Cover
Titel
Demokratien im Krieg.


Herausgeber
Schweitzer, Christine; Aust, Björn; Schlotter, Peter
Reihe
AFK-Friedensschriften Bd. 31
Erschienen
Baden-Baden 2005: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
415 Seiten
Preis
€ 29.-
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Werner Bührer Institut für Sozialwissenschaften, Technische Universität München

Mit dem Titel des Buches stellen die Herausgeber gleich zu Anfang klar, dass sie nicht die naive These vertreten, Demokratien führten keine Kriege. Da die Jahreskonferenz 2003 der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung, aus welcher der Band hervorging, am Vorabend des Irak-Krieges stattfand, wäre das auch nur unter großen Verrenkungen möglich gewesen. Es sei denn...Aber nein, auch die „USA im Krieg bleiben eine Demokratie“, wie einer der Beiträger betont (S. 309). Es stellt sich somit also nicht die Frage, ob, sondern wann, warum und wie demokratische Staaten Krieg führen. In Beantwortung dieser Fragen räumen die Autoren des thematisch weitgespannten und in kritischer Absicht verfassten Buches mit zahlreichen Wunschvorstellungen über vermeintlich friedliebende Demokratien oder über den Zusammenhang zwischen Regimetyp und Kriegsbeteiligung auf. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zu einer Debatte, die bislang hauptsächlich von amerikanischen Sozialwissenschaftlern bestritten worden ist.

Die Herausgeber, die informativ und mit sicherem Blick für Forschungstrends und -probleme in den Band einführen, haben die Aufsätze zu vier thematischen Blöcken zusammengefasst. Unter der Überschrift „Demokratien und Krieg“ setzt sich Harald Müller mit dem Widerspruch auseinander, dass das „demokratische Selbstbewusstsein“, das im Verhältnis zwischen Demokratien Friedfertigkeit garantiere, im Umgang mit autoritären oder diktatorischen Regimen „zum Konfliktgrund und zur Gewaltursache“ werde könne (S. 41). Christopher Daase analysiert institutionelle, normative und politische Gründe für die Unfriedlichkeit demokratischer Staaten und gelangt zu dem Ergebnis, dass die gleichen Institutionen, Werte und politischen Konzepte, „die für den Frieden unter Demokratien verantwortlich“ seien, Konflikte mit Nicht-Demokratien hervorrufen und eskalieren lassen könnten. Abschließend rekapituliert Sven Chojnacki das Konfliktverhalten demokratischer Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Jahrtausendwende und plädiert als Fazit für eine Überwindung der „Dichotomie Krieg/Frieden“ zugunsten einer stärker prozesstheoretischen Perspektive“ sowie für eine genauere Untersuchung der Gründe, warum manche Demokratien häufig zu kriegerischen Mitteln greifen, andere hingegen selten oder nie (S. 97).

Dem zentralen Problem der Legitimationsstrategien und -muster für „demokratische Kriege“ ist der zweite Block gewidmet. Wolfram Wette beschäftigt sich mit der beliebten Gleichsetzung heutiger Diktatoren mit Hitler als Kriegsrechtfertigung und erklärt die Ähnlichkeit der Legitimationsfiguren demokratischer wie diktatorischer Provenienz mit der „Logik des Krieges“ (S. 124). Die folgenden drei Aufsätze thematisieren aus unterschiedlicher Perspektive das Verhältnis des Westens zum Islam und die daraus resultierenden Legitimationsmöglichkeiten: Werner Ruf konstatiert die Konstruktion eines demokratisch-rechtsstaatlichen „Wir“, dem die als „radikal verschieden und ihrem Wesen nach als bedrohlich und minderwertig“ präsentierten „Anderen“ gegenübergestellt würden (S. 127). Petra Weyland untersucht die Entstehung des Feindbildes „Islam“, während Susanne Kassel das Kriegsziel der „Wiederherstellung von Frauenrechten“ kritisch unter die Lupe nimmt. Wie es der Bush-Administration gelang, die amerikanische Bevölkerung, die zunächst mehrheitlich einen militärischen Alleingang ablehnte, auf ihre Seite zu ziehen, zeigt zum Schluss Jutta Koch.

