J. Engels: Philipp II. und Alexander der Große

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Titel
Philipp II. und Alexander der Große.


Autor(en)
Engels, Johannes
Reihe
Geschichte kompakt
Erschienen
Anzahl Seiten
125 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Müller, Historisches Seminar, Universität Hannover

Johannes Engels, Apl. Professor für Alte Geschichte an der Universität zu Köln, ist ein ausgewiesener Kenner der griechischen Geschichte des 4. Jahrhunderts v.Chr., speziell der Beziehungen zwischen Makedonien und Athen.1 Im vorliegenden Band der Reihe "Geschichte kompakt" vermittelt er Basiswissen zur Epoche der Herrschaft Philipps II. und Alexanders als "Übergangszeit zwischen der späten klassischen Polisstaatenwelt des 4. Jahrhunderts und dem frühen Hellenismus" (S. 1). Engels bietet einen fundierten Überblick von den problematischen Anfängen Philipps 359 v.Chr. bis zum Ausgang des Lamischen Kriegs 322 v.Chr. Die makedonische Ereignisgeschichte wird komplementär ergänzt durch Kapitel zu den großen griechischen Poleis – Athen, Sparta und Theben –, den kleinasiatischen Griechenstädten im 4. Jahrhundert v.Chr. und zur griechischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte.

Betrachtet man die Komplexität der Thematik, der Engels eine komprimierte, übersichtliche Gestalt verleiht, ist ihm die Differenziertheit seiner Darstellung um so höher anzurechnen. Die Kompaktform wird nicht mit Simplifizierungen erreicht; es gelingt ihm im Gegenteil, Hinweise auf Überlieferungsprobleme und Forschungskontroversen in den Überblick zu integrieren und das zerklüftete Bild, das sich bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Philipp II. und Alexander realiter stellt, erfreulich ungeglättet zu vermitteln. Komplizierte Streitpunkte, die bei Überblickswerken oft ausgeblendet werden, finden bei Engels ihre berechtigte Erwähnung. Dafür seien einige Beispiele genannt: die Debatte, ob Philipp als König oder erst als Vormund des minderjährigen Thronerben Amyntas herrschte (S. 22)2; die Bedeutung der Schlacht von Chaironeia 338 v.Chr. als Epochedatum für die drei größten Poleis – sie wird zugunsten des Hinweises revidiert, dass für Athen der Ausgang des Lamischen Krieges 322, für Sparta die Schlacht bei Leuktra 371 respektive das Ende der Agisrevolte 331 und für Theben die Zerstörung im Jahr 335 relevanter gewesen seien (S. 37); die Konflikte um die makedonische Thronfolge, die im Jahr 337 offen zutage traten: sie werden kritisch behandelt, ohne stereotype Thesen zu tradieren, die primär auf der Rekonstruktion fiktiver Persönlichkeitsbilder beruhen. Philipps politische Zwänge gegenüber dem makedonischen Adel werden hinreichend berücksichtigt; das Gesamturteil über seine Person ist von ausgewogener Sachlichkeit. Ebenso differenziert fällt Engels' Urteil über Alexanders vermeintliches Feldherrngenie und seine Schilderung der "Befreiung" Kleinasiens sowie der Reaktion der eroberten Bevölkerung des Perserreichs im Ganzen aus, die er keinesfalls als so begeistert wertet, wie es die makedonische Propaganda darstellt.

Der problematische Punkt des Einführungsversuchs der Proskynese wird unter Verzicht auf die gängigen, wenig hilfreichen Spekulationen über Alexanders Vergöttlichungsbestrebungen primär als Legitimationsmittel gegenüber den persischen Adligen behandelt. Das seit langem angefochtene und dennoch bis heute oft unkritisch repetierte Konstrukt der "Verschmelzungspolitik" wird nachdrücklich als moderner Mythos charakterisiert (S. 65). Positiv ist überdies, dass die achaimenidische Perspektive, die in der aktuellen Forschung immer mehr an Gewicht erhält, zum Tragen kommt und wiederholt als Richtlinie für alle, die sich mit Alexander beschäftigen, angemahnt wird. Engels' souveräne Differenzierung zwischen dem Alexandermythos in seinen vielfältigen Ausgestaltungen und dem historischen Alexander erstreckt sich leider nicht auf die Besprechung des Indienzugs: "Bei der Entscheidung, den Eroberungskrieg nach Indien zu tragen, spielte die Persönlichkeit Alexanders vielleicht eine noch wichtigere Rolle als rationale politische Motive." (S. 60) Weshalb über den zuvor bereits erwähnten Beweggrund hinaus, Alexander habe der achaimenidischen Vorgabe folgen und die östlichsten Gebiete des Perserreichs sichern wollen 3, Ehrenbergs überholte, anhand eines fiktiven Psychogramms konstruierte Pothos-Theorie angeführt wird, ist nicht ersichtlich.4 Sicherlich spielte das Erreichen des okeanos in Alexanders Indienkriegspropaganda ebenso eine Rolle wie die Dionysos-aemulatio, doch waren dies Komponenten der Selbstinzenierung, keine primären Kriegsgründe.5 So wird die sorgfältige Konturierung des historischen Alexanders der vorangegangenen Kapitel in der Analyse seiner letzten Jahre von dem traditionellen Stereotyp des megalomanen Tyrannen überlagert, der in Realitätsverlust seine kriegsmüden Truppen in einer Strafexpedition durch die Gedrosische Wüste zwingt und von den griechischen Städten seine Vergöttlichung fordert (S. 61 ff., 68). Beide Thesen sind umstritten und werden durch psychologisierende Herangehensweisen nicht plausibler. Alexander, der selbst – und auch noch in Begleitung seiner rechten Hand, Hephaistion – den Wüstenmarsch antrat, konnte sich ein solches Desaster nach dem Indienzug kaum leisten. Die Quellenaussagen deuten eher darauf hin, dass er die Strecke unterschätzt und sich in die Hand unfähiger Wegführer begeben hatte.6 Die Debatten über kultische Ehren für Alexander in Athen und Sparta sind wiederum so fragmentarisch überliefert, dass unklar bleibt, ob sie nicht auf Anträge griechischer Politiker hin erfolgten, die den Ausgleich mit Makedonien suchten.7 Engels' Tribut an das antiquierte Alexanderbild erscheint um so unverständlicher, als dies im Widerspruch zu dem höchst reflektierten restlichen Inhalt steht.

Das Fazit fällt trotzdem sehr positiv aus. Engels' Studienbuch, das zudem eine ausgezeichnete Auswahlbibliografie auf aktuellem Stand enthält, ist ein Musterbeispiel dafür, dass auch ein Überblickswerk kritisch-analytisch und zugleich anschaulich sowie für alle Themeneinsteiger klar verständlich geschrieben sein kann. Diese schwierige Aufgabe ist glänzend gelungen. Jedem historisch Interessierten und Studierenden, der sich mit Philipp und Alexander beschäftigt, ist das Buch daher als das aktuell beste Standardeinführungswerk unbedingt zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 Von seinen zahlreichen Publikationen zu diesem Themengebiet sei genannt: Studien zur politischen Biographie des Hypereides. Athen in der Epoche der lykurgischen Reformen und des makedonischen Universalreiches, München 1993; Anmerkungen zum ‚ökonomischen Denken' im 4. Jh. v. Chr. und zur wirtschaftlichen Entwicklung des Lykurgischen Athen, in: MBAH 7,1 (1988), S. 90-134; Das Eukratesgesetz und der Prozess der Kompetenzerweiterung des Areopages in der Eubulos- und Lykurgära, in: ZPE 74 (1988), S. 181-209; Zur Entwicklung der Attischen Demokratie in der Ära des Eubulos und des Lykurg (355-322 v. Chr.) und zu Auswirkungen der Binnenwanderung von Bürgern innerhalb Attikas, in: Hermes 120 (1992), S. 425-451; Zur Stellung Lykurgs im Verfassungsrahmen der späten Demokratie und zur Aussagekraft des sogenannten Lykurgischen Militär- und Bauprogramms für die Demokratie vor 322 v. Chr., in: AncSoc 23 (1992), S. 5-29; Hypereides, sein Vetter Dionysios und der Kampf Athens um die Kleruchie auf Samos 324-322 v. Chr., in: Klio 76 (1996), S. 208-211; Die Geschichte des Alexanderzuges und das Bild Alexanders des Großen in Strabons Geographika, in: Will, W. (Hg.), Alexander der Große. Eine Welteroberung und ihr Hintergrund, Bonn 1998, S. 131-172; "Der Streit um den unbeliebten Frieden" - Der Gesandtschaftsprozess von 343 v. Chr., in: von Ungern-Sternberg, J.; Burckhardt, L. (Hgg.), Große Prozesse im antiken Athen, München 2000, S. 174-189.
2 Diod. 16,1,3. 2,4-5; Iust. 7,5,8-10; vgl.: Wirth, G., Philipp II. Geschichte Makedoniens 1, Stuttgart 1985, S. 26; Ellis, J. R., The Security of the Macedonian Throne under Philip II, in: AM 1 (1970), S. 68-75.
3 Zu wirtschaftspolitischen Motiven Alexanders vgl. Wirth, G., Nearchos der Flottenchef, in: Ders., Studien zur Alexandergeschichte, Darmstadt 1985, S. 51-75, bes. 60-73.
4 Vgl.: Ehrenberg, V., Pothos, in: Ders., Polis und Imperium, Zürich 1965, S. 458-465.
5 Vgl. Bosworth, A. B., Alexander, Euripides, and Dionysos. The Motivation for Apotheosis, in: Wallace, R. W.; Harris, E. M. (Hgg.), Transitions to Empire. Essays in Greco-Roman History, 360-146 B.C., in Honor of E. Badian, Oklahoma 1996, S. 140-166; Müller, S., Alexander's India. Terra Incognita as Propaganda, in: Atopia 8 (2005) (http://www.atopia.tk/terra/terra.htm).
6 Arr. an. 6,26,4-5; Strab. 15,2,6.
7 Dein. Dem. 94; Hypereid. Dem. 31,15ff.; Polyb. 12,12b; Val. Max. 7,2, ext. 13; Plut. mor. 842 D; Athen. 6,251 B; Ael. v.h. 5,12.

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