A. Holzem u.a. (Hgg.): Zwischen Kriegs- und Diktaturerfahrung

Titel
Zwischen Kriegs- und Diktaturerfahrung. Katholizismus und Protestantismus in der Nachkriegszeit


Herausgeber
Holzem, Andreas; Holzapfel, Christoph
Reihe
Konfession und Gesellschaft 34
Erschienen
Stuttgart 2005: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
237 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Große Kracht, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Der vorliegende Band dokumentiert eine Tagung der Arbeitsgruppe „Religion und Kriegserfahrungen“ des Tübinger Sonderforschungsbereiches „Kriegserfahrung – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“ (<http://www.uni-tuebingen.de/SFB437/>), während der im Oktober 2003 überwiegend Nachwuchsforscher/innen ihre Arbeitsvorhaben und Dissertationsprojekte vorstellten.

Einleitend entfaltet der Tübinger Kirchenhistoriker Andreas Holzem, der den Band zusammen mit Christoph Holzapfel herausgegeben hat, das gemeinsame Anliegen der beteiligten Autoren/innen, anhand verschiedener Fallbeispiele aus der westdeutschen Gesellschaft der späten Kriegs- und frühen Nachkriegszeit das Verhältnis von Kriegs- und Diktaturerfahrung vor dem Hintergrund der spezifischen konfessionellen Prägungen zu untersuchen. „Die Art und Weise, in der Kriegs- und Diktaturerfahrungen miteinander in Verbindung gebracht wurden, unterlag vor und nach dem 8. Mai 1945 offenkundigem Wandel, der sich konfessionssignifikant unterschied.“ (S. 13) So sieht Holzem eine wesentliche konfessionelle Differenz im Umgang mit den Erfahrungen von Diktatur, Krieg und Niederlage darin, dass sich in der protestantischen Erinnerung die nationale Perspektive länger gehalten habe als in der katholischen, die sich stärker in universal-naturrechtlichen Mustern artikuliert habe. Nichtsdestotrotz hätten beide Konfessionen durch die Amalgamierung von Kriegs- und Diktaturerfahrung bei gleichzeitiger Betonung ihrer jeweiligen Distanz zum NS-Regime wesentlich zum Aufbau und zur Stabilisierung des nationalen Opfermythos in der frühen Nachkriegszeit beigetragen, so dass sich die deutsche Bevölkerung als „Opfer erst der Diktatur, dann des Krieges, dann der Besatzung“ begreifen konnte (S. 25). Erst in den 1960er-Jahren, als die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit kirchlicher Semantik generell abnahm, geriet laut Holzem auch das religiös-transzendente Opferbild ins Wanken, und nicht zuletzt die Kirchen selbst sahen sich zunehmend mit den Anforderungen kritischer ‚Vergangenheitsbewältigung’ konfrontiert.

Leider werden die weiten, konfessionsvergleichenden Perspektiven der Einleitung von den einzelnen Beiträgen nur teilweise reflektiert. Nichtsdestotrotz bieten sie einen guten Überblick zu einigen aktuellen Projekten und Forschungsfeldern der zeitgeschichtlichen Religionsforschung, insbesondere zur Geschichte des Katholizismus in den späten Kriegsjahren sowie der frühen Nachkriegszeit. Den Anfang macht Annette Huth mit einem fundierten Aufsatz über die Beschlagnahmung und Enteignung von deutschen Klöstern während des Zweiten Weltkriegs. Sie zeigt, dass die Aktionen keineswegs auf den bekannten Klostersturm des Jahres 1941 eingegrenzt werden können, sondern bereits mit den Umsiedlungsprogrammen ab 1939 begannen, wobei die Grenzen zwischen Inanspruchnahme, Beschlagnahmung und Enteignung häufig nicht deutlich gezogen wurden. Während Kirchen- und Ordensleitungen zu Beginn des Krieges Klosteranlagen noch bereitwillig als Lazarette zur Verfügung stellten, mussten sie bald erkennen, dass mit der Zweckentfremdung oft nicht nur der Verteidigung des Vaterlandes, sondern auch der Durchsetzung der kirchenfeindlichen Politik des NS-Regimes gedient werden sollte.

Im anschließenden Beitrag untersucht der Mitherausgeber des Bandes, Christoph Holzapfel, die Korrespondenz einer katholischen Bauernfamilie in Oberschwaben zwischen 1943 und 1946, deren semantische Analyse jedoch nur punktuell auf die religiöse Mentalität und den theologischen Diskurs der Zeit zurückbezogen wird. Nachfolgend schildert Stefan Voges die Gründungsmomente der katholischen Entwicklungshilfswerke „Misereor“ und „Adveniat“ Ende der 1950er-Jahre und bezieht dabei in vergleichender Absicht auch das evangelische Pendant „Brot für die Welt“ sowie die Anfänge staatlicher Entwicklungshilfe mit ein. Er zeigt, wie sehr sich bei all diesen Initiativen die Erinnerungen der Westdeutschen an die selbst erhaltene Hilfe in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit politischen Interessen überlagerten, nämlich der Absicht, den kommunistischen Einfluss in der so genannten ‚Dritten Welt’ zurückzudrängen.

Mit Gewinn liest sich auch der Aufsatz von Christian Kuchler über die katholische Filmarbeit in Westdeutschland nach 1945. Insbesondere seine Analyse des katholischen Widerstandes gegen den Skandalfilm „Die Sünderin“ von 1950 zeigt, dass es der katholischen Kirche keineswegs nur um bloße Sexualmoral zu tun war, sondern dass sich ihre Kritik vornehmlich auf die ethische Bewertung des Doppelselbstmordes am Ende des Filmes richtete. Allerdings trug gerade der kirchliche Widerstand gegen diesen Knef-Film nicht unwesentlich zu dessen Kassenerfolg bei, was wiederum Konsequenzen für die Praxis katholischer Filmarbeit hatte. Annette Jantzen beschäftigt sich im anschließenden Beitrag mit dem in den Jahren 1936 bis 1945 entstandenen Roman „Das unauslöschliche Siegel“ der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer und leuchtet die in ihm enthaltene, an Donoso Cortés angelehnte Geschichtsdeutung aus. Die starke Dämonisierung der Profangeschichte, die aus dem Roman spreche, erkläre sich nicht nur aus der Erfahrung ohnmächtigen Überwältigtseins durch die Geschichte, sondern enthalte zugleich ein biografisches Entlastungsmoment für die halbjüdische katholische Autorin, die nicht rechtzeitig reagiert habe, als ihre Tochter Cordelia Edvardson in die Fänge der antisemitischen Vernichtungspolitik des NS-Staates geriet.

Auf diese werkbiografische Studie folgt ein breit angelegter Artikel von Christian Schmidtmann, der souverän und konzise die Geschichte der katholischen „Vergangenheitsbewältigung“ von 1945 bis Mitte der 1960er-Jahre abschreitet und dabei ebenso amtskirchliche Verlautbarungen wie Debattenbeiträge innerkatholischer Kritiker und wissenschaftliche Arbeiten berücksichtigt. Schmidtmann zeigt, wie die Selbstdarstellung der katholischen Kirche als ‚Siegerin in Trümmern’ aus der unmittelbaren Nachkriegszeit in den 1950er-Jahren opfertheologisch aufgeladen wurde, was sich insbesondere am wachsenden Stellenwert der ‚katholischen Blutzeugen’ im erinnerungspolitischen Engagement der katholischen Kirche ablesen lässt. Vor allem die Verehrung von Edith Stein spielte und spielt hierbei eine bis heute anhaltende zentrale Rolle, ermöglicht doch gerade ihre Biografie eine enge Beiordnung jüdischen und christlichen Leidens während der NS-Zeit. Blieben diese Prozesse katholischer Erinnerungspflege weitestgehend theologisch überformt, so lassen sich mit Beginn der 1960er-Jahre jedoch auch erste Anzeichen eines stärker historisierenden Zugriffs auf die NS-Zeit ausmachen – so insbesondere in der Diskussion des stark beachteten Aufsatzes von Ernst-Wolfgang Böckenförde über den deutschen Katholizismus im Jahr 1933, der 1961 in der katholischen Zeitschrift „Hochland“ erschienen war. Zwei Jahre später entfachte dann Rolf Hochhuth mit seinem Stück „Der Stellvertreter“ eine breite öffentliche Diskussion über die Rolle der katholischen Kirche zur Zeit des Holocaust. Der historisierende Zugriff, so Schmidtmann, wurde dadurch jedoch nur zum Teil vorangetrieben, da letztlich durch Hochhuth und die ihm folgende Kirchenkritik eher eine moralisierende Bewertung der Geschichte von Kirche und Katholizismus in den Jahren zwischen 1933 und 1945 dominant wurde, die – denkt man an die rezenten Debatten um das „Schweigen des Papstes“ – auch heute noch vorzuherrschen scheint.

Den Abschluss des Bandes bildet ein Beitrag von Martin Brockhausen über das historische Selbstverständnis der Unionsparteien zwischen 1950 und 1990. Auf Parteitagen und in einschlägigen Publikationen – nicht zuletzt mit Unterstützung unionsnaher Historiker/innen – wurde laut Brockhausen das Bild einer aus dem Geist des interkonfessionellen Widerstandes geborenen christlich-demokratischen Sammlungsbewegung gepflegt, obwohl zum einen viele lokale Parteigründungen zunächst konfessionell durchaus geschlossen waren und zweitens – was schwerer wiegt – viele ehemalige Parteimitglieder der NSDAP in den Unionsparteien eine neue politische Heimat fanden. Der christlich orientierte Widerstand gegen den NS-Staat und seine Kontinuitätslinien in die frühe Christdemokratie werden dadurch freilich nicht gemindert.

Der Band ist in der Reihe „Konfession und Gesellschaft“ erschienen, die sich gegenüber vergleichbaren Buchreihen nicht zuletzt dadurch auszeichnet, dass sie konfessionelle Engführungen zu vermeiden sucht und gerade konfessionsübergreifenden Untersuchungen eine Publikationsmöglichkeit bietet. Auch der vorliegende Band erhebt in seinem Untertitel den Anspruch, beide großen christlichen Konfessionen zu berücksichtigen. Die einzelnen Beiträge beschäftigen sich aber nahezu ausschließlich mit dem Katholizismus. Das heißt andererseits jedoch nicht, dass sie nur für Katholizismusforscher von Interesse wären.

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