M. Mattes: "Gastarbeiterinnen" in der Bundesrepublik

Cover
Titel
"Gastarbeiterinnen" in der Bundesrepublik. Anwerbepolitik, Migration und Geschlecht in den 50er bis 70er Jahren


Autor(en)
Mattes, Monika
Reihe
Geschichte und Geschlechter 48
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Campus Verlag
Anzahl Seiten
343 S.
Preis
€ 37,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martina Schiebel, Evangelische Fachhochschule Darmstadt/Institut für angewandte Biographie- und Lebensweltforschung (IBL), Universität Bremen

Monika Mattes widmet sich in ihrer Dissertation den nichtdeutschen Frauen aus dem süd(ost)europäischen Raum, die insbesondere durch staatliche Initiativen als Arbeitsmigrantinnen für den bundesdeutschen Arbeitsmarkt angeworben wurden. Mit dieser Schwerpunktsetzung macht sie – entgegen der öffentlichen Wahrnehmung, der auch die Migrationsforschung zum Teil folgte – auf das Phänomen aufmerksam, dass die Zuwanderung von Frauen aus Süd(ost)europa durch die Bundespolitik der 1950er bis 1970er-Jahre, das heißt bis zum Anwerbestopp im Jahr 1973, aktiv gefördert wurde. „In der zeitgenössischen Wahrnehmung [...] blieb der ‚Gastarbeiter’ bis in die 1970er Jahre hinein ein Mann“, schreibt Mattes in der Einleitung und merkt kritisch an, dass „auch die migrationshistorische Forschung“ die damit verbundenen „Perzeptionsmuster und Denkmuster lange Zeit unhinterfragt festgeschrieben“ hat (S. 10): Zu nennen wäre hier etwa die Wahrnehmung der Frauen als „passive Anhängsel ihrer ökonomisch aktiven Ehemänner“ (ebenda), die erst in einer späteren Phase der Familienmigration zugewandert seien. Dieser Forschungs- und Denkansatz wird in den letzten Jahren problematisiert; auch Mattes plädiert für eine Infragestellung bzw. Korrektur entsprechender Grundannahmen.

Ihre Studie über die erste Generation von so genannten ‚Gastarbeiterinnen’ soll einen Beitrag zur differenzierten Betrachtung der Arbeitsmigration und der damit zusammenhängenden, sich wandelnden Arbeitsmarktstrukturen leisten – besonders auch hinsichtlich geschlechterpolitischer Dimensionen und der Einstellungen gegenüber Frauenerwerbsarbeit. Aus diesem Grund werden nicht nur die verschiedenen Phasen und Interessen im Kontext der Anwerbung und des Einsatzes von weiblichen Arbeitskräften aufgezeigt, sondern darüber hinaus werden sowohl normative Ordnungsvorstellungen von der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern als auch geschlechtsgebundene Zuschreibungen von Tätigkeitsfeldern berücksichtigt. Damit stellt sich die Untersuchung der wissenschaftlichen Herausforderung, zwei bislang unverbunden nebeneinander stehende Diskurse zusammenzuführen – die Frage der Anwerbung und Beschäftigung von ausländischen Arbeitsmigrantinnen einerseits sowie der Erwerbstätigkeit deutscher Frauen andererseits. Die Arbeit versteht sich als Beitrag zur historischen Frauen- und Geschlechterforschung, wobei sich die konkrete Konzeption aus dem Schnittbereich von historischer und sozialwissenschaftlicher Migrationsforschung herleitet.

Gegliedert ist das Buch im Wesentlichen in zwei Hauptteile, die jeweils drei Unterkapitel umfassen und mit einem betrieblichen Fallbeispiel abschließen. Im ersten Teil rekonstruiert Mattes die institutionellen und politisch-administrativen Regelungen und Verfahren der Anwerbung entlang der verschiedenen bilateralen Abkommen, unter besonderer Berücksichtigung der mit der Anwerbung von Frauen verbundenen Schwierigkeiten. Darüber hinaus wird die Eigendynamik der Zuwanderung aufgezeigt, da die Migrantinnen parallel zu den offiziellen immer auch konkurrierende Zuwanderungswege nutzten.

In diesem ersten Teil stützt sich Mattes auf eine breite Quellenbasis. Einbezogen werden etwa Archivalien des Bundesarchivs Koblenz, das unter anderem die Aktenbestände der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (später Bundesanstalt für Arbeit), des Bundeskanzleramts, des Bundesfamilienministeriums und des Bundesinnenministeriums verwahrt. Dort waren auch die jährlichen „Erfahrungsberichte der deutschen Anwerbekommissionen in den Mittelmeerländern“ und die „Quartalsberichte der Landesarbeitsämter zur Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit“ sowie deren „Erfahrungsberichte über die Ausländerbeschäftigung“ zugänglich – Quellen, die Mattes mit Recht als besonders ergiebig und aufschlussreich einschätzt (S. 22). So ist es gelungen, ein facettenreiches Bild der Anwerbung und Beschäftigung nichtdeutscher Frauen zu zeichnen. Dabei wird nicht nur die Abhängigkeit dieses Prozesses von jeweils aktuellen Erwerbsquoten, Arbeitslosenzahlen, konjunkturellen Bedarfslagen und ebensolchen Schwankungen deutlich. Erkennbar werden auch die unterschiedlichen Interessen und Perspektiven im Kontext der Arbeitsmigration – Perspektiven der Arbeitsverwaltung, des DGB-Bundesvorstandes, einiger Wirtschaftsverbände und Unternehmen sowie nicht zuletzt auch der Herkunftsländer der Migranten/innen.

Neben politisch-administrativen Dokumenten hat Mattes Archivbestände von Verbänden (Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften) und Unternehmen (Bahlsen, Siemens, Stollwerck) ausgewertet. Die betriebliche Fallstudie zum Berliner Siemens-Werk zeichnet anschaulich die Probleme nach, die das Unternehmen bei der Gewinnung von Arbeitsmigrantinnen hatte. Die Beschäftigung „einer möglichst großen Zahl von Frauen in Leichtlohngruppen“ bedeutete einen ökonomischen Nutzen für den Betrieb (S. 164). Als diese zudem gesundheitsgefährdenden Arbeitsplätze nicht mehr mit deutschen Frauen zu besetzen waren, sollten Ausländerinnen eingesetzt werden, da ihnen „eine größere Resistenz, aber auch Indifferenz gegenüber unattraktiven Arbeitsplätzen“ zugeschrieben wurde (S. 169). Zur Erreichung dieses Ziels war der Konzern sogar zu Zugeständnissen bereit, etwa der Einstellung von schwangeren Frauen, die ansonsten nahezu durchgängig als „Fehlvermittlungen“ definiert wurden. Das Unternehmen setzte auch auf eine „längerfristige Beschäftigung“ und stellte werkseigene Wohnheimplätze für ausländische Ehepaare und Frauen mit Kindern bereit (S. 178f.).

Im zweiten Teil des Buchs wird die Aufnahmegesellschaft Bundesrepublik näher betrachtet. Die genannten Quellen werden durch eine diskursanalytische Auswertung damaliger Pressepublikationen ergänzt, „um die in der öffentlichen Diskussion über deutsche und ausländische Frauen zirkulierenden Frauen- bzw. Geschlechterbilder zu erfassen“ (S. 24). Zunächst skizziert Mattes die Arbeitsmigration von nichtdeutschen Frauen im Zusammenhang mit dem Strukturwandel des bundesdeutschen Arbeitsmarktes in den 1950er bis 1970er-Jahren. Dabei zeigt sich, dass durch den Einsatz von weiblichen ausländischen Beschäftigten die „geschlechtsspezifische Segmentierung und Segregierung der Erwerbswelt“ weitgehend aufrechterhalten blieb (S. 184). Obwohl eine „ethnische Unterschichtung“ nach Mattes sowohl weiblich als auch männlich geprägte Industriebranchen traf (S. 195), erfolgte ein „deutsch-ausländischer Substituierungsprozess“ entlang vorhandener und neu entstehender „geschlechtsspezifischer Grenzlinien des Arbeitsmarktes“ (S. 194).

