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Titel
Geschlecht und Ökonomie. Beiträge der 10. Arbeitstagung der Kommission für Frauen- und Geschlechterforschung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Göttingen 2004


Herausgeber
Fenske, Michaela; Eggeling, Tatjana
Reihe
Beiträge zur Volkskunde in Niedersachsen 20
Erschienen
Göttingen 2005: Verlag Volker Schmerse
Anzahl Seiten
193 S.
Preis
€ 17,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine Schönebeck, Bottrop

Phänomene der Ökonomie genderspezifisch zu sehen und zu begreifen, das war Gegenstand der 10. Tagung der Kommission für Frauen- und Geschlechterforschung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, die am 26./27. November 2004 im Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Universität Göttingen stattfand. Der von Michaela Fenske und Tatjana Eggeling vorgelegte und eingeleitete Tagungsband bietet eine erweiterte Fassung des Tagungsprogramms.

Die einzelnen Beiträge berichten zumeist über laufende Forschungsarbeiten von Volkskundlerinnen/Europäischen Ethnologinnen. Methodisch wird mit qualitativer Befragung, Diskursanalyse, Medienanalyse und mit archivalischen Quellen gearbeitet. Im Blick stehen Frauen und Männer in spezifischen Lebenssituationen, als Migranten/innen, Au-Pairs, Sexarbeiter/innen, als Jugendliche auf der Suche nach Identität und als Angehörige versorgungsbedürftiger Verwandter, Kinder, Daheimgebliebener oder als selbst Versorgungsbedürftiger. Genderspezifische Bewältigungsstrategien ökonomischer bzw. sozialer Lagen werden verglichen, ebenso aber auch historisch gewachsene, klassenspezifische oder frömmigkeitsbedingte Handlungsweisen aus der Geschlechterperspektive analysiert.

Das Handlungsfeld „Ökonomie“ wird vielfältig erschlossen. Gefragt wird nach Geld in Frauenhänden, nach dem Geldverdienen mit traditionell frauenspezifischen Tätigkeiten um Haushalt, Kindererziehung, nach sexualisiertem Körpereinsatz oder nach der Aneignung moderner arbeitsweltlicher Lebensentwürfe. Erforscht werden Identitätsbildungsprozesse, die Herstellung und der Gebrauch von Geschlechtsbildern, geschlechtsspezifische Zuweisungen und Bewertungen von ökonomischem Handeln sowie die Praktiken des Wirtschaftens selbst.

Frauen sollten – so Elisabeth Timm – nicht „als empirische Konkretion der Kategorie Geschlecht“ betrachtet werden, da dies den Blick auf die „Relevanz“ dieser Kategorie verstelle (S. 41). Sie beschreibt den Fall einer 1899 geborenen oberschwäbischen Unternehmerin anhand von Archivmaterial. „So kann man ja nur mit einer Frau umgehen!“, lautete der Kommentar dieser Frau im Schriftverkehr anlässlich einer Niederlage auf dem Weg in den wirtschaftlichen Abstieg (S. 36). Gleichwohl war es aber die klassenspezifische unternehmerische Orientierung ihrer Herkunftsfamilie, durch die sie im wirtschaftlichen Abstieg die Ressourcen zu erhalten suchte, die ihr dann den Wiederaufstieg ermöglichten.

Mit dem Ziel, medienpädagogische Konzepte für junge Mädchen zu entwickeln, befasst sich ein Forschungsprojekt der Kunstuniversität Linz mit der sozialen Reproduktion von Geschlechterverhältnissen. An Erving Goffmans Bildanalysen orientiert demonstriert Barbara U. Schmidt den ersten Schritt: die Ermittlung von Geschlechtszuweisungen und von Potenzialen für Verschiebungen dieser Zuordnungen in der Handywerbung. „Normierungen“ ergeben sich stärker im Bild des professionellen Handygebrauchs, „Aufbruch“ erschien eher im Bild der Handynutzung im Freizeitbereich (S. 66). Werbung biete „Versatzstücke zur Produktion von Identitäten“ (S. 51f.), schreibt Schmidt. Wie junge Mädchen die Werbebotschaften lesen, wird ein zweiter, rezeptionsorientierter empirischer Untersuchungsschritt ergründen.

Gisela Unterweger widmet sich der geschlechtsspezifischen alltäglichen Geldpraxis. Basierend auf theoretischen Erörterungen zeigt sie die Verweigerung einer gewinnrationalen Ökonomie: die „Distanzierung von Frauen gegenüber Geld könnte man auch als eine Art Eigensinn interpretieren“ und weibliche „Geld-Strategien“ könnten „als Modell für beide Geschlechter“ dienen, schlussfolgert die Autorin (S. 88f.). Ihr Fallbeispiel einer Migrantin türkischer Herkunft in der Schweiz verweist auf die Vielfalt zu berücksichtigender Faktoren im Geldgebrauch. Die Muslima macht erfolgreich Geschäfte und Karriere, Geld steht in ihrem Lebensmittelpunkt; sie träumt unbefangen von einem guten Leben und zwar jenseits der Aufwertung von Arbeit gemäß der protestantischen Ethik Max Webers, die mehr oder weniger doch gesellschaftlicher Konsens im Geldhandeln des Ziellandes ist.

Die Beiträge von Raphaela Hettlage und Christiane Hellermann gelten ebenfalls dem ökonomischen Handeln von Migrantinnen. Diese eint das Streben nach Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung in der Fremde, welches sie in Einklang bringen müssen mit genderspezifischen sozialen Verpflichtungen. Die wirtschaftliche Selbstständigkeit probieren die von Hettlage in der Schweiz interviewten Frauen trotz schlechter Rahmenbedingungen aufgrund der dadurch erhofften besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die in unterbezahlten Arbeitsverhältnissen und unter ihrer Qualifikation in Portugal in den 1990er-Jahren arbeitenden alleinstehenden Frauen aus Osteuropa ließen sich von Christiane Hellermann einordnen in eine „weiche Typologisierung“ (S. 119) der Abhängigkeit von den Bedürfnissen der Familien zu Hause, je nach dem, inwieweit sie für die Ernährung von Verwandten verantwortlich waren.

Die Nutzung eines von der EU geförderten Programms für Existenzgründerinnen in Andalusien steht im Mittelpunkt des Beitrags von Ann-Katrin Zöckler. Während Selbstständigkeit für ältere Frauen die einzige Chance der Erwerbstätigkeit ist, bevorzugen jüngere Frauen sie als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Die Interviews verweisen auf „Ambivalenzen zwischen Autonomie und Selbstausbeutung“ (S. 133), ihre Analyse geht „von Akteurinnen aus, die sich den strukturellen Bedingungen – auf dem Arbeitsmarkt, aber auch in der Familie – flexibel anpassen und so zu deren Veränderung beitragen“ (S. 136). Auffallend sind die hohen Investitionen in die Berufstätigkeit, die Weiterbildung und der kreative Entwurf des propagierten Lebensstils, dem eine soziale Anerkennung dann aber verweigert werde. Der programmatische Entwurf der Existenzgründerin erlaube es nicht, Misserfolge als geschlechtsspezifische Diskriminierung zu entschlüsseln, so Zöckler.

Agnieszka Zimowska demonstriert am Beispiel von Sexarbeiterinnen aus Osteuropa „die Notwendigkeit der Anerkennung der Frauen als stets agierende, aushandelnde Subjekte“ (S. 164). Unter Rückgriff auf Bourdieu geht es ihr um die Entdeckung einer Verfügungsmacht von Frauen über kulturelle, ökonomische und soziale Ressourcen, wobei sie die Kategorie des sozialen Kapitals um eine Kategorie „Gender“ erweitert wissen will. Ohne die „alltägliche Degradierung“ (S. 167) zu verharmlosen und ohne das erwartete Geschlechtsbild anspruchsloser, gefügiger, natürlicher Weiblichkeit oder das strukturelle Machtgefälle zu übersehen, plädiert Zimowska dafür, den Opferstatus der Migrantinnen nicht weiter festzuschreiben, wie dies durch die Verwendung des Begriffs „Frauenhandel“ geschehe (S. 159ff.). Die Frauen haben sich vielfach unter Einkalkulierung von Sexarbeit zur Migration entschlossen. Zwang und Freiwilligkeit im Feld der Lohnarbeit zu bestimmen, sei ohnehin schwierig. Praxen der Unterwerfung lassen sich mit Hilfe des foucaultschen Subjektbegriffs und seinem positiven Machtansatz mit dem Freiheitsbegriff vereinbaren („Freiheit ist demnach nicht Freiheit von etwas sondern die Freiheit zu etwas“ S. 164). Zimowska fordert empirische Studien, die einerseits die Bedingungen für die Sexökonomie als Teil des Dienstleistungssektors der Zielländer klären und die sich andererseits den Identitätskonstruktionen und dem strategischen Vorgehen der daran teilhabenden Frauen widmen.

Von einer zweijährigen Forschungsarbeit über slowakische Au-Pair-Mädchen in Deutschland berichtet Sabine Hess. Die deutschen Gastmütter setzten sie ein, um Berufstätigkeit und Muttersein vereinbaren zu können. Kulturelle Orientierungen, zu denen auch eine „private Kindheit“ gehört, sollen die Haus- und Sorgearbeit in der Familie weiter bestimmen (S. 177). Au-Pairs suchen nach besseren Lebenschancen als in ihrem Herkunftsland, sie wollen sich zunächst als Mitglied der Familie integrieren und helfen und funktionieren so gemäß den Anforderungen einer moralischen Haushaltsökonomie. Reproduziert die Gastmutter die selbst erlebte Abwertung der Hausarbeit gegenüber der Gasttochter und übt sie Kontrollmacht aus, insbesondere über ihr Essverhalten, ihre Sozialkontakte, über Sexualität und Hygiene, die sie eventuell als Verantwortung deklariert (bis hin zur Mobilisierung von Bevormundungsmotiven der Dienstbotenverhältnisse des 19. Jahrhunderts), kann es zum turning point kommen. Die Arbeit wird unter Lohnarbeitsaspekten gesehen und als Ausbeutung empfunden, es kommt zu Lohnverhandlungen mit den Familien, auch der Abbruch wird erwogen. 90 Prozent der Au-Pairs kommen seit dem Mauerfall aus Osteuropa. Im Rahmen der Europäischen Ethnologie/Volkskunde ist gerade dieses Thema einer ethnischen Verschiebung der Versorgungsarbeiten von Frauen weiter zu verfolgen.

Angesichts der vielen und vielfältigen Anregungen der einzelnen Beiträge kann das Fazit der Lektüre nur lauten: Das Forschungsfeld um die Kategorie „Geschlecht“ erweitert sich im Zuge der europäischen Globalisierungstendenzen um mehr als nur um einzelne Aspekte und regt zu weiterer volkskundlicher Begleitforschung an. Die nächste Tagung der Kommission für Frauen- und Geschlechterforschung der DGV findet übrigens vom 22. bis 24. Februar 2007 in Wien zum Thema „Wissen und Geschlecht“ statt.

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