S. Manke: Die Bilderwelt der Goldhagen-Debatte

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Titel
Die Bilderwelt der Goldhagen-Debatte. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf eine Kontroverse um Geschichte


Autor(en)
Manke, Sabine
Erschienen
Anzahl Seiten
297 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Große Kracht, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Über die Goldhagen-Debatte ist bereits viel, sehr viel geschrieben worden. Mit seinen Thesen über den „eliminatorischen Antisemitismus“ der Deutschen, über die von ihm behauptete massenhafte Bereitschaft in der deutschen Bevölkerung, sich während der NS-Zeit am Völkermord an den europäischen Juden zu beteiligen, hatte der US-amerikanische Politologe Daniel J. Goldhagen 1996 eine ungeahnte öffentliche Aufmerksamkeit gefunden. Die Kontroverse um sein Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ stellte alles in den Schatten, was die bundesrepublikanische Öffentlichkeit bislang – von der Fischer-Kontroverse bis zum Historikerstreit – an Streitkultur im Umgang mit der deutschen Zeitgeschichte erlebt hatte. Was die Goldhagen-Debatte von ihren Vorgängerinnen auf dem Gebiet der öffentlichen Streitgeschichte unterschied, war dabei nicht nur die bloße Anzahl der Beiträge, sondern vor allem auch ihre visuelle Präsenz. Waren die vorherigen Kontroversen noch nahezu ausschließlich im Stile gelehrt-polemischer Wortkultur ausgetragen worden, so spielten Bilder, öffentliche Gesten und medial vermittelte Ereignisse in der Goldhagen-Debatte eine zentrale Rolle, was zwar schon häufig vermerkt, bislang aber noch kaum untersucht worden ist. Sabine Manke hat sich nun zum Ziel gesetzt, diese „Bilderwelt“ einer kritischen, tiefenhermeneutischen Analyse zu unterziehen. In historiografiegeschichtlicher Hinsicht betritt sie damit durchaus Neuland.

Einleitend schildert Manke ihr Vorhaben, im Anschluss an Alfred Lorenzer die szenischen Hintergrundmotive der Goldhagen-Debatte in den Blick zu nehmen, da eine Reduzierung der Kontroverse auf ihre verbalen, argumentativen Inhalte die Dynamik der Auseinandersetzung kaum verständlich machen könne. Gleichwohl wird die argumentative Auseinandersetzung um Goldhagens Buch keineswegs ausgeklammert, sondern im zweiten Kapitel konzise zusammengefasst – und so das nötige Hintergrundwissen für die Bildanalysen des dritten Kapitels bereitgestellt. Anhand von drei Beispielanalysen werden in diesem Hauptkapitel der Arbeit (S. 35-113) dann die zentralen Motivkonstellationen eingehend untersucht, die die visuelle Wahrnehmung der Goldhagen-Debatte geprägt haben.

Manke widmet sich hier zunächst den Porträtaufnahmen Goldhagens. Vor allem die Werbefotografien, die Goldhagen entweder als melancholischen und nach innen gekehrten Autor oder aber als offenen, dem Zuschauer mit ruhigen Augen zugewandten, in entspannt legerer Haltung sitzenden jungen Mann zeigten, fanden während der Debatte eine weite Verbreitung. Die szenischen Arrangements dieser Aufnahmen changierten zwischen „Narziss“ und „Verführer“, wie Manke anhand motivgeschichtlicher Rekonstruktionen ausführt, wobei vor allem die Ambivalenz des letzteren leicht ins Negative hinübergezogen werden konnte, wie das Beispiel eines im „Spiegel“ veröffentlichten Goldhagen-Porträts belegt, das diesen in düsteren Lichtverhältnissen vor einer Hakenkreuzfahne und der Fotografie eines schießenden Soldaten zeigte. Diese visuelle Verklammerung Goldhagens, aber auch seiner Kontrahenten mit dokumentarischen Aufnahmen von NS-Tätern und ihren Opfer bestimmte ebenfalls das visuelle Arrangement einer ARD-Studiodiskussion vom September 1996, an der neben Goldhagen unter anderem Hans Mommsen und Ignatz Bubis teilnahmen. Wer im Laufe dieser Sendung jeweils zusammen mit den Tätern oder den Opfern in den Blick der Kamera geriet, war durchaus uneindeutig, doch war der thematische Horizont der Diskussion insgesamt eindeutig festgelegt: Es ging um „Schuld und ihre Bestrafung“; die Studio-Diskussion ähnelte einer Gerichtsszene (S. 56).