Im Anschluss daran stehen Frauenbilder und westdeutsche Diskurse über Geschlechterverhältnisse und Frauenerwerbsarbeit im Mittelpunkt. Mattes’ Einschätzung, dass es in den hochkonjunkturellen Zeiten der Bundesrepublik zu einer schnellen Veränderung sozialer Normen hinsichtlich Ehe, Familie und einer „Neubewertung der Frauenerwerbsarbeit“ gekommen sei, während man „bei den erwerbstätigen Migrantinnen an herkömmlichen Deutungsmustern“ festgehalten habe (S. 207), zeugt von einer zu idealistischen Interpretation jenes „gesellschaftlichen Reformklimas“ (ebenda) der Phase zwischen 1968 und 1973. Wie Mattes selbst etwas später erläutert, zeigt sich in ökonomischen Krisenzeiten, wie schnell sich diese Einstellungen gegenüber Frauenerwerbsarbeit wieder relativieren. Insofern ist nicht unbedingt von einer tiefgreifenden Veränderung normativer, geschlechtsbezogener Zuständigkeitszuschreibungen und handlungsleitender Orientierungen der beteiligten Akteure/innen bzw. innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft allgemein auszugehen. Diese Orientierungen lassen sich allerdings auch auf Basis des methodischen Zuschnitts der Studie schwerlich erfassen. Aus diesem Grund ist es schade, dass Mattes weder die Ebene der Oral History einbezieht noch entsprechende empirische Untersuchungen berücksichtigt, etwa aus dem Kontext der sozialwissenschaftlichen Biografieforschung.

Die nachfolgenden, in der Art einer Milieufallstudie verfassten Ausführungen über das Engagement konfessioneller Wohlfahrtsverbände dokumentieren die mit dem Betreuungsangebot der Verbände – allen voran des katholischen Caritasverbandes – verbundenen Deutungsmuster und weltanschaulichen Vorstellungen über die „schutzbedürftige Ausländerin“, die vor moralischen Verfehlungen bewahrt werden sollte (S. 260ff.). Das zweite betriebliche Fallbeispiel über die Keksfabrik Bahlsen lässt ansatzweise die Interessen und Widerstände – etwa in Form eines Streiks – der Arbeitsmigrantinnen erkennen.

Ein zumindest punktueller Verweis auf weitere Studien, die die Lebensentwürfe deutscher Frauen1 sowie von Migrantinnen2 rekonstruieren, wäre gewinnbringend gewesen, um unterschiedliche erwerbsbiografische Vorstellungen aufzeigen zu können. Trotz dieser Lücke hat Mattes insgesamt gesehen eine wichtige Untersuchung vorgelegt, die die Relevanz der Kategorien Geschlecht und Ethnizität für die Entwicklungen des bundesdeutschen Arbeitsmarktes aufzeigt. Letztlich waren die Migrantinnen als Arbeitskräfte primär aufgrund ihres Geschlechts und weniger aufgrund ihrer nationalen Herkunft benachteiligt.

Anmerkungen:
1 Dausien, Bettina, Biographie und Geschlecht. Zur biographischen Konstruktion sozialer Wirklichkeit in Frauenlebensgeschichten, Bremen 1996.
2 Apitzsch, Ursula (Hg.), Migration und Traditionsbildung, Opladen 1999; Dausien, Bettina; Calloni, Marina; Friese, Marianne (Hgg.), Migrationsgeschichten von Frauen. Beiträge und Perspektiven aus der Biographieforschung, Werkstattberichte des IBL, Bremen 2000; Jiménez Laux, Rosa Maria, Migration und Lebenszeit. Biographische Erfahrungen und Zukunftsperspektiven älterer spanischer Migrantinnen in Deutschland, Werkstattberichte des IBL, Bremen 2001.