A. Sutcliffe: Judaism and Enlightenment

Titel
Judaism and Enlightenment.


Autor(en)
Sutcliffe, Adam
Reihe
Ideas in Context
Erschienen
Anzahl Seiten
314 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Kennecke, Jüdische Studien, Universität Potsdam

Adam Sutcliffe promovierte 1998 an der UCL in London, lehrte sechs Jahre and der University of Illinois, Urbana-Champaign Jewish History und ist seit 2004 als Dozent für Early Modern History am Kings College in London tätig. Sutcliffe ist Spezialist für (west-)europäische Geistesgeschichte zwischen ca. 1650-1800 und Jüdische Geschichte. Leider verweisen Bücher heute nur noch selten im Titel auf ihren Inhalt. Würde man die in den letzten dreißig bis vierzig Jahren veröffentlichten Bücher in den Bibliotheken nach ihren Titeln ordnen, gäbe es sicher einen großen Bedarf an „book-guides“. Sutcliffes Buchtitel beschreibt dagegen den Inhalt treffend und ohne Umwege: Judaism and Enlightenment [Judentum und Aufklärung]. Das Ziel seiner Untersuchung ist es, das zwiespältige Verhältnis zwischen Aufklärung und Judentum zu beleuchten. Eine solcher Überblick muss notgedrungen einen größeren Zeitraum berücksichtigen und Betrachtungen der verschiedenen geografischen Ausprägungen der europäischen Aufklärung einschließen. Das Buch behandelt zweihundert Jahre Aufklärung in Westeuropa, von Spanien bis Deutschland, von England bis Italien. Allein damit könnte es Anspruch auf einen Platz im Handapparat der großen Bibliotheken erheben. Denn Sutcliffe versammelt und analysiert souverän lateinische, englische, französische, deutsche und anderssprachige Texte, woraus schließlich ein aufschlußreiches Bild der europäischen Aufklärung entsteht.

Das Verhältnis zwischen europäischer Aufklärung und Judentum wird dabei zum Gradmesser. Sutcliffe wendet sich strikt gegen den immer wieder erhobenen Vorwurf, die europäische, speziell die antireligiös französische Aufklärung, hätte den Grundstein für den in Auschwitz gipfelnden Antisemitismus gelegt. Sutcliffe schließt sich der These von Zygmund Baumann an, dass das Verhältnis zwischen Christen und ihrer Aufklärung und dem Judentum nicht durch den zu engen Begriff des Antisemitismus beschrieben werden kann und übernimmt dessen Begriff des Allosemitismus: „the conviction that Jews are in some sense radically different from all others“ (S. 9). Jüdische Emanzipation und christliche Aufklärung seien zwei Seiten einer Medaille, da sie sich auf die selben Quellen beziehen, diese aber entgegengesetzt auslegen. (S. 249)

Um seine These zu verteidigen, musste Sutcliffe zu den Anfängen der Aufklärung, als die wissenschaftliche Auseinandersetzung der Christen mit dem Judentum begann, zurückgehen, um schließlich in der Moderne, mit Voltaire zu enden. Der erste Teil ist überschrieben mit „The crumbling of old certainties. Judaism, the Bible and the meaning of history“ (S. 23-99). In ihm beschreibt er vor allem die innerchristlichen Auseinandersetzungen nach den Reformationen in Europa. Vor allem die Reformchristen verteidigten mit dem Alten Testament ihre eigene Religion. Dadurch beschäftigten sich mehr und mehr Christen mit Originaltexten, was zu einer Blüte der Hebraistik führte. Das Interesse für das Judentum und das Alte Testament und die zielstrebige Beschäftigung mit den „wahren“ Quellen, wurzelte also nicht im jüdisch-christlichen Gegensatz, sondern in der interkonfessionellen Auseinandersetzung der Christen. Vor allem die protestantische Kirche sah sich als legitime Nachfolgerin des Judentums und musste sich gleichzeitig von diesem distanzieren. Deren Theologen studierten die hebräische Sprache bei Juden, was schließ dazu führte, dass sie sich mit den jüdischen Interpretationen und historischen Deutungen der Texte auseinandersetzen mussten. Sutcliffe beschreibt, wie die Auslegung der hebräischen Texte die Sicht der christlichen Theologen beziehungsweise Philosophen auf die Geschichte veränderte, die schließlich zu einer gemeinsamen Geschichte wurde. Darin liegt für Sutcliffe der Ursprung des zwiespältigen Verhältnisses. Sowohl Aufklärer als auch Juden glaubten, die Quellen allein richtig interpretieren zu können. Christlichen Hebraisten und Theologen mussten sich von den Interpretationen der Juden absetzen, wollten sie nicht das eigene theologische System gefährden. Dabei führte am Wissen der zeitgenössischen Juden kein Weg vorbei. Das betraf nicht nur deren Hebräischkenntnisse, sondern darüber hinaus auch die mündliche Überlieferung, die im Talmud Eingang fand. Um so mehr die Christen erkannten, dass die Juden die Quellen anders interpretierten als sie, wurden sie zu deren Gegnern.

Der zweite Teil „Judaism and the formation of Enlightenment radicalism“ (S. 103-190), beschreibt den Einfluss der Juden auf die Diskussionen der Christen, die jüdische Religion wirkt nun in die christlich-europäische Geschichte hinein. Viel Raum widmet Sutcliffe den christlichen Theologen in den Niederlanden im 17. Jahrhundert. Vor allem Amsterdam beschreibt er als theologischen und philosophischen Schmelztiegel, in dem sich Gedanken und Intentionen der von der iberischen Halbinsel vertriebenen Marranen (zur Konversion gezwungene Juden), der aus Frankreich vertriebenen Hugenotten und anderer Reformkräfte gegenseitig bereicherten. Am Anfang stand der Gegensatz zwischen Reformern und Katholiken, das Judentum diente noch vorwiegend als Steinbruch für Argumente. Erst mit dem Versuch einiger Marranen, die jüdische Religion zu verändern, indem sie eine eigene Philosophie bzw. Theologie entwickelten, wurden die Juden eigenständige Mitspieler. Es war vor allem Spinoza, der mit seinem Tractatus politicus-theologicus die Welt der Gelehrten spaltete. Seine radikale Philosophie wurde neben der Descartes’ zu einer der Hauptsäulen der Aufklärung, womit das Judentum in das Zentrum der Aufklärungsdiskussion geriet. Auch das Verhältnis von Aufklärung und Kabbala wird in Sutcliffes Buch kurz dargestellt.

Der dritte und letzte Teil, mit “Judaism, nationhood and the politics of Enlightenment” überschrieben, ist im Verhältnis zu den beiden vorangegangene Kapiteln etwas einseitig und knapp ausgefallen. Sutcliffe konzentriert sich im Wesentlichen auf die Darstellung der englischen und französischen Aufklärer Toland, Bayle, Locke und d’Argens. Das Schlusskapitel bildet eine größere Darstellung von Voltaires Verhältnis zum Judentum.

Sutcliffes liefert den LeserInnen einen lehrreichen Rundgang durch die Geistesgeschichte der europäischen Aufklärung, was ihr Verhältnis zum Judentum betrifft. Hintergründig zeigt er die wechselseitigen Einflüsse von christlichen und jüdischen Autoren auf und vermeidet, die Entwicklung aus nur einer Perspektive zu beleuchten. Judaism and Enlightenment ist als Einführungslektüre zu empfehlen, da es auf über 300 Seiten dem Leser eine gute Grundlage für weitere Studien schafft. Die Bibliothekare der Berliner Staatsbibliothek haben das erkannt und sein Buch in die Handbibliothek gestellt.

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