Cover
Titel
The Cold War. A New History


Autor(en)
Gaddis, John Lewis
Erschienen
New York 2005: Penguin Books
Anzahl Seiten
333 S.
Preis
$ 27.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jost Dülffer, BMW Center for German and European Studies (CGES), Georgetown University

Schon wieder ein neues Buch von John L. Gaddis über den Kalten Krieg? Hoffentlich hat er da nicht nur ein Vorlesungsmanuskript zum Druck gegeben, war die erste Reaktion des Rezensenten. Doch, er hat! Es ist aber bei dem eloquenten und elegant schreibenden Yale-Historiker ein brillantes Buch geworden, das von den Undergraduates bis weit in historisch-politisch interessierte Leserkreise gelangen kann und wird – in den USA zeichnet sich das Echo bereits ab. Man kann das Buch bereits auf 10 CDs in 12 Stunden gelesen beziehen. Gaddis hat seit 1972 fast seine ganze Karriere mit mehreren, ich zähle acht Büchern, über den Kalten Krieg bestritten. Der Rolle der USA in den Anfängen des Konflikts 1, ein Buch zu seinem Ende war 1992 fällig.2 Dazwischen lag 1987 eine provozierende Begründung, warum man die Stabilitätselemente dieses Ost-West-Konflikts auch als langen Frieden sehen könne 3, auch er irrte sich über die Dauer dieses Friedens. Dann aber, 1994, klang es noch anmaßender: „We Now Know“, ein Produkt der zeitweilig recht offenen Sowjetarchive.4 Wie kann dieser Mann, der doch schon alles wusste, nochmals nachlegen? Es ist der Reiz der Gesamtschau aus der Distanz, mit dem sich Gaddis wohl auf einige Zeit von seinem Thema verabschiedet. Er kann erzählen, in einem unprätentiösen Stil, der nur selten erkennen lässt, wie methodisch beschlagen sich der Autor in anderen Büchern ausgelassen hat. Die Quellenaufnahme und -recherche, die er selbst geleistet und etwa durch das Cold War International History Project angestoßen hat, nötigt Respekt ab. Gaddis berichtet personen- und situationsgebunden, mit klarem Urteil in der Sache und antithetischer, oft dialektisch zugespitzter Formulierung häufig erhellend.

Die Ursprünge des Kalten Krieges sind in der Kriegskoalition des Weltkrieges zu sehen, Fragen wie zweite Front, westliche Gelder zum Aufbau der Sowjetunion spielten eine Rolle, lokale Konflikte kamen ab 1945 schnell hinzu. Stalins Strategie habe auf eine Stabilisierung des osteuropäischen Herrschaftsbereichs abgezielt, aber auch werbend auf die proletarischen Massen des Westens wirken sollen. Da sie jedoch auf tyrannische Herrschaft und Furcht gebaut war, konnte sie nicht funktionieren. Wie aber auf der anderen Seite die US-Vorstellung von Freiheit aussah, war einfacher. Aber es bedurfte der Demonstration, dass Kapitalismus dafür geeignet war – und dafür habe es keine ausgearbeitete Strategie gegeben. Mit Eric Hobsbawm findet es Gaddis bemerkenswert, welche Stabilität diese Wirtschaftsform gefunden habe, eine derartiges„Goldenes Zeitalter“ für das Vierteljahrhundert nach 1945 zu stabilisieren und damit eine bemerkenswerte weltweite Erfolgsgeschichte zu schreiben, deren Kosten vielleicht doch zu sehr vernachlässigt werden. Stalins tyrannische Herrschaft wurde abgelöst durch seine Nachfolger, die alle unterschiedlich an der Vorstellung festhielten, sie könnten in marxistisch-leninistischer Weltsicht zur dominierenden Kraft aufsteigen. Vor allem Chruschtschows Anspruch auf ein Überholen des Westens beruhte auf einer propagandistischen Strategie, die ihn letztlich schon im eigenen Lande scheitern ließ. In Gaddis’ Sicht klafften seit den frühen 1960er-Jahren die Schere der Leistungsfähigkeit und des Wohlstandes weiter auseinander, alle wussten es. Aber die Stabilität des bipolaren Systems hatte Vorrang.

Das sei wesentlich eine Folge der atomaren Drohung gewesen, die auf beiden Seiten ähnliche Ängste hervorgerufen habe, dennoch aber ein nukleares Wettrüsten sondergleichen gebracht habe. Die diversen Strategien und Optionen werden mit scheinbar leichter Hand und anekdotisch berichtet. Aber Gaddis arbeitet klar heraus, dass die Risiken zu atomarer Eskalation und menschheitsvernichtendem Krieg lange Zeit real waren, wie er anhand eines Romans von Kurt Vonnegut erläutert. Dennoch – das ist ein Argument aus dem Long Peace –: „As the means of fighting great wars became exponentially more devastating, the likelihood of such wars diminshed, and ultimately disapppeared althogether“ (S. 52). Gerade hier wird aber deutlich, wie bis zur Kubakrise 1962 auch immer wieder versucht wurde, mit atomarer Diplomatie doch noch Vorteile im großen Ringen zu erreichen: “What kept war from breaking out, [...] was the irrationality, on both sides, of sheer terror“ (S. 80).

Die Allianzen, die sich auf diese Weise um die Sowjetunion und die USA bildeten, waren notwendig, um die unterschiedlich legitimierten Herrschaftsformen zu stabilisieren und damit wohl auch Frieden zu erhalten. „Humanity, however, war not particularly grateful. For just as the Cold War had frozen the results of World War II in place, so détente sought to freeze the Cold war in place. Its purpose was not to end that conflict […] but rather establish rules by which it could be conducted” (S. 198). So knapp hat man die Kosten des Friedens selten gelesen. Die Bündnisse oder Lager waren aber gerade wegen ihrer hohen Aufladung verwundbar, erpressbar gerade von ihren Partnern. Das galt nach Gaddis gerade für die beiden deutschen Staaten, bei denen die Behauptungsinteressen gegeneinander die Führungsmächte immer mehr die entsprechende Politik ihren deutschen Partnern übergab, aber auch für die je ganz schwierigen Verbündeten, auch hier wieder aus sehr unterschiedlichen Gründen: Charles de Gaulle und Mao Zedong. Anschaulich wird ihr zunächst von der großen Weltkonfrontation abgeleiteter Behauptungswille als eigenständige Kräfte entwickelt, um daran auch die ganze Dekolonisierungsproblematik seit den 1950er-Jahren zu entwickeln. Das hätte wohl auch stärker von der Peripherie aus gesehen werden können, nicht nur von den Folgen für die internationale Politik als solcher. Die Dritte Welt findet als abgeleitete Größe kaum statt. Bis dahin kann man Gaddis weitgehend folgen, der Rezensent würde die ideologischen Elemente der Aufladung geringer bewerten, die Wertigkeit der Konfrontation von Freiheit im Westen und Furcht im Osten nicht so entgegen gesetzt formulieren. Das war doch komplizierter

Warum aber kam das Ganze an ein Ende? Gorbatschow kommt wohl auch vor, aber eher einmal als eine notwendige, nicht hinreichende Bedingung nach – Ronald Reagan. Das ist die schon früher bei Gaddis angebahnte, hier nun aber vollzogene Umwertung des ehemaligen Schauspielers zum zentralen Staatsmann. Reagan habe nicht nur vor seiner Präsidentschaft sehr eigenständig und historisch nachvollziehbar seine Konzeption entwickelt, er habe sie mit seinen kommunikativen Fähigkeiten auch umgesetzt. Er habe auch die moralische Differenz, auf welcher die – ökonomisch gesehen – nur noch scheinbare Gleichberechtigung der beiden Lager beruht habe, nicht mehr mitgemacht. Ebenso habe er die Theorie hinter SALT aufgekündigt, dass Verwundbarkeit beider Seiten Stabilität garantiere. SDI wird so zum strategischen Hebel für: „He was the only nuclear abolitionist ever to have been President of the United States“ (S. 226).

Hier wird man genauer fragen müssen: Wie hoch waren die Risiken der Eskalation dieser einseitigen Aufkündigung des Kalte-Kriegs-Konsenses? War dieser Dritte Kalte Krieg (wie der Rezensent ihn nennen würde) nicht ein großes Risiko, das – ähnlich wie Kuba 1962 im Zweiten Kalten Krieg – hätte schief gehen können? Und da kommen ganz andere Kräfte ins Spiel, die Friedensbewegungen dieser Zeit, die Intellektuellen, die Politiker, die ein Umdenken vor allem im „Osten“ schon zuvor möglich gemacht hatten, die Einsicht in die eigene Schwäche als Reformmöglichkeit erkannt hatten. Der große Plan um SDI konnte nur unter sehr spezifischen Bedingungen und unter Risiken aufgehen, die sich dem Denken und dem Kalkül des US-Präsidenten entzogen. Natürlich ist Gaddis Argumentation nicht ganz so simpel. Auch Margaret Thatcher gehört seine Symphatie – aber vor allem dem polnischen Papst Johannes Paul II., der mit seinem „Fürchtet Euch nicht“ sowjetische Herrschaft nicht nur in Polen, sondern weit darüber hinaus untergraben habe. Es fehlt auch nicht Vaclav Havel mit seinem „Lennonism“ statt Lenismus, der Einfluss von Pop-Kultur und Lebensstilen. Der Adlerblick auf das Ende der fünfzigjährigen Auseinandersetzung ist wohl in dieser Form immer noch zu sehr auf die großen Personen gerichtet und wird zum Tunnelblick – zu einem anregenden.

Der Kalte Krieg sei ein notwendiger Krieg gewesen, da die Menschheit ein für alle Mal daraus gelernt habe, „The Cold War could have been worse – much worse. It began with a return of fear and ended in a triumph of hope, an unusual trajectory for great historical upheavals“ (S. 266). Da kann man dann wieder gern zustimmen, wenn der Triumph der Hoffnung nicht Formen annimmt wie in der jüngeren Gegenwart. Gaddis hat vor zwei Jahren nicht nur ein Buch zur Gegenwartsdiagnose vorgelegt, sondern damit auch das Ohr des jetzigen Präsidenten gefunden, ja zu dessen zweiter Amtszeit ihm eine recht direkte Anleitung zur guten Regierung in „Foreign Affairs“ hinter den Spiegel gesteckt.5 Vielleicht doch ein wenig zu viel Triumph aus der Geschichte des Kalten Krieges?

Anmerkungen:
1 The United States and the Origins of the Cold War, 1941-1947, New York 1972.
2 The United States and the End of the Cold War. Implications, Reconsiderations, Provocations, New York 1992.
3 The Long Peace. Inquiries into the History of the Cold War, New York 1987
4 We Now Know. Rethinking Cold War History, New York 1997.
5 Surprise, Security and the American Experience, New York 2004, “Grand Strategy in the Second Term”, in: Foreign Affairs, Januar/Februar 2005, online (20.3.2006):
<http://www.foreignaffairs.org/20050101faessay84101/john-lewis-gaddis/grand-strategy-in-the-second-term.html?mode=print>.

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