J. Assmann: Monotheismus und die Sprache der Gewalt

: Monotheismus und die Sprache der Gewalt. . Wien 2006 : Picus Verlag, ISBN 3-85452-516-8 64 S. € 7,90

Assmann, Jan; Müller, Klaus E. (Hrsg.): Der Ursprung der Geschichte. Archaische Kulturen, das Alte Ägypten und das Frühe Griechenland. Stuttgart 2005 : Klett-Cotta, ISBN 3-608-94128-2 352 S. € 25,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhard Mehring, Institut für Philosophie, Humboldt-Universität zu Berlin

Jan Assmann entfaltete in den letzten Jahren eine immense Produktivität und Publizität. Er arbeitete auch an mehreren Baustellen gleichzeitig. So ergänzte er seine „Sinngeschichte“ des Alten Ägypten um eingehende Untersuchungen zum Jenseitsglauben und Mysterienkult.1 Er beschrieb die Wirkungsgeschichte der ägyptischen Mysterien seit der Renaissance bis in die europäische Aufklärung und Romantik und sezierte jüngst Mozarts „Zauberflöte“2 in diesem Kontext. Eine dritte Baustelle ist die politisch-theologische Weichenstellung zwischen Ägypten und Israel, die Assmann in eindringlichen Studien profilierte.3 Kamen mit der „mosaischen Unterscheidung“, dem Wahrheitsanspruch einer „absoluten“ Religion, auch der religiöse Fanatismus und ein neues Maß an Intoleranz und Gewalt in die Weltgeschichte? Assmann entzündete eine große Debatte um den „Preis“ des Monotheismus, die politischen Kosten der religiösen Rationalisierung, was ihn auch zu einer metakritischen Klarstellung 4 führte. Sein Bekenntnis zur „mosaischen Unterscheidung“ und abendländischen Genealogie der Moral wurde dabei nicht überall als klärendes Schlusswort akzeptiert. So kanzelte Friedrich Wilhelm Graf 5 es polemisch als postmodernen Polytheismus ab und verwies in seiner knappen Gegendarstellung darauf, dass die komplexe Auslegungsgeschichte des Dekalogs nicht über einen moralkritischen Kamm zu scheren sei. Hat Assmann seinen Standort jenseits der alten Religionen heute eindeutig bezogen? Die Metakritik von 2003 war jedenfalls nicht sein Schlusswort. Es ist interessant zu verfolgen, wie es auf dieser Baustelle weitergeht. Assmann diskutiert den revolutionären Bruch der okzidentalen Weichenstellung jetzt in zwei neuen Publikationen.

Ein Wiener Festvortrag, von Hubert Christian Ehalt aktualisierend eingeleitet, gibt ihm Gelegenheit klarzustellen, dass er den Monotheismus nicht realhistorisch für ein neues Niveau der Gewalt verantwortlich macht, sondern nur die „Sprache der Gewalt“ kulturwissenschaftlich analysiert, die sprachliche Inszenierung, durch die sich der Monotheismus als revolutionärer Bruch darstellte und auffasste (S. 22). Assmann verdeutlicht auch, dass er nicht den „inklusiven Monotheismus“ meint, der alle historischen Götter in sein Pantheon aufnimmt, sondern nur den „exklusiven Monotheismus“ seit dem Judentum. Er belegt die revolutionäre Sprache der Gewalt eingehend am Alten Testament und beruft sich auf neuere Forschung Othmar Keels (S. 30ff.) für die Einsicht, dass die neue Sprache der Gewalt eine direkte „Umbuchung“ und „Transposition des assyrischen Despotismus“ (S. 31) in die religiöse Semantik war. Assmann betont auch, dass die revolutionäre Botschaft sich vor allem „nach innen“ (S. 40) richtete und den inneren Feind meinte. Sie mobilisierte ein „Pathos der Konversion“ (S. 52f.), ein „neues Lebensgefühl“ (S. 54) der „Subjektivität“ (S. 55). Der knappe Festvortrag ist gewiss nicht das letzte Wort im Streit. Er weicht der polemischen Kontroverse in zwei Richtungen etwas aus: durch die Wendung zur Sprachkritik einerseits und den Akzent auf die religiöse Konstruktion und „Erfindung“ von „Subjektivität“ andererseits.

Es wäre sehr ungerecht und unzulässig, den koautorschaftlich herausgegebenen Sammelband über den „Ursprung der Geschichte“ umstandslos Assmanns Markierung eines welthistorischen Bruchs zuzuschlagen. Enger beschreibt er das „kulturelle Gedächtnis“. Und doch klingt auch das Thema vom revolutionären Bruch als Ursprungsfrage an. Ein universalgeschichtlicher Anfang ist freilich so paradox wie ein Anfang der Kultur oder Humanität. Er ist logisch widersinnig und nicht realhistorisch zu beantworten. Er ist ein normatives Postulat, eine Ex-post-Zuschreibung oder „kulturelle Konstruktion“ (S. 9) und „Erfindung“. Deshalb handelt der Band auch nicht von einem historischen „Anfang“, sondern vom „Ursprung der Geschichte“. Titel sind oft rhetorisch zugespitzt. Sachlich geht es um die Formierung historischer Erinnerungskulturen in alten Gesellschaften. Assmann übersetzt die gängige Unterscheidung eines „zyklischen“ und „linearen“ Zeitsinns dafür eingangs in die Unterscheidung einer zyklischen „Erneuerungszeit“ und einer linearen „Rechenschaftszeit“ (S. 13) und deutet damit wohl auch sein Interesse an der abendländischen Genealogie der Moral an. Als spezifische Aufgabe des Sammelbandes nennt er die differenzierte Beschreibung der „je spezifischen Orte oder Institutionen des Zyklischen und des Linearen in einer Kultur und die verschiedenen Ausprägungen, Verbindungen und Dominanzverhältnisse beider Aspekte“ (S. 12).

