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Titel
Willy Hellpach (1877-1955). Biographie eines liberalen Politikers der Weimarer Republik


Autor(en)
Kaune, Claudia-Anja
Reihe
Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 15
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
441 S.
Preis
€ 68,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Schneider, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Eine umfassende biografische Auseindersetzung mit dem bekannten Sozial- und „Völkerpsychologen“, DDP-Politiker und Publizisten Willy Hellpach war bislang ein Desiderat der Forschung. Die vorliegende, im Wintersemester 2004/05 an der Universität Mainz eingereichte Dissertation von Claudia-Anja Kaune schließt nun diese Forschungslücke und versucht „das politische Leben Willy Hellpachs […] methodisch auf dem Wege der historischen Biographie“ (S. 12) aufzuarbeiten. Dabei lässt die Autorin jedoch jegliche methodisch-theoretische Reflexion im Umgang mit dieser nicht unproblematischen geschichtswissenschaftlichen Darstellungsform vermissen und führt lediglich in einer Fußnote pauschal einige Titel an, die aber nicht weiter diskutiert werden.1 Zielsetzung ihrer Arbeit, die auf der Basis von Hellpachs äußerst umfangreichem publizistischen Œuvre sowie zahlreichen anderen Archivbeständen erarbeitet wurde, „ist es zu prüfen, […] ob Hellpach der Idealtypus eines antidemokratischen, antiliberalen und antiparlamentarischen Denkers war.“ (S. 19) Mit dieser Fragestellung setzt sie sich mit einer jüngst von Christian Jansen formulierten These auseinander, wonach Hellpach die Inkompatibilität von Parlamentarismus, Liberalismus und Demokratie behauptet und somit eine im deutschen Bürgertum weit verbreitete antiliberale Mentalität verkörpert habe, die in nicht unerheblichem Maße mitverantwortlich für den Untergang der ersten deutschen Demokratie gewesen sei.2

Hellpach, aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend, begriff frühzeitig, dass sozialer Aufstieg über Bildung möglich war und entwickelte fortan einen großen Ehrgeiz. Nach dem Studium der Medizin und Psychologie in Greifswald und Leipzig, wo vor allem Wilhelm Wundt und Karl Lamprecht zu seinen akademischen Lehrern zählten, promovierte Hellpach 1900 bei Wundt zum Doktor der Philosophie. Drei Jähre später erfolgte die Promotion zum Doktor der Medizin bei Franz Nissl, 1906 die Habilitation bei Wilhelm Windelband, und 1911 wurde Hellpach zum nichtplanmäßigen außerordentlichen Professor für Psychologie an der TH Karlsruhe ernannt. In der Zeit des Ersten Weltkrieges, während der Hellpach als Arzt an der Westfront tätig war, „entwickelte er die noch vage Idee einer konservativen Demokratie, ohne sie bereits so zu benennen. Die Verwirklichung dieses Konzeptes wurde später sein politisches Lebensziel“ (S. 55).

Hellpachs politisches Leben in den Jahren der Weimarer Republik war gekennzeichnet durch den Eintritt in die DDP (1918), die Ernennung zum badischen Kultus- und Staatsminister (1922/24), wobei er diese Ämter in Folge der Nichtwiederauflage der Weimarer Koalition in Baden 1925 wieder ablegte, die Reichspräsidentschaftskandidatur im selben Jahr sowie die Mitgliedschaft im Deutschen Reichstag (1928-1930). Zudem gelang es ihm, seine wissenschaftliche Karriere mit Ernennungen zum ordentlichen Honorarprofessor für allgemeine und angewandte Psychologie in Karlsruhe (1922) und Heidelberg (1926) zu forcieren, wenngleich ihm ein ordentliches Ordinariat verwehrt blieb und seine wissenschaftliche Reputation nicht zuletzt durch sein parteipolitisches Engagement Schaden nahm.

In dieser Zeit konzipierte Hellpach seine Idee der „konservativen Demokratie“, die auf drei Säulen fußen sollte: „einer berufsständischen Volksvertretung, die er 1928 vertrat, einer zweiten, dem Senatsgedanken angelehnten Körperschaft und der Errichtung einer Wirtschaftsdemokratie als Basis des politischen Systems, die er 1948 hinzufügte“ (S. 183). Eine besondere Bedeutung in seinem Regierungssystem maß Hellpach einem starken Reichspräsidenten bei, dessen charismatische Eigenschaften er akzentuierte, dem er die demokratische Führung des Volkes zuwies und den er als Korrektiv neben dem Parlament betrachtete. Diese „konservative Demokratie“ sollte getragen werden von einer – die Republik affirmierenden – „konservativen Volkspartei“ neben der SPD, für deren Gründung er sich vor allem in der Spätphase der Weimarer Republik einsetzte. In dieser Phase übte Hellpach auch vermehrt Kritik am bestehenden Regierungssystem – er kritisierte den Kompetenzverlust des Parlamentes sowie die zunehmende Machtverlagerung von der Reichsebene auf die Länder –, wobei er, so Kaune, nicht „die Existenz der Verfassung, ihrer Institutionen und Organe, wie des Parlaments“ (S. 234) in Frage gestellt habe. Vielmehr habe er konstruktive Kritik an den Funktionsschwächen des parlamentarischen Systems formuliert, was ihn aber nicht zu einem Vertreter des antidemokratischen und antiparlamentarischen Lagers qualifiziere. Reformen, so betonte Hellpach 1926, könnten nur „auf dem Boden der Demokratie und der Repräsentativverfassung durchgeführt werden“ (S. 214).

Mit der Niederlegung des Reichstagsmandats endete 1930 die politische Laufbahn Hellpachs, nicht zuletzt aufgrund der Überschätzung seiner eigenen Stellung in der DDP, in der er stets marginalisiert war, und der Unterschätzung parteiinterner Mechanismen. Er zog sich wieder in die Wissenschaft zurück, dies um so stärker, als ihm die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, die er zwar, so Kaune, als „dynamisch empfundene Situation“ (S. 315) wahrgenommen, gleichwohl aber nicht positiv bewertet habe – in diesem Zusammenhang sprach Hellpach von „Passionswochen“ –, kaum noch politisch-publizistische Entfaltungsmöglichkeiten ließ. Weder war Hellpach Mitglied der NSDAP noch habe er trotz der Verwendung von Begriffen wie „Volk“ und „Rasse“ der nationalsozialistischen Ideologie nahe gestanden, was nicht zuletzt damit zusammenhing, dass er „irrigerweise [glaubte], Begriffe des Zeitgeistes in seinem Sinne verwenden zu können“ (S. 335f.). Das „Dritte Reich“ überstand er weitgehend unbeschadet und wurde im Entnazifizierungsverfahren als unbelastet eingestuft. Bis zu seinem Tod 1955 führte er seine psychologischen Forschungen fort und propagierte nach wie vor die Einführung einer „konservativen Demokratie“, die in seinen Augen ein pazifistisches und neutralistisches Deutschland ermöglichen sollte.

Die hier rezensierte Arbeit stellt eine durchaus informative und quellennah geschriebene Studie dar, die zu dem Urteil kommt, dass Hellpach sich „nicht als Idealtypus eines antiliberalen und antiparlamentarischen Denkers“ eigne, da er „der Weimarer Republik teils positiv-affirmativ und teils kritisch-konstruktiv, nicht jedoch fundamental ablehnend gegenüber [stand]“ (S. 357f.). Eine rigorose Republikgegnerschaft, darin ist der Verfasserin zuzustimmen, kann man Hellpach zwar kaum nachweisen. Gleichwohl erscheint aber das Bild eines „liberalen Politikers der Weimarer Republik“ in Kaunes Arbeit allzu positiv. Denn vergleicht man ihre Argumentation mit derjenigen Jansens, stellen sich diesbezüglich erhebliche Zweifel ein. Schließlich kann Jansen recht überzeugend belegen, wie Hellpach in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre immer prononciertere Kritik an der parlamentarischen Demokratie vorbrachte, die auf die Ersetzung der parlamentarischen Demokratie durch eine „Demokratie mit Parlament“ zielte und mittels „echter Volksmajorität“ und „echter Führerautorität“ eine Alternative zur „Cliquenherrschaft“ darstellen sollte. Nicht zuletzt in der NSDAP sah Hellpach die Verwirklichung dieses Modells, da diese die mittelbare, parlamentarische „Parteienherrschaft“ beseitigen und durch eine direkte „Volksherrschaft“ ersetzen werde.3 Somit erscheint auch die von Kaune suggerierte ablehnende Haltung gegenüber der nationalsozialistischen Machtübernahme fraglich, die noch dadurch verstärkt wird, dass die Verfasserin nicht unproblematische Zitate, die von Jansen vorgebracht werden, weder aufführt noch diskutiert, die aber deutlich offenbaren, dass Hellpach in nicht unbedeutenden Maße von dem antiintellektuellen Gestus der Primitivität der Nationalsozialisten angetan war.

