K. Bringmann: Geschichte der Juden im Altertum

Cover
Titel
Geschichte der Juden im Altertum. Vom babylonischen Exil bis zur arabischen Eroberung


Autor(en)
Bringmann, Klaus
Erschienen
Stuttgart 2005: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
365 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Sommer, School of Archaeology, Classics and Egyptology, University of Liverpool

Auf dem Einband von Bringmanns "Geschichte der Juden im Altertum" prangt der neunarmige Chankukka-Leuchter, der für das Fest steht, mit dem Juden die Wiedereinweihung des Zweiten Tempels nach dem Makkabäeraufstand feiern. Darüber eine Szene aus dem Bilderzyklus der so berühmten wie rätselhaften Synagoge von Dura-Europos: ein dreitoriges Portal mit wehendem Vorhang, bekrönt von einer Menorah, dahinter das Tabernakel, das Zeltheiligtum der wandernden Israeliten, mit der Bundeslade (2 Mose 25-27 und 36-39). Der Anblick des auch "Stiftshütte" genannten provisorischen Heiligtums verstört den Betrachter: ein Tempel in klassischem Gewand, mit korinthischen Säulen und Giebelfront - und das mitten in einer Stadt, deren Architektur sonst wenig Klassisches anhaftet. In beiden Bildern spiegeln sich symbolisch Referenzpunkte jüdischer Identität, weit über das Altertum hinaus, und sie machen bewusst, welche Probleme sich einer Geschichte der Juden im Altertum stellen, die mehr sein will, als eine bloß antiquarische Aneinanderreihung von Ereignissen. Jüdische Existenz hatte zu allen Zeiten ihren Ort in einem breiten Spannungsbogen zwischen Selbstbehauptung und Assimilation, zwischen den Ge- und Verboten des Gesetzes und Streben nach gutnachbarschaftlicher Koexistenz. Jüdische Existenz war auch immer hin- und hergerissen zwischen dem Ankommen in der Realität der Diaspora und der Rückbesinnung auf ein gemeinsames Erbe, verdichtet im Gelobten Land, dessen Besitz durch alle Epochen prekär war, bis die Kette jüdischer Katastrophen nach der Zeitenwende den Juden ihre nationale Heimstatt für annähernd 2000 Jahre raubte. Eine Geschichte, die der haarsträubenden Kompliziertheit jüdischen Lebens gerecht werden möchte, hat sich seiner Totalität anzunehmen, hat zumal an prominenter Stelle die jüdische Diaspora in den Erzählstrang einzuflechten. Sie muss ferner die Struktur- und Rahmenbedingungen würdigen, unter denen Juden in antiken Großreichen lebten und mit denen sie sich zu arrangieren hatten. Sie hat schließlich ein breites Spektrum von Quellen zu berücksichtigen, das von den wenigsten Altertumswissenschaftlern so ohne weiteres zu überblicken ist und von vornherein zu Interdisziplinarität zwingt.1

Sich dieser Herkulesaufgabe zu stellen und als Ergebnis dann auch noch eine Einführung zustande zu bringen, die wenig voraussetzt und alles erklärt, ist dem Frankfurter Althistoriker Klaus Bringmann mit seiner "vom babylonischen Exil bis zur arabischen Eroberung" reichenden Darstellung in beispielhafter Manier gelungen. Bringmann, einschlägig ausgewiesen durch mehrere Arbeiten, in denen er das Verständnis des Makkabäeraufstands entscheidend vorangebracht hat 2, legt hier eine über weite Strecken packende narrative Darstellung vor, in der aber strukturgeschichtliche Aspekte an keiner Stelle zu kurz kommen. Namentlich die Denkfigur des "vertikalen Bündnisses" zwischen den Juden bzw. ihren Notabeln und den jeweiligen imperialen Suzeränen, auf die er immer wieder zurückkommt, erweist sich als tragfähig: Ob Perser, Makedonen oder Römer - sie alle waren, solange die Lage ruhig blieb, nicht an einer direkten Einflussnahme in der notorischen Krisenprovinz interessiert. Sie setzten deshalb auf jüdische Würdenträger, die sie sich verpflichteten und die immer wieder, um des lieben Friedens und vor allem des wohlverstandenen eigenen Vorteils willen, zu bemerkenswerten Konzessionen gerade auch im sensiblen Kernbereich der religiös-kulturellen Selbstbehauptung der Juden in einer paganen Umwelt bereit waren. Persönlichkeiten wie der Hohepriester Jason, eine der Schlüsselfiguren des Makkabäeraufstands, Herodes der Große und nach ihm die Hohenpriester der Zeit bis zum Jüdischen Krieg waren alle, jeder auf seine Weise, Vertreter dieses Typus. Sie alle polarisierten unfehlbar und beschworen so das Auftreten eines Antitypus herauf, der sich - ob nun Pharisäer, Zelot, Sikarier - die Reinerhaltung der Religion zur Sendung machte.

Parallel dazu zeigt Bringmanns Darstellung die strukturelle Unfähigkeit der imperialen Mächte, auf die Herausforderung durch das Andere, das die an ihrem Monotheismus und dem Gesetz festhaltenden Juden repräsentierten, angemessen zu reagieren. Im Makkabäeraufstand entlud sich die fatale Fehleinschätzung der seleukidischen Zentrale, man könne die tributäre Ausbeutung Judas vorantreiben, indem man sich auf den verwegenen Plan des Menelaos einließ, Jerusalem in eine Polis zu verwandeln. Rom konnte im Versuch, die von den Seleukiden geerbte Unruheprovinz zu befrieden, nur auf das Verfahren von trial and error setzen; eine diesen Namen auch verdienende Strategie, wie sich den periodisch aufflackernden Aufständen und dem religiös aufgeheizten Klima zwischen Mittelmeer und Jordan wirksam beikommen ließ, besaßen die Herren vom Tiber nicht. Am Beispiel der tumultuarischen Vorgänge in Alexandreia zur Zeit Caligulas wird zudem deutlich, wie paganer Antijudaismus die strukturelle Verfasstheit des römischen Prinzipats virtuos vor den eigenen Karren spannen konnte. Die dialektische Wirkung der Christianisierung bekamen die Juden am eigenen Leibe zu spüren. Zwar waren sie vom Alb befreit, in die Verlegenheit zu kommen, dem Kaiser Opfer darbringen zu müssen, und erreichten auf manchem Feld bürgerschaftliche Teilhabe, doch stand ihnen mit dem Christentum eine, gegenüber dem Heidentum, bei weitem kompaktere religiös-weltanschauliche Formation gegenüber, die zudem ein Ableger des Judentums war und die Juden für den Tod ihres Erlösers verantwortlich machte. Von hier führt eine gerade Straße zu den jüdischen Katastrophen des Mittelalters und der Neuzeit.

Bringmann verbindet alle genannten Aspekte mit einer luziden Darstellung der Ereignisgeschichte, die jedem Anfänger, dem obendrein eine Zeittafel und eine bündige kommentierte Bibliografie an die Hand gegeben werden, die Orientierung in der komplexen Materie problemlos ermöglicht. Der Leistung des Buches kann deshalb auch eine Kritik am Rande nicht Abbruch tun: Der kolossale dokumentarische Wert der materiellen Kultur bleibt, zahlreichen Abbildungen zum Trotz, praktisch unberücksichtigt. Bringmann zeigt sich überall als souveräner Analytiker, wenn es um die Deutung der von ihm reichlich zitierten Textquellen geht, der Bilderzyklus der Synagoge von Dura-Europos hingegen hat wohl Eingang in den Tafelteil, nicht aber in die Darstellung gefunden. Gerade von hier aus hätten sich indes wertvolle Einsichten in die Lebenswirklichkeit einer jüdischen Diaspora-Gemeinde des 3. Jahrhunderts gewinnen lassen. Kaum ein Dokument illustriert, gerade auch in seiner Rätselhaftigkeit und Widersprüchlichkeit, besser die Wirkungsmacht des Spannungsfelds zwischen Integration und Selbstbehauptung auch im Kleinen, der Bringmann im Großen so prägnant Ausdruck gegeben hat.3

Anmerkungen:
1 Einen ähnlichen thematischen und chronologischen Zuschnitt hat Maier, Johann, Geschichte des Judentums im Altertum. Gründzüge, Darmstadt 1989, das Bringmann in seiner Bibliografie nicht anführt. Das englischsprachige Standardwerk ist mittlerweile (ebenfalls nicht genannt): Goodman, Martin, Jews in a Graeco-Roman World, Oxford 1998. Nur die Zeit bis 55 v.Chr. behandelt, unter einem von Bringmann mit Recht als irreführend kritisierten Titel, Baltrusch, Ernst, Die Juden und das römische Reich. Geschichte einer konfliktreichen Beziehung, Darmstadt 2002. Lediglich auf die Diaspora konzentriert ist Gruen, Erich, Diaspora. Jews Amidst Greeks and Romans, Cambridge 2002, dessen inspirierende Thesen bei Bringmann keine Berücksichtigung finden. Als Einführung in die Vorgeschichte mit der Formierung jüdischer Identität von der Eisenzeit bis zum Babylonischen Exil sei jetzt empfohlen: Liverani, Mario, Oltre la bibbia. Storia antica di Israele, Roma 2003.
2 Bringmann, Klaus, Hellenistische Reform und Religionsverfolgung in Judäa. Eine Untersuchung zur hellenistisch-jüdischen Geschichte (175-163 v.Chr.), Göttingen 1983; Ders., Die Verfolgung der jüdischen Religion durch Antiochos IV. Ein Konflikt zwischen Judentum und Hellenismus?, in: Antike und Abendland 26 (1980), S. 176-190.
3 Dazu demnächst die Beiträge in Sommer, Michael (Hg.), The Middle Euphrates in Antiquity. Approaching Diaspora and Cultural Identities, Cambridge 2006. Zu dem wichtigen Aspekt stadtrömischer Monumente als Quellen zu jüdischer Identität darin dann auch Bravi, Alessandra, Identità giudaica nella Roma di età flavia. Il templum pacis e l'arco di Tito.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension