St. R. Kathe: Kulturpolitik um jeden Preis

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Titel
Kulturpolitik um jeden Preis. Die Geschichte des Goethe-Instituts von 1951 bis 1990


Autor(en)
Kathe, Steffen R.
Erschienen
München 2005: Martin Meidenbauer
Anzahl Seiten
525 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Caroline Moine, Centre Marc Bloch, Humboldt-Universität zu Berlin

Der Kultursektor steht immer mehr im Vordergrund der Geschichte der internationalen Beziehungen, sowohl in Bezug auf die Analyse der Formen und Inhalte des Austauschs als auch auf seine verschiedenen Akteure/innen.1 Die bilaterale Ebene der Diplomatie ist dabei nicht mehr die einzige, die die Historiker/innen im Blick haben.2 Die von Steffen R. Kathe vorgelegte Geschichte des Goethe Instituts (GI) bietet in dieser Hinsicht die Chance, diese verschiedenen Perspektiven der kulturellen internationalen Beziehungen gegen einander zu stellen, zumal es bis jetzt keine wissenschaftliche und gründliche Untersuchung zu diesem Thema gab. Der Autor hat dabei eine Lücke geschlossen und ein reiches und umfassendes Bild des GI, eines privatrechtlichen, eingetragenen Vereins, gezeichnet, der inzwischen seine goldene Zeit hinter sich hat, aber noch eine der größten Organisationen in der Auswärtigen Kulturpolitik ist.

Es ist die Geschichte eines Erfolgs und seiner Schattenseite. Kathe hat nicht nur die Strukturen, sondern auch die Inhalte der von dem GI geführten Politik studiert und evaluiert. Anfangs werden die vier Hauptfragstellungen der Arbeit vorgestellt: die Frage der Kontinuität gegenüber der Zeit vor 1945; die „Wildwuchsthese“ über die Entwicklung der Strukturen des GI; die Rezeption seiner Politik in der Öffentlichkeit und schließlich die Diskrepanz zwischen den kulturpolitischen Ansprüchen des GI und seinen konkreten Ergebnissen. Das ganze Buch wird einerseits nach diesen Themen gegliedert, ist aber auch gleichzeitig nach einer chronologischen Logik strukturiert. Die 1980er-Jahre wirken dabei ein bisschen vernachlässigt. Zwei Fallstudien über die Zweigstellen des GI in Lagos und Paris bieten am Ende kontrastvolle konkrete Beispiele für die ansonsten vor allem auf der zentralen Direktionsebene analysierten Politik des GI.

Kathe hat für seine Studie verschiedene Quellen benutzt, wobei die archivalischen Quellen vor allem die Sichtweisen der Zentrale vermitteln. Die Akten des GI im Koblenzer Bundesarchiv bestehen nämlich aus dem Schriftverkehr mit dem Auswärtigen Amt und mit den Zweigstellen im Ausland sowie aus den lückenhaften Protokollen der internen Sitzungen. Der Autor hat aber darauf verzichtet, Gespräche mit ehemaligen Mitarbeitern des GI zu führen, „da alle bisherigen Interviews sich zu sehr an den offiziellen Selbstdarstellungen des Instituts orientierten“ (S. 25). Um die Frage der Rezeption und der Öffentlichkeit zu beantworten, wurden daneben die allgemeine Presse und die Fachzeitschriften sowie eine breite Literatur herangezogen.

Kathe gelingt es dabei geschickt, biografische Elemente, institutionnelle Analysen und Kontextualisierung zu verflechten. Auch wenn die Sichtung der Personalakten aus Gründen des Datenschutzes nur eingeschränkt möglich ist, ist die Frage der Vermittler/innen und Akteure/innen der von dem GI betriebenen Politik zentral. Eine heikle Seite der Geschichte des GI, und überhaupt des Bonner Auswärtigen Amts, ist ausführlich dargestellt und zwar die Frage der Kontinuität mit dem Dritten Reich und sogar mit der Kaiserzeit. Beim Personal, den Sprachgebräuchen oder auch dem benutzten Material im GI kann „von einem echten Neuanfang und einer ‚Stunde Null’ keine Rede sein“ (S. 28). Bis in die 1970er-Jahre herrschte im Münchner Sitz immer noch ein stark konservativer Vorstand.

Die komplexen strukturellen und politischen Beziehungen zwischen dem Goethe Institut und der bundesdeutschen Regierung sind klar dargestellt. Abstand und Misstrauen seitens Bonns wechselten mit Einmischung und aktiver Forderung ab. In den 1950er-Jahren war die Kulturaußenpolitik eigentlich kein richtiges Thema im Auswärtigen Amt. Ziele des GI war ursprünglich Lehrerfortbildung und Deutschunterricht. Als Folge des Dritten Reichs kam aber der Wille hinzu, das deutsche Ansehen in der Welt zu rehabilitieren. Die Auswärtige Kulturpolitik als Öffentlichkeitsarbeit sollte dazu auf friedliche Weise beitragen. Erst im Laufe der 1960er und 1970er-Jahre wurden das GI und andere künstlerische Vermittler/innen als wichtige politische Elemente betrachtet. Der Name „Goethe-Institut“ wurde bald „zum Markenzeichen des deutschen Kulturexports“ (S. 174). Die Strukturen konnten diesem raschen Wachstum nicht richtig nachfolgen. Die Satzung des Vereins wurde seit 1951 nicht weniger als über vierzig Mal geändert. Es fehlte dazu eine klare Planung der Entwicklung des Instituts, wie die Entstehung des Netzes von Zweigstellen in der ganzen Welt beispielhaft zeigt.

