D. Urban: Die augusteische Herrschaftsprogrammatik

Cover
Titel
Die augusteische Herrschaftsprogrammatik in Ovids Metamorphosen.


Autor(en)
Urban, Detlef
Reihe
Prismata 15
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
X, 186 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Klingenberg, Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Technische Universität Berlin

Ovids Metamorphosen nehmen nach wie vor einen bedeutenden Stellenwert in der Forschung ein. Ein wesentlicher Aspekt ist die Frage nach der Darstellung der Zeitgeschichte, bei der gerade der Behandlung des Augustus besonderes Augenmerk gewidmet wird. Das trifft insbesondere auch auf die Studie von Detlef Urban zu, der Veröffentlichung seiner Düsseldorfer Dissertationsschrift. Urban benennt als Ziel "herauszuarbeiten, wie Ovid in den Metamorphosen die durch die augusteische Herrschaftsprogrammatik vorgegebene Sichtweise auf den Principat des Augustus aufgegriffen und umgesetzt hat" (S. 3). Eine klare Erläuterung, was er genau unter dem Begriff der "augusteischen Herrschaftsprogrammatik" versteht, wäre da am Anfang der Arbeit wünschenswert gewesen. Die etwas unvermittelte Unterteilung des Buches in zwei Teile, der Darstellung Apolls und der des Augustus in den Metamorphosen, trägt zur Unklarheit mit bei.

Die Einleitung fällt insgesamt etwas knapp aus, einer Diskussion der bisherigen Forschung zu den Metamorphosen als Ganzes geht Urban durch einen Verweis in einer Fußnote aus dem Wege (S. 3, Anm. 11). Darin hätte er sein Vorhaben in den Forschungskontext einordnen und gerade von den in den letzten Jahren erschienenen Studien abgrenzen können.1 Für den ersten Teil seiner Arbeit skizziert Urban zunächst die Bedeutung Apolls in augusteischer Zeit und hebt besonders die Funktion als Schutzgott des Augustus hervor. An dieser misst er die Schilderung bei Ovid.2 So versucht er, die Geschichten Ovids mit Augustus in Verbindung zu bringen, kommt aber im Wesentlichen nicht über Vermutungen hinaus. Es beginnt mit der Untersuchung der Daphne-Geschichte (met. 1, 452ff.). Urban erwägt eine Anspielung auf die Ehegesetze des Augustus, da Apoll an dieser Stelle die Ansicht bekunde, Daphne zu ehelichen. Doch ist das Wort coniunx bei Ovid häufiger verwandt, ohne dass eine Heirat im eigentlichen Sinne gemeint ist.3

Im Zusammenhang mit der Häutung des Marsyas (met. 6, 382ff.) behauptet Urban, "der von Vergil als Retter erhoffte Augustus erscheint hier in der Gestalt des Apollo Tortor" (S. 69), zumal die Bestrafung sehr grausam gezeichnet sei. Dahingehend verweist er einerseits auf Augustus' "Jugendtaten" (S. 69f.) und andererseits auf die Bestrafung der Iulia, zumal diese sich an der Marsyas-Statue auf dem Forum Romanum mit ihren Liebhabern getroffen haben soll. Dieser Zusammenhang wirkt aber doch etwas bemüht, und die Identifikation von Augustus mit Apoll ist auch nicht so recht überzeugend. Die Darstellung des bestraften Marsyas war außerdem ein beliebtes Thema der Bildkunst.4 Man kann Urban aber im Großen und Ganzen darin zustimmen, dass der Gott Apoll bei Ovid nicht dem des Augustus entsprach. Weitergehende Schlussfolgerungen zieht er aber nicht, sondern stellt in einer Zusammenfassung des ersten Teils fest, "das Ziel geistreicher Unterhaltung" habe Ovid die Feder geführt (S. 86f.). Wie verträgt sich das aber mit den Anspielungen und Kritikpunkten, die er in den von ihm untersuchten Passagen zu erkennen glaubt?

