W. Stein (hg): Die Chronik der Weltgeschichte 5.0

Cover
Titel
Die Chronik der Weltgeschichte 5.0.. Der neue Kulturfahrplan nach Werner Stein


Herausgeber
Stein, Werner
Erschienen
Anzahl Seiten
1 DVD
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Fischer, Gewerbeschule Steinhauerdamm

Zuerst die Kritik: Auch wenn der Positivismus heutzutage verpönt ist, greift auch der Fachmann, der es besser wissen müsste, immer wieder zum faktengesättigten Nachschlagewerk, ganz zu schweigen vom Laien, der nur sein Kenntnisinteresse befriedigen möchte. Gerade im Bereich der Literatur-, Musik-, Kunst- und allgemeinen Kulturgeschichte geht es meist darum, ein historisches Phänomen oder Werk in seinen Zeithorizont einzuordnen, nicht, diesen Zeithorizont zusätzlich zu dekonstruieren. Aus diesem Grund hat Werner Steins „Kulturfahrplan“ seit seinem ersten Erscheinen im Nachkriegsjahr 1946 seine Marktposition bis heute behauptet – neben ähnlich gelagerten Werken wie der „Ploetz“-Familie, den dtv-Atlanten oder den „Chronik“-Bänden. Wobei der „Stein“ seit jeher auf Übersichtlichkeit, Zusammenfassungen und Längsschnitte verzichtet hat und (wenn man so will) lediglich eine unermessliche Zahl an Fakten und Daten chronologisch hintereinander gereiht hat. Ein Gleichzeitigkeitspanorama ohne hermeneutische Selbstzweifel und ohne Literaturangaben.

Aber dies ist auch seine Stärke: Zehntausende von Daten der allgemeinen und Kulturgeschichte finden sich in diesem Nachschlagewerk, nahezu alles, was Rang und Namen hat in der westlichen Zivilisation, säuberlich chronologisch geordnet, wodurch die Gleichzeitigkeit der allzu oft singulär erscheinenden Ereignisse mehr als augenfällig wird. Wenn es darum geht, eine kultur-, geistes- oder religionsgeschichtliche Erscheinung ohne großen Rechercheaufwand in ihre Zeit einzuordnen, gibt es tatsächlich kaum ein besseres Werkzeug.

Seit 1996 gibt es auch eine digitale Ausgabe des „Kulturfahrplans“, technisch und redaktionell betreut von „United Soft Media“. Nun ist also die fünfte Version erschienen, und sie ist besser denn je: umfangreicher, gleichermaßen populärer und wissenschaftlicher und sehr viel benutzerfreundlicher als frühere Versionen. Übrigens erscheint im gleichen Verlag, für 25 Euro weniger, aber fast zum Verwechseln ähnlich ausgestattet, die „P.M. Weltgeschichte“.

Zum Umfang: Die Faktensammlung reicht vom Ende der Dinosaurier (warum auch immer) bzw. von der Altsteinzeit bis zur Wahl im Irak 2005, von Afghanistan bis Zypern, von Adenauer bis Zia ul Haq. Der Schwerpunkt liegt für die Zeit bis 1900 weiterhin auf der Geistes- und Kulturgeschichte, danach aber hat die politische Sphäre ein etwa ebenso großes Gewicht. Insofern ist die Änderung des Titels auf „Chronik der Weltgeschichte“ gerechtfertigt. Gerade das Video- und Tonmaterial stammt zu drei Vierteln aus der Zeit nach 1945 und ist fast nur politischen Inhalts. Die Auswahl der Inhalte ist europa- und gegenwartszentriert, je näher die räumliche und zeitliche Nähe zu uns, desto größer die Zahl der Einträge und Medien. Textgrundlage ist Werner Steins 2.200-seitiger „Großer Kulturfahrplan“ in der neuesten Auflage von 2005.

Primär richtet sich die „Chronik“ vor allem an ein bildungsbürgerliches Publikum. Dies zeigt sich vor allem an der Mediensammlung, die über 3.000 Bilder und Fotografien, sechs Stunden Videomaterial und Hunderte von Musik- und Tondokumenten umfasst. Die Filmschnipsel lassen sich auch über ein eigenes Modul, die „Filmgalerie“, erreichen und nach Ländern und Personen sortieren, wobei ein animierter Globus diejenigen Länder anzeigt, über die etwas zu sehen ist, in der Regel Wochenschau- und Fernsehmaterial. Auch einige längere Reportagen sind darunter, etwa über die Befreiung von Bergen-Belsen 1945 oder die Tsunami-Katastrophe 2004/05. Untergegangene Staaten wie das Habsburgerreich oder die Sowjetunion tauchen in der Liste allerdings nicht auf. Die Musikbeispiele bewegen sich fast ausschließlich in der Klangwelt der Oberschicht, aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts finden sich nur vier Stücke von Britten, Henze, Ligeti und Rihm. Um über der Fülle an Informationen doch eine Art Übersicht herzustellen, gibt es einen kulturgeschichtlichen Zeitstrang mit ausgewählten Ereignissen und Bildbeispielen aus den verschiedenen Epochen. Dieses Modul ist nett gemacht, vermittelt aber keinen größeren Erkenntnisgewinn.

Ein schwerer Mangel ist indes die Vernachlässigung der Populärkultur, die – nicht nur aus lizenzrechtlichen, sondern auch aus konzeptionellen Gründen – nur am Rande auftaucht: Einige Musicals und Popsänger werden zwar genannt, aber das einzige Tonbeispiel ist ein Radiointerview mit Elvis Presley von 1956. Selbst die Volksliedkultur des 19. Jahrhunderts ist mit keiner Note vertreten. Leidlich günstiger sieht es im Bereich des Films aus, hier findet sich eine Handvoll zufällig ausgewählter und übers 20. Jahrhundert verstreuter Filmausschnitte. Die Gebrauchskunst (Industriedesign, Möbel, Plakate) fällt ebenfalls durch das Raster der Autoren, selbst das Bauhaus erscheint nur als Wirkungsort einiger bekannter Maler und Architekten.

Ein großer Gewinn der vorliegenden Chronik, gerade auch für HistorikerInnen der verschiedenen Professionen ist die Integration des dtv-„Wörterbuchs der Geschichte“ von Konrad Fuchs und Heribert Raab. Dieses Lexikon liegt in der aktuellen Fassung vor und lässt sich nach Stichworten oder auch im Volltext durchsuchen. Sehr zweckmäßig ist auch die Suche im Hauptbereich: Ein einfaches Feld zur Eingabe eines zu suchenden Textes steht ständig zur Verfügung. Darüber hinaus kann ein umfangreicheres Suchmodul aufgerufen werden, das auch eine Suche mit Operatoren ermöglicht. Damit ist der digitale Kulturfahrplan tasächlich ein brauchbares Nachschlagewerk für schnelle kultur- und allgemeingeschichtliche Fragen.

Allerdings sind sehr viele Daten auch mit Vorbehalt zu nehmen, insbesondere dann, wenn sich historische Phänomene eben nicht auf ein datierbares Ereignis festlegen lassen. Sei es, dass die Seidenstraße offenbar nur ein Phänomen der beiden vorchristlichen Jahrhunderte war, dass sich Walther von der Vogelweide angeblich genau 1198 entschloss, fahrender Spielmann zu werden, oder dass das Unterhaltungsfernsehen seinen Höhepunkt im Jahre 1986 hatte. In diesen Fällen zeigt sich dann doch das Fehlen einer Längsschnittebene oder zumindest eines Netzes aus Querverweisen als konzeptioneller Mangel.

Zur Software: Standardmäßig startet der „Kulturfahrplan“ mit zwei Datenspalten. In jeder kann man nach den Hauptrubriken (Politik, Musik, Literatur usw.), den mitgelieferten Multimediabeispielen (Bild, Film, Ton), einem Stichwort oder einer Kombination aus diesen filtern lassen. Es lassen sich auch weitere Datenspalten öffnen und zeitlich synchronisieren. Beliebige Datenbankeinträge kann man in einer eigenen Sammlung speichern. Die Texte von einzelnen Einträgen oder auch ganzen Spalten lassen sich einfach in andere Anwendungen kopieren, die Multimediaelemente hingegen nicht. Die Benutzeroberfläche ist übersichtlich und eingängig. Bei der Installation hat man die Wahl zwischen unterschiedlichen Varianten bis hin zur Komplettablage, die 3,7 GB auf der Festplatte belegt. An Betriebssystemen werden nur die neueren Windows-Versionen unterstützt.

Fazit: Trotz der opulenten multimedialen und benutzerfreundlich aufbereiteten Faktenfülle kann der digitale „Kulturfahrplan“ nur ein erstes Hilfsmittel für die schnelle Suche nach Stichworten und Namen und für deren ungefähre zeitliche Einordnung sein. Das Prinzip chronologisch aufgereihter Einzelereignisse erweist sich allzu schnell als konzeptionelle Sackgasse. Und auch die Fähigkeit des Computers zu hypermedialen Vernetzungen wird leider nicht genutzt. Nichtsdestotrotz ist der Umfang an weltgeschichtlich bedeutsamen Fakten und an Multimedia-Elementen ungeheuerlich. Insbesondere für KulturhistorikerInnen des 19. und 20. Jahrhunderts, die über die Zusammenhänge bereits verfügen und Kontexte oder Bildbeispiele recherchieren möchten, ist diese Datenbank ein schätzenswertes Nachschlagewerk.

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