Auch das nächste Unterkapitel, das einer Analyse von filmischen Vorspann-Sequenzen zu den Goldhagen-Diskussionsrunden im Fernsehen gewidmet ist, beschäftigt sich mit der Bedeutungsverkettung zwischen dokumentarischen Bildelementen und den visuellen Eindrücken aus dem aktuellen Debattenverlauf. Manke konzentriert sich hierbei auf das Motiv der „Masse“, das sowohl das Bild von den Tätern als fanatisierter Gefolgschaft Hitlers als auch die Wahrnehmung des anonymen Publikums in der Kontroverse geprägt habe. Der Vorspann zu einer ZDF-Diskussionsveranstaltung in Aschaffenburg (ebenfalls im September 1996), in dem gezeigt wurde, wie vor Veranstaltungsbeginn Besucher mit Metalldetektoren nach Waffen und Stuhlreihen mit Schäferhunden nach Bomben abgesucht wurden, steht für die Ambivalenz dieses Motivs, einerseits Distanzierungsbedürfnisse zu erzeugen, andererseits aber auch zum spannungsaufbauenden Faszinosum zu werden.

Im dritten Teil des Hauptkapitels werden schließlich die körperlichen Signale und Gesten untersucht, mit denen die Kontrahenten im Verlauf ihres öffentlichen Zusammentreffens nonverbal miteinander in Kommunikation traten. Eingehend analysiert werden hier vor allem die Motive des Männerspazierganges in freier Natur (Goldhagen und Rudolf Augstein auf Sylt), der privaten, freundschaftlichen Begegnung (Goldhagen und Michel Friedman in Harvard) sowie der paternalistischen Fürsorglichkeit (Goldhagen und Jürgen Habermas anlässlich der Verleihung des „Demokratiepreises“ 1997 an ersteren). Manke ordnet die einzelnen Elemente dieser Arrangements den Vorstellungswelten „männerbündischen“ Verhaltens zu, wie dies etwa in der „körperlichen Intimität und Ausgelassenheit“, die Habermas und Goldhagen während der Preisverleihung demonstriert hätten (S. 107), aber auch in der Begrüßungsszene zwischen Friedman und Goldhagen zum Ausdruck gekommen sei.

Man wird Manke vielleicht nicht in all ihren Interpretationen folgen wollen – gerade dort nicht, wo diese eine allzu weitreichende psychoanalytische und geschlechtergeschichtliche Zuspitzung erfahren. Ihr experimentelles, tiefenhermeneutisches Herangehen an die Bilderwelten der Goldhagen-Debatte zeigt jedoch eindrücklich, welche Macht der nonverbalen Kommunikation auch in wissenschaftlichen Streitfällen innewohnt, in denen jede Seite für sich den Anspruch auf reflexive Rationalität erhebt. Besonders für die Schließung von Diskussions- und Streitgesprächen scheinen – das zeigt die Analyse der „männerbündischen“ Gebärdensprache – Gesten der Sympathie von entscheidender Bedeutung zu sein. Diese werden nur selten verbalisiert, wie etwa von Arnulf Baring, der sich vor dem wütenden Publikum in Aschaffenburg nur mehr zu retten wusste, indem er erklärte: „Nein, wissen Sie, […] ich mag den Mann ja, ich mag den […].“ (S. 210)

Diese und ähnliche Passagen lassen sich im ausführlichen Anhang des Buchs, das aus einer kulturwissenschaftlichen Magisterarbeit hervorgegangen ist, im Einzelnen nachlesen. Dort (S. 137-217) finden sich die wortgetreuen Transkriptionen der drei zuvor analysierten Fernsehdiskussionen (ZDF, 19.7.1996; ARD, 5.9.1996; ZDF, 8.9.1996). Hinzu kommt eine ausführliche, chronologisch geordnete Bibliografie zur Goldhagen-Debatte mit über 1.570 Titeln, die die Literatur bis Anfang 2003 berücksichtigt und neben Deutschland auch die Diskussionen in anderen europäischen Ländern und den USA mit einbezieht (S. 219-297).

Allein schon die dokumentarische Leistung der Transkriptionen und der Bibliografie macht das Buch wertvoll. Die Motivanalysen im ersten Teil der Arbeit zeigen darüber hinaus – bei aller Gewagtheit der tiefenhermeneutischen Herangehensweise im Einzelnen – die generelle Fruchtbarkeit des Ansatzes. In Zukunft sollten daher nicht mehr länger nur die Bilder, die Historiker von der Geschichte erzeugen, das Interesse einer reflexiven Geschichtswissenschaft finden, sondern zugleich auch jene Bilder, die die Medien jeweils von den Historikern erzeugen.1 Mankes Studie bietet hierzu wichtige Anregungen. Über die Goldhagen-Debatte ist in der Tat bereits viel geschrieben worden, über die Historikerbilder, die sie erzeugt und hinterlassen hat, hingegen noch nicht.

Anmerkung:
1 Man denke nur an die „Image-Pflege“, die „Die Zeit“ Götz Aly vor kurzem angedeihen ließ; vgl. Amend, Christoph, Der Streit-Historiker, in: Die Zeit, 19.5.2005, S. 63f.

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