Im dritten Block geht es um Instrumente und Methoden „demokratischer Kriege“ und damit um die Frage, ob Demokratien ihre Kriege „zivilisierter“ austragen als nicht-demokratische Regime. Den engen Zusammenhang von Militärtechnologie und Kriegführung erörtert Christian Mölling: Da die militärtechnologische Entwicklung wichtige Ziele wie Kosteneffizienz, Opferminimierung oder prinzipielle Interventionsfähigkeit zu garantieren scheine, sei eher eine „Erhöhung des Sicherheitsdilemmas und der Instabilität“ ( S. 215) zu beobachten. Dass der „klassische“ Krieg „für Demokratien zunehmend ein rational kalkulierbares Mittel der Politik“ (S. 226) werde, konstatiert auch Martin Kahl, der sich insbesondere mit der Rolle der Computertechnologie auseinandersetzt. Den Schlusspunkt setzt Elvira Claßen mit ihrem Beitrag über die mediale Vermittlung „demokratischer Kriege“ am Beispiel der USA. Die Antwort aller drei Aufsätze auf die Eingangsfrage fällt ernüchternd aus. Im Gegensatz zur militärpolitischen Rhetorik sind „demokratische Kriege“ weder human, noch zeichnet sich die flankierende „public diplomacy“ durch einen hohen Wahrheitsgehalt aus.

Mit den Auswirkungen des Krieges auf die kriegführenden Gesellschaften befassen sich die Autoren des letzten Themenblocks, dessen Zusammensetzung, im Unterschied zu den anderen, etwas zufällig wirkt: Bernd Greiner zeichnet den Einstellungswandel in den USA von einer eher unmilitaristischen politischen Öffentlichkeit hin zur „permanent preparedness“ nach, die von der Ausbreitung einer „culture of fear“ begleitet gewesen sei (S. 290). Die innenpolitischen Konfliktlinien des „war on terrorism“ in den USA beleuchtet Albrecht Funk, während Martin Herrnkind die Folgen des 11. September für das Polizeihandeln in Demokratien analysiert. Welchen Einfluss Krisen und Kriege auf die Geschlechterverhältnisse haben, erörtert am Beispiel Israels Uta Klein, ehe Sabine Kurtenbach nach den Auswirkungen des Übergangs der USA von der Drogen- zur Terrorbekämpfung in Kolumbien fragt. Den Band runden Überlegungen Ulrich Schneckeners zu Modellen der Konfliktregulierung in multiethnischen Gesellschaften und ein in Sammelbänden eher selten anzutreffendes, hilfreiches Sachregister ab.

Die Beiträge des Bandes lassen sich in der Weise zusammenfassen, dass demokratische Strukturen allein nicht vor kriegerischen Stimmungen, Ambitionen und Aktivitäten schützen, sondern eher bestimmte außenpolitische Traditionen oder der internationale Status eines Landes. Da sich die Autoren verständlicherweise auf die USA konzentriert haben, werden solche friedensfördernden Faktoren allerdings nur am Rande erwähnt. Für eine historisch orientierte Friedensforschung stellt sich hier die Aufgabe, Entwicklung und Bedeutung solcher Faktoren in längerfristiger Perspektive zu untersuchen. Als Zwischenbilanz der Debatte über „Demokratien im Krieg“ beeindruckt das Buch durch die Vielzahl der Themen und Blickwinkel. Es knüpft überdies nicht nur an die Diskussion über die „neuen Kriege“ an, sondern liefert beispielsweise auch Stoff zum Problem des Terrorismus. Kurzum: Wer sich in die Thematik des „demokratischen Friedens“ einlesen möchte, sollte zu diesem Band greifen.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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