: Große historische Ausstellungen in der Bundesrepublik Deutschland 1960-2000. . Münster 2005 : LIT Verlag, ISBN 3-8258-8813-4 369 S. € 29,90

: Erinnerte Geschichte - inszenierte Geschichte. Ausstellungen und Museen in der Zweiten Moderne. Frankfurt am Main 2005 : Suhrkamp Taschenbuch Verlag, ISBN 3-518-41721-5 352 S. € 15,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Holtwick, Kreiskultur- und Archivamt Biberach

Die Museumslandschaft der Bundesrepublik ist bunt und vielgestaltig; für die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte fällt es schwer, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Sicher ist, dass es eine zahlenmäßig erhebliche Zunahme von Museen, eine Professionalisierung des Personals und damit verbunden einen gewachsenen Aufwand für historische Ausstellungen gegeben hat. Die Frage ist allerdings, wie man dieses Phänomen analysieren kann und welche Rückschlüsse sich daraus ziehen lassen – für die Museumsarbeit und für die Geschichtskultur insgesamt.

Die Studien von Martin Große Burlage und Rosmarie Beier-de Haan beziehen sich beide auf historische Museen, bewegen sich aber sonst auf diametral entgegengesetzten Wegen. Während der Anspruch von Große Burlages Dissertation eher derjenige einer empirischen Beschreibung ist, setzt Beier-de Haans Habilitationsschrift sehr viel ambitionierter auf eine theoriegeleitete Vorgehensweise. Sie analysiert die Veränderungen mit dem Instrumentarium aus Ulrich Becks Theorie der „Zweiten Moderne“ (Kapitel 1). Um es auf eine sicher allzu schlichte Formel zu bringen: In der „Zweiten Moderne“ gehen gemeinsame Orientierungen der „Ersten Moderne“ verloren (Nation, Tradition, anerkannte Wissensbestände, moralische Maßstäbe). Das stellt die Individuen vor die Aufgabe, ihren je eigenen Weg zu finden. Beier-de Haan will nun prüfen, ob und inwieweit sich Museen – als Bestandteile der Erinnerungskultur – vor diesem Hintergrund verändert haben.

Sie untersucht zunächst verschiedene neugegründete Museen, die den Anspruch erheben, die Geschichte einer Nation bzw. eines Staates zu präsentieren (Kap. 2). In der „Zweiten Moderne“ sei dies schon an sich ein problematisches Unterfangen und sollte deshalb einem sichtbaren Wandel gegenüber der klassischen Moderne unterworfen sein. Der Horizont Beier-de Haans ist hier wahrhaft global: Neuseeland (Te Papa Tongarewa National Museum of New Zealand), Südafrika (Robben Island Museum und die Neukonzeption zentraler Gedenkorte) sowie die Bundesrepublik Deutschland (Deutsches Historisches Museum) werden jeweils als ein eigenständiger Typus präsentiert. Als neu und bemerkenswert bewertet Beier-de Haan Anstrengungen, historische Museen nicht mit nationaler, sondern europäischer Perspektive zu gründen (Typ 4) oder zumindest – wie im Falle des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst – sich nicht auf den Blickwinkel einer Nation zu beschränken, sondern bestimmte Ereignisse aus der Perspektive mehrerer beteiligter Staaten zu präsentieren (Typ 5).

Insgesamt zeige sich eine Tendenz, „das Verbindende zwischen Ethnien und Nationen herauszustellen“ und den Blick (auch) auf vielfältige individuelle Schicksale und Lebenswege zu lenken (S. 107). Hier fällt allerdings die Unschärfe des Bildes der Museen in der „Ersten Moderne“ auf. Die eher unterstellten als nachgewiesenen Differenzen erscheinen zwar plausibel, wären aber erst sorgfältig zu prüfen.

