H. Schmitt (Hgg.): Lexikon des Hellenismus

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Titel
Lexikon des Hellenismus.


Herausgeber
Schmitt, Hatto H.; Vogt, Ernst
Erschienen
Wiesbaden 2005: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
XII S., 1232 Sp.
Preis
€ 99,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Daubner, Archäologisches Institut, Universität zu Köln

Beim anzuzeigenden "Lexikon des Hellenismus" handelt es sich de facto um die dritte Auflage des "Kleinen Wörterbuchs des Hellenismus" (1988) bzw. "Kleinen Lexikons des Hellenismus" (1993). Diese mit großer Begeisterung aufgenommenen Werke zeichnen sich dadurch aus, dass eine Zersplitterung des Stoffes vermieden wurde, indem Sinneinheiten zu längeren Artikeln zusammengefasst eher diskursiv präsentiert werden; ein umfangreiches Stichwortregister dient zur Orientierung. Das bewährte Konzept wurde insgesamt beibehalten, allerdings fallen einige Unterschiede sofort ins Auge: Im A4-Format und zweispaltig wird nunmehr von 45 statt bisher 32 Beiträgern die (laut Vorwort) doppelte Textmenge dargeboten; der Abbildungsteil wurde in den Text integriert und ganz erheblich erweitert, sodass das Werk nun gut 200 Münzabbildungen und fast 150 Kunstwerke und Pläne, leider oft in schlechter Druckqualität, wiedergibt.

Neue Lemmata wurden aufgenommen, andere aus größeren Artikeln ausgekoppelt. Enthielt das "Kleine Lexikon" noch 141 Lemmata, darunter einen Verweis, so finden sich nun 497 Einträge, wovon 71 Verweise sind. Das stellt zwar eine Annäherung an einen klassischen Lexikonaufbau dar, jedoch wird das Werk immer noch durch die Kernartikel bestimmt. Der Abkürzungsstil wurde zugunsten einer besseren Lesbarkeit aufgegeben. Dem gleichen Zweck dient die stärkere Gliederung der Artikel in Absätze. Dass es sich hierbei nicht um eine reine Formalie handelt, fällt insbesondere bei den Artikeln Boiotien und Mesopotamien und Babylonien auf. Im Gegensatz zu den Vorgängerwerken wurde angestrebt, die griechischen Namensformen zu verwenden, sodass sich nun der Artikel zu Alexander dem Großen als Alexandros hinter Alexandreia findet. Auch werden die Diphthonge ai und oi nicht mehr als ä und ö gegeben. Unbegründete Ausnahmen von der Regel graeca graece stellen die durchgehend verwendeten Formen Actium, Epirus (auch als Lemma), Neapel und Tarent dar. Umlaute werden bei der Sortierung weiterhin unüblicherweise als ae, oe, ue behandelt. Wie es für ein Werk, das einige Jahre und Moden überstehen wird, selbstverständlich sein sollte, wird die so genannte "alte Rechtschreibung" verwendet.

Was ist nun inhaltlich geschehen? Insgesamt wurden die Artikel und die Literaturangaben aktualisiert. Einige Artikel wurden erheblich erweitert, beispielsweise Antigoniden(reich), Ptolemaier(reich), Rhodos und Zeitrechnung. Es sind Landschaftsartikel hinzugekommen (Aiolis, Akarnanien, Nubien, Troas). In Einzelartikel aufgelöst und erweitert wurden die bisherigen Lemmata Drama, Inseln (ägäische), Naturwissenschaften, Militärwesen, Religion und Vertrag. Aus den Geschichtsschreibung-, Literatur- und Philosophie-Artikeln sind die zuvor integrierten Persönlichkeiten herausgelöst worden, wodurch große biografische Einträge etwa zu Aristoteles, Aristoxenos, Chrysippos, Demetrios aus Phaleron, Epikur, Eratosthenes, Eudemos, Euphorion, Nikandros und Parthenios entstanden sind. Einige Lemmata wurden völlig neugeschrieben (Eidyllion, Polybios); alle, die Kunst und Architektur betreffen, hat M. Pfrommer in detaillierter Weise neu abgefasst (Architektur, -beschreibungen, Kunst, Kunsthandwerk, Malerei, Ornamentik, Plastik, Porträt). Als wichtige neu hinzugekommene Artikel seien genannt Alter, Banken, Barbaren und Hellenen, Delphoi, Elephant, Ernährung, Euergetes, Fest, Friede (dieses Stichwort war vorher nicht einmal im Register enthalten), Frau (für einen Lexikonartikel überreich mit Fußnoten versehen), Frauenmedizin, Gymnasion, Handel, Inschriften, Kleidung, Königin (ein Lemma König existiert nicht), Samothrake, Schiedsgerichtsbarkeit, Sklave/Sklaverei, Staatsphilosophie, Symmachie, Tempelfürstentümer (vorher nicht im Register), Träume, Verwandtschaft, Völkerrecht. Nicht völlig nachvollziehbar ist, wenn etwa Grenfellsches Lied und Gyges-Drama als eigenständige Artikel auftauchen - auf ersteres wird sogar unter "Mädchens Klage, Des" verwiesen. Auch das beibehaltene Lemma Achaia scheint mir nicht sonderlich hilfreich zu sein. Jedenfalls wurde das zuvor merkwürdig angegebene geografische Verhältnis Achaias zu Elis korrigiert.

Der diskursive Charakter des Lexikons sowie die ständig notwendigen Ergänzungen und Revisionen unseres Wissensbestandes zur hellenistischen Zeit und Kultur prädestinieren dieses Projekt dazu, stets im Fluss zu sein. So, wie ich in den letzten Jahren das "Kleine Lexikon" oft, gern und nutzbringend verwendet habe, wird auch das neue "Lexikon des Hellenismus" stets zur Grundausstattung des Schreibtischs gehören. Den Herausgebern und den BeiträgerInnen ist für diese neuerliche Mühe uneingeschränkter Dank zu zollen. Vieles, was in den bisherigen Auflagen nur angedeutet oder am Rande erwähnt worden war, ist nun ausgeführt, einiges ist besser geordnet; an Neuerungen wird sich die konservative Lexikonbenutzerin gewöhnen, solange das distinktive Grundkonzept dieses Werkes gewahrt bleibt.

Der Wert eines Lexikons erschließt sich in der längerfristigen Benutzung; für eine rasche Einschätzung ist man auf subjektive Stichproben angewiesen, die man freilich nur in denjenigen Bereichen mit Nutzen anstellen kann, in denen man halbwegs heimisch ist. Anschließend nun einige positive und negative Auffälligkeiten aus meiner Lektüre: Die Informationen aus den Einzelartikeln zu Aratos aus Sikyon und Philopoimen wären im größeren Lemma Achaier(bund) besser aufgehoben gewesen, dem sie wenig hinzufügen. Der Artikel Mysien behandelt fast ausschließlich die Stadt Kyzikos - hier wäre ein eigenes Lemma sicher benutzerfreundlicher gewesen. Zudem fehlt ein Hinweis auf J. Thorntons wichtige Abhandlung zum späthellenistischen Kyzikos.1 Sehr nützlich erscheint mir, dass die bisher in Brief, Ptolemäer und Recht verstreuten Informationen über Zenon, Apollonios, Dioiketes und Dorea jetzt als jeweils eigenständige Lemmata deutlich besser handhabbar sind. Sucht man Informationen zum Keltenreich von Tylis und König Kauaros, finden sich einander überschneidende Informationen in Kelten und in Thrakien. Vielleicht wäre hier ein Lemma Tylis angebracht. Kaum etwas Hilfreiches findet sich zum Phänomen des Königslandes: Die Registereinträge Königsland und basiliké gê verweisen auf wenig weiter führende Erwähnungen in den Artikeln Ptolemaier und Recht. Überhaupt bietet das Lexikon recht wenig zu Fragen der Wirtschaft. Ein Lemma fehlt; die einschlägigen Informationen stehen vor allem in Handel und Stadt, Polis.

Die Ereignisse um Mithradates VI. und Phrygien erscheinen sowohl in Sp. 811 als auch in Sp. 847 wirr und kaum nachvollziehbar. In Stadt, Polis findet sich ein neuer Abschnitt über Stadtplanung, der sinnvollerweise aus dem ehemaligen Lemma Architektur ausgegliedert wurde, sowie eine sehr nützliche Liste städtischer Funktionsträger. Nicht überarbeitet und leider weiterhin zu knapp fallen die nunmehr eigenständigen Artikel Magna Graecia und Poseidonios aus. Sämtliche Münzabbildungen wie auch die numismatischen Artikel vermitteln den Eindruck, hellenistische Münzen seien vor allem Silbermünzen gewesen. Die gerade für die Städte so wichtige Bronzeprägung, über deren Organisation und Bedeutung wir sogar einiges wissen, wird völlig außer Acht gelassen, was m.E. eine erhebliche Desinformation darstellt.2

In den Literaturangaben habe ich einige wichtige Titel vermisst: So fehlt bei der Erwähnung des makedonischen Militärreglements aus Amphipolis sowohl in Antigoniden(reich) als auch in Heer ein Hinweis auf die Monografie von M. B. Hatzopoulos, L'organisation de l'armée macédonienne sous les Antigonides, Athen 2001; in Hermias fehlt P. Green, Hermias of Atarneus and his friendship with Aristotle, in: Heckel, Waldemar; Tritle, Lawrence A. (Hgg.), Crossroads of History. The Age of Alexander, Claremont 2003, S. 29-46; Meißner, B., Was es bei den Griechen hieß, Freund eines Königs zu sein, Archiv für Kulturgeschichte 82 (2000), S. 1-36; in Inschriften vermisse ich McLean, B.H., An Introduction to Greek Epigraphy of the Hellenistic and Roman Period, Ann Arbor 2002; schließlich sollte in Kallimachos die neue griechisch-deutsche Ausgabe von M. Asper (Darmstadt 2004) erwähnt werden. Der Artikel Ernährung schließlich, der statt Informationen antike und moderne Klischees wiedergibt, verzichtet auf die Anführung des klassischen Werks von Hehn, V., Kulturpflanzen und Hausthiere in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien, zu benutzen in der 7. Auflage Berlin 1902. Ansonsten wurde großer Wert auf die Aktualität der Literaturangaben gelegt; Nachträge führen einige 2005 erschienene Titel an.

Neben den leider nicht fehlenden Druckfehlern haben sich drei fatale Fehler gefunden, die nur mangelhaftem Lektorat zugeschrieben werden können: In den Anmerkungen zum Lemma Heer ist zwischen Nr. 26 und 27 (Sp. 398f., 403) einige Wirrnis durch die Auskopplung des Abschnitts über die Flotte entstanden. Anmerkungsnummern sind doppelt vergeben sowie in falscher Reihenfolge angeführt (die im Text fehlende zweite Note 25 gehört in Sp. 399 hinter den vierten Absatz); ähnlich in Herrschaftszeichen: Die Anmerkungen brechen mitten in Nr. 36 ab, der Rest bis Nr. 48 fehlt. Schließlich ist in Abb. 307 (zu Rhodos) ein neuer, nicht mit Zahlen ausgestatteter Plan (ohne Nordpfeil und ohne Maßstab) mit der numerierten Legende aus dem "Kleinen Lexikon" versehen worden.

Die kritischen Anmerkungen sollen jedoch in keinem Fall eine kritische Gesamtwürdigung implizieren. Der Wermutstropfen bleibt immer noch die heikle Frage: Wohin nun mit dem "Kleinen Lexikon", dem langjährigen Begleiter?

Anmerkungen:
1 Thorntons, J., Una città e due regine. Eleutheria e lotta politica a Cizico fra gli Attalidi e i Giulio Claudi, in: Mediterraneo Antico 2 (1999), S. 497-538.
2 Zu den Münzabbildungen: Abb. 54 wiederholt Abb. 53; der Verweis in Sp. 57 ist falsch; die Rückseiten von Abb. 148 und 192 sind um 90° nach rechts zu drehen; die Unterschrift von Abb. 292 suggeriert, es sei Ptolemaios II. statt Ptolemaios I. dargestellt.

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