G. Lingelbach u.a.: Geschichte studieren

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Titel
Geschichte studieren. Eine praxisorientierte Einführung für Historiker von der Immatrikulation bis zum Berufseinstieg


Autor(en)
Lingelbach, Gabriele; Rudolph, Harriet
Erschienen
Anzahl Seiten
262 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Jordan, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Redaktion Neue Deutsche Biographie

Die Tradition, Studierenden der Geschichtswissenschaft Lehrbücher an die Hand zu geben, mit deren Hilfe sich Inhalte und Methoden der Disziplin leichter erlernen lassen, ist alt: Sie reicht von den Handbüchern der Aufklärung über die aussagekräftigeren Methodologien Johann Gustav Droysens und Ernst Bernheims im 19. Jahrhundert bis hin zu frühen ‚Klassikern’ wie Paul Kirns „Einführung in die Geschichtswissenschaft“ (1947, 6. Aufl. 1972) und Theodor Schieders „Geschichte als Wissenschaft“ (1965). In letzter Zeit hat die Zahl neuveröffentlichter Bände dieser Art noch einmal sprunghaft zugenommen, was vor allem mit einem gestiegenen Bedarf an Lehrmaterial infolge der verschulten BA- und MA-Studiengänge zusammenhängen dürfte, aber auch mit dem Wegfall von akademischen Ratsstellen, deren Inhaber über jahrelange Lehrerfahrung verfügten und sich selbst als akademische Lehrer begriffen.

Im Gegensatz zu den meisten neueren Einführungen, die in der Regel ein sektorales oder epochales Teilgebiet der Geschichtswissenschaft behandeln und dafür benötigte theoretisch-methodische Hilfestellungen bieten, konzentriert sich der Band von Lingelbach und Rudolph auf die praktischen Belange der Studierenden – von der Wahl des Studiengangs bis zum Berufseinstieg. Nach der Einleitung (Kap. 1) beginnen die Autorinnen mit Informationen zur Studienortwahl, zur Wahl des Studienabschlusses und der Fächer sowie zur Finanzierung des Studiums (Kap. 2). Sie bieten dabei unter anderem Überblicke zu Stipendiengebern und universitären Behörden sowie einen Fragenkatalog zur Wahl einer geeigneten Universität. Ein weiteres Kapitel (Kap. 3) ist den „ersten Schritten an der Universität“ gewidmet, etwa der Wahl von Lehrveranstaltungen und der Zusammenstellung eines ‚machbaren’ Stundenplans. Hier finden sich Übersichten zu Informations- und Beratungsstellen und Beschreibungen von Lehrveranstaltungstypen sowie das Organisationsschema einer Universität.

Die beiden nächsten Kapitel enthalten Hinweise zur Grund- (Kap. 4) und Hauptstudienzeit (Kap. 5), wobei die eigentliche methodisch-technische Anleitung zum Geschichtsstudium (Bibliografieren, Lesetechniken, Quellenexegese und -interpretation, Grundsätze wissenschaftlicher Forschung, Formen universitärer Qualifikationsarbeiten usw.) im ersten Teil zu finden ist. Der zweite Teil hat demgegenüber drei Schwerpunkte: Zunächst nennt er die Möglichkeiten, während des Studiums durch Praktika, Auslandssemester u.ä. zusätzliche Berufsqualifikationen zu erwerben; dann beschäftigt er sich ausführlich mit der Nutzung des Internets und der elektronischen Verwaltung von Informationen; schließlich gibt er Hinweise zur Organisation des Studienabschlusses (Themen- und Prüferwahl, Prüfungsleistungen). Ein letztes Kapitel (Kap. 6) behandelt den „Start ins Berufsleben“. Hier soll ein Fragenkatalog der Selbsteinschätzung von Studierenden dienen, damit diese sich besser für eines der verschiedenen Berufsfelder entscheiden können, die Lingelbach und Rudolph für Historiker/innen auflisten. Hilfreich sind auch die Anleitungen zur Arbeitgebersuche und zum Erstellen einer Bewerbung.

Die an das Ende der einzelnen Kapitel angefügten kurzen Auswahlbibliografien verweisen die Leser/innen auf aktuelle weiterführende Literatur zu den jeweils behandelten Themen. Zudem werden die Internetadressen vieler wichtiger Wissenschaftsorganisationen und Informationsquellen genannt. Im Gegensatz zum ‚professoralen’ Stil und zur Strukturlosigkeit vieler anderer Einführungen überzeugt der vorliegende Band durch seine eingängige, dabei aber stets präzise Darstellungsweise sowie anschauliche grafische Elemente (Diagramme, Tabellen, Auflistungen), die für den schnellen Zugriff in den Text integriert sind. Das lobenswerte Bemühen, die Leser/innen nicht zu überfordern, führt an einigen Stellen zu Ausführungen über Sachverhalte, die auch bei Abiturienten als bekannt vorausgesetzt werden können. So liest man etwa in den Hinweisen zur Klausurvorbereitung: „Nehmen Sie zur Klausur ausreichend Schreibpapier mit Korrekturrand und gut funktionierende Stifte mit.“ (S. 158) Die Frage, ob Lingelbach und Rudolph nicht Inhalte präsentieren, die jedem Studienanfänger bestens vertraut sind, stellt sich besonders für das Kapitel über das Internet, das mit einer Definition des Internet beginnt und zum Beispiel die Länderkürzel in den Endungen von Webadressen erklärt. Über diese Sachverhalte – sofern sie für eine Einführung in das Geschichtsstudium überhaupt notwendig sind – dürfte mittlerweile jede/r Durchschnittsstudienanfänger/in besser Bescheid wissen als ein/e Durchschnittsdozent/in.

Kritik lässt sich an einigen (aber wenigen) inhaltlichen Aussagen anbringen. So sei es in wissenschaftlichen Arbeiten beispielsweise Aufgabe der Schlussbemerkung, eine These aufzustellen, „das heißt eine durch Fakten belegte Behauptung“ (S. 144). Dem wird man sich nicht anschließen mögen. Denn Thesenbildungen gehören zur Voraussetzung jeder wissenschaftlichen Untersuchung; sie sollten daher an deren Anfang stehen und nicht erst im Rahmen der Ergebniszusammenfassung erfolgen. Schief ist auch die Definition des hermeneutischen Zirkels, bei dem sich „der Verständnishorizont des Historikers über die Interpretation der Quellen schrittweise dem Entstehungszusammenhang der Quellen“ annähere (S. 169). Und besteht die Vergangenheit wirklich „aus einer Vielzahl von Geschichten, die durch verschiedene historische Teilfächer und mit unterschiedlichen Forschungsansätzen erforscht werden können“ (S. 173)? Wohl kaum, denn die Vergangenheit „besteht“ qua definitionem überhaupt nicht, weil sie eben vergangen ist. Schließlich werden Archivare, die sich selbst mit Recht als Wissenschaftler/innen verstehen, kaum zustimmen, wenn man ihre Laufbahn unter den „Alternativen zur wissenschaftlichen Karriere“ aufzählt (S. 241).

Diese Kritikpunkte sind aber marginal im Verhältnis zu den propädeutischen Leistungen, die der Band insgesamt bietet. Gegenüber den von Nils Freytag und Wolfgang Piereth sowie von mir selbst vorgelegten Veröffentlichungen mit ähnlichem Schwerpunkt1 zeichnet er sich dadurch aus, dass er den weiteren Bogen von der Aufnahme des Studiums bis zum Berufseinstieg schlägt. Dieser Unterschied kann je nach Bedürfnislage als Vor- oder Nachteil gewertet werden. Sucht man detailliertere Ausführungen zur historischen Methodik, zu Zitierweisen oder Quellengattungen, so ist man mit einem der beiden genannten Werke besser bedient; in Lingelbachs und Rudolphs Band nimmt die Darstellung dieser Themen vergleichsweise wenig Raum ein. Möchte man dagegen am Anfang seines Studiums einen Gesamtüberblick über die Studienzeit einschließlich ihrer weiterführenden Perspektiven entwickeln, so findet man in „Geschichte studieren“ die umfassenderen Informationen. Wer sich wiederum ausschließlich für Berufsperspektiven von Historikern/innen interessiert, für den existiert mit dem Band „Berufe für Historiker“ der Berufsberaterin Margot Rühl ein spezielles Werk.2

Anmerkungen:
1 Freytag, Nils; Piereth, Wolfgang, Kursbuch Geschichte. Tipps und Regeln für wissenschaftliches Arbeiten, Paderborn 2004 (rezensiert von Michael Seelig: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-1-046>); Jordan, Stefan, Einführung in das Geschichtsstudium, Stuttgart 2005 (rezensiert von Susanne Brandt: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-3-115>).
2 Rühl, Margot, Berufe für Historiker, Darmstadt 2004 (rezensiert von Kersten Schüßler: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-3-120>).

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