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Titel
The Bismarck Myth. Weimar Germany and the Legacy of the Iron Chancellor


Autor(en)
Gerwarth, Robert
Reihe
Oxford Historical Monographs
Erschienen
Anzahl Seiten
216 S.
Preis
$85.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nadine Rossol, History Department, University of Limerick

Die Parole “Geschichte als Waffe” veranschaulicht, was unter dem Begriff Geschichtspolitik zu verstehen ist.1 Historische Ereignisse und Persönlichkeiten werden benutzt, um daraus Forderungen für Gegenwart und Zukunft abzuleiten. Oder, wie Heinrich August Winkler formuliert: „Geschichtspolitik meint die Inanspruchnahme von Geschichte für Gegenwartszwecke. Keine politische Richtung wird je auf den Versuch verzichten, ihre Position historisch zu untermauern.“2 Die Bildung und Verbreitung von Mythen ist Teil dieses Instrumentalisierungsprozesses.

Robert Gerwarth untersucht in seiner Studie „The Bismarck Myth. Weimar Germany and the Lecagy of the Iron Chancellor“ die Rezeption Bismarcks in der Weimarer Republik.3 Er will zeigen „that the figure of Bismarck played a central role as an anti-democratic myth in the highly ideological battle over the past which raged between 1918 and 1933“ (S. 4). Der Bismarckmythos, so Gerwarth, war von entscheidender Bedeutung für die Schwächung der Republik. Er verhinderte die Bildung eines demokratischen Grundkonsenses.

Die Studie bietet einen Überblick bezüglich Entstehung und Entwicklung des Bismarckmythos vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinung. Der Hauptteil richtet sich jedoch auf die Weimarer Republik, in welcher der ehemalige Reichskanzler Teil eines „ civil war of historical traditions and symbols“ wurde (S. 41). Mit dem dritten Kapitel beginnt Gerwarths Analyse der Republik. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde, durch Forderungen des Anschluss Österreichs, eine politische Frage aktuell, die jegliche Bismarckverehrung gravierend zu schwächen vermochte. Die Republikaner propagierten eine großdeutsche Republik, die sie gegen Bismarcks kleindeutsches Reich ausspielten. Gerwarth beschreibt wie der Versailler Friedensvertrag alle Anschlussträume platzen ließ, und die Republikaner in die Defensive gerieten. Nun konnten die Republikgegner Bismarck als Staatsmann darstellen, der, im Gegensatz zu den Republikanern, erreicht hatte, was unter damaligen Umständen möglich war. „[P]aradoxical as it may seem, the Weimar right could now present itself as großdeutsch and Bismarckian at the same time.” (S. 37) Die Republikaner, so Gerwarth, nahmen die Instrumentalisierung Bismarcks durch die Rechte durchaus ernst. Sie fanden jedoch keinen vergleichbaren republikanischen Ersatz.

Das vierte Kapitel konzentriert sich auf verschiedene Bismarckrezeptionen in politischen und gesellschaftlichen Kreisen. Historiker und Lehrer, sowie die ihnen angeschlossenen Institutionen, verbreiteten ein überwiegend positives Bild. Für die wenig vereinte politische Rechte wurde Bismarck schnell zur Waffe gegen die Republik. Bei den Liberalen schwankten die Meinungen von Verehrung, auf nationalliberaler Seite, bis Ablehnung, bei den Linksliberalen. Auch die ehemaligen „Reichsfeinde“ hatten keine gemeinsame Position. Das katholische Zentrum vertrat teilweise eine durchaus positive Interpretation Bismarcks, wohingegen die gespaltene Linke nur in ihrer Kritik vereint war. Jedoch stellten die Sozialdemokarten den neuen republikanischen Staat als erfolgreiches Gegenmodell zu Bismarcks Reich dar, während die Kommunisten der SPD vorwarfen, die Revolution verraten zu haben. Robert Gerwarth macht deutlich, dass auch gemeinsame Kritik an Bismarck, keine Brücke im verfeindeten linken Lager bilden konnte.

Auch außenpolitische Krisen wurden mit Bezug auf Bismarck interpretiert, wie das fünfte Kapitel zeigt. Im Ruhrkampf 1923 zogen alle politischen Parteien die Erinnerung an Bismarck heran. Sogar die Linke berief sich auf seine Außenpolitik gegenüber Frankreich, um damit die französische Besetzung des Ruhrgebietes zu verbannen. Gerwarth betont, dass dieser Konsens nicht lange hielt. Rechte Kritik, die mehr Aggression gegen Frankreich verlangte, rief nach einem Führer, der die Dinge, wie einst Bismarck, in die Hand nehmen würde. Die Präsenz Bismarcks im Wahlkampf der politischen Rechten 1924 und 1925 stellt das sechste Kapitel dar. Während die DNVP mit Bismarckbildern und Zitaten gegen die Republik Stimmung machte, versuchte die DVP ihre Außenpolitik, als Weiterführung Bismarcks Realpolitik zu verkaufen. Bei der Kandidatur Hindenburgs für das Amt des Reichspräsidenten 1925 wurde, so Robert Gerwarth, die Verbindung zwischen dem Generalfeldmarschall und dem ehemaligen Reichskanzler besonders betont. Gerwarth interpretiert die Wahl Hindenburgs auch als Zäsur für republikanische Vergangenheitsdeutungen. Stand Friedrich Ebert für Bemühungen, die Republik mit der demokratischen Tradition von 1848 zu verbinden, so wurde mit Paul von Hindenburg ein Unterstützer des Bismarck Kultes neues Staatsoberhaupt.

Das siebte Kapitel behandelt die Stabilisierungsphase der Republik. Gustav Stresemann versuchte seine Außenpolitik in die Tradition Bismarcks zu stellen, um dadurch rechter Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Europäische Verständigung damit eine „Politik des Möglichen“ erreicht werden konnte, sah Stresemann in Bismarcks Politik verankert. „As such he [Stresemann] became a promoter of a moderate image of Bismarck, a Bismarck who would have supported Stresemann’s own foreign policy.“ (S. 100) Gerwarth macht auf verschiedene Elemente einer, sich auf Bismarck beziehenden, Populärkultur aufmerksam. Denkmäler, Reichsgründungsfeiern, Treffen der Bismarck Jugend und Bismarckfilme illustrieren die Präsenz sowie die Mobilisierungsfähigkeit, die durch Verweise auf Bismarck erreicht werden konnten.

Im achten Kapitel steht die Auflösung der Demokratie im Blickpunkt. Gerwarth beschreibt eine Radikalisierung des Bismarckmythos in den letzten Jahren der Republik. Young Plan, Wirtschaftskrise und Misstrauen bezüglich der Problemlösungen der Regierung, ließen das Idol Bismarck nur noch heller strahlen. Viele sehnten sich, so Gerwarth, nach einem zweiten Bismarck. „[A]nd no one exploited the desire for a Bismarck-like redeemer with the same demagogic skill as […] Adolf Hitler.” (S. 127) Gerwarth zeigt, dass sich Hitler öffentlichkeitswirksam auf Bismarck bezog und, unter anderem, außenpolitische Misserfolge der Brüning Regierung mit Bismarcks Außenpolitik verglich. Hierbei konnte die Republik nur verlieren. Die Instrumentalisierung des Bismarckmythos machte Hitler nicht zum Reichskanzler, aber „ Hitler was cunning enough to seize the opportunities which were latent in the Bismrack myth.” (S. 143).

Ein Bereich der Rezeptionsgeschichte und Mythenanalyse kommt in Robert Gerwarths gelungener Arbeit erstaunlich kurz; Bismarcks Verankerung und mögliche Vermarktung auf populärkultureller Ebene. Gerwarth geht kurz auf Denkmäler, Feste und Filme ein, die den Bismarckmythos weiter verbreiten. Dieser Bereich hätte ausführlicher dargestellt werden können, um noch eine andere Ebene der Verehrung Bismarcks herauszuarbeiten, die sich nicht in Zeitungsartikeln oder Wahlkampfreden niederschlägt. Damit hätte Gerwarth das Phänomen des Bismarckmythos abgerundet. Die Interpretation des Eisernen Kanzlers in Schulfeiern und Lehrplänen, seine Repräsentation auf Andenken und Souvenirs, ebenso wie historische Ausstellungen oder eventuelle Pilgerfahrten zu seinem Grab hätten hierfür benutzt werden können.

Robert Gerwarths Studie belegt überzeugend und präzise welche Sprengkraft Bismarck für die politische Kultur der Republik besaß. Trotz verschiedenerer Interpretationsversuche, behielt der Bismarck Mythos eine anti-republikanische Stoßrichtung und wurde zu einem Destabilisierungsfaktor der Demokratie. Gerwarth bereichert mit seiner Arbeit die Weimar Forschung, welche die Republik bisher noch selten unter Gesichtpunkten der Geschichtspolitik, Mythen- und Legendenbildung untersucht hat. Obwohl die Entwicklung des Bismarckmythos eine Konzentration auf die politische Rechte unvermeidlich macht, berücksichtigt Gerwarth immer auch die vielfältige Reaktion anderer politischer Richtungen, die die Legendenbildung um Bismarck verhindern wollten. Mit der Verbindung zwischen Hitler und dem Bismarckmythos zeigt Robert Gerwarth, wie Interpretationen Bismarcks als Retter auf Adolf Hitler übertragen werden konnten. Damit liefert seine Arbeit auch einen Schlüssel für die Erklärung von Hitlers Erfolgs und zeigt ebenso, die Wurzeln des Wunsches nach einem charismatischen Führer auf.

Anmerkungen:
1 Wolfrum, Edgar, Geschichte als Waffe. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, Göttingen, 2001.
2 Winkler, Heinrich August (Hg.), Griff nach der Deutungsmacht. Zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland, Göttingen, 2004, S. 11.
3 Für Geschichtspolitik von der politischen Linken: Bussenius, Daniel, Eine ungeliebte Tradition. Die Weimarer Linke und die 48er Revolution 1918-1925, in: Winkler, Heinrich August (Hg.), Griff nach der Deutungsmacht. Zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland, Göttingen, 2004, S. 90-114.

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