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Titel
Aus Feldpostbriefen junger Christen 1939-1945. Ein Beitrag zur Geschichte der Katholischen Jugend im Felde


Autor(en)
Schleicher, Karl-Theo; Walle, Heinrich
Reihe
HMRG Band 60
Erschienen
Stuttgart 2005: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
413 Seiten
Preis
€ 32,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jörg Seiler Universität Koblenz-Landau Institut für Katholische Theologie

Feldpostbriefe sind eine sperrige Quellengattung. Es bedarf einer klaren Hermeneutik, sie zum Sprechen zu bringen. Aus einem Gesamtbestand von 3.000 Einzelstücken, die Karl-Theodor Schleicher zusammengetragen hat, wurden nun etwa 300 Briefe und Briefausschnitte publiziert. Sie stammen zum größten Teil aus dem Nachlass Wellenhofer (Jugendseelsorger in München) in der „Dokumentationsstelle für Kirchliche Jugendarbeit/BDKJ im Jugendhaus Hardehausen“ und aus der „Sammlung Karl-Theodor Schleicher“, die auf einer umfangreichen Sammlung von Prälat Hans Böhner (Jugendseelsorger im Erzbistum Köln) basiert.

In der Einführung (S. 17-70) von Heinrich Walle werden Feldpostbriefe als „Quellen zur Geistesgeschichte“ vorgestellt. Sachkundig beschreibt Walle den Milieukatholizismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und verweist für die untersuchte Referenzgruppe (junge Männer aus der kirchlichen Verbandsarbeit, vornehmlich im Rheinland und in Bayern) auf deren Prägung durch die Jugendbewegung. Die katholischen Jugendverbände waren in der Dachorganisation des „Katholischen Jungmännerverbands“ unter Prälat Ludwig Wolker zusammengeschlossen. Völkische und nationale Strömungen und Gedankengut wurden hier „in einen christlichen Sinnzusammenhang gebracht“ (S. 40). Soldatentum war ins Christliche gewendet (Verehrung der Ritterheiligen, Christkönigsfest, Akzeptanz „soldatischer Tugenden“ als christliche Selbstverständlichkeit), wofür das hohe Ansehen von Walter Flex mit seiner Schilderung christlich fundierter Kriegskameradschaft im 1. Weltkrieg stehen mag. Die jungen Leute verstanden sich als „Soldaten Christi“ (etwa S. 98, 100), die an einer neuen, christlichen Zeit mitzubauen halfen: „Das Kreuz ist für uns der Krieg. Und vom Kreuze heißt es, daß ‚in ihm alles Heil’ ist. Wer sich gegen das sträubt, was er tragen muß, hat eben noch nicht verstanden, worum es geht. Die Zeit ist dazu da, daß wir in ihr christliches Leben formen“ (17.11.1939; S. 101).

Die Edition der Briefdokumente ist in zwei Teile gegliedert: Bei den „Briefauszügen ohne Verfasserangabe und Datierung“ (S. 73-89) handelt es sich um Textfragmente, die in der katholischen Jugendzeitschrift „Der Fährmann“ bereits 1946 abgedruckt worden waren, um Rundbriefe von Magdeburger Pfadfindern und um Zusammenstellungen von Stefan Wellenhofer. Die überlieferungsgeschichtliche Unschärfe bereitet dem quellenkritischen Leser einige Schwierigkeit. Diese bezieht sich auch auf Teile des zweiten Teils: „Datierte und Verfassern zugeordnete Briefe von 1937 bis 1945“ (S. 90-366). Hier sind es die Briefe des letzten Diözesanführers der Sturmschar, Johannes Niermann (1913-1940), die ein weiteres Mal unkritisch herausgegeben wurden, obgleich deren „Urfassung“ aufgrund der Bearbeitung durch Ludwig Wolker umstritten ist. Hierauf weisen die Herausgeber zwar hin, doch vertreten sie die Ansicht, „dass Wolker Niermans [sic!] Schilderungen von Banalitäten aus dem Soldatenalltag [nur] stilistisch aufpoliert hatte. Die Tendenz von Niermanns Texten […] sind aber durchaus eines der ‚eindruckvollsten Zeugnisse über die Auffassung eines jungen Katholiken über Krieg und Soldatentum’ (Heinz Hürten) in dieser Epoche. Sie stehen voll und ganz im Einklang mit den hier wiedergegebenen Originalbriefen der anderen Briefschreiber“ (S. 105).1 Editionsarbeit sollte sich nicht mit Tendenzen zufrieden geben. Vier Anhänge beschließen den Band.

