J. Nida-Rümelin: Humanismus als Leitkultur

Cover
Titel
Humanismus als Leitkultur. Ein Perspektivenwechsel


Autor(en)
Nida-Rümelin, Julian
Herausgeber
Özmen, Elif
Erschienen
München 2006: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
223 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Keisinger, SFB 437-"Kriegserfahrungen", Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Der vorliegende von Elif Özem herausgegebene und beim Münchner C.H. Beck Verlag erschienene Band umfasst ausgewählte bildungs-, wissenschafts- und kulturpolitische Reden und Schriften des Philosophen Julian Nida-Rümelin aus den Jahren 1996 bis 2005. In diesem Zeitraum war Nida-Rümelin zunächst als Hochschullehrer an der Universität Göttingen und Kulturreferent der Stadt München tätig, bevor er im Jahr 2000 als Nachfolger von Michael Naumann das Amt des Kulturstaatsministers in der rot-grünen Regierung übernahm. Nach seinem Ausscheiden aus der Politik, kurz vor der Bundestagswahl 2002, und einem erneuten kurzen Zwischenspiel in Göttingen, ist Nida-Rümelin derzeit Direktor des Geschwister-Scholl-Instituts für Politikwissenschaft an der LMU München.

Das bildungspolitische Anliegen Nida-Rümelins in dieser Textsammlung, so kann man dem Vorwort der Herausgeberin entnehmen, liegt in der Propagierung eines „erneuerten, zeitgemäßen Humanismus, der sich den Herausforderungen der Zeit stellt“. Dieser wende sich dezidiert gegen kurzweilige und gegenwärtig vorherrschende Strömungen, welche die Wissenschaftspolitik weitgehend dem Primat der Nutzenanwendung und ökonomischen Verwertbarkeit unterordnen wolle. „Zweckfreiheit statt Instrumentalisierung, Respekt vor der Eigengesetzlichkeit von Forschung und Lehre, von Kunst und Kultur“ sollen stattdessen die konstituierenden Leitsätze eines solchen „erneuerten Humanismus“ bilden. (S. 7-9)

Im Folgenden soll lediglich auf die Aspekte des Bandes näher eingegangen werden, die sich mit dem Bereich der Wissenschafts- und Hochschulpolitik befassen, sprich, den von Nida-Rümelin vertretenen Vorstellungen für die Gestaltung der deutschen Universitätslandschaft im allgemeinen, der Geisteswissenschaften im speziellen. Die kulturpolitischen Überlegungen des Buches (beispielsweise zur deutschen Buch- oder Musikkultur) finden hier keine Berücksichtigung. Selbiges gilt für ein über 40 (!) Seiten sich erstreckendes Interview, das der Journalist Ulf Poschardt mit dem Staatsminister a.D. im Jahr 2003 geführt hat. Was das Lektorat bei C.H. Beck dazu bewogen haben mag, dieses in den Textkorpus aufzunehmen, erscheint schleierhaft. Unter anderem plaudert Nida-Rümelin darin ausschweifend-belanglos über seine schulischen Leistungen und man erfährt, nachdem der Interviewer die „athletische, bühnenhafte Erscheinung“ des Philosophen lobt, dass dieser sich nie als einen „verhuschten, körperlosen Büchergeist“ empfunden habe (S. 188).

Wie also sieht die Universität der Zukunft aus, die Nida-Rümelin unter seinem Leitsatz eines „erneuerten Humanismus“ vorschwebt? Kurz gesagt, gar nicht so viel anders als die Universität es heute ohnehin schon tut. Zwar begrüßt Nida-Rümelin im Prinzip die 1999 von den Hochschulministern vereinbarte Neustrukturierung der Universitätslandschaft nach den Vorgaben der Bologna-Übereinkunft, wonach bis zum Jahr 2010 ein einheitlicher europäischer Hochschulraum geschaffen werden soll (Stichwort: Bachelor/Master-Studiengänge), kritisiert jedoch (vollkommen zurecht) die praktische Umsetzung dieses Prozesses hierzulande. Der Umstand, dass die Innovationsfähigkeit bei der Konzeptionalisierung von neuen BA-Studiengängen an zahlreichen deutschen Universitäten augenscheinlich nicht über eine oftmals lediglich quantitative Beschneidung der althergebrachten Magisterstudiengänge hinausgeht, scheint Nida-Rümelin dabei allerdings kaum zu stören. Seine Kritik richtet sich vielmehr gegen die den staatlichen Vorgaben entsprechende, vermeintlich verstärkt berufsorientierte Ausrichtung des Studienaufbaus. Die wissenschaftliche Ausrichtung des Studiums hingegen, immerhin einst Grundstock für den großen internationalen Erfolg der Humboldt’schen Bildungsreformen des vorangegangenen Jahrhunderts, falle einer „Verfachhochschulisierung“ der Universitäten zum Opfer, beklagt Nida-Rümelin. „Viele [Studierende] werden nicht [mehr] von Neugierde auf die Wissenschaft an die Universität geführt, sondern streben einen Studienabschluss lediglich deshalb an, weil sie glauben, sich damit besser im Erwerbsleben behaupten zu können“ (S. 16).

Richtig! Nur stellt sich die Frage, was daran falsch sein soll. Eine Mitte 2004 veröffentlichte Studie für das OECD-Studie errechnete eine durchschnittliche 51-prozentige Studierendenquote in den Ländern der OECD. In Skandinavien liegt diese Quote gar bei über 70%. Eine zunehmende Angleichung der Verhältnisse hierzulande (2004 lag die Studierendenquote in Deutschland bei im Schnitt 36% eines Jahrgangs) ist erklärtes Ziel der Bildungspolitik. Will Nida-Rümelin diese allesamt zu kleinen Fachwissenschaftler/innen heranbilden, in Studiengängen, die vor allem in den Geisteswissenschaften sich als oftmals sehr langwierig erweisen und schließlich in einem akademischen Arbeitsmarkt münden, der sich – im Gegensatz noch zu den 1970er-Jahren – als hoffnungslos überlaufen darstellt? Den Studierenden selbst zumindest wird man damit sicher keinen Gefallen tun. Gerade in einer Zeit, „in der die ökonomischen Interessen so dominant sind“ sieht Nida-Rümelin Anlass am humanistischen Credo „Bildung vor Ausbildung“ festzuhalten. Seine Konzeption eines (bildungspolitisch) „erneuerten Humanismus“ könne dabei durchaus, so Nida-Rümelin weiter, als ein „Gegenentwurf zu einer Gesellschaft der homines oeconomici [...]“ (S. 35) verstanden werden.

Eine Gefahr, dass die Geisteswissenschaften hierbei auf der Strecke bleiben könnten, glaubt Nida-Rümelin ausschließen zu können. Vielmehr das Gegenteil sei zu erwarten. Ein Blick auf die vergangenen 20 Jahre verdeutliche den „eminenten Erfolg“ der geisteswissenschaftlichen Disziplinen in Hinblick auf deren Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt. Und auch für die Zukunft bestehe Grund für Optimismus. Die „kulturelle[n] Aspekte der Globalisierung“ zögen einen wachsenden Bedarf nach Handlungsorientierung nach sich, welcher gerade von geisteswissenschaftlichen Schlüsselkompetenzen wie der Fähigkeit zum klarem Denken, Argumentieren und flexibler Einsetzbarkeit bedient werden könne (S. 55-56). Zur Untermalung seiner theoretischen Ausführungen scheut sich Nida-Rümelin leider nicht, auf den mittlerweile wohl unvermeidlichen ehemaligen Doktoranden zu verweisen, der seinen Weg vom philosophischen Seminar zu McKinsey gefunden hat (S. 34). Dass es diesen gibt soll nicht bestritten werden. Ihn jedoch als eine Art Prototypen für geisteswissenschaftliche Berufsperspektiven hinzustellen (und dieser Eindruck wird erweckt) entbehrt es an Grundlage. Die Realität des Berufseinstiges für Geisteswissenschaftlicher erweist sich vielmehr als ein holpriger Pfad über zahllose (zumeist unbezahlte) Praktika und Volontariate. Und hier ist es in erster Linie, wo den Absolventen/innen die Fähigkeiten mit auf den Weg gegeben werden, welche einen potentiellen künftigen Arbeitgeber/innen zu einer längerfristigen Beschäftigung anregen mögen.

Als ein mit dem Berufseinstieg generell einhergehendes Problem erweist sich dabei die negative Außenwahrnehmung, mit welcher die Geisteswissenschaften sowie deren Absolventen/innen oftmals konfrontiert werden. Überlange Studienzeiten und hohe Abbrecherquoten leisten hierzu ihren Beitrag. Nicht zu Unrecht betont Nida-Rümelin daher die Notwendigkeit von struktureller Veränderung des Studiums im Zuge der Schaffung eines einheitlichen Hochschulraumes. Seine Vorschläge zur Verbesserung der Studienbedingungen erweisen sich dabei jedoch als illusorisch. Dreh- und Angelpunkt des Problems, das oftmals katastrophal schlechte Betreuungsverhältnis von Studierenden durch die Lehrenden, gelte es zu beheben (das Verhältnis dürfe, so Nida-Rümelin, nicht schlechter als 1:20 ausfallen). Die zwangsläufig sich stellende Frage nach der Finanzierbarkeit solcher Vorschläge wird lapidar mit der Forderung nach verstärktem Engagement von Seiten der Wirtschaft abgetan. Die „Wirtschaft“, so Nida-Rümelin, solle „an Humboldt denken: Eine Dienstbarmachung der Forschung zu ökonomischen Zwecken bedeutet ihren vorzeitigen Exitus.“ (S. 79)

Solange die Wirtschaft jedoch nicht an Humboldt denkt, und ein solcher Gesinnungswandel ist zumindest mittelfristig kaum zu erwarten, wäre es sinnvoller, sich dahingehend Gedanken zu machen, wie durch eine Reform von Studieninhalten in den Geisteswissenschaften (und der Bologna-Prozess bietet hierzu eine Gelegenheit) die Möglichkeiten zu einer Verbesserung der Berufsorientierung ihrer Absolventen/innen geschaffen werden kann. Dass man damit möglicherweise keinen Beitrag zur Erneuerung des Humanismus leistet sei in Kauf genommen, dürfte jedoch dem sich auf Stellensuche befindenden Magisterabsolventen/innen relativ egal sein. Auf bildungspolitischer Ebene entpuppt sich Nida-Rümelins „erneuerter Humanismus“ weitgehend als ein naiver Idealismus.

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