Der zweite Teil setzt sich mit Augustus auseinander. Urban geht es hier um "das Verhältnis des Dichters Ovid zum Princeps Augustus" (S. 3), das er anhand von vier Textpassagen herausfinden möchte. Er beginnt mit einem Abriss der Etablierung des Principates und der zahlreichen Ehrungen für Augustus. Die erste Schlüsselstelle ist für ihn die Schilderung der Weltalter (met. 1, 89ff.). Wie Urban dazu deutlich macht, hat Ovid schon in seinen früheren Werken in dem Topos nicht das Ideal erkannt, wie es Augustus und die anderen Dichter taten. Die ungewöhnliche Bekräftigung in den Metamorphosen, dass während des Goldenen Zeitalters ein vindex nicht vonnöten war, nimmt bei Urban aber keinen großen Raum ein.6 Dieser Aspekt hätte aber im Sinne des von Urban gewählten Titels eine ausführlichere Behandlung verdient, zumal er mehrfach darauf verweist, dass sich Augustus als vindex libertatis feiern ließ (S. 90, 101 u. Anm. 492, 169). Aus diesem Aspekt wäre mehr zu machen gewesen.

Die Götterversammlung im ersten Buch der Metamorphosen (1, 163ff.) ist dem Senat angeglichen; das ist kaum von der Hand zu weisen. So liegt es nahe, in Iuppiter auch Augustus zumindest angedeutet zu sehen. Ob man das aber soweit auslegen kann, dass im Schweigen der anderen Götter der Senat als "stummes Beiwerk" (S. 120) und als "willfähriges Instrument" gezeigt sei, ist doch eher fraglich. Der Mythos von Cipus (met. 15, 565ff.), der bei Ovid erstmals auftritt, ist häufig in seinen Bezügen zu Augustus und dem Principat beleuchtet worden, wenngleich von einer Einigkeit über die Auslegung nicht gesprochen werden kann.7 Erfreulicherweise gelangt Urban hier im Diskurs mit bisherigen Ansätzen zu eigenständigen Erkenntnissen, über die sich nachzudenken lohnt. Dieses Kapitel ragt unter den übrigen insofern heraus, als er hier auch einmal eine politische Deutung wagt, die er sonst eher vermeidet.

Das letzte Viertel der Arbeit nimmt die Untersuchung des Endes von Buch 15 der Metamorphosen ein, wo Augustus direkt thematisiert wird. Doch davor ist es die Behandlung Caesars und seiner Vergottung, der Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ob es aber wirklich angeraten war, Caesar nicht zu erwähnen, ist so unumstritten nicht.8 Zu Augustus stellt Urban heraus, dass gerade das als Lob erscheinende Ende mit Anspielungen durchsetzt ist, wobei er diesen Aspekt manchmal sehr strapaziert. Man wird sich fragen dürfen, ob wirklich hinter jedem Vers eine Anspielung verborgen liegt, denn zwingend sind die Deutungen vielfach nicht. Besonderen Wert legt Urban auf die Stellung der Passagen in den Metamorphosen (etwa S. 170); da sei die Frage angebracht, inwiefern die Erzählung über König Numa zu Beginn des 15. Buches nicht auch prägnant positioniert ist: Numa galt bei den Römern vor allem auch als Friedensherrscher. Insgesamt bringt Urban gerade an diesem Punkt, der angesichts der im Titel angedeuteten Thematik besonders wichtig scheint, ebenfalls nichts substantiell Neues.8

Auffällig ist, dass Urban von einer Erwartungshaltung des Augustus bezüglich des Gedichtes ausgeht, die er am Proömium festmacht (S. 1f.). Von dieser Warte aus liest er die Metamorphosen. Das ist eine konzeptionelle Schwachstelle, zumal dies eine etwas einseitige Sicht auf Augustus ist, die ihm nicht gerecht wird.9 So dürfte es vor allem die Erwartung Urbans sein; diese Wirkung stellt sich zumindest auf den Leser ein, wenn er in vielen Kapiteln das Fehlen augusteischer Leistungen in den Metamorphosen angeführt, ja fast kritisiert findet. Dafür wird wohl die Fragestellung verantwortlich sein. Im Einzelfall mag das zu erwägen sein, etwa bei den vier Weltaltern. Dennoch ist die Häufung der im Konjunktiv gehaltenen Feststellungen zu möglichen, aber nicht erfolgten Augustusbezügen im Ganzen eher ermüdend.

