J. Frey u.a. (Hgg.): Deutungen des Todes Jesu im NT

Cover
Titel
Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament.


Herausgeber
Frey, Jörg; Schröter, Jens
Reihe
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 181
Erschienen
Tübingen 2005: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
IX, 707 S.
Preis
€ 109,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Paul Metzger, Seminar für Neues Testament, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Der hier anzuzeigende Band "Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament" dokumentiert ein Rundgespräch aus dem Herbst 2003, das sich zur Aufgabe gemacht hatte, eine zentrale Aussage christlicher Theologie in der Gegenwart neu zur Sprache zu bringen: die Rede vom Sterben Jesu für unsere Sünden bzw. zu deren Sühne. Da "ein exegetisch-systematischer Dialog über urchristliche Verständnisweisen des Todes Jesu und deren Implikationen für heutiges theologisches Denken und gegenwärtige kirchliche Praxis" (S. V) gewiss gefragt ist, will die Aufsatzsammlung verschiedene Perspektiven der unterschiedlichen theologischen Disziplinen miteinander ins Gespräch bringen. Dies drückt sich auch in der Anlage des Buches aus, das in vier Abschnitte eingeteilt ist. Allerdings liegt dabei das Gewicht - dem Titel entsprechend - auf exegetischen Beiträgen, während systematische oder praktisch-theologische Aspekte eher am Rande vertreten sind.

In einem ersten Teil ("Zur Einführung") leiten Jörg Frey, Jens Schröter und Friedericke Nüssel in die Thematik ein. Frey setzt dabei "Streiflichter zur exegetischen Diskussion", um verschiedene "Probleme der Deutung des Todes Jesu in der neutestamentlichen Wissenschaft" zu beleuchten. Dabei stellt er fest, dass es im Urchristentum zu diesem zentralen Thema der neutestamentlichen Theologie verschiedene Vorstellungen gegeben habe, die nebeneinander akzeptiert worden seien, was eine Anfrage an die sich ausschließenden Alternativen klassischer Soteriologien darstelle (S. 49). Schröter fragt im Anschluss nach der "Verwendung analytischer Kategorien zur Deutung des Todes Jesu" und stellt dabei Begriffe wie "Sühne, Stellvertretung und Opfer" in den Mittelpunkt. Damit fragt er nach sprachlich adäquaten Ausdrucksformen zur Interpretation der Geschehnisse um Jesu Tod (S. 51f.) und kommt zu dem Ergebnis, dass die genannten Begriffe deutende Abstraktionen sind, die eine "semantische Unschärfe" (S. 69) zu den Texten aufweisen, auf die sie sich beziehen. Deshalb sollte sich die "Nachzeichnung des Textbefundes […] sprachlich so eng wie möglich an diesem orientieren, wogegen Systematisierungen der Textphänomene erst einen zweiten, hierauf aufbauenden Schritt darstellen können" (S. 71). Nüssel gibt in ihrem Beitrag "Die Sühnevorstellung in der klassischen Dogmatik und ihre neuzeitliche Problematisierung" einen Überblick über soteriologische Konzepte von Anselm von Canterbury bis Georg W. F. Hegel. Danach zeigt sie, wie diese Konzepte in der jüngeren Dogmatik durchbrochen worden sind und zu neuen Ansätzen geführt haben (z.B. W. Pannenberg, J. Moltmann), die "im Rekurs auf das Neue Testament ein tieferes Verständnis des Kreuzestodes Jesu Christi in seiner Bedeutung für den Menschen" gewonnen hätten.

Im zweiten Hauptteil des Bandes werden "alttestamentliche, judaistische und religionsgeschichtliche Horizonte" beleuchtet, in denen der Tod Jesu gedeutet wurde. So beschreibt Bernd Janowski in seinem Beitrag "Das Leben für andere hingeben" alttestamentliche Voraussetzungen von Opfer und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass der Begriff der "Lebenshingabe" (sowohl aktiv: Jesus gibt sein Leben für andere hin - als auch passiv: Jesus wird von Gott dahingegeben) "so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner für die Deutung des Todes Jesu im Urchristentum" (S. 117) darstellen dürfte. Im Anschluss handelt Friedhelm Hartenstein über die "symbolische […] Bedeutung des Blutes im Alten Testament" und kommt zu der bekannten Erkenntnis, dass das Blut als Sitz des Lebens zu verstehen ist, das seinem Schöpfer in der Ausschüttung am Fuß des Opferaltars zurückgegeben wird. Jan Wilhelm van Henten beleuchtet sodann den judaistischen Hintergrund der Deutung des Todes Jesu, indem er das "Jewish Martyrdom" in Beziehung zu Jesu Tod setzt und annimmt, dass sich Jesus selbst durchaus als jüdischer Märtyrer verstanden haben kann. Demselben Horizont widmet sich auch Friedrich Avemarie in seinem Beitrag "Lebenshingabe und heilschaffender Tod in der rabbinischen Literatur"; er zeigt äußerst kundig, dass die christliche Konzentration auf den Tod eines Einzelnen und dessen universelle Heilswirkung dem rabbinischen Denken fremd ist. Einen Zugang von hellenistischen Vorstellungen wählt Henk S. Versnel, der unter dem Titel "Making Sense of Jesus' Death" "The Pagan Contribution" beleuchtet und zeigt, dass auch dieser Horizont zur Deutung des Todes Jesu seinen Beitrag leistet.

Nachdem der Bereich abgeschritten ist, der die Voraussetzungen für die frühchristlichen Deutungen des Todes Jesu bildet, widmet sich der dritte Hauptteil dem eigentlichen Thema des Bandes: den "Deutungen im Neuen Testament und im frühen Christentum". In der Absicht, lediglich "einen Anstoß zur weiteren Diskussion zu liefern" (S. 313), fragt Michael Wolter ("Der Heilstod Jesu als theologisches Argument") zunächst danach, "in welcher Weise die Autoren der neutestamentlichen Schriften den Tod Jesu in theologische Begründungszusammenhänge integriert haben" (S. 297). Danach versucht Ruben Zimmermann die Alternative von dogmatischem und traditionsgeschichtlichem Zugang zum Deutungsproblem zu überwinden, indem er "die sprachlich-stilistische Gestalt der theologischen Sinnstiftung" (S. 316) beleuchtet und unter dem Titel "'Deuten' heißt erzählen und übertragen" die "Narrativität und Metaphorik als zentrale Sprachformen historischer Sinnbildung zum Tod Jesu" in den Blick nimmt. Während die vorangehenden Beiträge die Fülle der neutestamentlichen Texte betrachteten, widmet sich Thomas Söding dezidiert dem Römerbrief. Er überschreibt seinen Beitrag "Sühne durch Stellvertretung. Zur zentralen Deutung des Todes Jesu im Römerbrief" und führt aus, dass Paulus "das schlechterdings Positive, das Leben Gottes, aus dem schlechterdings Negativen, dem Tod des Menschen" entstehen sieht; "mit Hilfe des Stellvertretungsmotivs" sage Paulus, "wie dies geschieht: durch die radikale Anteilnahme Gottes am Leben der Menschen in Form der Lebenshingabe Jesu 'für' sie" (S. 396). Im Anschluss daran führt Christine Schlund "Deutungen des Todes Jesu im Rahmen der Pesach-Tradition" vor.

Christfried Böttrich widmet sich sodann der "Proexistenz im Leben und Sterben", wobei er besonders den Tod Jesu bei Lukas untersucht und bestätigt, was bereits die ältere Forschung sah, dass der Tod Jesu bei Lukas "einen festen Platz ein[nimmt], ohne zur dominierenden Größe zu werden" (S. 435). Vor allem der Rezeption von Jes 53 im 1. Petrusbrief betrachtet im folgenden Beitrag Cilliers Breytenbach, der mit "Christus litt euretwegen" überschrieben ist und in dem gezeigt wird, wie der Autor des Briefes "die existenzbegründende Rolle des gewaltsamen Sterbens Christi und die paradigmatische Bedeutung seines Leidens" (S. 454) hervorhebt. Nur einen "Versuch" unternimmt im Anschluss Hermut Löhr, wenn er die "Wahrnehmung und Bedeutung des Todes Jesu nach dem Hebräerbrief" untersucht und feststellt, dass der Tod Jesu "nach Auffassung des Textes der einzige Menschentod ist, der heilsame Bedeutung für andere hatte und weiterhin hat" (S. 474). "Zur soteriologischen Relevanz des Todes Jesu nach der Johannesapokalypse" äußert sich Thomas Knöppler in seinem Beitrag "Das Blut des Lammes"; er zeigt, wie durch die Rede vom geopferten Lamm Gottes auf metaphorische Weise "die Identität des Gekreuzigten mit dem zum himmlischen Richter Eingesetzten zur Sprache" (S. 511) kommt. Dem koptischen Thomasevangelium widmet sich Enno E. Popkes in seinem Beitrag "Die Umdeutung des Todes Jesu" und führt damit eine "Sonderstellung" (S. 513) innerhalb der frühchristlichen Deutungen vor, da hier - wenig überraschend - Jesu Tod im Rahmen gnostischer Anthropologie und Soteriologie verstanden werde. Einen Überblick über die "Deutungen der Passion Christi bei Heiden und Christen im zweiten und dritten Jahrhundert" gibt Winrich A. Löhr und bespricht unter anderem die Positionen von Celsus und Irenäus.

Das Buch schließt mit einem vierten Teil, der mit zwei Aufsätzen "systematische und religionspädagogische Perspektiven" entfaltet: zunächst die "Deutung der Passion als Passion der Deutung. Zur Dialektik und Rhetorik der Deutungen des Todes Jesu" von Philipp Stoellger, sodann Mirjam Zimmermanns "Die (Be-)Deutung des Todes Jesu in der Religionspädagogik". Sie wirft das Problem auf, dass es Schülern schwer fällt, Gott als Vater zu sehen, der seinen eigenen Sohn opfert. Davon ausgehend entwickelt sie verschiedene Richtkompetenzen, die in die Behandlung des Themas im Unterricht einfließen sollten und das Thema für Schüler gewinnbringend erschließen, Der Band wird durch biografische Notizen zu den Autoren, durch ein Autoren-, ein Stellen- und ein Sachregister abgerundet.

Im Ergebnis liegt nicht nur ein Überblick zu verschiedenen Deutungen des Todes Jesu, sondern auch zu unterschiedlichen modernen Herangehensweisen und Perspektiven auf das Thema vor. Sicherlich wäre es wünschenswert gewesen, weitere systematische Beiträge zur Kenntnis nehmen zu können, doch kann dies einem anderen Band vorbehalten bleiben, da bereits dieser Band mit ca. 700 Seiten recht umfangreich ausgefallen ist. Insgesamt enthält der Band neben mehr oder minder inspirierten und inspirierenden Beiträgen interessante Ansätze (R. und M. Zimmermann) und gelungene Überblicke (Frey, Nüssel) und bildet damit ein in seiner Auswahl anspruchvolles - vor allem exegetisches - Kompendium zu einem Zentralthema christologischen und soteriologischen Fragens.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension