A. Honwana u.a. (Hgg.): Makers and Breakers

Cover
Titel
Makers and Breakers. Children and Youth in Postcolonial Africa


Herausgeber
Honwana, Alcinda; de Boeck, Filip
Erschienen
Oxford 2005: James Currey
Anzahl Seiten
244 S.
Preis
£45.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Schulz, Zentrum Moderner Orient, Berlin

Der Anteil junger Menschen unter 20 Jahren betrug laut Schätzungen bereits in den 1990er-Jahren bis zu 50 Prozent der städtischen Bevölkerung in Afrika, Tendenz steigend.1 Um so bemerkenswerter ist es, dass Kinder und Jugendliche als gesellschaftliche Akteure sowie Jugend als Analysekategorie in der Wissenschaft lange Zeit vernachlässigt wurden. Eine der früheren Studien legte Achille Mbembe vor 20 Jahren vor. Es war eine Skizze der Lebensbedingungen von Jugendlichen in Afrika, vornehmlich in Kamerun. Eine der Thesen Mbembes lautete, die traditionellen Modelle afrikanischer Familien befänden sich in einer Krise und böten keine Orientierung mehr. Väter würden über ihre Frauen und Kinder herrschen, was bei letzteren Ängste hervorriefe, die Kreativität und Imagination unterbinden, gleichzeitig jedoch Widerstand erwecken würden. Durch den politisch-ökonomischen Kontext verstärkt, würde sich dieser Widerstand in Hass, Frustration, Rachegefühlen und Aggression ausdrücken.2

Seitdem haben sich VertreterInnen unterschiedlicher Disziplinen vermehrt mit diversen Aspekten des Lebens afrikanischer Jugendlicher befasst.3 Die African Studies Association stellte schließlich im Jahr 2004 ihre 46. Jahrestagung in Boston unter das Motto „Youthful Africa“. Dort präsentierten Alcinda Honwana und Filip De Boeck das von ihnen herauszugebende Buch „Makers & Breakers“, das inzwischen in gedruckter Form vorliegt. Was bei Mbembe etwas holzschnittartig klang, nämlich die Gleichzeitigkeit von Handlungsohnmacht und Handlungsmacht junger Menschen, durchzieht in differenzierter und kontextualisierter Weise die Beiträge des Sammelbandes. Dabei hat sich der Schwerpunkt zur Handlungsmacht von Kindern und Jugendlichen, hier durchaus in kreativem Sinne, verschoben.

Die unterschiedlichen Gestaltungsräume, die Kinder und Jugendliche in ihren Gesellschaften, allen Widrigkeiten zum Trotz, erobern und ausfüllen, werden in dem Band, neben der Einleitung und einem Schlusswort von Mamadou Diouf, in vier Themenkomplexen behandelt: 1. Children & Youth in a Global Era; 2. The Pain of Agency, the Agency of Pain; 3. Children, Youth & Marginality: In & Out of Place; 4. Past the Postcolony?. Die Beiträge namhafter AutorInnen beschäftigen sich mit so unterschiedlichen Themen wie Krieg, Tänze, alltägliche Gewalt, Lieder, Straßenkinder und -kultur in Äthiopien, Angola, Botswana, Demokratische Republik Kongo, Kamerun, Liberia, Mosambik, Senegal, Sierra Leone, Südafrika, Tansania, Uganda und Zimbabwe. Sie fördern dort Handlungsmächtigkeit junger Menschen zu Tage, wo man sie weniger vermuten würde.

Mats Utas beschäftigt sich unter dem Titel „Agency of Victims“ mit jungen Frauen im liberianischen Bürgerkrieg, die vergewaltigt und gefoltert wurden – die Aussagen der Informantinnen zeugen von unerträglicher Grausamkeit –, die aber auch Beziehungen mit (mächtigen) Militärs eingingen, nicht zuletzt in dem Versuch, sich und andere zu schützen (S. 59f.). Laut Utas entstand die paradoxe Situation, dass der Krieg den Frauen auch die Möglichkeit bot, ihr Leben durch modifizierte Selbstdarstellung zu verändern. Nach dem Krieg sei es, im Gegensatz zu früher, möglich geworden, über die Vergewaltigungen zu sprechen, die so viele Mädchen und Frauen erlitten hatten. Die Mehrzahl der Eltern und Ehemänner hätten akzeptiert, was geschehen sei (S. 77). Damit stellt sich auch die Frage, was „Opfer sein“ und „Täter sein“ bedeutet.

Honwana beschäftigt sich in „Innocent & Guilty – Child-Soldiers as Interstitial & Tactical Agents“ damit, ob Kindersoldaten als Kinder oder als Soldaten zu betrachten seien. Mordende Kinder erschütterten die etablierte Ordnung, in der Kinder als verletzlich gelten, Soldaten hingegen als stark, in der Kinder beschützt werden müssten, Soldaten hingegen beschützten. Honwana schlägt demzufolge vor, die Kategorien Opfer und Täter zu überwinden und sich jenseits einfacher Dichotomien mit Kindersoldaten auseinanderzusetzen. Sie seien weder voll verantwortlich für ihr Tun, noch ausschließlich Opfer (S. 48).

Wie Honwana, die auf Michel de Certeaus Unterscheidung zwischen Strategie und Taktik zurückgreift, um die Situation von Kindersoldaten zu analysieren ( S. 48f.), rekurrieren die meisten AutorInnen des Bandes auf Ansätze, die in westlichem Kontext entstanden sind, etwa von Pierre Bourdieu oder Michel Foucault, ohne dies selbst systematisch zu reflektieren.4 De Boeck geht von Achille Mbembes Überlegungen zur Gleichzeitigkeit von Sichtbarem und Unsichtbarem aus, um tiefgreifende soziale Veränderungen in Kinshasa zu untersuchen, die sich daran zeigten, dass Kinder zunehmend in Hexerei (witchcraft) verwickelt seien. Die Vorstellungswelten (imaginary) als solche hätten soziale Realität geschluckt und ersetzt. Die Dynamik von Hexerei habe zwar stets Gewalt freigesetzt, diese habe zuvor jedoch dazu gedient, soziale Unordnung wieder ins Lot zu bringen, während Gewaltvorstellungen inzwischen zu unvermittelter Realität geworden seien (S. 212).

Pamela Reynolds, die unter dem Titel „Forming Identities - Conceptions of Pain & Children’s Expressions of it in Southern Africa“ Bourdieus „Outline of a Theory of Praxis“ als teilweise zu statisch kritisiert sowie dessen unzureichende Beschäftigung mit dem Individuum bemängelt hat, stellt die Frage, inwiefern solche Theorien auf einen nicht-westlichen Kontext anwendbar sind (S. 100). Während die Frage hier unbeantwortet bleibt, hätte man sich solch explizite Überlegungen auch von Jean Comaroff und John Comaroff gewünscht, deren Aufsatz mit dem Titel „Reflection on Youth – From the Past to the Postcolony“ bereits im Jahr 2000 auf Französisch in der Zeitschrift Politique Africaine 5, ebenfalls von Honwana und De Boeck herausgegeben, publiziert wurde. Comaroff und Comaroff weisen darauf hin, dass Jugend keine transkulturelle oder transhistorische Kategorie sei, sondern ein Produkt der Moderne (S. 19). Ebenso notwendig ist es, globale Dimensionen in die Beschäftigung mit den Lebenswelten afrikanischer Kinder und Jugendlicher miteinzubeziehen (die lokalen und transnationalen Kräfte, wie es die Herausgeber hervorheben, S. 6). Fraglich ist dabei jedoch, ob der Bezugspunkt Westen, den insbesondere Comaroff und Comaroff konstruieren, nicht um eine Perspektive erweitert werden müsste, die nicht nur untersucht, wie sich Kinder und Jugendliche im Süden diverse Strömungen aus dem Norden aneignen, sondern wie sie selbst auf den Norden einwirken.6

Trotz dieser Kritikpunkte in Bezug auf Überlegungen zu Theorie und Vergleichbarkeit sowie zu Lokalität und Globalität bieten die einzelnen Beiträge wichtige Einblicke in verschiedene Lebenswelten afrikanischer Kinder und Jugendlicher und zeugen somit von der Heterogenität, die Jugend zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten charakterisiert.

Anmerkungen:
1 Goerg, Odile u.a., Avant-Propos, in: D’Almeida-Topor, Hélène u.a. (Hgg.), Les jeunes en Afrique. Evolution et rôle (XIXe-XXe siècles), tome 1, Paris 1992, S. 7.
2 Mbembe, Achille, Les jeunes et l’ordre politique en Afrique noire, Paris 1985, S. 22ff.; vgl. zu diesem Thema auch Monga, Célestin, Anthropologie de la colère, Société civile et démocratie en Afrique noire, Paris 1994.
3 D’Almeida-Topor u.a. (Hgg.) (wie Anm. 1); D’Almeida-Topor, Hélène et al. (Hgg.), Les jeunes en Afrique. La politique et la ville, tome 2, Paris 1992; vgl. auch Diouf, Mamadou, Engaging Postcolonial Cultures. African Youth and Public Space, in: African Studies Review 46 (2003), 1, S. 1-12.
4 Für die Literaturwissenschaft ist dies diskutiert worden in Kemedjio, Cilas, De la Négritude à la Créolité, Edouard Glissant, Maryse Condé et la malédiction de la théorie, Hamburg 1999.
5 Comaroff, Jean; Comaroff John, Réfléxions sur la jeunesse. Du passé à la postcolonie, in: Politique Africaine 80 (2000), S. 90-110. Die Seitenzahlen beziehen sich jedoch auf den englischen Text.
6 Conrad, Sebastian; Randeria, Shalini, Einleitung. Geteilte Geschichten – Europa in einer postkolonialen Welt, in: Dies. (Hgg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2002, S. 9-49.

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