HdBG (Hg.): Das Halle'sche Heiltum

Cover
Titel
Das Halle'sche Heiltum. Reliquienkult und Goldschmiedekunst der Frührenaissance in Deutschland


Herausgeber
Haus der Bayerischen Geschichte; Hofbibliothek Aschaffenburg
Erschienen
Stuttgart 2002: Theiss Verlag
Anzahl Seiten
1 CD-ROM
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eric Steinhauer, Universitätsbibliothek, Technische Universität Ilmenau

Das Sammeln und Verehren von Reliquien ist nicht nur theologisch, sondern auch kunst- und kulturgeschichtlich von Interesse. Reliquienverehrung prägte die Frömmigkeit des Mittelalters und war zugleich Stein des Anstoßes und Kritikpunkt der Reformation. So wurden im Zuge der reformatorischen Umwälzungen viele Reliquiensammlungen verstreut. Zeitgenössische Verzeichnisse von Reliquien sind daher besonders interessant 1. Sie geben einen Eindruck über die Größe der Sammlungen und ihre Bedeutung für die Frömmigkeit. Das hier vorzustellende „Halle’sche Heiltum“ nimmt dabei eine besondere Stellung ein.2 Es handelt sich um eine reich illustrierte Zusammenstellung einer der größten Reliquiensammlungen Deutschlands. Hier wird nicht nur über die Art der Reliquien Auskunft gegeben, auch die Ausgestaltung der Reliquiare wird dem Betrachter anschaulich gemacht. Damit ist es ein besonderes Zeugnis altkirchlicher Reliquienverehrung am Vorabend der Reformation.

Das Heiltum in Halle wurde in der Stiftskirche verwahrt. Es geht zurück auf eine Sammlung des Magdeburger Erzbischofs Ernst von Sachsen (1476-1513). Seine reiche Entfaltung erlebte das Heiltum aber erst durch den Kardinal Albrecht von Brandenburg (1513-1545). Er erweiterte den Reliquienbestand bedeutend und ließ verschwenderisch gestaltete Reliquiare anfertigen. Sie legen Zeugnis ab vom handwerklichen Können der Goldschmiede, aber auch von der Prunksucht eines frühneuzeitlichen geistlichen Fürsten. Die fehlende Tradition eines alten Reliquienbesitzes, etwa im Vergleich zu Köln 3, wurde durch Pracht und Verschwendung ausgeglichen. Prominent wurde das Hallesche Heiltum durch einen Briefwechsel zwischen dem Kardinal und Luther, in dem Luther das mit dem Heiltum verbundene Ablasswesen kritisierte. Das Heiltum nannte Luther den „Abgott von Halle“. Als 1541 die Reformation Halle erfasste, wurde es verstreut und ging bis auf wenige Einzelstücke verloren.

Das Heiltumbuch, um das es hier geht, erschien 1520 zunächst als Druck, ausgestattet mit 237 Holzstichen und einem von Dürer angefertigten Kupferstich von Kardinal Albrecht. Es weist fast 8.200 Reliquien nach! Besitzstolz und der Wunsch, den Reliquienschatz und seine Ablässe bekannt zu machen und für die jährliche Reliquienzeigung in Halle zu werben, waren die Gründe für die Zusammenstellung und Veröffentlichung des Heiltumbuches. Gegenstand der CD-ROM ist aber nicht der unkolorierte Druck, sondern eine illustrierte Handschrift aus der Aschaffenburger Hofbibliothek. Sie wurde 1526 im Auftrag Kardinal Albrechts erstellt, also nach (!) der Veröffentlichung des gedruckten Buches. Dieser Umstand verdient Aufmerksamkeit. Er zeigt, dass auch im Zeitalter des Druckes die Handschrift nicht völlig funktionslos wurde, sondern für repräsentative Werke mit prächtiger Ausstattung immer noch üblich war.

Die vorliegende CD-ROM gibt die Aschaffenburger Handschrift des Heiltums erstmals vollständig wieder. Ein 1931 von Halm und Berliner veranstalteter Nachdruck war nur schwarz-weiß gehalten und ist ohne die Textseiten erschienen.4 Als erste Volledition ist die CD-ROM daher nicht nur für ein breites Publikum als unterhaltsames Wissensspielzeug gedacht, sondern verdient die Aufmerksamkeit der Wissenschaft.

Das farbig illustrierte Booklet gibt einen Eindruck vom Inhalt der CD und Installationshinweise. Neben editorischen Anmerkungen wird auch Literatur zum Heiltum angeführt. Leider fehlt das letzte monografisch erschienene Werk zum Heiltum, der von Nickel veranstaltete Nachdruck der Ausgabe von 1520, der mit einem sehr informativen Nachwort zur Geschichte des Heiltums versehen ist.5

Nach der problemlosen Installation der CD-ROM, kann man zunächst auf dem Start-Bildschirm eine Einführung anwählen. Der Text dort ist allgemein verständlich und vermag jedermann in die Thematik der Reliquienverehrung und die Geschichte des Hallenser Heiltums einzuführen. Die editorische Notiz und die Literaturhinweise sind identisch mit denen des Booklets. Da auf der CD-ROM keine drucktechnischen Platzprobleme auftreten, hätte man sich hier doch eine größere Literaturauswahl gewünscht. Allein eine simple Recherche in der online zugänglichen Landesbibliografie von Sachsen-Anhalt ergibt noch vier einschlägige Aufsätze.6 Bei einer wissenschaftlich relevanten Edition hätte man sich bei der Auflistung relevanter Literatur etwas mehr Mühe geben sollen.

Die Handschrift selbst wird blattweise präsentiert. Dabei teilt sich der Bildschirm in zwei große Hälften: links die Handschrift, rechts eine Erläuterung. Die Erläuterung ist dem schon erwähnten Reprint von Halm und Berliner entnommen, ergänzt durch eine transkribierte Aufzählung der in einem Reliquiar enthaltenen Reliquien aus der Handschrift. Die erläuternden Texte der Handschrift selbst wurden nicht transkribiert.

Am ganz linken Bildschirmrand sind als Thumbnails die zu einem Reliquiar zugehörigen Seiten angezeigt, nämlich bildliche Darstellung und der erläuternde Text der Handschrift. Mit Hilfe einer zuschaltbaren Lupe kann die Handschrift vergrößert werden, sodass Details gut sichtbar werden. Für normale Fragestellungen kann dieses Verfahren eine Autopsie gut ersetzen. Sofern vorhanden, wird auch eine Abbildung noch erhaltener Originale geboten, etwa bei Folie 7.

Die inhaltliche Erläuterung im rechten Fenster kann ausgeblendet werden. Dann erscheint ein Menü mit verschiedenen Sucheinstiegen. Es gibt ein Register der Werke, eines der Personen, Szenen und Motive sowie eines der Heiligen Orte, von denen „Reliquien“ mit Erde und dergleichen vorhanden sind. Schließlich wird noch eine Volltextrecherche geboten, sodass die Handschrift recht komfortabel erschlossen werden kann.

Zusammenfassend ist das Urteil sehr positiv, was die Zugänglichkeit der Handschrift für Fachleute angeht. Technisch ausgereift wird die Handschrift präsentiert und kann zu Forschungszwecken hinreichend tiefgehend konsultiert werden. Die inhaltliche Erschließung erleichtert die Orientierung. Schade ist nur, dass der einführende Teil etwas knapp geraten ist. Vor allem bei den Literaturhinweisen hätte man eine gründliche Bibliografie erwarten dürfen. Für den Nichtfachmann bietet die CD-ROM ästhetischen Genuss. Sie führt ihm anschaulich einen Höhe- und Endpunkt mittelalterlicher Reliquienfrömmigkeit vor Augen.

Anmerkungen:
1 Zur Gattung der Heiltumbücher vgl. Nickel, Heinrich L. (Hg.), Das Hallesche Heiltumbuch von 1550. Nachdruck zum 450. Gründungsjubiläum der Marienbibliothek zu Halle, Halle 2001, S. 288-291. Das Hallesche Heiltum war das letzte und umfangreichste Heiltumbuch. Aber auch in späterer Zeit finden sich Reliquienverzeichnisse, zum Beispiel: Wahl, Otto (Hg.), Verzeichnus der Heilligthumber welche bey dißem Kloster Benediktbeyrn aufbehalten und verehrt werden. Index SS. Reliquiarum (Benediktbeurer Hochschulschriften 18), München 2002.
2 Der heute nicht mehr gebräuchliche Begriff „Heilt(h)um“ bedeutet einfach „Reliquien“ bzw. „Reliquiensammlung“.
3 Vgl. zu Geschichte und Bestand der Kölner Reliquien Kracht, Hans-Joachim; Torsy, Jakob, Reliquiarium Coloniense (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 34), Siegburg 2003.
4 Halm, Philipp Maria; Berliner, Rudolf, Das Hallesche Heiltum. Man. Aschaffb. 14 (Jahresgabe des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 1931), Berlin 1931.
5 Nickel, Das Hallesche Heiltumbuch von 1550 (wie Anm. 1)
6 Körber, Hans, Der Mainzer Hans Plock (1490-1570) ... eine Studie ... zum Hallenschen Heiltum, in: Ebernburg-Hefte 8 (1974), S. 16-35; Merkel, Kerstin, Die Reliquien von Halle und Wittenberg, in: Cranach 1994, S. 37-50; Nickel, Heinrich, Zur Wirkungsgeschichte des Halleschen Heiltumbuches von 1520, in: Beiträge zur Renaissance zwischen 1520 und 1570, Marburg 1991, S. 235-244; Roch, Irene, Die Maria-Magdalenen-Kapelle der Moritzburg zu Halle als Heiltumskirche, in: Burgen und Schlössen in Sachsen-Anhalt 4 (1995), S. 51-55.

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