Der Koherausgeber Klaus E. Müller kritisiert dann in seinem titelgebenden Beitrag „Der Ursprung der Geschichte“ einleitend das „eurozentrische“ Stereotyp von den „Völkern ohne Geschichte“ und analysiert das Geschichtsbewusstsein mündlicher Überlieferung. Dabei bestätigt er das „Konzept der zyklischen Wiederkehr“ (S. 37) zunächst. Traditionale Gesellschaften haben für Geschichte „keinerlei Bedarf“. Sie verewigen ihre Gegenwart durch Zyklisierung der Zeit. Müllers besonderes Interesse gilt dann der Entstehung elementarer Formen historischer Erinnerung als Reaktion auf besondere Ereignisse. Neue Rechtstitel erfordern historische Rechtfertigungen. Mit ethnischen Filiationen setzt ein geschichtlicher Entwicklungsprozess ein (S. 46). Verschiedene Formen „musealer Erinnerung“ und „Memorationstechniken“ sind in oralen Traditionen analytisch unterscheidbar (S. 52ff., 58ff.). Erinnerung ist „Beglaubigungs- oder ‚Erfüllungsgeschichte’“ (S. 69) im Dienste der Gegenwart. In traditionellen Königskulturen kommt es dabei regelmäßig zu einer legitimatorischen „Inszenierung der Geschichte“. Müller zielt also auf eine typologische Übersicht über die Entstehung elementarer Erinnerungskulturen in vorschriftlichen traditionalen Gesellschaften.

Cornelius Holtorf thematisiert dann in seinem kürzeren Beitrag „Geschichtskultur in ur- und frühgeschichtlichen Kulturen Europas“ eingangs den leitenden Geschichtsbegriff und macht dabei Jörn Rüsens Begriff der „Geschichtskultur“ für die Ur- und Frühgeschichte fruchtbar. Am Beispiel der „Neunutzung“ von Monumenten plädiert er dafür, Formen historischen Distanzbewusstseins schon sehr früh anzusetzen. Ob die Ur- und Frühzeit allerdings ein historisches Bewusstsein kultureller Differenz hatte – erst dann lässt sich wohl von „Geschichtssinn“ sprechen –, lässt Holtorf vorsichtig offen.

Der weitaus längste Beitrag, den halben Text umfassend, stammt von Assmann. Er gibt einen nuancierten „Überblick über Formen einer altägyptischen Geschichtskultur“ (S. 210) unter dem Gesichtspunkt der Dominanz ritualisierter „Erneuerungskultur“ (S. 112ff.) und „Antigeschichte“ (S. 210ff.). Altägypten kämpfte gegen Kontingenz und Vergessen um ein „In-Gang-Halten“ der Zeit. Sein Thema ist die „Gegenwartsbewältigung“ (S. 117). Es treibt deshalb hohen Aufwand bei der Annalistik dynastischer Königslisten, bei Königsinschriften und -novellen. Umbrüche, die es reichlich gab, wurden nur sehr diskret als Semantik der Leidenszeiten und Heilswenden (S. 159ff.) thematisiert. Auch die biografische Rechenschaft im „monumentalen Diskurs“ der Sepulchralkultur war zunächst als „Laufbahnbiographie“ auf die „individuelle Teilhabe am Königtum“ (S. 177) bezogen. Erst nach der fundamentalen Revolution Echnatons kam es zu einer „Entdeckung der Vergangenheit“ (S. 193) in ihrer Differenz zur Gegenwart. Sie wurde aber als „Klassik“ idealisiert und zum normativen Stilideal und „Inbegriff der Vollkommenheit“ erhoben. Damals deutete sich auch eine „Theologisierung der Vorstellung vom Königswillen“ (S. 200) an. Insgesamt vertrat Ägypten einen „kalten“ Typus konservativer Antigeschichte qua ritueller Vergegenwärtigung und „Erneuerungszeit“, meint Assmann und schließt mit der Differenz zum alten Griechenland, die letztlich vor allem durch den „Gegensatz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ (S. 214) bedingt sei.