Die Erkenntnis leitende Fragestellung könnte lauten: Wie erlebten Soldaten, die aus der kirchlichen Jugendbewegung und Verbandsarbeit kamen, den Zweiten Weltkrieg? Welche Merkmale kennzeichnen die Wahrnehmung und Verarbeitung des Krieges innerhalb dieser Referenzgruppe? Die drei Vorworte kommen darin überein: Der Patriotismus der katholischen Jugend unterscheide sich wesentlich vom nationalsozialistischen Gedankengut. Nach Militärbischof Walter Mixa haben sich die Schreiber in ihren Briefen „in keiner Weise mit den verbrecherischen Zielen dieses Krieges identifiziert“ und setzten sich so „ganz in Gegensatz zur NS-Propaganda“ (S. 9). Ähnlich sehen es Schleicher und Walle. Beim Patriotismus der Feldpostbriefe handelt es sich, so differenzierter Jürgen Elvert, „nicht um Spiegelungen nationalsozialistischer Ideologie, sondern allenfalls um Schnittstellen, so wie sie es in vielen anderen Fällen zwischen Konservatismus und Nationalsozialismus gegeben hatte“ (S. 13). Für eine solchermaßen defensive Hermeneutik verweisen die Herausgeber nicht nur auf die Brieftexte selbst, sondern auch auf einen Aufsatz von Alfred Delp („Der Krieg als geistige Leistung“), der 1940 in den „Stimmen der Zeit“ veröffentlicht wurde und nun erneut wiedergegeben wird (S. 370-374). Mit dieser hermeneutischen Blickrichtung ist ein möglicher Zugangsweg gezeichnet, die Feldpostbriefe zu verstehen. Es ist wohl kaum der einzige. Möglicher Ausgangspunkt hätte auch die theologische Extremposition der Briefe des (Kölner?) Priesters Robert Stumpf (gefallen 1941) sein können.

Die fragwürdige chronologische Ordnung der Briefe – da ein Register fehlt, sind individuelle Entwicklungen nur erschwert nachzuvollziehen – veranschaulicht immerhin das bekannte Faktum, dass je länger je mehr die Vorstellung von einem sinnvollen Tun verloren gehen konnte. Diese weicht dem Fatalismus oder Stoßseufzern nach Frieden: „Herrgott es ist genug, gib uns nur endlich den Frieden, mach Du ein Ende, da es sonst niemand fertig bringt!“ (20.2.1945; S. 350). Die religiöse Prägung und der katholische Glaube stabilisierten das Soldatendasein der jungen Katholiken. Diese Tatsache ist interpretationsoffen!

Die kirchliche Verbandsprägung schuf gerade in der Situation des Krieges ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit untereinander. Dem soldatischen Kameradschaftsideal, das man vorfand, passte man sich an. Und dennoch: Regelmäßig wird das Besondere der katholischen Kameradschaft betont, die im jahrelangen verbandskirchlichen Miteinander gewachsen war. Typisch ist die Diskussion, ob man statt von „Kameraden“ von „Brüdern“ sprechen solle (S. 139f.). Terminologisch ist hier auch etwas gefasst, das vor allem in den späteren Briefen immer wieder thematisiert wird: die Vereinsamung in einer eigentlich fremden Kriegsalltagswelt, in der die katholischen Werte (Frömmigkeit, sittliche Reinheit) zur Disposition stehen. Man vermisste den sicheren Kreis gleich gesinnter Bundesbrüder. Hier artikuliert sich eine (realitätsfremde?) Elite. Der zurück gesehnte Freundschaftsbund motiviert zuweilen harsche Kirchenkritik. Wir jungen Menschen, so ein Rundbrief vom Dezember 1941, „werden gehalten und gehindert durch eine überalterte und leblos gewordene Form und müssen uns oft in den Boden hinein schämen, wenn wir auf die Engstirnigkeit und Blindheit kirchlicher Führer sehen […] Man will Geist durch Organisation schaffen, und das geht nicht“ (S. 218). Ideal war nun eine Kirche der Tat (S. 101, 264) anstatt einer Versorgungsanstalt (S. 209) oder eines Systems (S. 267), ein geschrumpftes, entpolitisiertes Christentum (S. 203): Denn „nur ein wesenhaftes Christentum hat eine Zukunft“ (S. 257). Dies war nicht Amtskirchenkritik, die erst im 2. Vatikanischen Konzil lehramtlich eingeholt wurde, wie der Kommentar Glauben machen will. Solchermaßen elitär verstandenes Christentum war geprägt vom und anfällig für den Zeitgeist. Hierfür mag Karl Adam stehen, dessen fataler Aachener Vortrag über „Die geistige Lage des deutschen Katholizismus“ (6.12.1939) unter den Soldaten kursierte (S. 162, 171, 186, vgl. S. 263f.). Adam attestierte hier die Vereinbarkeit von Katholizismus und Nationalsozialismus durch eine spezifische Zuordnung von Natur und Gnade. Für die „deutschen Katholiken“ seien „die deutsche Volksgemeinschaft“ und das „deutsche Blut […] substantielle Träger unserer christlichen Wirklichkeit“.2 Solchen Zusammenhängen müsste eine kommentierte Edition nachgehen. Die Kennzeichnung Adams als „ein sehr geschätzter, allerdings zum Fundamentalismus neigender Theologieprofessor“ (S. 162) bringt nicht weiter – die Kennzeichnung „Fundamentalismus“ ist für Adam gewiss falsch.