Kathe analysiert das Thema in einer breiten geografischen und chronologischen Perspektive. Die Weltverankerung des GI fand nicht nur im Westen, sondern auch im Osten oder im Süden, in den Entwicklungsländern statt. Die wichtigsten Regionen, wo das GI am frühesten Lehrstätten einrichtete, waren der Mittelmeerraum, unter anderem Griechenland, Nahost und Lateinamerika. Dies waren Länder, in denen die deutsche Bevölkerung nicht nur in Folge der Auswanderungsbewegungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, sondern auch der Flucht von NS-belasteten Personen stark zugenommen hatte. Erst am Ende der 1960er-Jahre wurde ein GI in den USA eingerichtet. Auch im Ostblock hat das Münchner Institut erst am Ende der 1980er-Jahre Fuß gefasst. Die Konkurrenz mit der DDR, die keinesfalls als Ausland galt, spielte hier eine wesentliche Rolle, die Kathe in ihrer ganzen Komplexität beschreibt. Der Kampf gegen das im Jahr 1956 in Leipzig gegründete Herder Institut änderte sich nämlich im Laufe der Zeit. In den 1950er und 1960er-Jahre propagierten beide ohne große Unterschiede die gleiche klassische deutsche Kultur mit Werken von Goethe, Bach usw. Die Konfrontation war aber nicht weniger hart mit Pressekampagnen, in denen z.B. die DDR 1971 das GI als eine von ehemaligen Nationalsozialisten unterwanderte und der Spionage gewidmete Institution anprangerte. Diese Konkurrenz führte beiderseits dazu, dass viele Zweigstellen in Entwicklungsländern gegründet wurden, um den Einfluss der anderen Seite einzuschränken, „ohne Rücksicht auf regionale Schwerpunktsetzungen oder konzeptionelle Bedenken“ (S. 44). Nach 1973 und dem Grundvertrag wurden die ehemaligen Feinde vielleicht nicht zu Freunden, aber zu „professionellen Kollegen“ (S. 315). Nach der Wende wurde das DDR-Institut schließlich durch das GI übernommen.
Kathe zeigt gleichzeitig die Kehrseite der Medaille. Die Zweigstellen im Ausland, vor allem in Entwicklungsländern, waren meistens nur Ein-Mann- oder Zwei-Mann-Strukturen, so zum Beispiel das 1961 gegründete GI in Lagos, Nigeria. Die Bibliotheken blieben meistens ungenutzt, die Sprachlabore waren völlig unbrauchbar, weil dem Tropenwetter nicht angepasst, die überwältigende Mehrheit der Kursbesucher erreichten keinen Abschluss. Die Veranstaltungen des GI konnten kein einheimisches Publikum, sondern vor allem deutsche Staatsangehörige gewinnen. Auch die 1962 gegründete Prestigezweigstelle in Paris litt immer unter Mangel an Fachkräften und klaren Entscheidungen. Improvisation scheint weltweit die Goldene Regel für den Alltagsbetrieb gewesen zu sein.

Kathes Geschichte des GI behandelt viele wichtige Aspekte der auswärtigen Kulturpolitik der BRD, sie zeigt aber gleichzeitig, was noch methodisch und inhaltlich zu erforschen bleibt. Als Erweiterung und Vertiefung dieser spannenden, wichtigen Arbeit wären etwa andere Fallstudien aus der Peripherie sinnvoll. Mit Hilfe der oral history könnte man die Kehrseite der Medaille sichtbarer machen und zeigen, wie die Zweigstellen des GI im Ausland trotz allem weiterarbeiteten. Solche Fallstudien weit weg von der Münchner Direktion könnten zeigen, wie die Arbeit der GI vor Ort vom lokalen Kontext geprägt wurde. Auch wenn ab 1970 von dialogischer und partnerschaftlicher Kulturarbeit mit den Gastländern die Rede war, bleibt zu fragen, inwieweit am Ende Transfers oder auch Austausch stattfanden. Ein richtiger Perspektivwechsel, wie Kathe ihn in den beiden Fallstudien skizziert, wäre notwendig, um die Dynamik dieser « Kulturpolitik um jeden Preis » noch genauer zu erfassen.

Anmerkungen:
1 Paulmann, Johannes u.a. (Hgg.), Auswärtige Repräsentationen. Deutsche Kulturdiplomatie nach 1945, Köln 2005; Iriye, Akiran, Culture and International History, in: Hogan, Michael J.; Paterson, Thomas G. (Hgg.), Explaining the History of American Foreign Relations, Cambridge 1991, S. 215.
2 Ory, Pascal, De la diplomatie culturelle à l’acculturation, in: Relations Internationales 116 (2003), S. 479-481.

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