H. Zettelbauer: Geschlecht und Nation

Titel
"Die Liebe sei Euer Heldentum". Geschlecht und Nation in völkischen Vereinen der Habsburgermonarchie


Autor(en)
Zettelbauer, Heidrun
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Campus Verlag
Anzahl Seiten
515 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gregor Hufenreuter, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Die Frauen- und Geschlechterforschung hat sich in den letzten Jahren intensiv mit den Frauen der politischen Rechten im Kaiserreich und der Weimarer Republik beschäftigt. Bisherige Höhepunkte dieser Forschungen waren die Studie von Andrea Süchting-Hänger über konservative Frauenorganisationen in Deutschland zwischen 1900 und 1937 und Christiane Streubels Forschungsüberblick zu Frauen der politischen Rechten, der zuerst in diesem Forum veröffentlicht wurde.1 Heidrun Zettelbauers vorliegende Dissertation baut auf diesen Untersuchungen auf, konzentriert sich aber auf die von der Forschung bislang vernachlässigte österreichische Habsburgermonarchie. Ziel ihrer Arbeit ist es, theoretisch und empirisch den Prozessen nationaler Identitätsstiftung anhand der Kategorien Geschlecht und Nation nachzugehen. Als exemplarisches Untersuchungsfeld für die Frage nach Formung, Ausgestaltung, Durchsetzung und Annahme deutschnationaler Geschlechteridentitäten dient Zettelbauer das deutschnationale, völkische Milieu des Habsburgerreiches. Im Blickfeld steht vor allem der Verein Südmark, der unter den völkischen Schul- und Schutzvereinen Österreichs um 1900 führend war und den Diskurs über die deutschnationale Geschlechtervision dominierte.

Wie keine anderen Bewegung dieser Zeit forderten die radikalen Deutschnationalen mit dem nationalistischen Topos von der Familie als ‚Keimzelle’ und Ideal der gesellschaftlichen Ordnung und Organisation einen rassisch definierten Staat. Mit der Fokussierung auf das Nationale im Alltag und der Schaffung „nationaler Lebenswelten“ (S. 17) mit scheinbar unpolitischer Ausprägung, tauchten in der Folge im Privaten, einem per se ‚weiblichen’ Bereich, verstärkt Vorstellungen über geschlechtsspezifische nationale Identitäten auf. Geschlecht als soziale Kategorie wurde von zentraler Bedeutung für die Ausformung nationaler Identität. Zum einen konstruierte man mit der ‚Ordnung der Geschlechter’ ein biologisch bedingtes Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Zum anderen mündete die damit einhergehende strenge Trennung von ‚weiblichen’ und ‚männlichen’ Sphären in der Teilung der bürgerlichen Welt in einen privaten und einen öffentlichen Raum. Im Mittelpunkt bei der Generierung dieser „Geschlechterräume“ stand die Konstruktion geschlechtsspezifischer Nationalcharaktere. Auf ihnen fußte die Zuweisung geschlechtsspezifischer Aufgaben und Pflichten, die darüber hinaus die Kontrolle und Aufrechterhaltung gesellschaftlicher und kultureller Macht der Deutschnationalen garantieren sollten. Den Mechanismen der Herstellung dieser Geschlechteridentitäten und ihrer Durchsetzung gilt Zettelbauers besonderes Interesse. Hierfür analysiert sie eingehend die geschlechtsspezifischen Strukturen nationaler Identitätskonzepte und ihre Funktion. Doch liegt der Schwerpunkt der Arbeit nicht auf der Unterdrückung, Funktionalisierung und Einschränkung von Frauen durch die nationalistische Bewegung, sondern viel mehr auf der Durchkreuzung und Überschneidung der beiden Identitätskonstrukte Geschlecht und Nation. Drei Untersuchungsebenen sind es, die Zettelbauer dabei im Blick hat: 1. die diskursive Normierung weiblichen Verhaltens und die dabei entstehenden normativen Geschlechtermodelle; 2. die Auswirkung dieser Modelle auf der Ebene sozialer Handlungspraxis und 3. ihre individuelle Annahme und Ablehnung.

