S. Spoun u.a. (Hgg.): Studienziel Persönlichkeit

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Titel
Studienziel Persönlichkeit. Beiträge zum Bildungsauftrag der Universität heute


Herausgeber
Spoun, Sascha; Wunderlich, Werner
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Campus Verlag
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Keisinger, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Der vorliegende Band, herausgegeben von den in St. Gallen lehrenden Medien- bzw. Wirtschaftswissenschaftlern Werner Wunderlich und Sascha Spoun, geht zurück auf ein Symposium, welches unter dem Titel Universität und Persönlichkeit im November 2003 in Kooperation zwischen den Universitäten St. Gallen, der Technischen Universität Hamburg-Harburg und der ebenfalls in Hamburg angesiedelten Bucerius Law School (BLS) mit Unterstützung von Seiten der ZEIT-Stiftung abgehalten wurde. Als verbindende Klammer wirkte für die drei universitären Veranstalter dabei offenbar der Anspruch, ihren Studierenden nicht lediglich die Grundvoraussetzungen für eine bestmögliche fachliche Ausbildung zur Verfügung zu stellen, sondern die Bedeutung der Universität als einem traditionellen Ort der Wertevermittlung und Persönlichkeitsbildung hervorzuheben. Denn, so lässt sich der Vorrede der beiden Herausgeber entnehmen, in einer gesellschaftlichen Situation, die aufgrund wirtschaftlicher Entwicklung persönliche Qualifikationen über die reinen Fachkenntnisse hinaus für den beruflichen Wettbewerb auf dem nationalen und internationalen Arbeitsmarkt immer wichtiger mache, reiche es eben nicht aus, die Universität auf die Rolle der reinen Vermittlerin von Fachwissen zu reduzieren. Stattdessen gelte es, „Persönlichkeitsbildung gleichrangig neben die Vermittlung von Wissen und Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten“ in eine „curricular aufgebaute Studienarchitektur“ einzubeziehen (S. 18f.). Auf welche Weise man sich an den drei genannten Hochschulen um die Umsetzung dieses Ansinnens bemüht, sollen die Beiträge von Sascha Spoun, Ulrike Pluschke (BLS Hamburg) und Margarete Jarchow (Technischen Universität Hamburg-Harburg) verdeutlichen. Im Mittelpunkt steht dabei neben der Vermittlung so genannter Soft skills, wie „die Befähigung zur Teamarbeit und Kommunikationsstärke“ (S. 372), die Bedeutung eines Studium generale als einem „studienbegleitenden Fächerkanon“ (S. 356), welches den Studierenden ermöglichen soll, den eigenen Horizont über den jeweiligen Fachbereich hinaus zu erweitern. Mit einem Blick auf das in St. Gallen praktizierte Mentoring und Coaching-Programm werden abrundend die positiven Auswirkungen einer intensiven Kleingruppenbetreuung in den Vordergrund gestellt, welches, dadurch dass es sich nicht lediglich auf das universitäre Umfeld beschränke, sondern in Kooperation mit externen Institutionen und Unternehmen stattfinde, den Studierenden Kompetenzen weit über das rein fachliche hinaus zu vermitteln in der Lage sei (S. 349). Mit diesem Programm wird unter anderem einem Phänomen Rechnung getragen, auf das der Wirtschaftsjournalist Uwe Jean Heuser (Hamburg) an anderer Stelle in dem Band hinweist: dem Bewusstseins- bzw. Realitätenwandel, erkennbar sowohl innerhalb der Universitäten selbst, wie auch von außen, sprich von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, an diese herangetragen, den Ausbildungsauftrag nicht lediglich auf die Vermittlung akademischer Fähigkeiten zu beschränken, sondern gleichermaßen auf Aspekte einer umfassenden Persönlichkeitsbildung auszuweiten (S. 389f.).

Mit solchen doch eher praktisch orientierten Überlegungen beschäftigt sich der Band allerdings erst in den beiden letzten von insgesamt sechs Kapiteln. Bevor man dort angelangt wird in einem ersten Abschnitt zunächst der Frage nachgegangen, was denn eigentlich unter der Begrifflichkeit „Persönlichkeitsbildung“ zu verstehen ist und in welchem Rahmen eine solche überhaupt sinnvollerweise als Teil eines universitären Curriculums aufgefasst werden kann. Daran anschließend wird der Wert von klassisch-humanistischer Bildung in Hinblick auf Kompetenzen wie Sprachbeherrschung, Denkbegabung und Innovationsfähigkeit thematisiert (Abschnitt II), ebenso wie die Bedeutung kultureller Kompetenzen als einem Faktor der Persönlichkeitsbildung (Abschnitt III). In einem vierten Teil werden schließlich Antworten auf die Frage gesucht, inwieweit Wissenschaft per se bereits einen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung liefern kann. Die Kapitel V. und VI. widmen sich abschließend, wie eingangs bereits kurz anskizziert, den Möglichkeiten der praktischen Umsetzung universitärer Persönlichkeitsbildung im Studienalltag und diskutieren die gesellschaftliche Notwendigkeit solcher Maßnahmen.

Methodisch-empirisch allerdings, so müssen die Verhaltenswissenschaftler Karl Frey und Daniel Preckel (Zürich) in ihrem Beitrag zunächst einräumen, könne die Frage nach dem Einfluss der Universität und des Studiums auf die Persönlichkeitsbildung kaum beantwortet werden. Bei Persönlichkeitseigenschaften handle es sich nämlich um relativ stabile Eigenschaften eines Individuums, die sich bei Studienanfänger/innen bereits weitestgehend entwickelt und stabilisiert haben. (S. 80) Muss hieraus jedoch zwangsläufig der Schluss gezogen werden, dass ein Einfluss der Universität auf die Persönlichkeitsbildung nicht möglich ist? Der Soziologe Thomas S. Eberle (St. Gallen) verneint dies. So müsse zwar von gewissen überdauernden und beim Studienantritt bereits verfestigten Persönlichkeitsmerkmalen ausgegangen werden, meint Eberle, niemand jedoch werde ernsthaft bestreiten, „dass Dialogfähigkeit, Beziehungsfähigkeit, praktizierte Ethik oder Horizonterweiterung durch humanistische Bildung mit dem Ende der Adoleszenz abgeschlossen sind“ (S. 38).

Die grundlegende Richtung für die weitere Debatte ist damit zweifelsohne vorgegeben, „Kommunikationsfähigkeit“, so scheint es, heißt das Zauberwort. Dabei verweisen zunächst Achatz von Müller und Henriette Harich-Schwarzbauer (beide Basel), ebenso wie Theresa Fuhrer (Freiburg) auf die grundlegende Bedeutung der klassischen Bildung im Rahmen des Universitätsstudiums. Auch wenn es sich beim Lateinischen zwar um keine aktive Kommunikationssprache mehr handle, so könne dennoch, meint Fuhrer, der praktische Wert von Lateinkenntnissen gerade in Hinblick auf die allgemeine Sprach- und damit auch Kommunikationskompetenz sowie den damit verbundenen dialogischen Fähigkeiten, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. (S. 88ff.) Mit Blick auf die Juristenausbildung schließt sich Andreas Thier (Zürich) dieser Einschätzung an und verweist zudem auf die mit klassischer Bildung einhergehende „Stärkung der juristischen Reflexionskompetenz“ (S. 149), welche durch die Kenntnis klassischer Bildungselemente wie eben dem Lateinischen oder auch rhetorischer Grundfähigkeiten, gefördert werde. Doch nicht alleinig die klassische Bildung, auch die Aneignung so genannter „kultureller Kompetenzen“ (S. 157), gemeint ist hier vorwiegend die Fähigkeit zum Umgang mit fremden Sprachen, Kulturen und Menschen, dient im Zuge des Studiums der Förderung von Kommunikationskompetenzen und Reflexionsfähigkeit gleichermaßen. Eine das Fachstudium flankierende Erweiterung um geistes- und kulturwissenschaftliche Komponenten hält Christel Brüggenbrock (St. Gallen/Zürich) daher für die Ausbildung von sowohl Medizinern als auch Juristen für sinnvoll (S. 160).

Schließlich wird neben den der klassischen Bildung und den kulturellen Kompetenzen auch noch der Beschäftigung mit Wissenschaft selbst eine maßgebliche Bedeutung bei der Persönlichkeitsbildung an den Universitäten beigemessen, denn, so meint Werner Wunderlich, „der Umgang mit Wissenschaft im Studium [...] hält zu differenzierender Wahrnehmungsfähigkeit, zu argumentierender Urteilskraft, zu umfassender Kommunikationsfähigkeit, zu intelligenter Kreativität an“ (S. 209). Julian Nida-Rümelin (München) und Herbert Pietschmann (Wien) stützen diese These und verweisen, mit Blick auf vornehmlich methodische und erkenntnistheoretische Elemente, auf die Bedeutung von geistes- bzw. naturwissenschaftlichen Perspektiven für den Prozess der universitären Persönlichkeitsbildung.

Zwei Punkte Dinge stoßen bei der Lektüre des Buches ins Auge. Es handelt sich dabei zum einen um die Rolle, die den Geisteswissenschaften beim Prozess der Persönlichkeitsbildung an der Universität von vielen der AutorInnen offenbar beigemessen wird, zum anderen um die dem Band zweifellos zugrunde liegende bildungspolitische Intention im Rahmen der europäischen Hochschulreformdebatte.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass der vorliegende Band an mehreren Stellen auf die angloamerikanische Hochschulsituation Bezug nimmt. Zweifellos wird dieser (und auch zu Recht) eine gewisse Vorbildfunktion bei den nun anstehenden Reformen des Hochschulwesens auch im deutschsprachigen Raum beigemessen. Gerade aber mit Blick auf die starke Stellung, die den Geisteswissenschaften an den amerikanischen Universitäten zukommt, erscheint es ein wenig befremdlich, sie hier auf eine Dimension zu reduzieren, so zumindest macht es in zahlreichen Beiträgen den Eindruck, deren Bedeutung sich weitgehend auf diejenige einer ‚Ergänzungswissenschaft’ beschränkt, dazu geeignet, das eigentliche Curriculum mit einen kulturellen Kompetenzen oder kommunikativen Soft skills zu bereichern. Ob eine solche Reduktion der Bedeutung der Geisteswissenschaften gerecht wird, ist zumindest fraglich.

Zum anderen ist, wie unschwer zu erkennen, dem Band eine bildungspolitische Stoßrichtung mit klarer Ausrichtung zueigen. So wird von den Herausgebern bereits eingangs ausdrücklich auf den so genannten Bologna-Prozess verwiesen, in dessen Kontext sie ihre Publikation verortet wissen möchten. Sorgen, dass an deutschsprachigen Universitäten im Übereifer der Reformbemühungen bei der Vereinheitlichung von Studiengängen nach dem BA/MA-Prinzip bewährte Traditionen und Strukturen „blindlings einem unreflektierten Modernismus geopfert“ werden könnten, teilen sie nicht. Ebenso halten sie die Befürchtung für unangebracht, dass eine „im positiven Sinne charakterliche Weiterentwicklung der Studierenden [...] infolge der Konzentration auf prüfungsrelevante Stoffe und angesichts intensiver fachlicher Leistungsanforderungen des neuen Studiensystems zu kurz kommen“ könnte (S. 17f.). Einen Beitrag dies zu vermeiden soll nicht zuletzt ihr Band leisten. Ist gegen eine prinzipiell positive Einschätzung des in Bologna im Juni 1999 beschrittenen Weges sicherlich nichts einzuwenden, so findet sich der vorliegende Band dennoch gelegentlich auf einer engen Gratwanderung zwischen theoretischer Forderung und praktischer Umsetzbarkeit. Wie im Rahmen von verkürzten BA/MA-Studiengängen, höherer Studierendenquoten und damit automatisch einhergehend gekürzten finanziellen Mitteln, bei konsequenter Aufrechterhaltung der Trennung von Forschung und Lehre, neben hochwertiger Fachqualifikation zudem noch das anskizzierte „Studienziel Persönlichkeit“ im Rahmen der universitären Ausbildung flächendeckend verwirklicht werden soll, erscheint (zumindest jenseits von St. Gallen und Hamburg-Harburg) rätselhaft.

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