M. Enzenauer: Wirtschaftsgeschichte in Mannheim

Titel
Wirtschaftsgeschichte in Mannheim. Das Fach und seine Vertreter an Handelshochschule, Wirtschaftshochschule und Universität


Autor(en)
Enzenauer, Markus
Erschienen
Ludwigshafen 2005: Llux Verlag
Anzahl Seiten
188 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Pfeiff, Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft, Universität Mannheim

Die vorliegende Darstellung stellt eine überarbeitete Fassung der Magisterarbeit von Markus Enzenauer dar, welche sich im Kontext der Veröffentlichungen zum bevorstehenden einhundertsten Mannheimer Hochschuljubiläum im Jahr 2007 zunächst lokal zu positionieren scheint. Die Untersuchung reflektiert dabei die Entwicklung der Wirtschaftsgeschichte speziell in Mannheim vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 1960er-Jahre, mit einem knappen Exkurs zur Entwicklung bis in die Gegenwart. Diese Chronologie ist dabei auch in der Inhaltsstruktur deutlich zu erkennen, die so sortierten knapp 100 Textseiten werden im Anschluss durch einen umfangreichen Dokumentationsteil (ca. 75 S.) sowie durch einen Index und ein Register ergänzt.

Thematisch wird die in der Einleitung (bes. S. 4) skizzierte Einordnung der speziellen Mannheimer Fachgeschichte in eine allgemeinere und überregionale Perspektive der Entwicklung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte jedoch nicht konsequent umgesetzt, die Dichotomie des Untertitels wird bevorzugt in die Richtung einer Geschichte der Vertreter des Faches aufgelöst. Zur Fachgeschichte werden zwar immer wieder kürzere Einschübe vorgenommen (z.B. S. 7, 16, 72), diese erreichen aber bei weitem nicht den Umfang und die Bedeutung der Biografiegeschichte. Am Beginn dieser Beschreibung der Werdegänge steht im zweiten Kapitel der für die Gründung der Mannheimer Handelshochschule maßgeblich verantwortliche Nationalökonom Eberhard Gothein, auf ihn folgt im dritten Abschnitt sein Nachfolger Max Springer. Diese beiden Ordinarien bildeten im Kern den wirtschaftsgeschichtlichen Lehrkörper der Handelshochschule bis zu ihrer Auflösung 1933. In beiden Kapiteln fällt auf, dass sich die Darstellung nicht auf eine einfache Wiedergabe der aus der Sekundärliteratur bekannten Lebensdaten beschränkt. Vielmehr werden, oft auf der Basis von originärem Aktenmaterial, die Hintergründe im persönlichen und beruflichen Umfeld beleuchtet. Ebenfalls aufgeführt werden ein guter Teil der von Gothein und Springer gelesenen Vorlesungen, welche aus den jeweiligen Vorlesungsverzeichnissen der Handelshochschule entnommen wurden. An dieser Stelle geht die Darstellung jedoch leider nicht über eine relativ unkommentierte Titelaufzählung hinaus, eine sich eigentlich anbietende und aus den Entwicklungen der Veranstaltungstitel exzerpierbare Verknüpfung zur Entwicklung des Faches Wirtschafts- und Sozialgeschichte findet nicht statt.

Mit der Neugründung der Mannheimer Hochschule im Herbst 1946 setzt das vierte Kapitel ein. Hier wird zunächst kurz auf den Lehrauftrag an Graf zu Solms eingegangen, im Anschluss sehr ausführlich auf das Wirken von Hans Georg Schachtschnabel. Beide Dozenten hatten an der neuen Hochschule wie zuvor an der alten kein eigenes Ordinariat, womit auch weiterhin dem Fach Wirtschaftsgeschichte diese aufwertende Anerkennung verwehrt blieb. Der größere Teil des Abschnittes wird allerdings nicht mit dieser Problematik, sondern mit einem „Exkurs“ gefüllt, in dem zum ersten und einzigen Mal in der Arbeit in hohem Auflösungsgrad mit einem quellenkritisch-analytischen Ansatz die Frage nach dem Grad der Verstrickung Schachtschnabels in das NS-Regime und sein Verhalten bei der Eingliederung in den bundesrepublikanischen Wissenschaftsdienst gestellt wird. Enzenauer zieht an dieser Stelle gut nachvollziehbar den Schluss, dass „Schachtschnabel der autobiografischen Fälschung“ überführt sei und diskutiert unter dem Stichwort der „bruchlos fortgesetzten Karrieren“ (beide Zitate S. 47) über Effekte dieser Erkenntnis.

Den zumindest an den Seitenzahlen bemessenen quantitativen Schwerpunkt der Arbeit bildet das fünfte Kapitel, welches sich mit dem Wirken Hektor Ammanns in Mannheim sowie dessen Lebensgeschichte auseinandersetzt. Insbesondere die Herkunft des Schweizers Ammann sowie sein aus dem beruflichen Werdegang resultierendes Netzwerk wird detailliert beleuchtet. Ebenso intensiv wird die von Ammann betriebene Gründung eines wirtschaftshistorischen Institutes und der Versuch, dieses zu einem Ordinariat auszubauen, beschrieben. Dass die Ablehnung eines Lehrstuhls für Ammann durch das baden-württembergische Finanzministerium jedoch fast ausschließlich durch das bereits fortgeschrittene Alter des Hochschullehrers bedingt sei, mag zumindest bezweifelt werden. Vielmehr wird im weiteren auch auf die generell niedrige Wertigkeit des Faches sowie den Nachwuchsmangel hingewiesen, welcher sich erst mit der DFG-Denkschrift Knut Borchardts ändern sollte.