Etwas widersprüchlich ist das Fazit, in dem ein "respektloser Umgang mit dem Principat" konstatiert wird (S. 174). Das ist aber weitgehend ein argumentum ex silentio, zumal auf derselben Seite festgehalten wird, dass "ideologische Stützpfeiler des Principates [...] schemenhaft" bleiben. So sind es lediglich zwei Stellen, an denen man einen Bezug sehen kann: einerseits die Götterversammlung, andererseits die Cipus-Geschichte, bei der Urban bezeichnenderweise den Principat als "zweitbeste Lösung" (nach einer wie auch immer gearteten Republik) dargestellt sieht (S. 134). Der Rest bringt zwar nach den Ausführungen Urbans Anspielungen auf Augustus, ist aber bezüglich der Sicht auf den Principat an sich von geringer Aussagekraft, das gilt auch für den ersten Teil zu Apoll.

Die einzelnen Kapitel sind im Kontext der Forschung verfasst. Urban lässt dabei die Parallelstellen bei Ovid nicht außer Acht und berücksichtigt auch andere Überlieferungen. Zusammen mit der Herausstellung der Aufnahme bestimmter Wendungen und Motive anderer Dichter sind dies positive Seiten des Buches. Die Untersuchung Apolls an sich ist zudem abseits der Suche nach Augustus-Bezügen durchaus gefällig. Es bleibt aber ein zwiespältiger Eindruck, wirklich Neues im Rahmen der Fragestellung ergibt die Arbeit kaum. Wer eine Untersuchung des Gehalts der Metamorphosen hinsichtlich Augustus sucht, findet sich trotz einiger brauchbarer Ansätze enttäuscht.10

Anmerkungen:
1 Angeführt seien als wichtige Vertreter: Lundström, Sven, Ovids Metamorphosen und die Politik des Kaisers, Uppsala 1980; Schmitzer, Ulrich, Zeitgeschichte in Ovids Metamorphosen. Mythologische Dichtung unter politischem Anspruch, Stuttgart 1990; Granobs, Roland, Studien zur Darstellung römischer Geschichte in Ovids Metamorphosen, Frankfurt am Main 1997.
2 Ein bezeichnender Tippfehler macht deutlich, wie sehr Urban hinter Apoll den Augustus sieht: "Daß Apoll eine enge Bindung zum Gott Apoll einging und den Bürgern eine Identifikation seiner Person mit Apoll nahelegte ..." (S. 69).
3 Vgl. P. Ovidius Naso, Metamorphosen, Kommentar von Franz Bömer, Buch I-III, Heidelberg 1969, S. 173f.
4 Siehe dazu Weis, Anne, Art. "Marsyas", in: Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae, Bd. VI.1, Zürich 1992, S. 366-378.
[5] Wesentlich ausführlicher ist Schmitzer (wie Anm 1), 41ff., auf den sich Urban auch beruft (S. 101).
6 Z.B. in der unter Anm. 1 genannten Literatur (Lundström, S. 67ff.; Schmitzer, S. 260ff.; Granobs, S. 131ff.). Hinzugefügt sei noch folgender Aufsatz neueren Datums: Marks, Raymond, Of Kings, Crowns, and Boundary Stones: Cipus and the hasta Romuli in Metamorphoses 15, in: Transactions of the American Philological Association 134 (2004), S. 107-131.
7 Dazu Kienast, Dietmar, Augustus und Caesar, in: Chiron 31 (2001), S. 1-26.
8 Vgl. Lundström (wie Anm. 1), S. 90ff.; Schmitzer (wie Anm. 1), S. 278ff., der auch Numa thematisiert, S. 251ff.
9 Hierzu ist insbesondere die wichtige Arbeit von Karl Galinsky zu nennen (Augustan Culture. An Interpretive Introduction, Princeton 1996), vor allem auch das Kapitel zu Ovids Metamorphosen, S. 261-269. Urban scheint Galinsky nicht verwendet zu haben, ins Literaturverzeichnis ist er nicht aufgenommen.
10 Hier wäre der Griff zu der ausführlicheren und in sich stimmigeren Studie von Schmitzer (wie Anm. 1) empfohlen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension