T. Winkelbauer: Österreichische Geschichte 1522-1699

Titel
Österreichische Geschichte 1522-1699. Ständefreiheit und Fürstenmacht, 2 Bde.


Autor(en)
Winkelbauer, Thomas
Reihe
Österreichische Geschichte 8
Erschienen
Wien 2003: Ueberreuter
Anzahl Seiten
567, 621 S.
Preis
€ 103, 80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Schunka, Historisches Institut Universität Stuttgart

Das vorliegende, in zwei Teilen erschienene Werk ist der achte Band der auf zwölf Bände angelegten, von Herwig Wolfram herausgegebenen Österreichischen Geschichte. Es umfasst die Zeit von der Teilung der habsburgischen Linien und des Beginns der Herrschaft Ferdinands I. über die Erblande (1521/22) bis zum Frieden von Karlowitz mit dem Osmanischen Reich (1699). Eine solche darstellerische Aufgabe ist von einer Person alleine eigentlich kaum zu schultern, wie die von mehreren Autoren verfassten Bände anderer Handbuchreihen illustrieren. Für das habsburgische Länderkonglomerat muss eine solche Aufgabe noch ungleich schwieriger sein, hat man es doch oft mit ganz unterschiedlichen, ja mitunter gegenläufigen Entwicklungen und mit einer kaum überschaubaren Literaturlage in verschiedenen Sprachen zu tun. Dem Verfasser ist, so viel darf vorweg genommen werden, ein Meisterwerk gelungen. Auf knapp 1200 Seiten – allein das Quellen- und Literaturverzeichnis umfasst 170 Seiten – entfaltet er ein Panorama der historischen Entwicklung der habsburgischen Gebiete, eine 'histoire totale' im besten Sinne, die von Demografie über historische Geografie, Historiografiegeschichte und Konfessionsentwicklung bis zur Hexenverfolgung reicht; auch die politische Geschichte kommt zu ihrem Recht. Gerade die Bedeutung des spröden Themas Steuern und Finanzen, das in deutschsprachigen handbuchartigen Darstellungen häufig etwas lieblos abgehandelt wird, macht Winkelbauer zum Gegenstand eines ausführlichen Abschnitts und schließt damit zur angloamerikanischen Forschung auf. Der Verfasser konnte zudem durch seine Sprachkenntnis und eine entsprechend breite Literaturrezeption verschiedene Wissenschaftstraditionen integrieren, die – wie im Falle der tschechischen und der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft – lange Zeit nebeneinander her existierten.

Das Buch gliedert sich in fünf Themenkomplexe: Bevölkerungsentwicklung und Wanderungsbewegungen, Der zusammengesetzte Staat der Habsburger in Mitteleuropa, Das Heilige Römische Reich und die Habsburgischen Erblande, Kriegswesen und Finanzen sowie Religion, Staat und Gesellschaft. Dabei geht das Interesse des Verfassers weit über genuin erbländische oder habsburgische Entwicklungen hinaus: Das Buch lässt sich auch als frühneuzeitliche Geschichte Mitteleuropas mit habsburgischem Schwerpunkt lesen. In der Regel folgt jeweils nach einer übersichtlichen Zusammenfassung des Forschungsstandes und ausgewählter Forschungsprobleme die Darstellung der historischen Ereignisse und Prozesse, garniert mit farbigem Bild- und Kartenmaterial sowie zahlreichen Tabellen und Diagrammen. Dies macht das Buch nicht nur als Einführung, sondern gerade auch für den Einsatz in der universitären Lehre empfehlenswert.

Konsequent stellt der Autor gerade in den Teilen zur Staatlichkeit und zur konfessionellen Entwicklung die habsburgischen Ländergruppen nebeneinander – Erblande einschließlich Tirol und Vorderösterreich, böhmische Territorien einschließlich Mähren, Schlesien und der Lausitzen, ungarische Länder mit Kroatien und Siebenbürgen. Er hebt aber zugleich den dynastischen „Kitt“ der Habsburgerdynastie und der habsburgischen Aristokratie hervor. Wie bereits der Titel des Buches andeutet, bilden nicht ein unüberbrückbarer ständisch-monarchischer Gegensatz, sondern die Formen gegenseitiger Interaktion und Integration, ein Aushandeln von Politik den roten Faden der Analyse, wenngleich mit einer Verlagerung der politischen Gewichte im Verlauf des 17. Jahrhunderts hin zur dynastischen Zentralmacht. Der Autor spricht sich dabei weder für eine Wiederbelebung, noch für ein völliges Verwerfen des Absolutismusbegriffs aus, sondern bevorzugt Winfried Schulzes Bezeichung „organisch-föderativer Absolutismus“, wobei er hervorhebt, dass eine habsburgische Gesamtstaatsidee eben nicht nur monarchisch, sondern unter Umständen auch ständisch motiviert war (I, S. 198ff.).

Das Buch geht in Anspruch und Umsetzung über eine enzyklopädische Faktensammlung weit hinaus. Von Darstellungen wie Robert Evans’ „Werden der Habsburgermonarchie“ 1 unterscheidet es sich durch einen gleichsam ganzheitlichen Anspruch. Die Analyse von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Staatswerdung der Habsburgerterritorien wird hier nicht nur anhand von Staatsverwaltung und Ständewesen durchexerziert, sondern auch auf der Ebene der Mentalitäten und Lebenswelten, etwa im Bereich der Zauberei- und Hexenprozesse oder der Durchsetzung des Barockkatholizismus.

Wenn man überhaupt von einem Manko sprechen kann, so ist es vielleicht der Umstand, dass dank des umfassenden Anspruches die selben historischen Ereignisse und Phänomene an mehreren Stellen angesprochen werden (müssen). So werden etwa das für die habsburgische Staatsbildung so eminent wichtige Verhältnis zum Osmanischen Reich und die Türkenkriege einerseits im Abschnitt über Ungarn und Siebenbürgen, andererseits aber auch in einem Unterkapitel zum Kriegswesen behandelt. Die „Vernewerte Landesordnung“ Böhmens findet ebenso an mehreren Stellen Erwähnung (I, S. 101f., 208ff.; II, S. 27) wie die Fragen konfessionsbedingten Exils, die für die einzelnen habsburgischen Gebiete jeweils gesondert, dann aber noch einmal verallgemeinernd dargelegt werden (II, S. 182ff.). Gleichwohl sind diese Kritikpunkte, auf das Gesamtwerk bezogen, eher Petitessen, die aus der analytischen Schwierigkeit resultieren, im frühneuzeitlichen Staatswesen eng verbundene Aspekte analytisch zu trennen – etwa die zeittypische Gemengelage politischer und konfessioneller Phänomene.

Die beiden Teilbände sind von enzyklopädischer Gelehrtheit und werden als Zusammenschau der Habsburgermonarchie in ihren formativen Jahrhunderten Maßstäbe setzen. Zugleich bieten sie prägnante Zusammenfassungen von Forschungspositionen, die es jedem Studierenden erleichtern, sich in die politische, Geistes- und Mentalitätsgeschichte habsburgischer Territorien der Frühen Neuzeit einzuarbeiten.

Anmerkung:
1 Evans, Robert J.W., The Making of the Habsburg Monarchy 1550-1700. An Interpretation, Oxford 1979.

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