G. Kreis: Die Schweiz und Südafrika 1948-1994

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Titel
Die Schweiz und Südafrika 1948-1994. Schlussbericht des im Auftrag des Bundesrates durchgeführten NFP 42+


Autor(en)
Kreis, Georg
Erschienen
Bern 2005: Haupt Verlag
Anzahl Seiten
542 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulf Engel, Institut für Afrikanistik, Universität Leipzig

Die Schweiz hat in der internationalen akademischen Debatte um die Apartheidpolitik Südafrikas bislang nur einen absolut nachgeordneten Platz eingenommen. Dies ist weniger der wichtigen Rolle der Schweiz als Finanzplatz und Finanzier der Apartheid geschuldet, als den Aufmerksamkeitszyklen von Medien oder Wissenschaft, die sich in dieser Frage zunächst auf andere Themen und Akteure konzentriert haben. Erst mit der Jubilee 2000-Kampagne, die einen Schuldenerlass für die ärmsten Länder forderte und die Rolle einzelner Unternehmen, die von der Apartheid profitiert haben, thematisierte, sind in der Schweiz registrierte Banken und damit auch die Außenpolitik der Schweiz international in das Blickfeld dieser Debatte gerückt.

Welche wirtschaftlichen und politischen Beziehungen die Schweiz mit dem Apartheid-Regime in Südafrika in den Jahren 1948 bis 1994 pflegte, stand im Zentrum eines Nationalen Forschungsprogramms der Schweiz („Beziehungen Schweiz – Südafrika“, NFP 42+ 1), das insgesamt zehn Teilprojekte umfasste und vom Jahre 2001 bis 2003 dauerte.

Seit dem 27. Oktober 2005 liegt nun der Abschlußbericht des 2 Millionen Franken teuren Forschungsprojektes vor, der vor allem von den eingeräumten Ausnahmen der ansonsten auch in der Schweiz üblichen 30-jährigen Aktensperrfrist profitiert hat. Dieser Bericht hatte ursprünglich sogar bereits im Frühjahr 2004 publiziert werden sollen. Eine vom Bundesrat im April 2003 verhängte Aktensperre verhinderte dies indes (angesichts drohender Sammelklagen aus den USA sollte verhindert werden, dass schweizerische Unternehmen international benachteiligt würden).

Autor dieses zusammenfassenden Bandes ist Georg Kreis, Ordinarius für Neuere Allgemeine Geschichte und Schweizergeschichte an der Universität Basel und seit 1993 zudem Leiter des interdisziplinären Europainstituts. Er ist ein erfahrener Wissenschaftler, wenn es gilt, die möglicherweise kritischen Aspekte der Schweizer Zeitgeschichte zu dokumentieren und zu dekonstruieren. Publiziert hat Kreis unter anderem zum Gründungsmythos der Schweiz, zum Schweizer Staatsschutz sowie zu Fragen nationaler Identität. Von 1996 bis 2001 war er Mitglied der unabhängigen Expertenkommission „Schweiz – Zweiter Weltkrieg“. Bereits seit 1995 ist Kreis Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Er war auch Präsident der Expertengruppe, die für das Gesamtprojekt verantwortlich war.

Die Schweiz zählte zur Mehrheit jener westlichen Nationen, die sich in den Jahren der Zuspitzung des Kampfes gegen die Apartheid – mit der Verhängung des Kriegsrechts 1985/86 – nicht für Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika entschieden haben. Die Schweiz propagierte stattdessen „Handels- und Gewerbefreiheit“, das Waffenembargo der UNO unterlief sie „in großem Stil“. Auch in der Frage der atomaren Bewaffnung Südafrikas scheint die Schweiz eine indirekt unterstützende Rolle gespielt zu haben.

Interessant an diesem Band sind, auch in vergleichender Perspektive, die detaillierten Aufstellungen über die beteiligten Akteure/innen der Südafrikapolitik der Schweiz (denn eine solche gab es zweifelsohne, von der durchaus Südafrikafreundlichen Verwaltung oder den propagandistischen PR-Organisationen Südafrikas bis zu den Kirchen und zur auch in der Schweiz nicht homogenen Anti-Apartheid-Bewegung), sowie die Erörterungen unter der Überschrift „Handlungsspielräume und Maßnahmen“, bei der es im Detail um die wirtschaftlichen Verbindungen mit dem Apartheidregime geht. Das hier nur referierend wiedergegebene Spannungsverhältnis zwischen verständiger Außenvertretung in Pretoria und kritischer Zentrale, zwischen taktierender Abwägung der weiteren Interessen im so genannten „Schwarzafrika“ ist nicht Schweiz-spezifisch, sondern Ausdruck der kulturellen Hybris des „Westens“ in den 1960er und 1970er-Jahren. Zahlreiche der aus den Akten wiedergegebenen Zusammenhänge lassen sich so beispielsweise auch in den Akten zur westdeutschen Südafrikapolitik rekonstruieren (wobei die Ignoranz des Eidgenössischen Departments des Äußeren gegenüber der eigenen Vertretung vor Ort schon bemerkenswert ist). Südafrikapolitik scheint danach in beiden Staaten weniger von grundsätzlichen Überzeugungen angeleitet gewesen zu sein, als von kurzfristigen taktischen Interessen – beispielsweise mit Blick auf die Notwendigkeit, die „schwarzafrikanische Mehrheit“ nicht zu verstören, gleichzeitig jedoch ein hohes Maß an Verständnis für die Fortführung und Intensivierung scheinbar unpolitischer, weil als lediglich „wirtschaftlich“ definierter Interessen der eigenen Klientel aufzubringen.

Unterm Strich handelt es sich bei diesem Band also um eine wichtige Synopse, die dazu einlädt, erstens die Einzelstudien zur Südafrikapolitik der Schweiz zu lesen und zweitens diese in einen systematischen Vergleich mit anderen Südafrikapolitiken einzubeziehen. Die Frage nach der „kulturellen“ Eigenart und Eigenständigkeit der Schweizer Afrikapolitik dürfte sich in einer solchen Perspektive relativieren und den Blick auf einige durch paternalistische oder rassistische Komplizenschaft, geteilten Antikommunismus und systemimmanente Automatismen geprägte außenpolitische Kultur freigeben.

Anmerkung:
1 Siehe: <http://www.snf.ch/de/rep/nat/nat_nrp_42p.asp>.

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