Darüber hinaus sind mit der Arbeit weitergehende Defizite verbunden: Neben der fehlenden methodisch-theoretischen Fundierung des biografischen Zugriffs, einer nur kursorisch zu nennenden gesellschaftsgeschichtlichen Kontextualisierung und häufigem bloßen Referieren auch belangloser Details ist meines Erachtens vor allem die Fragestellung nicht unproblematisch, die, so scheint es, lediglich darum bemüht ist, Willy Hellpach von Vorwürfen antiliberalen und antiparlamentarischen Denkens zu exkulpieren.4 Mit dem Impetus einer Strafverteidigerin sucht die Verfasserin unentwegt „Indizien für demokratisches Denken“ (S. 359). Doch was wäre gewonnen, wenn wir seine „Unschuld“ bewiesen hätten? Demgegebüber wäre es vielleicht gewinnbringender gewesen, den Blick wegzulenken von Ideen und Intentionen, und stärker auf die Effekte von spezifischen Praktiken zu schauen. Denn auch wenn Hellpach sich selbst als (konservativen) Demokraten betrachtete, der mit seiner Kritik keineswegs beabsichtigte, das brüchige Fundament der Republik vollends auszuhöhlen, kann man dennoch an seiner Person beispielhaft beobachten, welche nicht-intendierten Folgen ein spezifisches Handeln haben konnte. So trug etwa seine Mandatsniederlegung, die insbesondere von der rechten Presse instrumentalisiert wurde, ungewollt zur Delegitimierung des bestehenden politischen Systems bei. Weimar ist eben nicht nur durch ein Zuviel an radikaler Demokratiefeindlichkeit untergegangen, sondern eben auch durch ein Zuwenig an bedingungsloser Republikverteidigung.

Anmerkungen:
1 Vgl. dagegen z.B. die Auseinandersetzung mit methodischen Problemen bei: Meineke, Stefan, Friedrich Meinecke. Persönlichkeit und politisches Denken bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Berlin 1995, S. 42-59; aufschlussreich und anregend auch der Aufsatz von Etzemüller, Thomas, Die Form „Biographie“ als Modus der Geschichtsschreibung. Überlegungen zum Thema Biographie und Nationalsozialismus, in: Ruck, Michael; Pohl, Karl Heinrich (Hgg.), Regionen im Nationalsozialismus, Bielefeld 2003, S. 71-90.
2 Jansen, Christian, Antiliberalismus und Antiparlamentarismus in der bürgerlich-demokratischen Elite der Weimarer Republik. Willy Hellpachs Publizistik der Jahre 1925-1933, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 49 (2001), S. 773-795.
3 Vgl. Jansen (wie Anm. 2), S. 789f.
4 Zu dem vor allem im Kontext der Debatten um das Verhalten deutscher Historiker im Nationalsozialismus zu Tage getretenen Problemkomplex um „Schuld“, Moral und Intentionen vgl. Etzemüller, Thomas, Suchen wir Schuld oder wollen wir Gesellschaft analysieren? Eine Anmerkung zur aktuellen Debatte um Hans Rothfels, in: H-Soz-u-Kult, 16.02.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=284&type=diskussionenonen>.

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