P. Rüden u.a. (Hgg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks

Cover
Titel
Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks.


Herausgeber
Rüden, Peter v.; Wagner, Hans U.
Erschienen
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rolf Steininger, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck

Bedeutung und Einfluss von Hörfunk und Fernsehen in unserer Gesellschaft nehmen ohne Zweifel ständig zu. Was das Bundesverfassungsgericht im „Fernsehurteil“ vom 28. Februar 1961 betont hat, dass nämlich der Rundfunk „ein eminenter ‚Faktor’ der öffentlichen Meinungsbildung“ sei, gilt nach über als 45 Jahren mehr denn je. Von daher verwundert es nicht, dass Medienpolitik in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten nicht nur bei den politischen Parteien geradezu zu einem sujet célèbre geworden ist.

An der Entwicklung des Forschungsbereiches „Medienpolitik“ ist eine Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen in Forschung und Lehre beteiligt. Schon ein flüchtiger Blick auf die vorhandene Literatur zeigt, wie sehr in einzelnen Untersuchungsbereichen – etwa der Wirkungsforschung von Massenmedien, der Inhaltsanalyse, der Publikumsforschung etc. – empirisch arbeitende Disziplinen wie Soziologie, Psychologie, Publizistik und politische Wissenschaft dominieren. Deutlich wird aber auch immer wieder, dass sich ohne das von der Geschichtswissenschaft aufbereitete Material alle Fragen der Medienforschung und Medientheorie im luftleeren Raum bewegen müssen. Der 1969 gegründete „Studienkreis Rundfunk und Geschichte“ ist inzwischen zu einer zentralen Anlaufstelle für alle Arten von Mediengeschichte geworden, die „Historische Kommission der ARD“ hat in den letzten Jahren ein Übriges getan. Im Jahre 2000 wurde darüber hinaus die „Forschungsstelle zur Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland“ eingerichtet, ein Kooperationsprojekt des NDR und des WDR, der Universität Hamburg und des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung. Das Ziel dieser Forschungsstelle war und ist es, die Rundfunkentwicklung in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges systematisch aufzuarbeiten.

Der vorliegende Band ist das erste Ergebnis der an der Forschungsstelle betriebenen Arbeit. Er widmet sich in sechzehn Beiträgen ausgewählten Aspekten des organisations- und institutionsgeschichtlichen Aufbaus des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR). In fünf großen Abschnitten geht es um die Besatzungszeit, die Übernahme durch deutsche Stellen, um den Aufbau und die Arbeit der verschiedenen Funkhäuser und Studios, um die politischen Spannungsfelder und letztlich um die Auflösung des NWDR 1955. Ganz so wenig, wie den Lesern/innen eingangs suggeriert werden soll, ist bis dahin allerdings zum vorliegenden Thema auch wieder nicht gearbeitet worden. Es gibt eine ganze Reihe von Arbeiten, die allerdings in verschiedenen Aspekten ergänzt werden.

In einem umfangreichen Beitrag fasst der Mitherausgeber Hans-Ulrich Wagner die Geschichte des NWDR unter der Kontrolle der britischen Besatzungsmacht von 1945 bis 1948 zusammen. Ziel der drei westlichen Alliierten war es, demokratische, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten auf föderalistischer Grundlage mit pluralistisch zusammengesetzten Aufsichtsgremien zu errichten. Ziel der Briten war es, so der stellvertretende britische Militärgouverneur 1947, „ein unabhängiges Rundfunkwesen zu schaffen, in dem frei gesinnte Menschen ihre Ansichten zu den brennenden Tagesfragen zum Ausdruck bringen können, und das als wirksames Hilfsmittel eingesetzt werden kann, um bei der Bevölkerung Verständnis für den Wert der Kritik der freien Rede und des Aufeinanderprallens dieser verschiedenen Meinungen in einer demokratischen Gesellschaft hervorzurufen“.1 Der neue Rundfunk sollte von jeglichem Einfluss der Regierungsstellen oder politischen Parteien unabhängig sein. In diesem Sinne wurde in der britischen Besatzungszone mit der Verordnung Nr. 118 vom 6. August 1948 nach dem Vorbild der BBC für die vier Länder Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen eine Rundfunkanstalt mit Sitz in Hamburg gegründet: der NWDR. Amerikaner und Franzosen errichteten in ihren Zonen entsprechende Rundfunkanstalten des öffentlichen Rechts.

Rundfunkpolitisch war damit die Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer vollkommen neutralisiert und ein Zustand geschaffen worden, den der Kanzler für unerträglich hielt. Seiner Meinung nach musste der Rundfunk „politisches Führungsmittel der jeweiligen Bundesregierung“ sein.2 Die von den Alliierten geschaffene Situation zementiere dagegen einen Zustand, für den er in erster Linie die „unheilvolle Freundschaft zwischen Labourpartei und SPD“ verantwortlich machte. Sein besonderer Zorn richtete sich gegen den NWDR, der mit Abstand größten westdeutschen Rundfunkanstalt, die mit fünf Millionen angemeldeten Hörern 1950 fast die Hälfte aller westdeutschen Rundfunkteilnehmer versorgte. Für ihn war der „rote“ NWDR ein Dorn im Auge, eine „SPD-Gegenregierung im Äther“. Aus seiner Sicht musste der Rundfunk neu geordnet werden, und das war zunächst gleichbedeutend mit der Zerschlagung des NWDR. Im September 1952 erteilte Adenauer in einer Kabinettssitzung Innenminister Robert Lehr offiziell den Auftrag, „rechtzeitig vor den Wahlen die Neuordnung des deutschen Rundfunkwesens herbeizuführen“.3 Damals konnte der Angriff gegen die bestehende Rundfunkordnung durch eine Koalition der Länder abgewehrt werden. Sie waren nicht bereit, Kompetenzen im Rundfunkbereich abzugeben.

Das hieß aber nicht, dass die bestehende Rundfunklandschaft auf Dauer unberührt bleiben würde. Zu Hilfe kam der Bundesregierung, dass sich das Land Nordrhein-Westfalen bei der Vier-Länder-Anstalt NWDR ständig benachteiligt fühlte: Düsseldorfs Forderung lautete von Anfang an, „weg vom nordwestdeutschen Einheitsprogramm“(S. 236). Erstmals zeigen hier die Autoren/innen, wie der NWDR in Hamburg versuchte, dieser Entwicklung durch Dezentralisierung und Regionalisierung gegenzusteuern. Um den Ländern und Regionen Genüge zu tun, wurden die entsprechenden Funkhäuser ausgebaut, einzelne Studios gegründet. Wir erfahren etwas über die Arbeit der Funkhäuser in Köln und Hannover, über das Studio Flensburg im deutsch-dänischen Grenzgebiet, das Studio Oldenburg und die Studios im rheinisch-westfälischen Sendegebiet.

Besonders interessant ist das Kapitel, das sich mit den „politischen Spannungsfeldern“ beschäftigt. Geschildert werden unter anderem die Arbeit des NWDR-Studios Bonn und die direkte und indirekte Einflussnahme der Parteien- und Staatsvertretungen bei Programm- und Personalentscheidungen. Daran hat sich bis heute nicht sehr viel geändert. Dabei ging man nicht immer zimperlich zu Werk. Als sich der linken Neigungen unverdächtige Peter von Zahn 1951 mit einem Kommentar zum Mitbestimmungsgesetz bei Regierung und Arbeitgebern unbeliebt machte, sah sich Innenminister Robert Lehr (CDU) veranlasst, derartigen Kommentaren „Einhalt zu gebieten“ und deutete an, dass er von Zahn im Auftrag der DDR-Regierung und der Moskauer „Bolschewisten“ handeln sah (S. 332); der wurde schließlich als Korrespondent nach Washington abgeschoben (S. 378). Allerdings vertrat die SPD ebenfalls die Auffassung, dass Rundfunkredakteure nicht kommentieren dürften (S. 330). Auch Kabarettisten hatten (und haben) es schwer. Als Werner Finck seinen „Rundfinck-Kommentar“ in der Silvesternacht 1951 mit dem Satz beendete: „Hut ab vor diesem Bundeskanzler, Helm auf!“, bedeutete dies das Ende seiner Zusammenarbeit mit dem NWDR (S. 146, 379).

In mehreren Beiträgen des Sammelbandes wird deutlich, wie von Anfang an einflussreiche Politiker in Nordrhein-Westfalen die Trennung des Kölner Funkhauses vom NWDR betrieben. Da konnte von der NWDR-Zentrale in Hamburg noch so viel Regionalisierung betrieben werden: letztlich hatte der NWDR keine Chance, als Vier-Länder-Anstalt weiter zu bestehen. Dabei ist wichtig darauf hinzuweisen, dass in Düsseldorf nicht etwa nur Ministerpräsident Karl Arnold mit seiner CDU einen eigenen Sender für NRW haben wollte, auch die SPD wollte ihn. Sie stimmte dem Gesetz über die Gründung des Westdeutschen Rundfunks (WDR) im Mai 1954 ausdrücklich zu. Manche sagen sogar, dass der eigentliche Spiritus rector Heinz Kühn gewesen sei, der spätere SPD-Ministerpräsident des Landes. Von daher war „die Trennung des NWDR weniger eine parteipolitische als vielmehr eine länderpolitische Entwicklung“ (S. 432) – oder vielleicht doch beides.

Das neue Gesetz überließ die Zusammensetzung der WDR-Gremien dem Landtag, der wiederum seine parteipolitisch ausgewählten Vertreter entsandte. Damit einhergehend, so Mark Lührs in seinem Beitrag über die Auflösung des NWDR, „schritt die Politisierung des Rundfunks in Nord- und Westdeutschland weiter fort“. (S. 432) Die „übrig gebliebenen“ drei Länder einigten sich schließlich in einem Staatsvertrag auf die Gründung des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Man hatte ein Interesse daran, zu retten, was noch zu retten war. Am 16. Juni 1955 trat mit der Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde in Hamburg der Staatsvertrag über den NDR in Kraft, am 1. Januar 1956 sendeten erstmals zwei neue Rundfunkanstalten: der WDR in Köln und der NDR in Hamburg. In Köln hieß es damals erleichtert: „Dat 'N' es fott.“ (S. 240)

Insgesamt liegt hier ein interessanter und gut lesbarer Sammelband vor, der mit Personen- und Sachregister noch besser nutzbar geworden wäre. Er vermittelt Einblicke in eine Zeit, in der der Rundfunk von der Politik primär als politisches Instrument gesehen wurde. Dies hat sich in der Folgezeit nicht unbedingt geändert. Gespannt sein darf man auf den zweiten Band, der sich den Programmangeboten und der Mediennutzung widmen wird. Er soll auch die Anfänge des Fernsehens in Hamburg, Berlin und Köln nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges behandeln, ein Bereich, in dem Adenauer ebenfalls aktiv wurde und durch das schon erwähnte Fernsehurteil gestoppt wurde.

1 Zit. bei: Steininger, Rolf , Rundfunkpolitik im ersten Kabinett Adenauer, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 21 (1973), S. 390.
2 Ebd., S. 391.
3 Ebd.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension