R. Aldrich: Vestiges of the Colonial Empire in France

Titel
Vestiges of the Colonial Empire in France. Monuments, Museums and Colonial Memories


Autor(en)
Aldrich, Robert
Erschienen
Basingstoke 2005: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
383 S.
Preis
$90.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Zeller, Berlin

Als 1992 alle sieben Bände des Monumentalwerkes „Lieux de mémoire“ erschienen waren, musste sein Herausgeber Pierre Nora das Fehlen des Kolonialismus in seiner Topografie des französischen Gedächtnisses eingestehen.1 Bei dem Versuch einer umfassenden Bestandsaufnahme des kulturellen Gedächtnisses der Franzosen hatte Nora nur ein einziges Stichwort mit kolonialhistorischen Bezügen in seine Reihe aufgenommen, nämlich die Kolonialausstellung 1931 in Paris. Mit dem nun vorliegenden Buch des australischen Historikers Robert Aldrich kann diese Lücke als geschlossen gelten. Der Autor hat das Land auf und ab bereist und sich auf Spurensuche nach den kolonialen Relikten des französischen Empires begeben. Herausgekommen ist eine eindrückliche Sammlung kolonialer Erinnerungsorte in Frankreich, das einst nach Großbritannien das zweitgrößte Reich in Übersee sein eigen nannte. Die „raumgewordene Erinnerung“, wie Walter Benjamin dies genannt hat, manifestierte sich in Denkmaltypen aller Art, von kleinen Gedenkplaketten bis hin zu monumentalen Denkmalensembles, in Häusern, Straßennamen, kolonialen Museen und aktuellen Geschichtsinitiativen zur Memorierung des „größeren Frankreich“.

Die wichtigste Kolonialmetropole Frankreichs war natürlich Paris. Hier befand sich das Zentrum des französischen Kolonialprojekts, das Ministère des Colonies. Das Gebäude beherbergt bis heute die Verwaltung der Frankreich verbliebenen zehn Überseeposten, darunter Guadeloupe, Martinique, Französisch Guayana und Réunion. Die größte Ansammlung kolonialer Orte in Paris findet man im und um den Stadtpark von Vincennes, wo u.a. der Jardin Tropical de Paris sein Domizil hat, hervorgegangen aus dem kolonialen botanischen Garten oder das Palais de la Porte Dorée, das ehemalige Kolonialmuseum, an dessen Eingangspforte die vergoldete Monumentalfigur La France colonisatrice von längst vergangener Kolonialherrlichkeit kündet. Auch im Pariser Pantheon ist Aldrich fündig geworden. Dort sind die sterblichen Überreste von Félix Eboué beigesetzt, dem einzigen Schwarzen, der Eingang ins Nationalheiligtum der Franzosen gefunden hat. Eboué arbeitete ehedem im Dienste der französischen Kolonialadministration, er war Gouverneur des Tschads und anschließend Gouverneur von Französisch Äquatorialafrika. Der am häufigsten erinnerte Kolonialist ist übrigens Marschall Lyautey, Kolonialoffizier in Indochina, Administrator auf Madagaskar und Herrscher von Marokko.

Aber auch in der Provinz fand die Monumentalisierung des Imperialismus statt. Kaum zu überblicken ist die Anzahl kolonialer Grabstätten und Ehrenmale für „verdiente“ Forscher, Kolonialsoldaten, Gouverneure und Missionare. Aldrich diskutiert die im Kontext der Denkmalgeschichte klassischen Fragen, zu wessen Diensten und mit welchen Funktionen die öffentliche Gedenkkultur und ihre politische Ikonografie genutzt wurde. Viele der zoologischen Gärten sind ebenfalls kolonialen Ursprungs, stellte doch der Zoo mit seiner exotischen Traumlandschaft eine Allegorie des europäischen Hegemonialanspruchs dar. Die im Überseehandel traditionsreiche Hafenstadt Marseille war wie keine zweite Stadt in Frankreich direkt mit dem Kolonialreich verbunden. Nicht nur die beiden Skulpturen „Asien“ und „Afrika“ am Bahnhof erinnern daran. Ein weiteres Denkmal in Marseille ist den Rückkehrern aus Algerien, den pieds-noirs, gewidmet, das aber ein recht selektives Geschichtsbild vermittelt. Seine Inschrift memoriert zwar das Leben und die Arbeit der französischen Siedler, sie geht aber mit keinem Wort auf den blutigen Krieg und den letztlich fehlgeschlagenen Versuch ein, Algérie francaise zu behaupten. Wie einseitig der Erinnerungsdiskurs oftmals ausfällt und mit dem Vergessen einhergeht, zeigt sich auch in Bezug auf die Sklaverei. Man feiert die Freilassung der Sklaven, während die eigene Teilnahme am Sklavenhandel geflissentlich unterschlagen wird.

Nur wenige Gedächtnisorte in Frankreich sind dagegen der Geschichte des Antikolonialismus gewidmet, so etwa Straßen, die nach Simon Bolivar benannt sind. Eine öffentliche Ehrung für den antikolonialen Freiheitskämpfer Ho Chi Minh sucht man vergeblich. Ein Werk antikolonialer Kunst ist immerhin im Straßburger Musée d’Art moderne et contemporain zu entdecken. Ein aus dem Jahr 1960 stammendes Gemälde, dem die Künstlergruppe den Titel Grand Tableau Antifasciste gab, prangert den Algerien-Krieg an. In unserem postkolonialen Zeitalter hat es allerdings nicht an Bemühungen gefehlt, die Relikte der Kolonialzeit zu dekolonisieren. Abgesehen von gelegentlichen Denkmalzerstörungen durch Unbekannte, wurden Wandbilder an alten Kolonialbauten übertüncht, es gab Umbenennungen von Straßennamen oder es wurden Museumsausstellungen mit Beständen „primitiver Kunst“ aus den ehemaligen Kolonien neu geordnet, welche nun als Kulturerbe der Menschheit präsentiert werden. Bisher marginalisiert, mittlerweile aber in das Gedächtnis mit eingeschlossen werden die tirailleurs sénégalais und die zouaves, die Männer aus Afrika, Asien und dem Pazifik, die auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges für das „Mutterland“ ihr Leben gelassen haben, wie die harkis, die algerischen Freiwilligen in der französischen Armee.

Aldrich konstatiert, dass sich im Umgang mit Denkmälern und Museen drei Phasen der Erinnerung widerspiegeln. In den Jahren von 1890 bis zum Zweiten Weltkrieg wurden zahllose Denkmäler zum Ruhme französischer Kolonialisten gestiftet und die Kolonialherrschaft als mission civilisatrice legitimiert. Ab den 1960er-Jahren, als Frankreich erfolglose Kriege ausfocht, um sein Kolonialreich zu behaupten und schließlich doch gezwungen war, seine Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen, geriet das Empire in Vergessenheit. Ja es war geradezu ein Tabu, darüber zu sprechen. Erst nach dem Ende der traumatischen Dekolonisation, ab Mitte der 1980er-Jahre, setzte eine erneute Auseinandersetzung ein, die dann um so heftiger ausfiel. Die keineswegs einheitliche Haltung der Franzosen zu ihren ehemaligen Kolonien beschreibt der Autor als ambivalent, eine Mixtur von Nostalgie, verblassendem Stolz auf der einen und Scham und gelegentlichen Entrüstungen über begangene Kolonialverbrechen auf der anderen Seite. Erst kürzlich kam es wieder zu einem heftigen Streit, nachdem im Februar 2005 ein Gesetz ins Parlament eingebracht wurde, durch das eine positive Darstellung der Kolonialgeschichte in den Schulcurricula vorgeschrieben werden soll. Kritiker, darunter auch Vertreter verschiedener Migrantengruppen, wiesen eine derartige Kolonialapologetik zurück. Als ein Versuch Frankreichs, mit seiner kolonialen Vergangenheit ins Reine zu kommen, ist der Plan zu sehen, in Marseille ein Museum für Kolonialgeschichte zu bauen. Das Mémorial National de l’Outre-Mer, dessen Eröffnung frühesten für das Jahr 2006 zu erwarten ist, wäre das erste seiner Art im Lande.

Mit seiner Studie kann Aldrich für sich in Anspruch nehmen, erstmalig der Erinnerungskultur des Kolonialimperialismus in Frankreich auf den Grund gegangen zu sein. Er kündigt eine weitere Spurensuche in den ehemaligen französischen Kolonien an, ein Buch, auf das man jetzt schon gespannt sein darf.

Anmerkung:
1 Nora, Pierre (Hg.), Les lieux de mémoire, 7 Bde., Paris 1986-1992.

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