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Titel
Wider den Zeitgeist?. Konflikt und Deeskalation in West-Berlin 1949 bis 1965


Autor(en)
Schwane, Daniel
Erschienen
Stuttgart 2005: Ibidem Verlag
Anzahl Seiten
263 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hermann Wentker, Institut für Zeitgeschichte, Berlin

Ein zentraler Brennpunkt des Kalten Krieges war Berlin, wo westliche Demokratie und östliche Diktatur aufeinander prallten. West-Berlin wirkte als Fackel der Freiheit und als Komsumparadies in die DDR hinein; gleichzeitig fühlte sich West-Berlin in seiner Insellage durch die Sowjetunion bedroht, die 1948 und von 1958 bis 1961 versuchte, den Status der Stadt mit politischem und wirtschaftlichem Druck zu verändern. Kein Wunder, dass dort mit Blick auf die Sowjetunion und die DDR ein „konfrontativer Zeitgeist“ vorherrschte. Gleichzeitig, so die These von Daniel Schwane, konnten dort in den 1950er und frühen 1960er Jahren intensive Bemühungen verzeichnet werden, die auf eine Begrenzung und sogar eine Beendigung des Ost-West-Konflikts abzielten. Diesen Ansätzen geht Schwane in seiner Dissertation nach und verfolgt damit das Ziel, „eine Vorgeschichte der Entspannung zu schreiben“ (S. 7). Anders als die bisherigen Arbeiten, die entweder die Gedankenbildung der Protagonisten der „Neuen Ostpolitik“ Willy Brandt und Egon Bahr oder den Wandel in der Bonner Deutschlandpolitik von Adenauer bis Brandt thematisiert haben, untersucht Schwane drei Fälle aus der Berliner Geschichte der 1950er und 1960er-Jahre, denen „die Suche nach einer Entkrampfung und Deeskalation der angespannten Situation“ gemeinsam sei (S. 7).

In einer 60-seitigen Einführung behandelt der Autor zunächst den Ost-West-Konflikt in und um Berlin, der zur Herausbildung des genannten „konfrontativen Zeitgeistes“ führte. Gleichzeitig bestanden bis zum Mauerbau 1961 noch vielfache menschliche und kulturelle Verbindungen zwischen dem West- und dem Ostteil der Stadt. Das alles ist nicht neu und hätte sehr viel knapper dargestellt werden können.

Die erste Fallstudie betrifft die Aktivitäten des Unternehmers und Journalisten Fredrik de Haas, der bereits im Ersten Weltkrieg die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Er engagierte sich vor allem für einen friedlichen und freien Handel zwischen Ost und West, um damit die Wiedervereinigung zu befördern. Dazu nutzte er das von ihm und anderen 1949 ins Leben gerufene „Berliner Wirtschaftsblatt“ sowie den „Ausschuß zur Förderung des Berliner Handels“. Das „Wirtschaftsblatt“ verlor indes relativ bald die Unterstützung westdeutscher Regierungsinstanzen. Außerdem hatte es erhebliche finanzielle Probleme, die sich das ostdeutsche Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel (MAI) zu Nutze machte. De Haas ließ sich seit 1954/55 vom MAI finanziell unterstützen und das Blatt wurde mehr und mehr zu einem Sprachrohr der DDR. Auch der „Ausschuß zur Förderung des Berliner Handels“, in dem sich de Haas seit 1954 engagierte, schrieb sich die Ausweitung des Ost-West-Handels auf die Fahnen. In seinem Vorstand saßen Vertreter von West-Berliner Firmen, von DDR-Außenhandelsunternehmen und ostdeutsche Wirtschaftsfunktionäre. Auch dieser Vereinigung war keine große Wirksamkeit beschieden: zum einen wegen der ablehnenden Haltung der West-Berliner Industrie- und Handelskammer und zum anderen, weil die östliche Seite den Ausschuss zu instrumentalisieren suchte (was freilich nie ganz gelang). De Haas jedenfalls scheiterte mit beiden Projekten: 1957 zog er sich aus dem „Wirtschaftsblatt“ zurück, 1963 stellte er seine Arbeit im „Ausschuß zur Förderung des Berliner Handels“ ein.

