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Titel
Denkstilwandel im Kalten Krieg. Nachdenken über Krieg und Frieden und die Entstehung von Friedens- und Konfliktforschung in den amerikanischen und westdeutschen Sozialwissenschaften


Autor(en)
Köhl, Katrin
Erschienen
Anzahl Seiten
175 Seiten
Preis
€ 29,80
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Holger Nehring St. Peters College, Oxford

In seiner Studie zu Kriegsursachen stellte Geoffrey Blainey resigniert fest, dass auf jede tausend Seiten über Kriegsursachen nur eine einzige über Friedensgründe komme – und das obwohl Kriegs- und Friedensursachen ja eigentlich aufeinander verwiesen 1. Katrin Köhl versucht in ihrer Dissertation darzustellen, wie sich die amerikanischen und westdeutschen Sozialwissenschaften in den fünfziger und sechziger Jahren mit diesem Problem vor dem Hintergrund des Kalten Krieges auseinandergesetzt haben. Sie konzentriert sich dabei vor allem auf die Entstehung des Center for Conflict Resolution an der Universität Michigan und der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung.

Doch Köhl will ihre Studie nicht als Organisationsgeschichte verstanden wissen. Vielmehr geht es ihr darum zu analysieren, wie sich “sozialwissenschaftliches Nachdenken über Krieg und Frieden mit Beginn und im Verlauf des Kalten Krieges veränderte” (8). Insbesondere möchte sie herausfinden, inwiefern der Kalte Krieg im amerikanischen und bundesdeutschen sozialwissenschaftlichen Denken einen Erfahrungsbruch darstellte. Dazu greift sie auf das von dem Bakteriologen Ludwik Fleck geprägte Konzept des Denkstils zurück, laut Köhl ein “Konglomerat spezifischer Strukturelemente, die das Denken eines größeren Kollektivs in unverwechselbarer Weise prägen” (11). Diese Elemente seien, so Köhl, einem ständigen Wandel unterworfen, behielten aber ihre “Eigenart” (11) weiterhin bei.

Köhl argumentiert, dass die Etablierung des Centre for Research on Conflict Resolution an der University of Michigan “relativ unproblematisch” war und “in ihrem Ablauf quasi den Normalfall im amerikanischen Wissenschaftssystem” (149) darstellte. Dagegen sei die Einrichtung der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung ein “vergleichsweise ungewöhnlicher Fall” und durch seine Verbindung mit dem sozial-liberalen Reformprojekt ein Politikum gewesen (149). Während sich die amerikanischen Forscher am “jeweils zuletzt erreichten Stand der sozialen Evolution” orientierten, bildete der “zu entwickelnde Soll-Zustand der eigenen Gesellschaft und der Menschheit insgesamt” (150) den Bezugspunkt der westdeutschen Wissenschaftler. “Frieden” wurde so bei deutschen Friedensforschern zur “Alternative der bestehenden Situation in Politik und Gesellschaft”. Entsprechend unterschieden sich, so Köhl, auch die Konzepte “des Politischen” in der amerikanischen und westdeutschen Friedens- und Konfliktforschung.

Köhl kommt zu diesen Ergebnissen in drei Schritten. Im ersten Teil geht es um sozialkulturelle und wissenschaftliche Grundlagen des Nachdenkens über Krieg und Frieden. Der zweite Teil widmet sich dem eigentlichen Thema der Arbeit, nämlich dem Denkstilwandel im Kalten Krieg. Im dritten Teil geht es um die Institutionalisierung der Friedens- und Konfliktforschung als Ausdruck dieser Denkstile in der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten.

Köhl hat mit dieser Studie ein zentrales Thema der amerikanischen und westdeutschen Wissenschaftsgeschichte im Zeitalter des Kalten Krieges auf die Tagesordnung gesetzt. Mit ihrer Themensetzung weckte sie die Erwartung, die Erkenntnisse von Corinna Hauswedells Standardwerk zu den westdeutschen “Friedenswissenschaften im Kalten Krieg” in den achtziger Jahren 2 systematisch vergleichend für die fünfziger und sechziger Jahre auszubauen. Doch setzt sich Köhl überhaupt nicht mit den Ergebnissen dieser wichtigen Studie auseinander, obwohl Hauswedell bis in die fünfziger Jahre zurückgeht und ebenfalls (weitaus ausführlicher) die Gründungsgeschichte der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung behandelt.

Doch das zentrale Problem von Köhls Studie liegt nicht in der mangelnden Auseinandersetzung mit zentralen Bereichen der Sekundärliteratur. Die Probleme beginnen mit der recht holzschnittartigen Anwendung des theoretischen Rahmens “Denkstil“. Noch gravierender schlägt zu Buche, dass, trotz des sehr gut abgegrenzten Gegenstands und der klaren Fragestellung, eine wirkliche Problemstellung in der Arbeit nicht umgesetzt wird. Köhl geht weder präzise auf die zentrale Bedeutung von “Frieden” im ideologischen Ost-West-Konflikt ein 3. Noch definiert sie klar, was denn die Protagonisten überhaupt unter Friedens- und Konfliktforschung verstanden und wie und mit welchen Begründungen sie ihren Gegenstand konstituierten.

Die Abgrenzung zwischen “strategic studies” sowie der arms-control Schule einerseits und der Friedens- und Konfliktforschung andererseits geht in der Studie immer wieder durcheinander. Entsprechend vage bleiben denn auch die von Köhl angebotenen Ergebnisse: wir erfahren fast nichts – und überhaupt nichts Systematisches – über die unterschiedlichen Begriffe “Krieg”, “Frieden” und “Konflikt”, welches über Behauptungen von “Denkstrukturen”, “Erfahrungshaushalten” und ähnlich vagen Begriffen hinausginge. Zentrale Debatten über den Friedensbegriff und seinen Gegenstand (z. B. im Hinblick auf die geographische Reichweite) – vor allem zwischen jenen die “Gewalt” in den Vordergrund stellten und jenen, die versuchten, einen Kant’schen Friedensbegriff auf der Grundlage vernünftigen Handels wiederzubeleben – kommen in Köhls Studie gar nicht vor. Besonders blass bleibt deshalb – trotz des ersten Teils der Arbeit, der sich mit den sozialwissenschaftlichen Grundlagen der Zwischenkriegszeit beschäftigt – wie genau denn nun die Friedens- und Konfliktforscher aus der Erfahrung des Kalten Krieges heraus ihre Denkstile adaptierten.

Ebenso vernachlässigt Köhl die sowohl für die amerikanische als auch bundesdeutsche Friedens- und Konfliktforschung zentrale Annahme, dass Wissenschaft dem Wohle der Gesellschaft zu dienen habe und dies letztlich nur durch fächerübergreifendes Arbeiten tun könne. Köhl geht ausserdem überhaupt nicht auf die von ihr allein im amerikanischen Fall ganz kurz angedeutete Bedeutung religiöser Prägungen für die wissenschaftlichen Definition von “Frieden“ ein. So erfahren wir nichts über die Bedeutung der Arbeiten innerhalb der Forschungsstelle der Evangelischen Studiengemeinschaft für den Friedensbegriff der Friedensforscher, die sich von den neu entstandenen think tanks wie der Stiftung Wissenschaft und Politik oder der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik abzugrenzen suchten.4

Gerade ihr Forschungsansatz, der den Erfahrungsbegriff des Tübinger Sonderforschungsbereichs “Kriegserfahrungen” mit Flecks Konzept des “Denkstils” kombiniert, hätte dafür eine sehr gute Basis geboten. Statt dessen erhalten wir die recht stereotype Gegenüberstellung einer angeblich empirisch orientierten amerikanischen Konfliktforschung mit einer stark normativ gefärbten deutschen Friedensforschung. Der eigentlich in ihrem Zusammenhang interessante Umstand, dass die Betonung von Empirie vielleicht selbst Teil des “Denkstils” und der wissenschaftlichen Selbstverortung in Politik und Gesellschaft war, ist Köhl deshalb entgangen 5.

Köhls zentrale Erkenntnis, dass der Kalte Krieg von ihr untersuchten Wissenschaftler einen “Erfahrungsbruch” darstellte, überrascht wenig: die Friedens- und Konfliktforscher reagierten doch gerade auf die von ihnen empfundene Kluft zwischen “Unfrieden” einserseits und dem Pragmatismus einer staatlichen Einhegung von Konflikten andererseits, welche sowohl die Politik als auch die Lehre von den internationalen Beziehungen in den Vereinigten Staaten und in der Bundesrepublik bis zu jener Zeit dominierten.

In formaler Hinsicht bleibe vielen Formulierungen in dieser Arbeit zu abstrakt und vage. Die häufigen schwerwiegenden typographischen Fehler, die wahrscheinlich dem Verlag anzulasten sind, sind ärgerlich (z. B. “The präsent Police of the wo sattes” [sic!], S. 60). Das von Köhl entdeckte wichtige Thema harrt deshalb weiter einer gründlicheren historischen Bearbeitung. Denn wir wissen weiterhin nur wenig darüber, warum in verschiedenen Ländern manche den Kalten Krieg mit Dieter Senghaas als “organisierte Friedlosigkeit” bezeichneten andere aber, provokant, mit John Gaddis, als “long peace”.

1 Blainey, Geoffrey, The Causes of War, London, 3. Auflage, 1988, 3.

2 Hauswedell, Corinna, Friedenswissenschaften im Kalten Krieg. Friedensforschung und friedenswissenschaftliche Initiativen in der Bundesrepublik Deutschland in den achtziger Jahren, Baden-Baden 1997.

3 Doering-Manteuffel, Anselm, Im Kampf um “Frieden” und “Freiheit”. Über den Zusammenhang von Ideologie und Sozialkultur im Ost-West-Konflikt, in: Hockerts, Hans-Günter (Hg.), Koordinaten deutscher Geschichte im Zeitalter des Ost-West-Konflikts, München 2003.

4 Entsprechend fehlt auch der zentrale Sammelband zum Thema im Literaturverzeichnis: Was ist Friedensforschung?, hg. von Georg Picht und Wolfgang Huber, München 1971, bes. S. 50-57 und 68-71.

5 Vgl. dazu Osborne, Thomas und Rose, Nikolas, Do the social sciences create phenomena?: the example of public opinion research, in: British Journal of Sociology, 50.3 (1999), 367-396 sowie Hilgartner, Stephen, Science on Stage. Expert advice as public drama, Stanford 2000.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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