Methodisch kombiniert die Arbeit verschiedene Ansätze, wobei in Hinblick auf das Geschlecht als kulturwissenschaftliche Forschungsperspektive die theoretischen Ansatzpunkte der Gender-Studies dominieren. Demgemäß bestehen die ersten beiden Kapitel zur Theorie und Methode in einem umfangreichen, 65 Seiten umfassenden Überblick, der neben Definitionen von Geschlecht als Analysekategorie, grundlegende Debatten der Gendertheorie und ihre Übertragbarkeit auf die Fragestellung referiert. Gefolgt von einer Darstellung der Identitätsforschung im Allgemeinen und aktuellen theoretischen Ansätzen zur Verbindung von Geschlecht und Nation, stellt Zettelbauer nach der Kritik an der traditionellen Nationalismusforschung ein gendersensibles Modell mit soziologisch-historischer wie psychoanalytischer Perspektive vor, mit dessen Hilfe die Dynamik und Variabilität, Fragmentierung und Brüchigkeit der Identitätskonzepte Nation und Geschlecht abgebildet werden soll. In zweierlei Hinsicht ist diese methodisch-theoretische Einführung nicht unproblematisch. Zum einen breitet Zettelbauer in überbordender Form die Geschichte und Entwicklung der Gender-Studies vor den LeserInnen aus, obgleich mehrere Überblicksdarstellungen zur Geschichte und Theorieentwicklung des Faches vorliegen.2 Der theoretisch-methodische Teil hätte somit deutlich gestrafft und pointierter dargestellt werden können. Zum anderen vernachlässigt Zettelbauer den Forschungsstand, der in Bezug auf ihr Thema noch von Relevanz ist. So wird etwa der Forschungsstand zum Nationalismus, zur völkischen Bewegung oder der Struktur- und Vereinsgeschichte politischer Bewegungen nur rudimentär und unvollständig in den entsprechenden Kapiteln kurz erwähnt. Einige neuere Arbeiten zum Thema Frauen in der völkischen Bewegung fehlen völlig.3

So beginnt der inhaltliche Teil der Arbeit erst nach knapp 100 Seiten. Zettelbauer stellt die völkischen Vereine Österreichs am Ende des 19. Jahrhunderts als nationale Erfahrungs- und Erlebensräume dar, die vor dem Hintergrund von Nationalitätenkonflikten und Angst vor Überfremdung in politischer, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht ein Milieu formten, das nicht nur öffentliche und politische Räume ideologisch zu durchdringen versuchte, sondern alle Bereiche des Lebens. Hierbei entwickelte sich Graz, Hauptstadt der Steiermark, zum Zentrum der deutschnationalen Bewegung Österreichs und seine Presse zum Sprachrohr des radikalen Deutschtums. Daher verwundert es auch nicht, dass die ersten Frauenortsgruppen des Vereins Südmark in Graz gegründet wurden. Deren Entwicklung und Verbreitung verfolgt die Autorin für den Zeitraum von 1894 bis 1914 und untersucht Südmark-Aktivistinnen nach den Motiven ihres Handelns, ihrer sozialen Herkunft, ihren Familienbeziehungen und ihrer Einbindung innerhalb der Ortsgruppen. Wie hoch der Grad der Mobilisierung unter den Frauen war, lässt sich daran ablesen, dass 1913 rund 15.000 Frauen im Verein Südmark organisiert waren, die auf ein strukturelles Netzwerk von 72 Frauen- und gemischten Ortsgruppen aufgeteilt waren. 25 Prozent der Mitglieder des Vereins Südmark waren somit Frauen. Eine genauere Analyse der Vorstandsfunktionärinnen belegt zudem, dass Frauen von mittleren und höheren Beamten, Ärzten, Rechtsanwälten und Notaren eindeutig in der Mehrzahl waren und einer nur kleinen Zahl von privaten oder berufstätigen Frauen und Frauen aus niedrigeren Schichten gegenüberstanden. Besonders bemerkenswert im Hinblick auf die noch ungeklärte Frage nach gezielten Milieubildungsprozessen der Völkischen ist in diesem Zusammenhang Zettelbauers Erkenntnis über die häufig anzutreffende Integration ganzer Familien im Verein und die vielfach zwischen Mitgliedern verschiedener Ortsgruppen bestehenden Familienbeziehungen.

Die Auswertung der Vereinspresse auf Inhalte und Ausgestaltung deutschnationaler Identitäts- und Alteritätsentwürfe in Bezug auf die Kategorie Geschlecht zeigt auf, dass man ein eindeutiges Konstrukt normativer nationaler Geschlechterkonzepte herzustellen suchte und die konkreten Tätigkeiten der Frauen auf die Alltags- und Festkultur und die Spendentätigkeit für den Verein festzulegen gedachte. Genauer ausgeführt werden diese Beobachtungen in den folgenden Kapiteln, die sich auf den normativen völkischen Geschlechterdiskurs konzentrieren. Hier untersucht Zettelbauer die kulturellen Leitbilder und normativen Diskurse um „deutsche Weiblichkeit“ anhand völkischer Erziehungs- und Unterweisungsliteratur. Neben den anzutreffenden idealen Tugenden, die den Geschlechtern zugeschrieben wurden, den Entwürfen und Grenzen völkischer Geschlechteridentität und -alterität, prüft sie dabei, wie rückwärtsgewandt oder modern die dichotomen und hierarchisch strukturierten Konzepte letztlich waren. Welchen Anteil Frauen bei der Formulierung dieser Konzepte hatten, wird vor allen an den Vorstellungen völkischer Lebenswelten im Alltag deutlich. Sprache, Literatur, Haus- und Wohnungseinrichtung, Musik, Tanz, Einkaufen, Kochen, Essen, Reisen und die Ausgestaltung von Festen wurden zwar von Männern völkisch codiert vorgegeben aber erst durch Frauen des Vereins zu alltagskulturellen Lebenswelten ausgestaltet. Eine „bis ins Detail ausgestaltete hermetisch abgeschlossene Konstruktion“ (S. 460) einer deutschnationalen Alltagswelt und ein detaillierter Verhaltenskodex für deutschnationale Frauen war die Folge.

Ähnliches gilt für den weiblichen Körper als Projektionsfläche deutschnationaler Geschlechterkonzepte. Völkische Entwürfe weiblicher Körperidentitäten wurden von Diskursfiguren um den schönen und modischen, gebärenden und mütterlichen, gesunden und kranken Körper bestimmt und zielten in der mit kulturellen und biologischen Argumenten versehenen Debatte um den als organizistisches Modell gedachten Volkskörper darauf ab, Körper und Sexualität von Frauen zu kontrollieren.

Im letzten Kapitel widmet sich Zettelbauer der Frage, wie deutschnationale Aktivistinnen die vom Verein diktierten Identitätsangebote in ihrer Arbeit tatsächlich lebten und auf persönlicher Ebene in individuelle Lebensentwürfe integrierten. Hierbei geht sie drei exemplarischen Lebensläufen von Frauen nach und bestätigt die zuvor gewonnenen Erkenntnisse. So wird deutlich, dass Frauen aktiv völkische Gedenkrituale formten und das Vereinsleben entscheidend mit prägten. Hierbei verstärkten sie aber nicht nur bestehende Identitätsmuster, sondern entwickelten auch Strategien der Umdeutung und der Subversion, um die eigenen politischen und gesellschaftlichen Handlungsspielräume auszubauen. Zwar bestätigen sie immer wieder die Wirkungsmacht des Identitätskanons, was auch in den eingeschränkten Bedingungen offenbar wurde, sich tatsächlich politisch zu engagieren, doch gelang es ihnen vereinzelt, Machtpositionen einzunehmen, die ihnen eigentlich verwehrt waren.

