T. Klein u.a. (Hgg.): Christentum in Ostasien

Titel
Karl Gützlaff (1803-1851) und das Christentum in Ostasien. Ein Missionar zwischen den Kulturen


Herausgeber
Klein, Thoralf; Zöllner, Reinhard
Reihe
Collectanea Serica
Erschienen
Anzahl Seiten
375 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gesa Westermann, Außereuropäische Geschichte, Fernuniversität Hagen

Der Ostasienreisende und protestantische Missionar Karl Gützlaff (1801-1851) hat mit seiner Schrift ‚China Opened’ aus dem Jahre 1838 eine Gegenposition zur zeitgenössischen Chinawahrnehmung vertreten. Nicht verschlossen und undurchdringbar sei China für Europa, sondern offen für jene, die sich, wie Gützlaff selbst, die chinesischen Sprachen aneigneten und nicht in ihren europäischen Vorstellung von Zivilisation verhaftet blieben. Ein solcher Kulturrelativismus stellte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eher die Ausnahme dar und machte die Hauptperson des hier anzuzeigenden biografischen Sammelbandes über den Ostasienmissionar Karl Gützlaff zu einem ‚eigenwilligen Außenseiter’ der frühen protestantischen Chinamission. Doch gerade das Zeit unübliche Kulturverstehen Gützlaffs führt uns direkt in die Mitte der interkulturellen Auseinandersetzung zwischen Europa und dem Reich der Mitte und damit in die Mitte der heutigen geschichtswissenschaftlichen Debatten der Kulturtransfer-Forschung. Thoralf Klein und Reinhard Zöllner haben den 200. Geburtstag Gützlaffs zum Anlass genommen, seinem vielfältigen Wirken in Ostasien mit Ansätzen aus der Kulturtransfer-Forschung erneut zu begegnen und zu würdigen. Hervorgegangen ist der Sammelband aus einer Tagung im Juni 2001 an der Erfurter Universität.

Der aus Pyritz bei Stettin in Pommern stammende Karl Gützlaff erhielt seine geistig-religiöse Prägung in der Berliner Missionsschule durch Johann Jänicke (1748-1827) und dessen Verbundenheit mit der aufkommenden Erweckungsbewegung. Im Auftrag der Nederlandse Zendelings-Genootschap ging er 1826 nach Niederländisch-Indonesien, von wo aus er, angeregt durch den englischen Chinamissionar Walter Henry Medhurst (1794-1831), Anfang der 1830er-Jahre erstmals, nun bereits schon als Freimissionar, die Küsten Chinas erkundete. Im Jahre 1834 trat er als Dolmetscher in britische Dienste, eine Tätigkeit, die ihm später die dauerhafte Anstellung in der britischen Kolonialadministration in Hongkong verschaffen sollte. Als Dolmetscher wirkte Gützlaff auch bei den Vertragsverhandlungen des ersten Opiumkrieges gegen China auf Seiten der Briten. Durch zwei größere Erbschaften finanziell weitgehend unabhängig, betrieb Gützlaff in den 1830er und 1840er-Jahren entweder auf eigene Faust oder in Zusammenarbeit mit britischen und amerikanischen Händlern eine ‚Einmann-Mission’, die es ihm ermöglichte, seine eigenen Vorstellungen von der Christianisierung Chinas, Koreas und Japans umzusetzen. Um den Druck chinesischer Missionsschriften zu finanzieren sowie die Chinamission auf institutionelle Beine zu stellen, setzte er sich Ende der 1840er-Jahre für die Einrichtung der Chinesischen Stiftung in Kassel ein. Als Ableger des Kurhessischen Missionsvereins sollte sie ihm fortan als Heimatbasis dienen. Durch vielfältige publizistische Tätigkeiten und Chinabeschreibungen begann er erfolgreich, die Menschen in ‚Deutschland’ für seine Sache zu begeistern. Man gewinnt den Eindruck, dass Gützlaff dem Lesepublikum durch seine Schriften und Reden ein Chinabild vermittelte, dass sich von der gängigen pejorativen europäischen Wahrnehmungsstruktur des ‚Fremden’ absetzte. Seine außergewöhnlichen Sprachkenntnissen eröffneten ihm dabei eine für die Zeit unübliche Nähe zu fremden Kulturen und ermöglichten ihm die Verwendung des rhetorischen Mittels der ‚einfühlenden Beschreibung’. Kurz nach seinem letzten Europaaufenthalt, einer längeren Fundraising-Tour, verstarb Karl Gützlaff am 9. August 1851 in Hongkong an Wassersucht.