Egon Flaig arbeitet dann in seinem knappen, pointierten Beitrag den „mythogenen Vergangenheitsbezug“ (S. 215ff.) der Griechen heraus. Die altgriechische Dichtung übernahm hier die Aufgabe einer Strukturierung der Vergangenheit. Die Geschichte erschien nun als Stoff für Dichtung. Geschichte wurde nicht ethisiert, sondern ästhetisiert (S. 221f.). Theologische Systematisierungen hatten keine Chance. „Die Göttermythen lagen in den Händen der Dichter.“ (S. 223) Soziale Beziehungen wurden über flexible mythische Muster thematisiert. Gastgeschenke waren typische „Memorialzeichen“ der Adelskultur. Flaig zeigt sehr überzeugend und witzig, wie dieser „mythogene Vergangenheitsbezug“ auch in der Formierung der Poliskultur erhalten blieb und die „mythische Vergangenheit als Argument“ (S. 233ff.) unbrauchbar war und die politischen Beziehungen belastete. Mythische Narrationen blockierten historische Erinnerungen. „Das kulturelle Gedächtnis erstickte das kommunikative.“ (S. 239) Flaig macht exemplarisch deutlich, dass die „Beziehung des kulturellen Gedächtnisses zum kommunikativen“ ein wichtiges Forschungsthema ist. Ansätze der Oral History müssen durch genaue Analysen des „kulturellen Gedächtnisses“ ergänzt werden, um die Konventionen der Erinnerung und des Vergessens genau zu beschreiben. Der kulturelle Code der mythischen Genealogie war ungeheuer flexibel und diplomatisch, eignete sich aber insbesondere in der interkulturellen Begegnung nicht zur Herstellung politischer Verbindlichkeit. Im Schatten des „mythogenen Vergangenheitsbezugs“ konnte dann eine wissenschaftliche Historiografie nur bei den Griechen entstehen, weil sie, anders als bei den Römern, geschichtspolitisch uninteressant und freigestellt war. Der Sammelband endet überzeugend mit einem knappen Ausblick (S. 247f.) auf die Möglichkeitsbedingungen erster wissenschaftlicher Historie.

Es ist ein sehr abgeklärter, reicher und klarer Band, der den ganzen Reichtum vorwissenschaftlicher Formen der Geschichtserinnerung in seiner historischen Entstehung aufs Schnürchen zieht. Er sei jedem/r Historiker/in und Geschichtsstudierenden als Antidot empfohlen, um die historisch-politische Unwahrscheinlichkeit einer nüchtern objektivierenden Geschichtswissenschaft zu schätzen. Der pragmatische Gebrauch der Geschichte ist Kulturen so selbstverständlich, dass er ihnen als intentionale und strategische „Geschichtspolitik“ kaum thematisierbar ist. Grenzenlos naiv wäre es umgekehrt, Geschichtswissenschaft mit Erinnerungskultur gleichzusetzen. Die Formen der Erinnerung sind vielfältig. Geschichtsbedarf gab es überall. Der „statische“ Eindruck von „Völkern ohne Geschichte“ ist mühsam errungen.

Lobt man derart das handwerkliche Niveau des Bandes, so fällt doch eine beredte Lücke deutlich auf: Israel fehlt! Auch Assmanns Überleitung mit Platon von den Ägyptern zu den Griechen kann das nicht vergessen machen. Assmanns Abgang mit der späten „Theologisierung“ des Königswillens und Unterscheidung von „Geschichte und Antigeschichte“ deutet ebenso auf die Lücke hin wie Flaigs scharfe Unterscheidung zwischen einer „Ethisierung“ und „Ästhetisierung“ der Geschichte. Sollte Israel die Lücke füllen? War ein Beitrag ausgefallen? Andererseits hätte Assmann sie doch relativ leicht füllen können, wenn er nur gewollt hätte. Vorarbeiten hat er reichlich parat. Wollte er den revolutionären Bruch und die historische Bedeutung Israels auch für die Formen der Geschichtserinnerung im Kontext des Streites um den „Preis“ des „exklusiven“ Monotheismus nicht noch einmal thematisieren? Auch hier scheint eine neuerliche Intervention in die Debatte umgangen. Das mag purer Zufall, nackte Kontingenz oder weise Strategie des Geschichtsbewusstseins sein. Auch diese Diskretion lässt sich im Kontext der Debatten lesen. Auch jenseits vom Streit um Assmann aber hat der Sammelband als Geschichte der Formen vorwissenschaftlichen Geschichtsbewusstseins ganz zweifellos einen hohen akademischen Wert.

Anmerkungen:
1 Assmann, Jan, Theologie und Weisheit im Alten Ägypten, München 2001; Tod und Jenseits im Alten Ägypten, München 2004; Ägyptische Geheimnisse, München 2004
2 Assmann, Jan, Die Zauberflöte. Oper und Mysterium, München 2005; dazu meine Besprechung: Reinhard Mehring: Rezension zu: Assmann, Jan: Die Zauberflöte. Oper und Mysterium. München 2005. In: H-Soz-u-Kult, 17.11.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-4-104>.
3 Assmann, Jan, Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa, München 2000
4 Assmann, Jan, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003
5 Graf, Friedrich Wilhelm, Moses Vermächtnis. Über göttliche und menschliche Gesetze, München 2006, hier: S. 48 ff.

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