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Titel
Das monastische Experiment. Die Rolle der Keuschheit bei der Entstehung des westlichen Klosterwesens


Autor(en)
Diem, Albrecht
Reihe
Vita regularis 24
Erschienen
Münster 2005: LIT Verlag
Anzahl Seiten
X, 465 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eric W. Steinhauer, Universitätsbibliothek, Technische Universität Ilmenau

In seiner Utrechter Dissertation „Das monastische Experiment“ untersucht Albrecht Diem die Entstehung des abendländischen Mönchtums. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Darstellung des historischen Prozesses anhand der Genese von Machtstrukturen innerhalb der klösterlichen Gemeinschaften. Da Macht an sich historisch nicht fassbar ist, versucht er indirekt über eine Geschichte der Sexualität bzw. ihrer Beherrschung durch Keuschheit sein Ziel zu erreichen. Herausgekommen ist eine Geschichte des frühen abendländischen Mönchtums als eine Geschichte der Moderierung und Zähmung von Sexualität.

Nach einer Einleitung, in der Diem seinen Forschungsansatz vorstellt, der u.a. von Foucault inspiriert ist, behandelt er sein Thema in drei Kapiteln. Er untersucht zunächst die Rolle von Keuschheit und Keuschheitssicherungen in spätantiken lateinischen Texten. Neben Texten der Wüstenväter stehen hier vor allem die Schriften Johannes’ Cassians im Vordergrund. Keuschheit im frühen Mönchtum wird nicht nur als Unterlassen sexueller Handlungen verstanden, sondern auch als Bemühen, das Begehren als solches, die sexuellen Gedanken, zu beherrschen. Gerade letzteres erweist sich als schwierig, da immer wieder aus dem Menschen heraus das Begehren wächst und sich der Versuch, es zu beherrschen, als dauerhafter Kampf erweist. Dem frühen Mönch, der lebenslang diesen Kampf führt, steht die völlige Reinheit von Handlung und Gedanken als hohes, aber kaum erreichbares Ziel vor Augen. Die Einrichtung klösterlicher Gemeinschaften und individuelle Askese sollten das Ziel der Keuschheit in ihrer hohen Form zu erreichen helfen.

Im zweiten Abschnitt untersucht Diem die gallischen und fränkischen Klosterregeln, die wesentlich von Cassian inspiriert waren. Der Kampf um die Keuschheit wird zunächst im überkommenen Sinne verstanden als ein Streben nach Beherrschung auch der Gedanken. Das Kloster wird weniger ein Ort der Absonderung als ein Ort der Abwesenheit von Sexualität. Dies umso mehr, als das Kloster nicht mehr abseits der Welt liegt, sondern in die Struktur der kirchlichen Hierarchie eingegliedert wird. Diesen Prozess beschreibt Diem vor allem bei Caesarius von Arles. Dabei wandelt sich der Charakter von Keuschheit als einer völligen Beherrschung der Gedanken hin zu einer schlichten Reinheit der Handlungen. Diese soll Heiligkeit garantieren. War bei den frühen Mönchen Heiligkeit das Ergebnis auch der durch Kampf zu erreichenden Beherrschung der Sinne, soll sie nun durch das schlichte Unterlassen sexueller Handlungen in dem geschützten Bereich des Klosters gewissermaßen von selbst produziert werden. Sie befähigt die klösterliche, sexuell reine, weil in Handlungen abstinente Gemeinschaft zum fürbittenden Gebet. Hier liegt die besondere Funktion des Klosters für die übrige, nicht klösterlich organisierte Kirche und ihre Gläubigen.

Diese Entwicklung wird im dritten Kapitel, das von der Rolle der Keuschheit in den gallischen und merowingischen Konzilien und der zeitgenössischen Hagiografie handelt, weiter beschrieben. Hier findet die Installation des Klosters als Ort bloß praktizierter Keuschheit, die zum fürbittenden Gebet ermächtigt und befähigt, vollends statt. Die persönliche Heiligkeit, die durch asketischen Kampf erreicht werden soll, tritt zurück zugunsten der Heiligkeit der Gemeinschaft. Und diese wird im Wesentlichen durch Absonderung und praktizierte Abwesenheit von Sexualität erreicht.

In einem Schlusskapitel fasst Diem seine Ergebnisse zusammen. Sehr wertvoll ist der Anhang. Diem hat seine Untersuchung auf eine breite Textbasis gestellt und versucht, die handschriftliche Überlieferung der spätantiken monastischen Quellen möglichst vollständig zu berücksichtigen. Dokumentiert wird dies in einem ausführlichen, anhand der einschlägigen Repertorien erarbeiteten Quellenindex, der Handschriften ab dem 6. Jahrhundert berücksichtigt und 151 Stücke beschreibt. Ein Literaturverzeichnis und ein Register beschließen die Arbeit.

Diem untersucht die monastischen Quellen sehr subtil. Die Idee, Klostergeschichte als Geschichte der Beherrschung von Sexualität zu schreiben und aus eben dieser Beherrschung die Entwicklung des spezifisch abendländischen Typs von Kloster als Stätte garantierter Heiligkeit und darum auch wirksamen fürbittenden Gebetes zu erklären, hat einiges für sich. Sie eröffnet neue Perspektiven und führt zu überraschenden Erkenntnissen. Allerdings stellen sich aus Sicht der theologischen Monastik hier einige Fragen. Warum etwa hat die Beherrschung von Sexualität einen so besonderen Stellenwert in der christlichen Askese? Ist dies aus der Logik des Christentums heraus zu verstehen oder eine auch in anderen Religionen anzutreffenden monastisch-asketische Konstante? Weiterhin ist zu fragen, ob neben dem Motiv der Heiligkeit durch Reinheit, nicht auch andere Gründe für die Abwesenheit von Sexualität in geistlichen Gemeinschaften bestehen. Bei den spätmittelalterlichen Bettelorden etwa wird sicher auch der Aspekt der Freiheit von Bindungen, beispielhaft thematisiert durch die Armut, eine Rolle spielen. Hier wird die von Diem besonders herausgestellte fürbittende Funktion reinen Lebens aufgebrochen hin auf Apostolat und Predigt. Auch gibt es, in Anknüpfung an das frühe Mönchtum, immer wieder Versuche einer Beherrschung von Sexualität durch den Willen. Hier sei nur die jesuitische Spiritualität genannt. Es lässt sich sogar eine produktive Integration sexueller Energie in das klösterliche Leben behaupten in der „erotisierenden“ Frömmigkeit der Mystik, vor allem spanischer Prägung.

Das freilich ist nicht Thema von Diems Arbeit. Dennoch bleibt die Frage, inwieweit sein Konzept von Sexualität als Motor monastischer Entwicklung auch für das späte Mittelalter und die Neuzeit plausibel bleibt. Hier liefert er interessante Ansätze, die freilich vor dem Selbstverständnis der Akteure noch zu hinterfragen wären. Insgesamt hat Albrecht Diem eine gründlich belegte und anregende Untersuchung geschrieben. Der Gewinn liegt für die Ordensgeschichte zum einen in einer guten Übersicht der relevanten monastischen Quellen, zum anderen in einer für die etablierte Forschung anregend neuen Perspektive, die Vertiefung und Weiterführung verdient.

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