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Titel
Marie Stritt - Eine "kampffrohe Streiterin" in der Frauenbewegung (1855-1928). Mit dem erstmaligen Abdruck der unvollendeten Lebenserinnerungen von Marie Stritt


Autor(en)
Schüller, Elke
Erschienen
Königstein 2005: Ulrike Helmer Verlag
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kinnebrock Susanne, München

30 Jahre ist es inzwischen her, dass Richard J. Evans, Amy K. Hackett und schließlich Barbara Greven-Aschoff mit ihren Studien zur organisierten Frauenbewegung in Kaiserreich und Weimarer Republik den Grundstock für zahlreiche weitere Forschungsarbeiten legten.1 Dennoch ist erst jetzt eine biografische Arbeit entstanden, die sich mit derjenigen Frau beschäftigt, die von 1899 bis 1910 an der Spitze der Dachorganisation der bürgerlichen Frauenbewegung stand und von 1911 bis 1919 die Mehrheitsgruppierung der deutschen Stimmrechtsbewegung anführte. Von Marie Stritt (1855-1928) ist hier die Rede, die Anfang des 20. Jahrhunderts eine der bekanntesten Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung war. Und zu ihrem 150sten Geburtstag hat Elke Schüller eine „erste biographische Annäherung“ (S. 15) herausgebracht.

Diese vorsichtige Formulierung dürfte die Biografin mit Bedacht gewählt haben. Denn so erkenntnisreich eine mehr oder minder erschöpfende Biografie sein könnte, Marie Stritts Lebenswerk ist umfassend kaum zu bearbeiten. Das liegt zum einen an der schwierigen Quellensituation: Der persönliche Nachlass wurde 1944 weitgehend vernichtet, von Stritts Memoiren existieren nur Fragmente und ein Vereinsarchiv der deutschen Stimmrechtsbewegung ist auch nicht überliefert. Zum anderen wurde Marie Stritt in zahlreichen und sehr verschiedenen Kontexten tätig – als Schauspielerin, als Rechtsschutz-Verfechterin, als Aktivistin der Frauenbewegung in Deutschland, als Funktionärin internationaler Frauenorganisationen und zuletzt auch noch als liberale Politikerin.

Schüller hat sich entschieden, den Fokus ihrer „biographischen Annäherung“ auf Marie Stritts Aktivitäten in der deutschen Frauenbewegung zu legen, wobei im Besonderen Stritts Funktionärstätigkeit im Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) und ihre redaktionelle Arbeit für das „Centralblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine“ untersucht wird. Dieser Schwerpunkt ist mit Bedacht gewählt, denn zum einen gerät damit diejenige Phase im Leben der Marie Stritt ins Zentrum, in der sie selbst große Publizität und für die bürgerliche Frauenbewegung viel öffentliche Zustimmung erringen konnte. Zum anderen bieten die überlieferten BDF-Akten einen ergiebigen Quellenbestand.

Den ersten Teil der im Wesentlichen chronologischen Darstellung bildet die Dokumentation eines überraschenden Fundes. Ein bislang unbekanntes handschriftliches Fragment der Memoiren Marie Stritts ist hier abgedruckt, das Kerstin Wolff auf 72 Seiten sorgfältig editiert hat. Auf diese Weise erzählt uns Stritt, geborene Bacon, selbst von ihrer Kindheit und Jugend in der siebenbürgischen Kleinstadt Schäßburg und ihren ersten Erfahrungen als Schauspielschülerin in Wien. Dabei entsteht das Bild einer bürgerlichen Tochter, deren Bildungshunger, literarische Neigung und Ehrgeiz von ihrem toleranten Elternhaus nicht behindert wurde, sodass das ungeliebte Höhere-Töchter-Dasein im elterlichen Haushalt mit Hilfe einer Schauspielausbildung ein schnelles Ende fand. Inwieweit sich Stritt in ihren Kindheits- und Jugenderinnerungen durchaus typisch für die Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit inszenierte, ist allerdings nicht eigens herausgearbeitet worden, obgleich hier kollektivbiografische Vorarbeiten einige Anhaltspunkte hätten liefern können.2 Schüler belässt es bei der Dokumentation des Memoirenfragments, das schließlich mitten im Satz abbricht. Und damit ist auch ein gewisser Bruch im Buch markiert, denn die weiteren Lebensabschnitte Marie Stritts werden nicht mehr im plaudernden Ton einer Ich-Erzählerin vermittelt, sondern von Schüller rekonstruiert.

Nach kurzer schauspielerischer Tätigkeit und einigen Wanderjahren mit verschiedenen Engagements lässt sich Marie Stritt 1890 – inzwischen verheiratet mit dem Opernsänger Albert Stritt und Mutter zweier Kinder – in Dresden nieder. Dort beginnt sie, aktiv in Organisationen der Frauenbewegung mitzuarbeiten, zunächst im ‚gemäßigten’ Allgemeinen Deutschen Frauenverein. Akribisch hat Schüller herausgearbeitet, dass Marie Stritt damit eine ‚Familientradition’ fortsetzte. Denn bereits ihre Mutter, Therese Bacon, war in der Frauenbewegung aktiv, was im Memoirenfragment allerdings nicht erwähnt ist.

In Dresden war Marie Stritt die Initiatorin der ersten deutschen Frauenrechtsschutzstelle, die 1894 ihre Arbeit aufnahm. Indem sich Stritt vor allem Rechtsfragen zuwandte, begann sie just diejenigen Aspekte der Frauenfrage zu bearbeiten, die primär von den so genannten Radikalen auf die Agenda gesetzt wurden. Dennoch war Stritts Verhältnis zu den Berliner Radikalen um Minna Cauer und Anita Augspurg von Anfang an problematisch, weil sie sich in Fragen der Taktik, der Prioritätensetzung und vor allem der Kooperation mit dem BDF entzweiten. ‚Radikal’ in Bezug auf die Themen, ‚gemäßigt’ in Fragen der Taktik – so lässt sich Stritts Agieren in der Frauenbewegung umschreiben, als sie 1899 den Vorsitz des BDF und die Leitung des „Centralblatts“ übernahm. Nicht zuletzt dank ihres „Talent[s], sich immer zwischen zwei Stühlen zu setzen ohne zu fallen“3, behauptete sich Stritt elf Jahre lang an der Spitze des BDF – eine Zeit des Wachstums, der Diversifizierung, aber auch des wachsenden Unbehagens mit Stritts vergleichsweise ‚radikaler’ Programmatik. Schüller gelingt es vorzüglich, mit Hilfe der Quellen ein plastisches Bild der Konflikte um Marie Stritt, der Intrigen gegen sie und schließlich ihrer sukzessiven Entmachtung zu entwerfen. Wie nicht nur um Posten, sondern vor allem auch um die Meinungshoheit im BDF gekämpft wurde, beschreibt Schüller dabei packend anhand der Auseinandersetzungen um die redaktionelle Linie des „Centralblatts“.

Verdrängt von Gertrud Bäumer als BDF-Vorsitzende, wandte sich Stritt stärker der Stimmrechtsfrage zu und übernahm 1911 den Vorsitz im Deutschen Verband für Frauenstimmrecht (DVF). Zu diesem Zeitpunkt drohte die Stimmrechtsbewegung an der Frage zu zerbrechen, ob ein allgemeines Wahlrecht (wie von der Sozialdemokratie gefordert) oder ein Klassenwahlrecht Ziel der Bewegung sei. Stritt gelang es bemerkenswerterweise, den Großteil der Bewegung zusammenzuhalten bzw. wieder zusammenzuführen. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges konnte sie sogar partielle Kooperationen mit den Sozialdemokratinnen durchsetzen. Insgesamt aber bleibt in dieser „biographischen Annäherung“ Stritts Tätigkeit an der Spitze der Stimmrechtsbewegung deutlich schlechter beleuchtet als ihr Engagement im BDF. Ähnliches gilt auch für ihre Kandidatur für die Nationalversammlung auf der Liste der DDP, ihre Tätigkeit als (farblose) Dresdner Stadträtin (1919-1922) und schließlich ihr Engagement in der internationalen Frauenbewegung. Zum Teil dürfte dies auf Lücken in den Quellen zurückzuführen sein (denn zumindest die Vereinsakten der deutschen Stimmrechtsbewegung sind nicht überliefert). Zudem sollte berücksichtigt werden, dass Schüller es sich vor allem zum Ziel gesetzt hatte, Marie Stritt entlang der Demarkationslinien ‚radikal’ und ‚gemäßigt’ zu verorten (S. 15), so dass andere Handlungskontexte wie die Politik und die Internationale Stimmrechtsbewegung für ihre Fragestellung an Relevanz verlieren.

Was bleibt? Ein wichtiges und gut zu lesendes Werk über eine zentrale Figur der ersten deutschen Frauenbewegung, das viele Quellen erschlossen hat. Allerdings hätten die Quellen an mancher Stelle noch kritischer hinterfragt werden können. Schüller lässt sie aber bevorzugt unkommentiert sprechen und vergibt damit zuweilen die Chance, aus den Quellen in Verbindung mit aktueller Sekundärliteratur tiefer gehende Interpretationen zu entwickeln. Und auch die Tätigkeitsfelder, auf die sich Elke Schüller bislang weniger konzentriert hat, verdienen weitere Aufmerksamkeit. Dem einführenden Statement der Autorin „Viel bleibt noch zu tun“ (S. 15) ist rundum zuzustimmen, aber nun ist wenigstens der wichtige erste Schritt getan. Und dank der zahlreichen kleinen Hilfestellungen, die leider allzu oft unerwähnt bleiben (z.B. ein Werkverzeichnis und ein Personenverzeichnis), ist dem Weiterarbeiten am Thema Marie Stritt zusätzlich der Weg geebnet.

Anmerkungen:
1 Evans, Richard J., The Feminist Movement in Germany 1894-1933, London 1976; Greven-Aschoff, Barbara, Die Bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland 1894-1933, Göttingen 1981; Hackett, Amy Kathleen, The Politics of Feminism in Wilhelmine Germany, 1890-1918, Columbia University (PhD) 1976.
2 So z.B.: Hoeppel, Rotraut, Weiblichkeit als Selbstentwurf. Autobiographische Schriften als Gegenstand der Erziehungswissenschaft, Würzburg (Phil. Diss.) 1983; Jacobi-Dittrich, Juliane, Growing up Female in the Nineteenth Century, in: Fout, John C. (Hg.), German Women in the Nineteenth Century. A Social History, New York 1984, S.197-217.
3 So äußerte sich zumindest eine Zeitgenossin von Marie Stritt, die radikale Frauenrechtlerin Minna Cauer, in einem privaten Brief an Emma von Witt vom 18.10.1908, dessen Abschrift sich im Privatarchiv von Brigitte Bruns, München, befindet.

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