H. Jaumann: Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit, Bd. 1

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Titel
Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Bd. 1: Bio-bibliographisches Repertorium


Autor(en)
Jaumann, Herbert
Erschienen
Berlin 2004: de Gruyter
Anzahl Seiten
721 S.
Preis
€ 158,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudius Sittig, Institut für neuere Deutsche Literatur, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau Email:

„Es ist unnötig ein Werk zu loben, welches sich auf den meisten Studierstuben unentbehrlich macht“, schrieb Lessing in seiner Kritik zum dritten Teil des Jöcherschen ‚Allgemeinen Gelehrten Lexicons’ am 10. Juni 1751. Und nachdem er sich so von der Pflicht zum Lob entbunden und seine Freude über den „ungehinderten Fortgang“ des lexikografischen Unternehmens beteuert hatte, konnte er die vielen Errata monieren, die den Weg in den Druck gefunden hatten. 1

Zu solcher Kritik gibt es nun gar keinen Anlass im Fall des bio-bibliografischen Repertoriums, das der Greifswalder Germanist Herbert Jaumann gut 250 Jahre später, immer noch in der Tradition Jöchers, als ersten von zwei Bänden seines Handbuchs „Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit“ mit ähnlich universalem Anspruch vorgelegt hat. Dieser erste Band für sich genommen ist – noch vor dem Erscheinen des zweiten, der ein Glossar zentraler Begriffe der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur bieten wird – schon ein Ereignis: Das einbändige Repertorium ist ein umfassendes und auf gründlicher Arbeit basierendes Kompendium, das zuverlässig über Leben und Werk einer Vielzahl prominenter und weniger prominenter Mitglieder der frühneuzeitlichen Gelehrtenrepublik Auskunft gibt. Die knappen Einträge präsentieren jeweils geläufige Namen und Herkunft sowie einen Lebenslauf, der sich vorrangig am Bildungsgang und den besuchten Institutionen orientiert. Darüber hinaus informieren sie über die zentralen Thesen der Gelehrten und ihre Teilnahme an zeitgenössischen Diskussionen. Abschließend folgen ausgewählte bibliografische Angaben zu Werken, Editionen und der einschlägigen Forschungsliteratur.

Nach dem Verständnis von Gelehrsamkeit, das Jaumann seinem Unternehmen zugrunde legt, sind die Felder weit gestreut, die zu den Domänen des gelehrten Wissens gerechnet werden (über die studia humanitatis und die anderen klassischen Fakultäten hinaus etwa auch Alchemie, Meteorologie oder Pädagogik). Ähnlich groß dimensioniert ist der gewählte Zeitraum (zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert), vor allem aber ist der geografische Rahmen weit gesteckt: Er soll dem internationalen Charakter der Gelehrtenrepublik gerecht werden und umfasst darum das gesamte Europa. Darin unterscheidet sich Jaumanns Kompendium von den meisten der jüngeren Gelehrtenlexika, die sich regelmäßig auf eine Region (etwa Brandenburg) oder eine Institution (etwa die Universität Heidelberg) beschränken. 2

Dass bei einer solch umfassenden Gegenstandsdefinition nicht ein vielbändiges Lexikon, sondern – im Gegenteil – ein einziger, handlicher Band entstanden ist, macht das eigentliche Charakteristikum des Unternehmens aus. Jaumanns Repertorium soll zwar mehr bieten als die bisherigen Gelehrtenlexika, aber doch gleichzeitig ein griffiges Kompendium sein, dessen Einträge eine erste Orientierung bieten: ein Handbuch im besten Sinne also. Jaumann, der profunde Kenner der frühneuzeitlichen europäischen Gelehrtenkultur, hat es in einer eminent gelehrten Bemühung um Universalität und mit dem nötigen Mut zur Lücke aus einer Vielzahl von anderen Nachschlagewerken kompiliert. Vollständigkeit, so viel ist klar, kann nicht zu den Zielen dieser Unternehmung zählen. Und auch der Anspruch auf Repräsentativität kann angesichts solcher Breite und in Anbetracht der bewusst flexiblen Kriterien für die Aufnahme nur beschränkt gelten. Das ist in der Tradition der Gelehrtenlexika, die jeweils auch als virtuelle Versammlungsorte der „Republik“ dienten, zunächst gewöhnungsbedürftig. Schnell wird man darum einige Einträge vermissen und Inkonsequenzen bedauern (warum etwa ist Nicodemus Frischlin aufgenommen und nicht auch sein prominenter Lehrer und späterer Gegenspieler Martin Crusius; warum Ernst von Hessen-Rheinfels-Rotenburg und nicht auch sein Vater Landgraf Moritz von Hessen, der immerhin den Beinamen „der Gelehrte“ trug) – aber die wichtigsten Protagonisten findet man fast immer, und die Freude über den praktischen Nutzen überwiegt die Skepsis bei weitem. Auch die ausgewählten knappen biografischen und bibliografischen Daten sind gut gewählt. Dass es Jaumann bei aller gebotenen Kürze schließlich durchgängig gelingt, prägnante Profile zu entwerfen, gehört zu den großen Vorzügen des Handbuchs.

So unnötig es also ist, auf Mängel des Werks hinzuweisen, so nötig ist allerdings das Bedauern darüber, dass es wohl in vielen Bibliotheken, nicht aber „auf den meisten Studierstuben“ zu finden sein wird. Grund dafür ist der hohe Preis von 158 Euro, der nun allerdings sehr zu bedauern ist. Denn der Band würde tatsächlich in jeden guten Handapparat gehören und gerade dort seine intendierte Funktion erfüllen. Der Blick in dieses ‚Who is who‘ der frühneuzeitlichen europäischen Gelehrsamkeit wird freilich den Gang in die Bibliothek zu den größeren biografischen und bibliografischen Nachschlagewerken, darunter immer noch Jöchers Gelehrtenlexikon, nicht ersetzen. Und darum wäre der beste Ort dieses Repertoriums nicht im Bibliotheksregal, sondern auf dem Schreibtisch. Kurzum: Von diesem Nachschlagewerk ist so schnell wie möglich eine preiswerte Studienausgabe zu wünschen.

Anmerkungen:
1 Lessing, Gotthold Ephraim, Werke und Briefe in zwölf Bänden, hg.v. Barner, Wilfried, Band 2: Rezensionen, Aufsätze, Übersetzungen, Lieder, Fabeln und Sinngedichte der Jahre 1751-1753, hg.v. Stenzel, Jürgen, Frankfurt am Main 1998, S. 111-113, Zitate S. 111.
2 Aus dem lexikografischen Projekt zur Erfassung der brandenburgischen Gelehrten vgl. zuletzt Noack, Lothar, Splett, Jürgen, Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzei. Mark Brandenburg 1640-1713, Berlin 2001; für Heidelberg hat der letzte Band des entsprechenden Lexikons die Jahre 1386-1651 behandelt (Drüll, Dagmar, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386-1651, Berlin 2002).

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