die klischeehaften Vorstellungen vom Mittelalter kaum kritisch aufnehmen, spielerisch zitieren oder verfremden, sondern sie im Gegenteil sowohl inhaltlich als auch in der Wortwahl recht häufig bedienen. Wenn in der Einleitung die Verwendung eines modernen Europabegriffs für das Mittelalter mit der Begründung abgelehnt wird, ein „Empfinden, das über die bloße Sippen- und Stammeszugehörigkeit der Menschen hinausgegangen wäre“, sei „dem mittelalterlichen Menschen […] fremd“ gewesen und lediglich das Christentum habe es als „geistige Klammer“ zunächst vermocht Langobarden, Franken, Bayern, Alemannen und „erst Jahrhunderte später Deutsche, Franzosen, Engländer oder Spanier zu verknüpfen“ (S. 10), dann wird der diskussionswürdige Europabegriff zugunsten des antiquierten Postulats einer Stammes- und Sippenexistenz des mittelalterlichen Menschen aufgegeben, das mehrere Dekaden mediävistischer Forschung ignoriert. Wenn die Hoffnung geäußert wird, dass für den Leser nach der Lektüre „das Mittelalter […] nicht mehr nur finster oder romantisch, sondern schlicht eine in ihrer eigentümlichen Fremdheit faszinierende Epoche“ (S. 10) ist, dann werden nur verbale Versatzstücke vertauscht. Im Grunde erfährt das populäre Mittelalterbild keine Veränderung, Differenzierung oder Ergänzung, es wird vielmehr bestätigt. Das offensichtliche Bemühen, Fremdheit und Faszination bei gleichzeitig vereinfachter sprachlicher Form zu beschwören, führt zu einigen merkwürdigen Formulierungen (unter anderem „Die Franken: Lotsen ins Mittelalter“, S. 19), während beim Rückgriff auf bekannte Termini deren Urheber nicht einmal erwähnt werden; so wird zwar explizit auf den „Herbst des Mittelalters“ verwiesen (z.B. S. 68), doch findet sich nicht der kleinste Hinweis auf das Werk von Johan Huizinga, das noch nicht einmal Aufnahme in die Literaturhinweise fand.

Die Nachweise der Ungenauigkeiten, welche schwerlich mit dem Wunsch nach einer einfachen Darstellungsweise zu rechtfertigen sind, ließen sich – vor allem auch im Glossar – vermehren. Dies ist umso bedauerlicher, da die fehlende Präzision Missverständnisse geradezu fördert. Insgesamt bleibt der Eindruck, dass auf gängige Konzepte der Wissensvermittlung zurückgegriffen wurde, ohne diese mit neuen Impulsen zu beleben. Die Ausführungen erscheinen im Gegenteil grob vereinfachend, wodurch die Lektüre offenbar erleichtert werden sollte, doch dürfte sich auch ein interessierter Laie, dem inzwischen ein breites Spektrum an neuerer und vergleichsweise günstiger Literatur zur Verfügung steht, etwas unterfordert fühlen.

Die „101 wichtigsten Fragen“, die von Claudia Märtl und Studenten der Ludwig-Maximilians Universität München in einem handlichen Büchlein zusammengetragen worden sind, nähern sich dem „finsteren Mittelalter“ mithilfe eines anderen, dem auch im Mittelalter geläufigen Konzept des Frage-und-Antwort-Spiels. Die Fragen sind zehn Kategorien, die sich jeweils einer größeren thematischen Zusammenhang widmen, zugeordnet: „Begriff und Bild des Mittelalters“, „Gesellschaft und Recht“, „politische Ordnungsformen“, „Glaube, Religion, Kirche“, „Ereignisgeschichte“, „Wirtschaft, Landwirtschaft, Technik“, „Lebenswelt und Lebensräume“, „Wissen und Wissensvermittlung“, „Kunst und Literatur“ sowie „Überlieferung und Kontinuitäten“. Lediglich die erste und letzte Kategorie beschränken sich auf zwei Fragen, die anderen Abteilungen umfassen je zehn bis 15. Abgeschlossen wird der Band durch eine siebenseitige Zeittafel, einige Literaturhinweise sowie ein Personen- und Ortsregister.