Schon andere Autoren haben sich mit Quellen von und über Gützlaff beschäftigt 1, doch ist der Person Gützlaffs insgesamt in der Forschung eher zu wenig als zu viel Aufmerksamkeit zu Teil worden. Dieser Umstand erklärt sich möglicherweise aus den Schwierigkeiten, Gützlaffs Person in eine Schublade idealtypischer kolonialer Persönlichkeiten wie etwa ‚ignoranter Kolonialbeamter’, ‚strenggläubiger Missionar’, ‚skrupelloser Ostasienhändler’ oder ‚Marketing-Genie’ zu setzten. Die Person Gützlaffs weist eine zu große Anzahl an Besonderheiten und Singularitäten auf als das sie für eine bestimmte Gruppe kolonialen Persönlichkeitstyps oder typisches zeitgenössisches Denken repräsentativ gewesen wäre. Dass seine Person nun erneut mit einem Sammelband gewürdigt wird, mag nicht zuletzt daran liegen, dass die in der historischen Zunft seit einiger Zeit präsenten cultural studies-Ansätze eine neue Perspektive auf die Vielseitigkeit und geistige wie habituelle Eigenständigkeit des Kulturvermittlers Gützlaffs eröffnen.2 So entlehnen die meisten Beiträge des Sammelbandes ihre methodischen Ansätze dem Bereich der interkulturellen Wahrnehmungstheorie und stellen, wie in der Einleitung von den Herausgebern vorgeschlagen, das Konzept des Kulturvermittlers, des cultural brokers, an den Beginn ihrer Überlegungen. Von den zwei grundsätzlichen Ausrichtungen dieses Konzeptes, dem kulturanthropologischen Blick auf strukturelle Zusammenhänge zwischen sozialen und kulturellen Systemen und dem aus Frankreich stammenden, am individuellen Fall orientierten Ansatz des transfer culturel haben sich die Autoren für letzteres entschieden.

Der Aufbau des Sammelbandes folgt dem Anliegen Klein und Zöllners, eine anhand der erzielten Ergebnisse aus den zehn Einzelbeiträgen vorläufige Bilanz des Schaffens Gützlaffs vorzustellen. An eine einleitende biografische Skizze über die Person Karl Gützlaffs schließen sich in den Einzelbeiträgen Präsentationen verschiedener Stationen im Leben Gützlaffs an. Diese Idee der Biografie-Schreibung vermittelt dem Leser das Gefühl, an einem Puzzle zu arbeiten, dessen skizzenhaftes Bild er bereits kennt, doch mit jedem Einzelbeitrag fügt sich ein weiteres Mosaiksteinchen in die Persönlichkeit Gützlaffs ein. Die Einzelbeiträge sind chronologisch und systematisch angeordnet. Zum Auftakt erläutert Zöllner die Bedeutung der Gützlaffschen Japanreise von 1837 im Kontext japanischer Europawahrnehmung und thematisiert die Gründe fremdenfeindlichen Denkens, Gründe, die es Karl Gützlaff unmöglich machten, seinen lang gehegten Wunsch der Christianisierung Japans in die Tat umzusetzen. Gützlaffs teils gewollte, teils ungewollte Rolle während des ersten Opiumkrieges schildert Peter Merker detailgetreu und beschreibt die Netzwerke und lokale Verankerung Gützlaffs in China. Einen ebenso interessanten Beitrag liefert Sylvia Bräsel über die Bedeutung Gützlaffs für die protestantische Koreamission. Werkgeschichte zu Gützlaffs chinesischen Bibelübersetzungen und nichtmissionarischen Schriften in vielfältigster Hinsicht schreiben Hartmut Ravens, Jost Zetzsche und Yôko Nishina. Missionsgeschichtlich untersuchen Jessie G. und Rolland Lutz sowie Patrick Dreher Gützlaffs Bemühungen zur finanziellen, institutionellen und organisatorischen Unterstützung der Ostasienmission und fördern somit Gützlaffs unternehmerisches und politisches Geschick zu Tage. Der Beitrag von Lutz und Lutz eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, den Blick auf ‚transnationale’ Missionsaktivitäten anderer Länder zu richten. Ebenso zentral wie die Japan- und Koreabeiträge ist der längste Einzelbeitrag von Gerhard Tiedemann, der Gützlaffs Einstellung zur Mission und seine Missionsmethoden beleuchtet indem er Personen vorstellt, die Gützlaffs Schaffen beeinflussten. Gleichwohl bleibt Tiedemann skeptisch, ob Gützlaff tatsächlich in erster Linie ein Missionar war und nicht ein Abenteurer. Anschließend widmet sich Klein kontrafaktischen Überlegungen zu Gützlaffs Rolle als Vorläufer einer möglichen indigenen chinesischen Kirche. Eine ausführliche und interessante Dokumentation von Quellenmaterial von und über Karl Gützlaff schließt den Band ab. Es finden sich dort sowohl Selbstzeugnisse Gützlaffs als auch Berichte und Meinungen über Gützlaffs Schriften und Person aus fremden Federn. Sinnvollerweise geordnet nach chronologischen und systematischen Kategorien, ergänzt die Dokumentation hervorragend den darstellerischen und interpretierenden Teil des Gesamtbandes. Es ist begrüßenswert, dass eine endgültige Einschätzung Gützlaffs als ‚opiumschmuggelnder Missionar und Erfüllungsgehilfe imperialistischer Kanonenbootdiplomatie, der Bibeln verteilte’ oder als ‚gläubiger Verkünder und Missionar des Christentums in Ostasien’ offen und so die Vielseitigkeit des Protagonisten erhalten bleibt.

Obwohl der Sammelband die Frühzeit der protestantischen Mission in China behandelt, arbeiten die Autoren in den Einzelbeiträge Grundproblematiken der späteren Missionsgeschichte in China heraus und knüpfen damit an die relevanten Forschungsfragen und -literatur zur Chinamission an wie sie für den deutschen Sprachraum etwa von Horst Gründer behandelt worden sind.3 So stellt sich zwar zu Zeiten Gützlaffs noch nicht die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Modernisierung und Christentum in China, doch wird deutlich, dass Missionare in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch ihre linguistischen und literarischen Vorarbeiten für spätere Bibelübersetzungen zu Vermittlern westlichen Wissens überhaupt, nicht nur christlicher Botschaften, wurden. Eine weitere zentrale Frage der Chinamission, die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Kolonialismus und (protestantischer) Mission, wird gleichermaßen in verschiedenen Beiträgen angesprochen. Deutlich wird, dass zu Zeiten Gützlaffs, und damit auch zu Zeiten erst wachsender europäischer Nationalismen, der christliche Universalismus noch das vorherrschende Rational unter den protestantischen Missionaren war, was sich u.a. an der starken Präsenz deutscher Missionare in der englischen Mission in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausdrückte. Dies sollte sich später ändern und die Mission zu einer nationalen Kolonialmission werden. Zudem beschäftigten einige Autoren des Bandes die zeitgenössischen Diskussionen über die Frage der Missionsmethoden, will sagen, ob der Weg einer ortsgebundenen ‚intensive oral instruction’ der Chinesen dem ‚strategic geographical work’, d.h. einer oberflächlichen aber raumgreifenden Missionierung vorzuziehen sei. Hinter diesen Positionen verbirgt sich letztlich auch die von Klein in seinem Beitrag aufgeworfene grundsätzliche Frage nach dem Grad bzw. den Chancen und Grenzen der Indigenisierung westlicher Ideen, Glaubensinhalte und Institutionen in einer indigenen chinesischen Kirche.4

Thoralf Klein und Reinhard Zöllner haben einer in der Forschung zwar bekannten, aber vielleicht verkannten Person zu neuem Ansehen verholfen. Auch wenn es der biografischen Architektur des Bandes sicher widerspricht, hätte ein weiterer Blick auf chinesische Stimmen, soweit möglich, zur Einordnung des Schaffens Gützlaffs und seiner gewählten Missionsmethoden eine Bereicherung dargestellt.5 Doch liegt andererseits gerade der Charme des Buches in seiner konzentrierten Darstellung und Ausleuchtung von Karl Gützlaffs Wirken als cultural broker, als Kulturvermittler zwischen Europa und Ostasien. Es ist das Verdienst der Herausgeber, die Person Karl Gützlaffs, seine Vielseitigkeit, unkonventionellen Verhaltensmuster und Ansichten für die Missionsforschung anknüpfungsfähig gemacht und ihn darüber hinaus möglicherweise als interessantes Untersuchungsobjekt für die Ostasien- und Kolonialforschung jenseits der Missionsgeschichte entdeckt zu haben.

Anmerkungen:
1 Vergl. Schlyter, Hermann, Karl Gützlaff als Missionar in China, Kopenhagen 1946, Ders.: Der China-Missionar Karl Gützlaff und seine Heimatbasis. Studien über das Interesse des Abendlandes an der Mission des China-Pioniers Karl Gützlaff und über seinen Einsatz als Missionserwecker, Lund 1976; sowie Scharlau, Winfried, Gützlaffs Reise in den drei Seeprovinzen Chinas, Hamburg 1997.
2 Zum Ansatz der cultural studies und deutscher Chinamission siehe auch Sun, Lixin, Das Chinabild der deutschen protestantischen Missionare des 19. Jahrhunderts. Eine Fallstudie zum Problem interkultureller Begegnung und Wahrnehmung, Marburg 2002.
3 Siehe Gründer, Horst, Christliche Mission und deutscher Imperialismus 1884-1914. Eine politische Geschichte ihrer Beziehungen während der deutschen Kolonialzeit (1884-1914) unter besonderer Berücksichtigung Afrikas und Chinas, Paderborn 1982; sowie als biograpfisches Pendant die Studie von Ernst Bade. Bade hat mit seiner Untersuchung des leitenden Inspektors der Rheinischen Missionsgesellschaft für die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine sozialgeschichtliche Biografie über Friedrich Fabri vorgelegt und die damals akzeptierte These des ‚Exports der sozialen Frage’ in die Kolonien in einen missionsgeschichtlichen Kontext platziert, Bade, Klaus J., Friedrich Fabri und der Imperialismus in der Bismarckzeit. Revolution – Depression – Expansion, Freiburg im Breisgau, 1975.
4 Vergl. Bay, D. H. (Hg.), Christianity in China. The Eighteenth Century to the Present. Essays in Religious and Social Change, Standford 1996; sowie Taso, Ting Man, Representing China to the British Public in the Age of Free Trade, Stony Brook 2000.
5 Siehe zum Beispiel die Lokalstudie über die frühe Chinamission von David Cheung, der sich an der School of Oriental and African Studies in London seit Mitte der 1990er-Jahre mit Quellen zur Missionsrezeption in Banlam (Süd Fujian) beschäftigt hat, eine Region, die Gützlaff als Sekretär von George James Gordon im November 1834 und im Mai 1835 bereiste (202), Cheung, David, Christianity in Modern China. The Making of the First Protestant Church, Leiden 2004.