Anschließend wendet sich Beier-de Haan einzelnen Ausstellungen zu (Kap. 3), die sie im Hinblick auf den Umgang mit gemeinsamen Gedächtnisbeständen untersucht. Dem liegt die These einer auch hier wirkenden Individualisierung zugrunde, die sich darin manifestiere, dass die Besucher ihr „Recht auf die eigene Sicht der Dinge und der Geschichte“ einforderten (S. 118). Beier-de Haan fasst die Ausstellungen in drei Typen zusammen: Der erste ist die „Ausstellung des kollektiven autobiografischen Gedächtnisses“ (herausgearbeitet allerdings ausschließlich an einem Beispiel, nämlich der Ausstellung „Lebensstationen in Deutschland 1900–1993“ des Deutschen Historischen Museums). Den zweiten Typ bildet die „Ausstellung eines generationenübergreifenden kulturellen Gedächtnisses“, konkretisiert an einer Reihe von Ausstellungen zum „Holocaust“. Den dritten Typ identifiziert Beier-de Haan als „Ausstellung zur Kontroverse über das kollektive Gedächtnis“ und bearbeitet ihn anhand der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung und der Ausstellung über den Atombombenabwurf auf Hiroshima im National Air and Space Museum in Washington 1995. Zu erwarten wäre eigentlich, dass Museen immer mehr darauf verzichten, einen Anspruch auf verbindliche Deutungen zu erheben. Sie stellen heute offenbar tatsächlich einen mündigen Besucher in Rechnung, der pro und contra abwägen kann. Allerdings – und das bleibt erklärungsbedürftig – bewertet Rosmarie Beier-de Haan historische Ausstellungen eher als „Gemeinschaft stiftende Ereignisse“, die keine Debatte, sondern einen Konsens präsentierten (S. 175).

Um die These der Individualisierung von Wissensbeständen zu untersuchen, wendet sich Beier-de Haan im folgenden Schritt den Inszenierungstechniken verschiedener Ausstellungen zu (Kap. 4). Auch hier arbeitet sie typisierend und unterscheidet die „emotionalisierende Ausstellung einer Montage von Geschichte“ (am Beispiel der Ausstellung „Preußen – Versuch einer Bilanz“ von 1981), die „in Szene gesetzte Ausstellung serieller Artefakte“ mit geringer Wertschätzung historischer Originale (am Beispiel der Ausstellungen „The Physical Self“, Rotterdam 1991/92, und „prometheus“, Völklingen 1998) sowie die „Ausstellung zur medialen Vermittlung von Zukunftsorientierungen“ (am Beispiel des „Themenparks“ der EXPO 2000).

Schon in dieser knappen Aufzählung wird deutlich, dass die einzelnen Typen extrem unterschiedlich sind und sich voneinander womöglich weit stärker abheben als von ihren jeweiligen Vorgängern in der „Ersten Moderne“ – wobei ohnehin nicht recht klar wird, warum es erforderlich war, den ‚zukunftsorientierten’ EXPO-Themenpark als Teil der „inszenierten Geschichte“ zu untersuchen. Die zeitgenössischen Ausstellungen schlägt Beier-de Haan trotzdem recht bestimmt in toto der „Freizeitindustrie“ zu, selbst wenn sie einräumt, dass der Anspruch historischer Bildung nicht aufgegeben sei (S. 224). Ein Einwand liegt hier auf der Hand: Mit historischen Ausstellungen können nur in seltenen Ausnahmefällen Gewinne erzielt werden – nicht einmal bei der von Beier-de Haan angeführten EXPO 2000 ist das auch nur annähernd gelungen. Insofern kann wohl von einer wirklichen „Industrie“ schwerlich die Rede sein – vielmehr dagegen weiterhin von einer Aufgabe der öffentlichen Hand, die sich durch ein (wie auch immer konkret gefasstes) Bildungs- oder Belehrungsziel rechtfertigt.

Insgesamt absolviert Beier-de Haan eine beeindruckende Tour d’Horizon, die nicht nur alle relevanten Theoretiker erfasst, sondern sowohl in der zeitgenössischen Perspektive global als auch zugleich diachron vergleichend argumentiert. Das Problem liegt allerdings darin, dass sie diesen gewaltigen Anspruch nur durch die Untersuchung von Einzelfällen einlösen kann. Deren repräsentativer Charakter lässt sich leichter postulieren als nachweisen – selbst wenn man ihn nicht „statistisch“, sondern qualitativ „exemplarisch“ definiert (S. 50f.). Wahrscheinlich wären auch völlig andere Typenbildungen möglich. Betrachtet man die tabellarischen Übersichten jeweils am Ende der drei empirischen Hauptteile, dann leitet sich – ganz abgesehen von der problematischen ‚Messbarkeit’ der jeweiligen Befunde – nicht einmal daraus ein besonders scharfes Bild der Museen in der „Zweiten Moderne“ ab: Weder verschwindet der Anspruch gänzlich, ein Nationalbewusstsein zu konstruieren, noch verzichten die Museen auf den Anspruch einer relevanten Deutung – das heißt sie lassen „nur wenig Distanz“ zu, was ebenfalls der Theorie der „Zweiten Moderne“ widerspricht (S. 169, Anm. 2). Immerhin gewinnt die gestalterische Inszenierung gegenüber einer strengen Orientierung an einer als einheitlich begriffenen wissenschaftlichen Rationalität offenbar an Bedeutung; auf die möglichen Ursachen ist noch zurückzukommen.

Verglichen mit Beier-de Haans Opus tritt Große Burlage in jeder Beziehung bescheiden auf. Er untersucht aber nicht weniger als 148 „große historische Ausstellungen“ in der Bundesrepublik im Zeitraum von 1960 bis 2000. Dabei will er die „Legitimation und Funktion der großen Exposition [...] ergründen“ (S. 1). Die theoretischen Überlegungen beschränken sich auf kurze Gedanken zum Begriff des „Geschichtsbewusstseins“ (S. 9f.), so dass insgesamt eher ein deskriptiver Zugriff auf das reichhaltige Quellenmaterial erfolgt. Angesichts der Vielzahl und Vielfalt von historischen Ausstellungen stellt die klare Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes ohnehin ein großes Problem dar. Große Burlage führt dazu eine Reihe von Kriterien ins Feld, die sinnvolle Einschränkungen vornehmen, letztlich aber immer noch eine sehr heterogene Gruppe von „großen historischen Ausstellungen“ zusammenfassen. In ihr finden sich Ausstellungen mit 100 Exponaten ebenso wie solche mit mehreren tausend Objekten, mit weniger als 1.000 Besuchern ebenso wie mit fast 700.000.

Große Burlage untersucht zunächst drei Beispiele (Kap. II): Die baden-württembergische Staufer-Ausstellung von 1977, die Franken-Ausstellung in Mannheim 1996/97 und die Karolinger-Ausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte von 1997. Anschließend fasst er die Ergebnisse für alle 148 untersuchten Fälle zusammen (Kap. III) und analysiert sie kursorisch (Kap. IV). Den knappen Abschluss bildet eine Analyse von Einflussfaktoren und Wirkungen „großer historischer Ausstellungen“ (Kap. V). Die Ergebnisse der Dissertation kommen unspektakulär daher: Die Staufer-Ausstellung mit ihrer sensationellen Resonanz bei Besuchern (670.000) und Presse stellte den Beginn einer Welle großer Ausstellungen dar, wobei die Gruppe der größten darunter (was Aufwand und Resonanz betrifft) ihren Scheitelpunkt im Jahr 1998 erreicht zu haben scheint. Für ein abschließendes Ergebnis hätte der Untersuchungszeitraum noch ausgedehnt werden müssen.

Nicht wirklich überraschend, aber doch bemerkenswert und wichtig ist der Befund, dass die „großen historischen Ausstellungen“ von der öffentlichen Hand finanziert werden und eine politische Repräsentationsfunktion erfüllen. Daneben werden die Ausstellungen auch von der museumswissenschaftlichen Diskussion und den fachwissenschaftlichen Debatten beeinflusst. Politische Gremien entscheiden also über das Zustandekommen großer historischer Ausstellungen und damit auch grundlegend über deren Thematik, einfach deshalb, weil erhebliche finanzielle (Sonder-) Mittel mobilisiert werden müssen. Die konkrete Ausgestaltung ist dann den Experten überlassen und orientiert sich an deren Vorlieben bzw. dem Gang ihrer Debatten.

All das ist recht unspektakulär, gewinnt aber im Kontrast zur Arbeit von Beier-de Haan doch eine besondere Bedeutung. Deren theoretisch weit ausholende Studie hätte vielleicht noch an analytischer Schärfe gewonnen, wenn sie genauer auf die Begründungsstrategien der jeweiligen ‚Entscheider’ rekurriert hätte – und zwar nicht nur die veröffentlichten, sondern möglichst auch die inoffiziellen und internen. Wie wird der erhebliche Einsatz von Ressourcen für ein Museumsprojekt gerechtfertigt? Gibt es Indizien für andere als die offiziell verkündeten Interessenlagen? Und ob es die „Zweite Moderne“ ist, welche die Ausstellungen prägt, oder schlicht die Debatte der ‚Ausstellungsmacher’ über die Idee einer „Zweiten Moderne“, wäre ebenfalls zu fragen.

Es wäre unangemessen, die Leistungen von Beier-de Haan und Große Burlage gegeneinander auszuspielen, zumal der jeweilige Verlag (Suhrkamp bzw. Lit) schon ein Signal aussendet. Zu wünschen wäre aber, dass Große Burlages Dissertation eine Skepsis an großen Theorien und ihrer Erklärungskraft nährt – und sei es auch nur durch den Hinweis, dass die Museums- und Ausstellungswelle möglicherweise ihren Scheitelpunkt bereits überschritten hat bzw. sich allmählich auf die ‚Mega-Events’ beschränkt. Die Mobilisierung von Ressourcen für kurzfristige museale Großereignisse scheint oft leichter zu sein als die Sicherstellung der kontinuierlichen Arbeit der Museen: Das Großereignis schmückt (die Entscheider!), die Museumsroutine dagegen immer weniger.

Gerade der scharfe Kontrast der beiden Arbeiten generiert weiterreichende Fragen. Beier-de Haan nimmt die gewachsene Bedeutung historischer Museen als gegeben an und sucht dafür nach einer „strukturellen Erklärung“ (S. 11f.). Die Theorie der „Zweiten Moderne“ liefert diese aber augenscheinlich gerade nicht (vgl. S. 232). Und die Zählung Große Burlages bietet weiteren Grund zur Skepsis. Angesichts der Krise der öffentlichen Haushalte liegt es nahe, nach alternativen Erklärungen für die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zu suchen, die auch die Umkehrbarkeit – das heißt eine Abnahme der Museen und Expositionen – in Rechnung stellen.

Sind die Gründe für das Wachstum vielleicht eher bei den politischen Entscheidern und deren gegenseitiger Beobachtung zu suchen? Die Neugründungen (wie steht die Bundesrepublik hier im internationalen Vergleich?) können auch schlicht auf den Wunsch zurückgehen, nicht hinter den ‚Nachbarn’ zurückzustehen („Alle haben ein historisches Museum, warum unsere Stadt, unser Bundesland nicht?“). Verschiedene Jahrestage, insbesondere im Zusammenhang des Nationalsozialismus, lieferten dabei zusätzliche Argumente.

Neue Ausstellungskonzepte lassen sich dann als das Ergebnis einer schon durch die reine Zunahme der Stellen im Museumsbereich erheblich vorangeschrittenen Professionalisierung begreifen, bei der das Museumspersonal gleichzeitig unter erheblichem Wettbewerbsdruck steht und Besucher anlocken muss. Das würde zwanglos auch die Verschiebung der Gewichte zuungunsten des Forschens und Sammelns und zugunsten des Ausstellens erklären. Ob man mit einem solchen Marktmodell weiterkommt, wäre zu prüfen. Zumindest verspricht eine Theorie mittlerer Reichweite empirisch überprüfbare Aussagen ohne Verzicht auf einen weiten Ausblick. Vielleicht befördern die Arbeiten Beier-de Haans und Große Burlages mit ihren Stärken und Schwächen ja eine Allianz von nüchternem Blick und allgemeinerem Erklärungsanspruch. Das wäre der reflexiven Moderne jedenfalls angemessen.

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