Die ersten beiden Fragen, die Begriff und Bild des Mittelalters betreffen, können getrost als Klassiker bezeichnet werden: „Wie lange dauerte das Mittelalter?“ (S. 11) und „Wie finster war das Mittelalter?“ (S. 12). Die Antworten, die im übrigen immer knapp eine Druckseite umfassen, sind ebenso klassisch: Bei der ersten Frage werden die gängigen Daten der Epochenzäsuren um 500 und 1500 genannt, wobei die Betonung von Kontinuität bzw. ungleichzeitiger Entwicklung ebenso betont wird wie unterschiedliche Periodisierung in den europäischen Nationalgeschichtsschreibungen; die zweite Frage wird mit den bekannt vielfältigen negativen Einschätzungen der Nachgeborenen beantwortet, wobei die Finsternis im Mittelalter am Ende durch den Hinweis auf finstere Zeiten in allen Epochen relativiert wird. Bemerkenswert ist das Bemühen, die kursierenden Aussagen über das Mittelalter zu relativieren, Epochengrenzen zu erläutern und die Zeitgebundenheit der jeweiligen Vorstellungen zu betonen, ohne auf den Nutzen z.B. der Epocheneinteilung einzugehen. Wozu dient die Einteilung der Geschichte in Epochen und welchen Erkenntnisgewinn verspricht sich die historische Forschung überhaupt davon, wenn weitgehend etablierte Epochengrenzen – etwa die zwischen Antike und Mittelalter (zwischen 380 und 529) – diskutiert werden? Die Zahl der Fragen ließe sich leicht vermehren und dies dürfte der didaktischen Absicht der Publikation entsprechen, den Leser zu ermutigen, selbst zu Fragen und auch einfache Fragen zu formulieren, die gleichwohl mit Hilfe weiterer Literatur differenziert beantwortet werden können und müssen.

Freilich müssen sich die dargebotenen Fragen und Antworten nicht mit den eigenen Interessen und Erwartungen decken, und auch die An- und Zuordnung der Fragen orientiert sich an den vermuteten Vorstellungen der Leser/innen. So beginnt die Kategorie „Gesellschaft und Recht“ mit der Frage „Welche Rechte hatten Frauen?“ (S. 13), während sich die Entstehung des Rittertums (S. 19) auf Rang acht wieder findet und der ganze Komplex mit der Frage „Wer entschied, was recht/Recht war?“ (S. 26) abgeschlossen wird. Die Antworten müssen sich aufgrund des knappen Raumes auf wesentliche Aspekte konzentrieren, doch erscheint diese Konzentration angesichts der umfassenden Fragen zum Teil einseitig; so etwa, wenn bei der Frage nach „Frauenrechten“ einzig der Rechtsstatus der weltlichen Frau, Ehefrau und Mutter genannt wird, der geistliche Bereich (Nonne, Äbtissin) jedoch keine Erwähnung findet. Diese Einschränkungen gelten vor allem für Fragen, die für die gesamte Epoche Relevanz besitzen. Hier macht sich die Konzeption der Publikation bemerkbar, die, an Sachthemen orientiert, zum einen keine chronologische Ordnung bietet und zum anderen innerhalb einer Kategorie allgemeine Fragen mit Fragen nach zeitlich begrenzten Phänomenen mischt. Dies hat zur Folge, dass einige Antworten die Zeit vom Frühmittelalter bis zur frühen Neuzeit umfassen, während sich andere auf durch Jahreszahlen konkret begrenzte Zeiträume konzentrieren können. Diese Divergenz ist durchaus ambivalent, da sie bei einer Gesamtlektüre eine gewisse Abwechslung bietet, beim Nachschlagen einzelner Aspekte jedoch nicht immer ganz befriedigende Antworten hervorbringt. Immerhin können die übergreifenden Zusammenhänge durch die vergleichsweise umfassende wie detaillierte Zeittafel ohne Mühe hergestellt werden.

Insgesamt erweist sich dieser kleine, erschwingliche Band als anregende Lektüre, die zu weiteren Fragen animiert. Dass das Fragen eine größere Kunst ist als das vermeintlich richtige Antworten, ließe sich trefflich diskutieren; ob die Fragen die wichtigsten und richtigsten sind, die an das Mittelalter gestellt werden können oder müssen, lässt sich kaum kategorisch beantworten.

Das „finstere Mittelalter“ ist in beiden Publikationen als Frage, Antwort, Bild, Faktum, Vorstellung, Folie, Bezugspunkt und Epoche weiterhin präsent. Wie finster es denn nun gewesen ist, bleibt am Ende der Einschätzung und Rezeptionsfähigkeit der geneigten Leser/innen überlassen; immerhin vermag beharrliches Fragen mitunter etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

Anmerkung:
1 Hier sei nur eine Auswahl aus einer Vielzahl von Titeln genannt: Fuhrmann, Horst, Einladung in Mittelalter, 3. Aufl. München 2004; Scheibelreiter, Georg (Hg.), Höhepunkte des Mittelalters, Darmstadt 2004; Jankrift, Kay Peter, Das Mittelalter. Ein Jahrtausend in 12 Kapiteln, Ostfildern 2004; Knefelkamp, Ulrich, Das Mittelalter. Geschichte im Überblick, Paderborn 2002.

Kommentare

Re: Rez. S. Buttinger: Mittelalter; C. Märtl: Die 101 wichtigsten Fragen

Von Keupp, Jan03.11.2006

Replik:

Christina Deutsch: Rezension zu: Buttinger, Sabine: Das Mittelalter. Stuttgart 2006. In: H-Soz-u-Kult, 25.10.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-075>.

Christina Deutsch: Rezension zu: Märtl, Claudia: Die 101 wichtigsten Fragen: Mittelalter. München 2006. In: H-Soz-u-Kult, 25.10.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-075>.

Botschaften aus dem Elfenbeinturm

„Die Pflicht des Historikers ist zwiefach: erst gegen sich selbst, dann gegen den Leser. Bei sich selbst muß er genau prüfen, was wohl geschehen sein könnte, und um des Lesers willen muß er festsetzen, was geschehen sei“, so sinnierte Johann Wolfgang von Goethe in seinen Maximen und Reflexionen. Gewiss, dass es in der Geschichtsforschung nicht um die Präsentation objektiver Wahrheiten geht, gehört heute ebenso zu den Allgemeinplätzen der historischen Zunft wie die Warnung vor dem unreflektierten Umgang mit den ‚Meistererzählungen’ früherer Generationen. Was bleibt, ist bei allem methodischen Problembewusstsein der offenkundige Hiatus zwischen der Komplexität wissenschaftlicher Fachdiskussionen und der viel beschworenen ‚Bringschuld’ des Historikers gegenüber der Öffentlichkeit.

In den Bereich dieser Problematik fällt zweifellos der von Christina Deutsch verfasste Rezensionsbeitrag. Er widmet sich gleich zweien der aktuellen Publikationen mediävistischer Fachhistorikerinnen, die sich bewusst an ein breites Publikum wenden. Ihre Erwartungen an dieses Genre weiß die Rezensentin dabei klar zu formulieren: Es bedürfe „einer differenzierten Darstellung, die das Bild vom Mittelalter präzisiert“. Die Bilanz im Hinblick auf die besprochenen Werke fällt dabei teils ambivalent, teils vernichtend aus: Beide Bände, so suggeriert ihr Beitrag, bedienten „unkompliziert-plakativ“ das Klischee einer finsteren Epoche, wirkten „grob vereinfachend“, „einseitig“ und krankten insgesamt an „fehlender Präzision“.

Besonders hart geht sie dabei mit dem im renommierten Theiss-Verlag erschienenen Werk von Sabine Buttinger ins Gericht: Bereits auf S. 10 stößt das Anliegen der Autorin, „eine unkritische Verwendung des modernen Europabegriffs“ vermeiden zu wollen, auf das massive Missfallen der Rezensentin. „Mehrere Dekaden mediävistischer Forschung“ habe Buttinger zugunsten „des antiquierten Postulats einer Stammes- und Sippenexistenz des mittelalterlichen Menschen“ ignoriert. Ob aber die örtlich aufscheinende Europa-Euphorie in der deutschen Mediävistik bereits eine allgemeine Kanonisierung erfahren hat, mag freilich bezweifelt werden. „Europa“, so Buttinger mit Verweis auf die zeitspezifischen Verständnishorizonte, „steht im Folgenden also synonym für das christliche Abendland, das Imperium Christianum“ (S. 10). Mit dieser Sicht befindet sie sich durchaus in guter Gesellschaft. So mahnt auch das ‚Handbuch der Geschichte Europas’ in seinem von Hans-Werner Goetz verfassten zweiten Band, „'Europa' oder besser: das 'Abendland'“ von den Projektionen ideologischer Einheitsgedanken freizuhalten, es vielmehr „in seiner 'Mittelalterlichkeit', seinen zeitspezifischen Eigenheiten und seinem damaligen Selbstverständnis“ zu begreifen.1 Der Vorwurf der Ignoranz der Fachdiskussion mag daher auf die Rezensentin selbst zurückfallen. Er ist indessen in jedem Fall unangemessen, wo im Handbuch und im Einführungswerk gleichermaßen bereits der Blick auf Stofffülle und redaktionelle Vorgaben die Ausbreitung ‚dekadenlanger’ Diskussionen verbietet.

Beispiele für eine notwendige „Differenzierung oder Ergänzung“ weiß Christina Deutsch noch viele zu nennen. In den meisten Fällen wird man ihr aus fachlicher Perspektive durchaus beipflichten wollen: Der Nutzen der Epocheneinteilung, der Rechtsstatus von Nonnen und Stiftsdamen, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Werk Huizingas – all diese Aspekte hätte die besprochenen Bände sicherlich bereichert. Doch führt eine solche Forderung an die Grenzen der Leistungsfähigkeit allgemeiner Überblickswerke. Eine dickleibige Dissertation zu einem eng umgrenzten Spezialgebiet vermögen in punkto Präzision zweifellos mehr zu leisten als ein fußnotenloses Einführungsbändchen. Im Hinblick auf die notwendige publizistische Prägnanz dürfte dies jedoch ungleich schwerer fallen. Der Versuch, das Mittelalter auf 150-200 Seiten an eine breite Leserschaft zu vermitteln, bedarf daher eigener Bewertungsmaßstäbe, die von den gängigen Usancen dieses Rezensionsforums abweichen mögen. Zu beachten sind zunächst die kompositorischen Zwänge seitens der großen Verlagshäuser. Konzeption, Layout und Marketingplanung der Bände, die sich in den Rahmen vorgegebener Reihenplanungen einzufügen haben, existierten bereits lange vor der Schreibabsicht ihrer Autorinnen.

Jenseits beschränkter Zeichenzahlen und vorformulierter Überschriften (101 Fragen) ist jedoch auch der Blick auf die Zielgruppe gestattet, und dies nicht allein aus verkaufstechnischen Erwägungen heraus. Erfolgreiche Wissensvermittlung hat stets das Vorwissen ihres Publikums mit einzubeziehen, selbst wenn dies zur Auseinandersetzung mit wenig geliebten Klischees und Vorurteilen zwingt. Sie sieht sich zugleich vor die Herausforderung didaktischen Reduzierens gestellt. Dem im innerdisziplinären Diskurs des Faches geschulten Historiker mag es schwer fallen, auf den Schwingen Goethes festzusetzen, „was geschehen sei“. Heterogenitäten, Ungleichzeitigkeiten und multikausale Erklärungsansätze zugunsten modellhafter Darstellungsweisen auszublenden, stellt jedoch im Interesse des Gesamtüberblicks eine weitenteils hinnehmbare Zumutung dar. Sie erfordert von den Autoren mithin erhebliche Courage, den Mut zur fachwissenschaftlichen Quadratur des Kreises.

‚Immerhin schöne Bilder’, so lautet nicht selten das wenig schmeichelhafte Gesamturteil gegenüber populärwissenschaftlichen Publikationen. Ein derartiges Werk bediene allein „das Amüsement des Augenblicks“, so steht in einem weiteren Organ der Fachwelt zu lesen. Durch vorgegebene Wissensauswahl werde zudem „jeder Ansatz zum wissenschaftlichen Studium erstickt, ganz zu schweigen vom bildenden, persönlichkeitsverändernden Wert, den (historische) Forschung mit sich bringt.“2 Die logische Konsequenz aus derlei Anwürfen wäre der Verzicht auf jeglichen Versuch, aus der universitären Studierstube den weiteren Kreis Geschichtsinteressierter anzusprechen. Das nicht nur „postulierte“, sondern angesichts beachtlicher Auflagenzahlen durchaus florierende Marktsegment Mittelalter würde man damit jedoch gänzlich aufgeben. Es bliebe Titeln wie Arens ‚Wege aus der Finsternis’ oder Breuers ‚Ritter, Mönch und Bauersleut’ überlassen. Während sich die Fachwissenschaft in selbst gewählter Publikumsferne den eigenen, mitunter in esoterischer Sprache geführten Debatten hingäbe, böte der Buchmarkt weiterhin einen Tummelplatz für Deschner, Illig & Co. Hochschulabsolventen und wissenschaftlichem Nachwuchs schließlich würde der Weg in die Welt der Medien nachhaltig blockiert: Wer will nach erfolgreicher Dissertation und Habilitation schon zum Renegaten des eigenen Forschungsanspruchs werden und noch dazu den Hohn und Spott einstiger Weggefährten und Mentoren ernten? Für die Verlage schließlich verböte sich die Einholung fundierten Expertenwissens schon vor dem Hintergrund unvermeidlicher Verrisse in Presse und Internet.

Vor dem Verdikt mangelnder Differenzierung mag wohl kaum ein Produkt populärwissenschaftlicher Schreibversuche zu bestehen. Dass solche Versuche dennoch immer wieder unternommen werden, ist allein schon aus Gründen der Selbsterhaltung des Faches unerlässlich. Ihre Bewertung bedarf – so lauten die fundamentalen Regeln der Quellenkritik – einer profunden Kenntnis des Entstehungskontextes einschließlich seiner Vorgaben und Zwänge. Am Ende indes hat sich jedes Werk am Anspruch des Autors messen zu lassen.

Anmerkungen:
1 Goetz, Hans-Werner, Europa im frühen Mittelalter. 500-1050, Stuttgart 2003, S. 18.
2 Borgolte, Michael, Rezension zu Claudia Märtl, Die 101 wichtigsten Fragen. Mittelalter, in: HZ 283 (2006), S. 454f.


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