Das zweite Fallbeispiel handelt von zwei Journalisten, die nach dem Mauerbau in der geteilten Stadt aktiv wurden. Hansjakob Stehle, Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, spielte bei den Sondierungen, die zu den Passierscheinverhandlungen vom Dezember 1963 führten, eine gewisse Rolle, die Schwane genauer als bisher beleuchtet. Als Journalist verfügte er über Kontakte zu Kurt Blecha und Hermann von Berg vom Presseamt beim Ministerrat der DDR und eignete sich daher sowohl aus Ost-Berliner als auch aus West-Berliner Sicht als Kontaktmann, um Gespräche in Gang zu bringen. Entscheidend für deren Aufnahme war jedoch nicht seine Vermittlungstätigkeit, sondern – und das kommt bei Schwane etwas zu kurz – die sowjetische Führung, die ihre ostdeutschen „Freunde“ zur Eröffnung von Verhandlungen veranlasste. Gleichwohl war Egon Bahr daran interessiert, über Stehle „Nebenkontakte“ zur Ostberliner Führung aufrecht zu erhalten. Wichtiger wurde indes die Berichterstattung Stehles über die Verhandlungen, die ebenfalls zur Sprache kommt. Warum Schwane in diesem Zusammenhang auch auf das publizistische Wirken des konservativen Journalisten Matthias Walden in den Krisenjahren 1958 bis 1961 eingeht, ist nicht ganz klar: Dieser sprach sich damals zwar sowohl für Verhandlungen mit dem Osten als auch für eine Politik der Stärke aus, wurde nach dem Mauerbau jedoch zum Vertreter eines strikten Nichtanerkennungskurses. Daher kann man in ihm sicher keinen frühen Protagonisten der Entspannungspolitik sehen.

Der zuletzt geschilderte Versuch einer Entspannung betrifft den kulturellen Austausch. Auf Initiative von zwei Studenten fanden von April bis Mai 1964 und von Oktober 1964 bis Februar 1965 Lesungen von ostdeutschen Autoren im West-Berliner Studentenwohnheim Siegmunds Hof statt. Der DDR-Schriftstellerverband griff das Angebot begierig auf, hoffte er doch, damit die kulturelle Szene in West-Berlin und der Bundesrepublik beeinflussen zu können. Im Westen waren die Siegmunds Hofer Gespräche umstritten; sie wurden jedoch in der Presse breit rezipiert und stießen Schwane zufolge auf große Resonanz. Obwohl ihm eine Reihe der Berichte vorlag, die von den Schriftstellern angefertigt wurden, nennt er leider keine Zuhörerzahlen, so dass diese Aussage nicht überprüfbar ist. Die Begegnungen fanden ein rasches Ende: Anfang 1965 wollten offensichtlich weder die Führung des Schriftstellerverbands noch die beteiligten SED-Instanzen sie in der damaligen Form fortsetzen – über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise stand diese Entscheidung im Zusammenhang mit einer Verhärtung der kulturpolitischen Linie, die im Dezember 1965 auf dem so genannten „Kahlschlagplenum“ verkündet wurde.

Die Fallbeispiele bieten für sich genommen manches Neue. Doch ist die Frage, ob ihnen tatsächlich der Stellenwert einer „Vorgeschichte der Détente“ zukommt, die der Autor ihnen eingangs zuschreibt. Denn in allen drei Fällen kann Schwane keine direkten Auswirkungen auf die Entspannungspolitik nachweisen, sondern muss sich auf Vermutungen beschränken. Letztlich handelte es sich dabei um Kontakte von untergeordneter Bedeutung, die keine Revision unseres Bildes von den Ursprüngen der„Détente“ in Deutschland nötig machen.

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