Zettelbauers Arbeit demonstriert eindrucksvoll und überzeugend, dass es eine grundsätzliche Zustimmung zur geschlechtsspezifischen Aufgabenteilung bei deutschnationalen Frauen gab, den Geschlechterkonstruktionen aber permanent Ambivalenzen und Brüche inne wohnten. Die detaillierte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, die Frauen in einer untergeordneten Rolle auf den Bereich der Reproduktion, den Haushalt und Kindererziehung reduzierte, übertrug ihnen gleichzeitig uneingeschränkte Kompetenzen als Erzieherinnen, Mütter und Hüterinnen kultureller Traditionen. Frauen oblag die Pflicht, das „Innere der Nation“ zu gestalten, zu formen und ihm aufopferungsvoll zu dienen. Der von ihnen betreute Bereich der Familie als Keimzelle der Nation und der Ehe als die Familie zusammenhaltende Institution war jedoch von zentraler Bedeutung. Diese Integrations- und Mobilisierungsangebote für Frauen zeugen von den Modernisierungsprozessen der Zeit, denen auch das deutschnationale Milieu Österreichs unterlag. Eine politische Integration von Frauen ging damit aber nicht einher. Die hohe Vernetzung führender Südmark-Aktivisten in der Kommunal- und Landespolitik und der Verein mit seiner Presse als Kommunikationsraum boten jedoch Strukturen, die das politische Engagement von Frauen forderte und förderte. Das parteipolitische Vorfeld des als unpolitisch deklarierten Vereins war letztlich ein „optimaler Ort der Politisierung von Frauen“ (S. 459), die politisch tätig sein konnten, ohne hierbei die Grenzen weiblicher Betätigung zu überschreiten. Der Verein wurde politischer Raum zwischen öffentlicher und privater Sphäre, in dem Frauen zwischen Integration und gleichzeitigem Ausschlusses politisch aktiv sein konnten, ohne öffentlich in Erscheinung zu treten. Frauen bestätigten somit den Geschlechterkodex, fanden aber gleichzeitig Strategien, diesen durch Umdeutung und Umwertung in einer angeblich antimodernen Haltung zu unterlaufen. Immer wieder griffen sie hierbei in die ambivalenten Debatten ein, um über rückwärtsgewandte, vielfach antimoderne Konzepte, „moderne“ Positionen zu rechtfertigen. Je größer die konkrete Praxis und die tatsächlich gelebten Identitäten der Südmark-Aktivistinnen waren, desto mehr verloren die diskursiv hergestellten Geschlechteridentitäten an Eindeutigkeit.

Anmerkungen
1 Süchting-Hänger, Andrae, Das „Gewissen der Nation“. Nationales Engagement und politisches Handeln konservativer Frauenorganisationen 1900-1937, Düsseldorf 2002; Streubel, Christiane, Literaturbericht: Frauen der politischen Rechten (10.06.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-2-141)>, in überarbeiteter Form auch in: Historical Social Research 28 (2003), S. 103-166.
2 Ein Überblick über die Lexika und Handbücher zur Frauen und Geschlechterforschung findet sich unter <http://www.querelles-net.de/forum/forum15-1.shtml>. Eine aktuelle Auswahlbibliografie zur Frauen- und Geschlechterforschung umfasst allein 40 Seiten (vgl. <http://www.raumplanung.uni-dortmund.de/fwr/Auswahlbibliografie.pdf>)
3 Puschner, Uwe, Bausteine zum völkischen Frauendiskurs, in: Planert, Ute (Hg.), Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und Nationalismus in der Moderne, Frankfurt am Main 2000, S. 165-181; Derselbe, „…die höchste und hehrste Hüterin der Rasse“. Die Frau im völkischen Weltanschauungsdiskurs, in: Niehuss, Merith; Lindner, Ulrike (Hgg.), Ärztinnen-Patientinnen. Frauen im deutschen und britischen Gesundheitswesen des 20. Jahrhunderts, Köln 2002, S. 131-145; Hornig, Julia, Völkische Frauenbilder, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte Heft 43 (2003), S. 37-41; Hering, Rainer, „Es ist verkehrt, Ungleichen Gleichheit zu geben“. Der Alldeutsche Verband und das Frauenwahlrecht, in: ebd., S. 22-29.