Ch. Klessmann u.a. (Hrsg.): Teilung und Integration

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Titel
Teilung und Integration. Die doppelte deutsche Nachkriegsgeschichte als wissenschaftliches und didaktisches Problem


Herausgeber
Klessmann, Christoph; Lautzas, Peter
Reihe
Reihe Politik und Bildung 41
Erschienen
Schwalbach 2006: Wochenschau-Verlag
Anzahl Seiten
295 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietmar von Reeken, Institut für Geschichte, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Die Diskurse von Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik verlaufen meist in ziemlich getrennten Sphären – eigene Publikationen, eigene Zeitschriften, eigene Tagungen. Auch die von der Konferenz für Geschichtsdidaktik oder dem Geschichtslehrerverband verantworteten Sektionen auf den Historikertagen werden wohl vornehmlich von den Didaktiker/innen bzw. interessierten Lehrer/innen besucht; Fachhistoriker/innen dürfte man dort nur selten antreffen. Dies ist bedauerlich und führt immer wieder zu Missverständnissen über die Erkenntnisinteressen, Aufgaben, Arbeitsverfahren und Leistungsfähigkeiten der jeweils anderen Seite – Missverständnisse, die es im gemeinsamen Interesse an historischer Bildung zu vermeiden gilt.

Umso erfreulicher ist es, wenn beide Seiten nicht nur über-, sondern miteinander reden und arbeiten. Dies war der Fall bei einer Arbeitsgruppe, die 2003 auf Anregung des Geschichtslehrerverbandes am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam gegründet wurde, um gemeinsam über die Herausforderungen nachzudenken, die durch die Ereignisse der Jahre 1989/90 sowie eine veränderte fachwissenschaftliche Sicht auf die deutsch-deutsche Geschichte für deren Thematisierung im Geschichtsunterricht entstanden waren. Auf dem letzten Kieler Historikertag 2004 fand hierzu eine interessante Sektion statt, an der auch der Rezensent teilnahm, und nunmehr liegen wesentliche Diskussionsergebnisse in Form eines Sammelbandes vor.1

Der Band gliedert sich prinzipiell in zwei Teile: In drei Beiträgen von didaktischer (Peter Lautzas und Ulrich Bongertmann) und fachhistorischer Seite (Christoph Kleßmann) werden zunächst die Grundlagen der Arbeit erläutert. Maßgeblich für die inhaltliche Profilierung ist Kleßmanns Konzept zur „integrierten Nachkriegsgeschichte“, das die häufig immer noch dominierende westdeutsche Perspektive ablöst, aber auch den bloßen kontrastierenden Blick auf die beiden deutschen Staaten (wie etwa bei dem früher auch im Unterricht üblichen „Systemvergleich“). Die bisherigen didaktischen Ansätze zum Thema, wie sie unter anderem in bildungspolitisch motivierte Papiere, Schulbücher, Unterrichtsmaterialien und -vorschläge eingegangen sind, werden von Bongertmann vorgestellt und bilden die Hintergrundfolie für den eigenen Ansatz der Arbeitsgruppe.

Im Mittelpunkt des Sammelbandes stehen aber einzelne Themenfelder: Herrschaft und Legitimation, Deutschland als Grenzregion – Konstruktion und Erfahrung des „Anderen“, Umgang mit der NS-Vergangenheit, Wirtschaftsgeschichte, Jugend und Staatssicherheitsdienst. In jedem dieser Themenfelder findet sich jeweils ein Beitrag eines Fachwissenschaftlers, der, unter Berücksichtigung des Kleßmannschen Bezugsrahmens, den Stand der Forschung problemorientiert zusammenfasst, und der Beitrag eines Didaktikers bzw. Lehrers (hier ist die männliche Form übrigens ausnahmsweise fast berechtigt, denn es finden sich in dem Band 13 Autoren und leider nur eine Autorin). Der didaktisch orientierte Beitrag macht jeweils Vorschläge für eine Behandlung im Unterricht, teils in exemplarischer Zuspitzung. Eine Ausnahme stellt lediglich das Themenfeld Staatssicherheit dar, das nur mit einem Beitrag vertreten ist, der aber gemeinsam von zwei Autoren aus der Birthler-Behörde aus den Bereichen Forschung und Politische Bildung verfasst wurde, die beide Perspektiven integrieren.

Die Stärke des Bandes liegt ohne Zweifel in der dringend notwendigen engen Kooperation von Fachwissenschaft und Fachdidaktik – nicht nur durch gegenseitiges Zitieren (was Didaktiker/in naturgemäß deutlich häufiger tun als Historiker/in, von denen die Didaktik meist ignoriert wird), sondern durch gemeinsame Diskussionen in der Arbeitsgruppe und die Bezugnahme in den Beiträgen. Dabei mag man kritisieren, dass auch hier die Bezugnahme ziemlich einseitig ist: Die didaktischen Beiträge beziehen sich selbstverständlich auf den gemeinsamen fachwissenschaftlichen Bezugsrahmen, was umgekehrt kaum der Fall ist, vielleicht auch kaum der Fall sein kann. Dass dies wieder so wirkt (oder so wirken kann), als wenn die Fachwissenschaft die Vorgaben macht, welche die Didaktik dann nur noch „umsetzen“, also „elementarisieren“, didaktisch „reduzieren“ oder „profilieren“ müsse, ist aus Sicht des Geschichtsdidaktikers/in bedauerlich, aber nicht immer ganz zu vermeiden.

Wozu dient also dieser Band? Erstens: Wenn er den an der deutsch-deutschen Geschichte interessierten Historiker/innen dazu bewegt, auch einmal wahrzunehmen, dass die didaktische Perspektive gegenüber der fachwissenschaftlichen eine eigenständige ist (und in der Tat setzen die Autorin und die Autoren eigenständige Akzente, die sich nicht einfach nur aus dem jeweiligen fachhistorischen Beitrag „ableiten“ lassen), dann wäre für ein künftiges Zusammenwirken beider Disziplinen schon viel gewonnen. Zweitens: Ob der Anspruch einlösbar ist, dass sich aus dieser Arbeit „praktische Konsequenzen für die Lehrplanerstellung, die Schulbuchgestaltung, die politische Bildung und auch die Historiographie ergeben können“ (S. 8), wird sich noch zeigen; wünschenswert ist es sicher, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse (aus Fachwissenschaft und Fachdidaktik) auch Auswirkungen auf die gleichsam „mittlere Ebene“ zwischen Forschung und Unterrichtspraxis haben (wobei mir unklar ist, inwiefern sich dieser Anspruch des Projekts auch auf die Historiografie erstrecken sollte). Drittens: Lehrer/innen als Zielgruppe erhalten nicht nur zuverlässige historische Informationen auf dem neuesten Stand der Forschung zu einem wichtigen Unterrichtsthema, sondern auch viele interessante grundlegende didaktische Überlegungen und manche Anregung, wozu auch der Überblick im Anhang über „Literatur und Medien für Schule und politische Bildung“ beiträgt. (Warum in der Auflistung der unterrichtspraktischen Zeitschriften nur bei „Praxis Geschichte“ einzelne Themenhefte genannt werden, bei den anderen, vor allem bei „Geschichte lernen“ nicht, ist allerdings unverständlich.)

Weitere Hilfestellungen wären sicher notwendig; in den didaktischen Beiträgen verbleibt manches noch sehr im Allgemeinen.2 Erfreulich ist es daher, dass die „Deutschland-AG“, wie sie sich selbst nennt, auch bereits Informationsveranstaltungen für Ministerialbeamte, Lehrplan- und Schulbuchautoren/innen sowie vor allem für Lehrer/innen durchgeführt hat.

Anmerkungen:
1 Das Buch ist auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung erhältlich (<http://www.bpb.de/publikationen/KF41IB,0,0,Teilung_und_Integration.html>).
2 Als Beispiel für das Kleinarbeiten der didaktischen Konzepte siehe den aus dem Arbeitszusammenhang entstandenen Beitrag von: Hammer, Wolfgang, Befehlen und gehorchen – Herrschaft und Gehorsam. Unterrichtsvorschlag zum politisch-kulturellen Vergleich der deutsch-deutschen Geschichte von 1945–1989, online unter URL: <http://www.praxisgeschichte.de/unterricht/pdfs/62060200_hammer.pdf>).

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