Einige Kritikpunkte seien summarisch angeführt: Der Leser erfährt nichts über die Hintergründe von Kürzungen. Vermutlich lagen sie den Herausgebern durch die Sammler Wellenhofer und Böhner bereits vor. Uninformiert bleibt man auch über die Auswahlkriterien der 300 Briefe. Gern wüsste man mehr über die „etwas miese und müde Haltung“ der Korrespondenzpartner, die ein Schreiber im April 1941 andeutet (S. 161) – in der Edition findet sie sich nahezu nicht. Differenzierungen in der Wertung der Briefe wären wohl anzubringen gewesen, da es einen Unterschied macht, ob ein Feldpostbrief ein persönliches Privatschreiben war oder eines, das für einen Kameradenkreis zu vervielfältigen war, oder gar ein offizielles Rundschreiben ohne privaten Charakter. Ähnliches gilt für den Verfasserkreis: Ein Priestersoldat schreibt anders und anderes als ein Nicht-Theologe. Nebenbei: Die Definition des Priestersoldaten („Priester, der trotz der im Reichskonkordat zugesagten Freiheiten vom Wehrdienst zur Wehrmacht eingezogen war“; S. 80, vgl. S. 64) ist falsch. Der Wehrdienst für diese Personengruppe war im Geheimanhang des RK geregelt worden, was bereits 1933 allgemein bekannt wurde. Wer eine editorische Spürnase hat, merkt, dass der Brief vom 29.1.1942 (S. 235) vom jesuitischen Verfasser des Briefes vom 26.11.1941 (S. 215) stammt und von daher nicht „unbekannt“ bleiben müsste. Dass der Verfasser vom 28.6.1942 Priester ist, ergibt sich eindeutig aus dem Kurseelsorger-Hinweis; den schwachen Pax-Gruß sollte man nicht bemühen (S. 259). Unglücklich ist die Interpretation des Briefes vom 31.1.1945 als Andeutung auf „die grauenhaften Folgen des Einmarsches der Roten Armee im ehemaligen Ostpreußen“ (S. 349). Ähnliches gilt für die Inanspruchnahme dieser Briefe christlich engagierter Soldaten für das Traditionsverständnis der Bundeswehr (S. 21).

Der Textkorpus ist spannend. Die Deutung des Patriotismus aus der Jugendbewegung heraus leuchtet ein. Doch geben die Briefe mehr her. Man muss und kann sie daraufhin befragen.

Anmerkungen:
1 Quellenkritisch: Damberg, Wilhelm, Kriegserfahrung und Kriegstheologie 1939-1945, in: Theologische Quartalsschrift 182 (2002), S. 321-341.

2 Wolf, Hubert; Arnold, Claus (Hgg.), Der Rheinische Reformkreis. Dokumente zu Modernismus und Reformkatholizismus 1942-1955, Bd. 2, Paderborn 2001, S. 38-43, hier: S. 43. Vgl. Scherzberg, Lucia, Das kirchenreformerische Programm pro-nationalsozialistischer Theologen, in: Dies. (Hg.), Theologie und Vergangenheitsbewältigung. Eine kritische Bestandsaufnahme im interdisziplinären Vergleich, Paderborn u.a. 2005, S. 56-70, hier: S. 61; und: Dies., Kirchenreform mit Hilfe des Nationalsozialismus. Karl Adam als kontextueller Theologe, Darmstadt 2001.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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