N. van Saas: Metamorfose van Nederland

Titel
De metamorfose van Nederland. Van oude orde naar moderniteit


Autor(en)
van Sas, Nicolaas C. F.
Erschienen
Anzahl Seiten
667 S.
Preis
€ 34,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Koll, Institut für Geschichte, Universität Wien

Seit über zwei Jahrzehnten ist der Amsterdamer Historiker Nicolaas C. F. van Sas immer wieder durch ebenso gut lesbare wie grundlegende Aufsätze zur niederländischen Geschichte vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert hervorgetreten. Die wichtigsten Aufsätze, die man bisher in verschiedensten Publikationsorganen zusammensuchen musste, liegen nun in einem umfangreichen und anregenden Buch vor.

Die Tatsache, dass in De metamorfose van Nederland eine Reihe von früher publizierten Aufsätzen zusammengefasst sind, hat für die Lektüre zweierlei Konsequenzen: Erstens kommt es unvermeidlicherweise zu mancherlei Wiederholungen und Überschneidungen. Zweitens besitzt eine Edition von Aufsätzen, die in einem Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten entstanden sind, einen gewissen rhapsodischen Charakter. Im Unterschied zu einer Monografie darf man von einem Sammelband denn auch keine kontinuierliche, ausgewogen proportionierte Geschichtsdarstellung niederländischer Geschichte vom Zeitalter der Aufklärung bis zum Fin-de-siècle erwarten. Vielmehr setzt van Sas in seinen Forschungen Schwerpunkte auf Epochen wie die Patriotenzeit (1780er-Jahre) oder die Zeit der Batavischen Revolution (ab 1795), die in klaren, deutlichen Farben dargestellt werden, während andere Geschichtsphasen eher in zurückhaltenden Pastelltönen gehalten sind; wieder andere Epochen und Themen der niederländischen Geschichte wie die verschiedenen Facetten der Kolonialgeschichte, der Prozess der ‚Versäulung‘ oder der Kampf um die Einführung des allgemeinen Wahlrechts im späten 19. Jahrhundert werden allenfalls mit leichten Pinselstrichen angedeutet oder bleiben ganz im Dunkeln.

Die einzelnen Beiträge werden zusammengehalten von der Frage, wie sich die Transformation der Niederlande von der alten, im Westfälischen Frieden von 1648 völkerrechtlich anerkannten Republik in ein modernes Königreich vollzogen hat, das im Kern die heutigen Niederlande ausmacht. Wie lässt sich der niederländische Weg zu moderner Staats- und Nationsbildung beschreiben?

Bei der Analyse der Zeit zwischen Aufklärung und Fin-de-siècle hebt van Sas historische Brüche und Zäsuren (wie beispielsweise den Übergang von den sieben konföderal organisierten Vereinigten Provinzen zum zentralisierten Einheitsstaat nach französischem Vorbild im Jahr 1798) ebenso hervor wie geschichtliche Kontinuitäten; selbst in der Verfassung von 1848, die im allgemeinen Geschichtsbewusstsein als ein konstitutioneller Quantensprung angesehen wird, erblickt van Sas eine „Kontinuität der niederländischen Geschichte“ (S. 478). Es sind sowohl die Zäsuren als auch evolutionäre Entwicklungen und Kontinuitäten, die sich mit dem Begriff der Metamorphose fassen lassen. Dieser Begriff, den van Sas für den Titel seines Buches gewählt hat, impliziert Veränderungen im Laufe der Zeit ebenso wie Kontinuität und ontische Identität.

Die wichtigste Kontinuitätslinie der niederländischen Geschichte (und damit der rote Faden des Buches) liegt für van Sas in der herausragenden Bedeutung von Staats- und Nationsbildung im Zeitalter der Moderne. Für ihn sind die ineinander verschränkten Prozesse von Modernisierung, von Staats- und Nationsbildung keineswegs mit dem Jahr 1900 abgeschlossen. Im Gegenteil, er wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Modernisierung – den Ansprüchen der Postmoderne zum Trotz – nach wie vor das politische und gesellschaftliche Leben prägt, und dass der Nationalstaat, dessen Ende man so oft und mitunter leichtfertig prognostiziert oder beschworen hat, eine zählebige Angelegenheit ist. Dabei ist eine Nation für van Sas im Sinne von Benedict Anderson eine „imagined community“. Doch im Gegensatz zu konstruktivistischen Interpretationsansätzen und in Auseinandersetzung mit Wim Roobol, Koen Koch und Joep Leerssen hält er daran fest, dass Nationen und Nationalbewusstsein keine mentale creatio ex nihilo darstellen, sondern als geschichtlich nachweisbare Größen betrachtet werden können, die „in einer historischen Wirklichkeit verwurzelt“ sind (S. 169). Damit ist keineswegs in Frage gestellt, dass sich die inhaltliche Bestimmung von nationaler Identität im Laufe der Zeit geändert hat – diese Veränderungen sind ja gerade das zentrale Thema seines Buches. Mit der Anlehnung an die Definition der Nation als einer vorgestellten Gemeinschaft ist wohl die Behauptung aufgestellt, dass alles, was mit Nationalbewusstsein zusammenhängt, nicht auf eine bloße Vorstellung reduziert werden kann. Spannend wird es aus geschichtswissenschaftlicher Sicht dann, wenn man Konzepte nationaler Identität in Beziehung setzen kann zu realhistorischen Entwicklungen. Genau das tut van Sas, und das macht De metamorfose van Nederland so lesenswert.

Haben die Niederlande einen besonderen Weg zur Moderne zurückgelegt – etwa in der Öffnung für „Einflüsse von außen“ (S. 551), wie van Sas in Anlehnung an den Kulturhistoriker Johan Huizinga vermutet, oder in jenem Versäulungsprozess, der die Niederlande bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer segmentierten Nation gemacht hat? Zeichnen sich die Niederlande durch dieselben Entwicklungsphasen von Staats- und Nationsbildung aus wie andere europäische Gesellschaften? Hatte der vergleichsweise späte Beginn der Industrialisierung Konsequenzen für den Weg der Modernisierung der Niederlande? Durch den gelegentlichen Blick auf die historischen Entwicklungen in anderen Ländern des europäischen Kontinents im ‚langen 19. Jahrhundert‘ bietet De metamorfose van Nederland vereinzelt Anknüpfungs- oder Vergleichsmomente. Sie lassen sich mühelos aufgreifen und für komparatistische Untersuchungen zu Fragen von Staats- und Nationsbildung in der Moderne fruchtbar machen.