Eben diese Veränderungen, die zur Einrichtung eines Mannheimer Ordinariats sowie zur Berufung Knut Borchardts nach Mannheim führten, werden im sechsten Abschnitt untersucht. Stärker als im bisherigen Kontext sind an dieser Stelle neben dem Werdegang, Berufungsdetails und Veranstaltungsstrukturen auch die von Borchardt ausgebildeten Assistenten sowie die Umstände und Effekte des 1969 nach München erfolgten Weggangs thematisiert. Die Ausführungen in diesem Abschnitt werden neben der bereits üblichen Quellendichte auch von mündlichen und schriftlichen Auskünften Borchardts an den Verfasser gestützt, der erhöhte Authentizitätsgrad drückt sich unter anderem durch zwar lange, aber fundiert in die Hintergründe einführende Fußnoten aus. Im abschließenden, relativ kurzen siebten Abschnitt, wird schließlich die Entwicklung seit den 1970er-Jahren skizziert, vom Borchardt-Nachfolger Bernhard Kirchgässner zum aktuellen Lehrstuhlinhaber Christoph Buchheim.

An den Textteil schließt Enzenauer einen umfangreichen Dokumentationsteil mit Grafiken, Aktenauszügen, Faksimiles etc. an, auf die er im Text bereits umfassend in Fußnoten verweist. Neben diesen guten Verknüpfungen sind den meisten Dokumenten weiterhin kurze Kommentare des Autors beigefügt, die teilweise erläuternden, teilweise aber auch wertenden Charakter haben. Gerade letztere sind dabei allerdings in Teilen etwas zu spekulativ. So wird zum Beispiel das Dozentenkollegium 1931 noch als eine Art harmonisches Kollektiv beschrieben, obwohl neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass auch hier längst ein deutlicher Zerfall in republikanische und nationalistische (bzw. nationalsozialistische) Protagonisten eingesetzt hatte. Sehr treffend und strukturierend ist dagegen der am Beginn des Dokumentarteils gelieferte kurze Inhaltsüberblick.

In der Summe ist die vorliegende Arbeit eine quellengesättigte, stark personenbasierte deskriptive Darstellung, mit der Ausnahme des analytischen Diskurses zu Hans Georg Schachtschnabel. So deutlich, wie der Schwerpunkt aber auf der Biografiegeschichte zu liegen scheint, wird die Einbettung in den fachlichen Kontext vernachlässigt. Es wäre sicherlich interessant gewesen, die lange Tradition der Mannheimer Fachgeschichte tiefer mit den beispielsweise in jüngerer Zeit von Pierenkemper entwickelten Entwicklungspfaden der Wirtschaftsgeschichte zu verknüpfen.1 Die somit insbesondere von Titel und Einleitung geweckten und nicht im vermuteten gleichberechtigten Reflexionsgrad bearbeiteten Erwartungen werden jedoch durch die äußert quellengesättigten und eloquent zusammengeführten Biografien der Fachvertreter in Mannheim in weiten Teilen angemessen kompensiert.

Somit deckt die Arbeit in zwei wichtigen Bereichen bedeutsame Forschungsdesiderate ab: Zum einen ergänzt sie vorhandene Darstellungen zu anderen Fach- und Ordinariatsgeschichten an der Universität Mannheim um die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, und hebt sich dabei von ähnlich angelegten Untersuchungen sowie insbesondere von den allgemeineren (Jubiläums-)Publikationen zur Hochschulgeschichte Mannheims im Bereich der geschichtswissenschaftlichen Qualität durch seine Quellennähe und -dichte deutlich ab.2 Zum anderen leistet sie über den engeren Kontext der Hochschule hinaus bedeutsame Beiträge zu den Biografien einzelner Ordinarien über deren gesamtes Wirken hinweg, welche sich im Spektrum von anekdotischen Ergänzungen bei Gothein, hochschulorganisatorischen Feinheiten bei Borchardt bis hin zur Revision von bestehendem Wissen bei Schachtschnabel erstrecken.

Anmerkungen:
1 Vgl. Pierenkemper, Toni, Wirtschaftsgeschichte, in: Goertz, Hans-Jürgen (Hg.), Geschichte – ein Grundkurs, Reinbeck 1998, S. 362-378; Ders., Gebunden an Zwei Kulturen – Zum Standort der modernen Wirtschaftsgeschichte im Spektrum der Wissenschaften, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1995/2, S. 163-176.
2 Vgl. zur Mannheimer Hochschulgeschichte zuletzt Mitsch, Ralf, Von der Gründung der Handelshochschule 1907 bis zur Universität 1967, in: Chantraine, Heinrich (Hg.), 85 Jahre Handelshochschule, 25 Jahre Universität Mannheim, Begleitheft zur Ausstellung, Mannheim 1992.

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