Titel
Protestant Theology and the Making of the Modern German University.


Autor(en)
Howard, Thomas Albert
Erschienen
Anzahl Seiten
496 S.
Preis
$ 135,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Wischmeyer, LS F.W. Graf, LMU München

Was hat Jerusalem mit Athen zu tun, in welchem Verhältnis stehen Selbstreflexion des christlichen Glaubens und die intellektuellen Standards vergangener Gegenwarten? Thomas Albert Howard, der als Vertreter des Fachs European intellectual history an Gordon College (Wenham / Mass.) das ‚Jerusalem and Athens’-Studienforum leitet, nimmt diese Leitfrage der Theologiegeschichte auf und richtet den Blick auf die deutsche Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts. Richtig erkennt er einen deutschen Sonderweg, dessen Auswirkungen auf die Formation des Wissenschaftsprofils der modernen, säkularen Forschungsuniversität nicht zu unterschätzen sind: Die theologischen Fakultäten bleiben in Deutschland trotz der Erschütterungen der frühneuzeitlichen Universität durch aufklärerische Kritik und napoleonische Kriege integraler Bestandteil der Universitäten. Zumindest die protestantischen Universitätstheologen bejahen diese Einbindung in das staatliche Bildungswesen weit überwiegend bis wenigstens zum Ersten Weltkrieg emphatisch, und sie leisten bedeutende Beiträge zur stürmischen Aufwärtsentwicklung der historischen Kulturwissenschaften seit ca. 1800. Die Geschichte der akademischen Theologie gehört also mit der des Aufstiegs der deutschen Universität im 19. Jahrhundert zu einem weltweit imitierten Vorbild eng zusammen (6). Leitidee der Monografie ist, die wissenschaftsstrukturelle Entwicklung der deutschen protestantischen Theologie „from an apologetic, praxis-oriented, confessional enterprise in the post-reformation period to one increasingly ‚liberal’, expressive of the ethos of modern critical knowledge, or Wissenschaft“ (7) zu verfolgen – einerseits in einem weiten zeitlichen Ansatz vom 16. bis ins 20. Jahrhundert (Kap. 2 u. 5), vor allem jedoch konzentriert auf die Vorgänge zwischen 1789 und 1830, also in einer etwas erweiterten Sattelzeitperiode (Kap. 3 und 4).

Für Howard zeigt sich ein ‚Janusgesicht’ (403): Die strukturelle Gewichtsverschiebung innerhalb der modernen Universität schiebt die Theologie aus dem Zentrum auf einen Nebenschauplatz. Sie bleibt aber gleichzeitig bedeutend genug, um mindestens ebenso stark wie die Wachstumsdisziplinen der modernen Philosophischen Fakultät globale Vorbildwirkung zu entfalten. Gegen vorschnelle Säkularisierungstheorien verweist Howard einerseits auf die Beharrungskräfte der Universität im 19. Jahrhundert, andererseits macht er das Innovationspotential der Disziplin stark; für sie stehen Namen wie F. Schleiermacher, F. C. Baur und A. von Harnack, die der Theologie ihren Platz in einer sich rationalisierenden und intellektualisierenden Wissenschaftswelt sichern. Eine dualistische Bestimmung der Beziehung zwischen Wissenschaft und Religion greife ohnehin zu kurz: Man müsse ebenso von einer religiösen Aufladung des neuen Wissenschaftsideals sprechen – von Howard in einer ausführlichen Interpretation der idealistisch-romantischen Schriften zur Berliner Universitätsgründung erläutert (142-177) – wie das brennende Anliegen der Theologen würdigen, die Wissenschaftlichkeit ihres Faches zu beweisen (33).

Methodisch gelungen ist der Ansatz bei der Institution der theologischen Fakultät und ihren Disziplinen. ‚Disziplinreflexive’ und ‚institutionsspezifische’ Quellen (10f.) – z.B. Festreden, Universitätsstatuten, Disziplingeschichten, Studienratgeber, Verwaltungstexte, wissenschaftliche Zeitschriften, Enzyklopädien und Briefwechsel, in denen sich facettenreich die Meinungen der Zeitgenossen zur Stellung der Theologie in der Universität, zu ihrem Verhältnis gegenüber den anderen universitären Disziplinen, zu ihrem Wissenschaftscharakter usw. spiegeln – sind in der Tat von der bisherigen Theologiegeschichte noch in ganz unzureichendem Maß berücksichtigt worden. Die starke Konzentration der Untersuchung auf die theologische Fakultät der 1810 neubegründeten Berliner Universität ist zu rechtfertigen, da der von prominenten Zeitgenossen auch im Hinblick auf das Existenzrecht einer theologischen Fakultät kontrovers diskutierte Gründungskontext, die anfängliche hochklassige Besetzung (193-211), die vorbildhafte Rolle der Metropolenuniversität und – nach einer langen Durststrecke zwischen 1830 und 1875, die Howard dilatorisch behandelt – auch ein deutliches wissenschaftliches Wiedererstarken zum Ende des 19. Jahrhundert diese Institution zu einer der spannenderen in der neueren Theologiegeschichte machen. Die geweckten hohen Erwartungen kann der Autor aber leider in der Durchführung nicht immer einlösen.

Er sitzt seinerseits in der theoretischen Engführung auf die Aspekte der Verstaatlichung (‚Erastian modernity’, 22) und Verwissenschaftlichung der protestantischen Theologie im 19. Jahrhundert einem nicht mehr haltbaren Säkularisierungsmodell auf. Zumindest folgende Standardparadigmen hätte die Darstellung unbedingt berücksichtigen müssen: die Polarisierungen einer zunehmend ‚positionellen Theologie’ (M. Rössler) – mit dem Effekt der Spaltung in antagonistische theologische und kirchenpolitische Parteien – als fundamental mentalitätsprägenden Faktor; den pluralen ‚Verbandsprotestantismus’ (J.-Chr. Kaiser) als primären Raum von Interessenartikulation; und die neukonfessionelle ‚Kirchwerdung’ (M. Friedrich) als Phänomen allseitiger Distanznahme von staatlicher Religions- und Kultuspolitik auch auf der protestantischen Seite. Die genannten Faktoren verhelfen nicht nur zu einer wesentlich differenzierteren Sicht der mannigfachen Konstellationen im Beziehungsviereck Universitätstheologie – Staat – Kirche – Öffentlichkeit; sie helfen auch Sensibilität dafür zu entwickeln, wie unterschiedlich und individuell akademische Theologen zwischen 1810 und 1918 den Wissenschaftscharakter ihrer Disziplin begründen konnten. Die Eckpunkte ‚kirchlich-dogmatischer Repristination’, ‚spekulativer Religionsphilosophie’ und dem Forschungsimperativ folgender ‚historischer Kritik’ sind dabei nur allererste Schematisierungshilfen.

Praktisch schwächt Howard andererseits seine Sache dadurch, dass er weder Quellen in ausreichendem Umfang auswertet noch die deutschsprachige Sekundärliteratur der vergangenen Generation in adäquatem Umfang zur Kenntnis nimmt. Archivquellen werden nur sporadisch gesichtet, Primärliteratur scheint oft nach dem Zufallsprinzip herangezogen. Obgleich beispielsweise die Rolle Schleiermachers bei der Berliner Universitätsgründung extensiv dargestellt und hoch bewertet wird (S. 133, 156), fehlen alle speziellen deutschsprachigen Schleiermacheruntersuchungen der letzten 20 Jahre. (Außerdem überschreitet die Zahl der Rechtschreibfehler bei zitierter deutscher Literatur jedes für einen renommierten Verlag akzeptable Maß.) De facto haben wir es also mit einer thesenstarken Überblicksdarstellung der Wissenschaftsgeschichte der deutschen protestantischen Theologie bis ca. 1918 zu tun, die für das 19. Jahrhundert stark auf den – für die Weltgeltung deutscher Theologie sicherlich entscheidenden – Konnex zwischen idealistischem Wissenschaftsethos und historisch-kritischer Grundlagenforschung setzt. In dieser Perspektive ist die Selbstinfragestellung der Disziplin seit Ende des 19. Jahrhunderts eine notwendige Folge der allgemein beobachteten Krise des Historismus. Entsprechend ambivalent fällt die postmodern informierte abschließende theologische Wertung Howards aus, die er anhand der bekannten Auseinandersetzung zwischen K. Barth und A. von Harnack um den Wissenschaftsstatus der Theologie illustriert.

Die Monografie enthält auch für die sachkundigeren Leser/innen interessante Abschnitte, etwa die hervorragende Darstellung des starken Eindrucks, den angelsächsische Akademiker/innen auf ihren Bildungsreisen von der deutschen protestantischen Theologie erhielten (348-378). Legt man den Maßstab des von einer aktuellen Beschäftigung mit dem Thema wünschenswerten Ertrags an, fällt die Bilanz kritischer aus: Auf die in der Literatur tradierte, aber bislang kaum fundierte These, die Berliner Fakultät habe auf die deutschsprachige protestantische Theologie nach 1810 eine außergewöhnliche Vorbildwirkung ausgeübt, gibt Howard trotz seiner relativ genauen Analyse der Organisationsstruktur der Fakultät (178-193) keine Antwort. Seine These, Kirchenorgane und Fakultäten hätten im 19. Jahrhundert gegenüber den Kultusbehörden kaum mehr Einfluss in Berufungsangelegenheiten gehabt (24f.), ist auch für Preußen so nicht haltbar; für die zahlreichen außerpreußischen Fakultäten stellt sich die Lage teilweise ganz anders dar. Die positiv-vermittelnde, die konservative und die neukonfessionelle Theologie, die von den Zeitgenossen der ‚Modern German University’ des 19. Jahrhunderts als die beherrschenden Kräfte an der Mehrzahl der theologischen Fakultäten wahrgenommen wurden, gewinnen kaum Profil. Für dringend erwünschte repräsentative und quellennahe Untersuchungen des Wissenschaftssystems, der wissenschaftlichen Praxis und der polyzentrischen Wissenschaftspolitik der protestantischen Theologie des 19. Jahrhunderts dient Howards Studie immerhin als anregender und stellenweise zum Widerspruch herausfordernder Stichwortgeber.