M. Rühl (Hg.): Berufe für Historiker

Cover
Titel
Berufe für Historiker.


Herausgeber
Rühl, Margot
Erschienen
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
€ 14,90 (€ 9,00 für WBG-Mitglieder)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kersten Schüßler, lizard Medienproduktion, Berlin

Der Historiker gleiche einem Menschenfresser, hat Marc Bloch gesagt: „Wo er menschliches Fleisch wittert, weiß er seine Beute nicht weit.“1 Nun ist das erste, was der angehende Historiker wittert, der Odem der Universität. Dort kann ihm angesichts des deprimierenden Verhältnisses zwischen nachwachsenden Historikern und bereits auf Arbeitsstellen wirkenden Geschichtsprofis schon mal der Appetit vergehen. Wer jemals an einer Massenuniversität zwischen zwei überlaufenen Seminaren auf einem Gang seine Plastikkaffee trank, kennt die ohnmächtig-bohrende Frage: Wohin mit mir, woher ein Job?

Der Sammelband „Berufe für Historiker“ gehört zu einer Reihe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft („Berufe für Philosophen“ „Berufe für Theologen“ usw.), deren schmale Bände stolze 14,90 Euro kosten. Dafür gibt es keine trockenen Berufsschemata, sondern Berichte aus dem echten Leben. Margot Rühl, ihres Zeichens Berufsberaterin bei der Bundesagentur für Arbeit, lässt 14 Historiker und Historikerinnen erzählen, wie aus offener und breiter Studienpraxis Berufswege entstehen können. Der positive Tenor: Geschichte studieren heißt dem Lustprinzip folgen, und dem Lustprinzip folgen ist auch das Wichtigste im Beruf. Nur Spaß bringt auch Erfolg. Der negative Grundton: Die Mehrzahl glaubt, „trotz des Geschichtsstudiums“ in den Job gekommen zu sein.

Alexander Schug und Hilmar Sack, Jahrgang 1972 und 1973, haben in den 1990er-Jahren studiert, als man glaubte, nach der Jahrtausendwende würden „die Lehrkörper an den Schulen sprichwörtlich ausgestorben“ sein. Wie „50 Prozent aller Historiker“ haben sie sich auf den Journalismus kapriziert. Doch leider verschlechterten sich sowohl für Geschichtslehrer als auch für Journalisten die Berufschancen erheblich. Da im Grundgefühl von Krise und Wandel „Wissen“ und „Geschichte“ dennoch en vogue sind, haben sich Schug und Sack „History Marketing“ als attraktive neue Nische erobert. Wer zuvor wie Schug bei Zeitungen, Radio, TV, Museum, Bibliothek und Behörden seine Praktika machen konnte, kennt schon mal die unterschiedlichen Atmosphären und Arbeitsweisen künftiger Kunden. Als Berater holte sich Schug Erfahrung in Marketing und Akquise, bevor er nun gemeinsam mit seinem Partner Sack in der „Vergangenheitsagentur“ (<http://www.vergangenheitsagentur.de>) vor allem für Unternehmen historisch recherchiert, kompiliert und publiziert. Doch der Markt, so Schug und Sack, sei eng: 30 bis 50 Anbieter lieferten sich eine harte Konkurrenz.

Dazu gehört etwa die in Frankfurt am Main ansässige Firma „Zeitsprung – Kontor für Geschichte“ (<http://www.zeitsprung-online.de>). Heike Drummer (geb. 1962) und Jutta Zwilling (geb. 1961) berichten über die Sonnen- und Schattenseiten ihrer Tätigkeit. Der Freiheit, Zeit und Projekte selbstbestimmt und abwechslungsreich zu gestalten, steht das Risiko langer Durststrecken und überraschender Arbeitshäufung gegenüber. Eine stabile Entwicklung mit gleichmäßiger Auftragslage scheint des Selbstständigen größtes Glück.

Wie wichtig daneben aber auch ein großes Selbstbewusstsein sein kann, erfährt man von Jochen Allermann (geb. 1958). Der las schon als Kind „anspruchsvolle Bücher“ und drang durch Studium und hilfswissenschaftliche Mitarbeit gezielt ins „Neuland“ seiner Promotion vor. Als er mit 31 aus dem „Wald in der frühen Neuzeit“ heraustrat und als Personalberater startete, hatte sein gleichaltriger späterer Partner ohne Doktortitel schon fünf Jahre Berufserfahrung hinter sich.

Das Fazit der Selbstständigen: Die Promotion ist schön, aber nicht unbedingt berufsfördernd. Geschichte sei als „Voraussetzungsstudium“ ideal für eine große Breite von Berufsperspektiven; allerdings müsse man sich früh nach Praktika umschauen. Andererseits sollten der Selbstausbeutung Grenzen gesetzt werden, denn die allermeisten Praktika sind unbezahlt.

Martin Kröger (geb. 1960), Referent im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, hat mit der Akquise weniger Probleme. Er gehört zu den glücklichen Festangestellten, bearbeitet das „Biographische Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871-1945 “ und ist als standortfester Kölner vom Erstsemester bis zur Promotion der Domstadt treu geblieben. Seit 20 Jahren Mitherausgeber der regionalhistorischen Zeitschrift „Geschichte in Köln“ (<http://www.geschichte-in-koeln.de>), glaubt er vor allem durch Netzwerkpflege und den glücklichen Zufall, der bekanntlich auf den vorbereiteten Geist trifft, in einen Beruf geraten zu sein, in dem das für Wissenschaftler sonst so gnadenlose „publish or perish“ nicht unmittelbar gelte.

Auch der Journalist Michael Horn (geb. 1960) blieb ortsverbunden und wechselte 1993 von der Darmstädter Uni zum „Darmstädter Echo“, wo er ohne große Praktikumserfahrung Volontär wurde. Horn kritisiert die Realitätsferne der Universität, ein Biotop, das auf Berufe nicht vorbereite. Heute schreibt er zwar gelegentlich historische Bücher, verdient sein Geld aber hauptsächlich mit Redigieren und Betreuung von Autoren und Leserbriefen. Gleichfalls auf der ruhigeren Seite lebt Dieter Wolf (geb. 1956). Der Chef des Butzbacher Heimatmuseums und Stadtarchivs hatte das Glück, ein „kleines größeres Museum“ mit aufzubauen. Auch Thomas Lux (geb. 1960) konnte relativ spät in die Archivarsausbildung einsteigen und durchleuchtet heute die Bestände des hessischen Staatsarchivs.

Doch dass Festangestellte zwar weniger frei, dafür aber zugleich weniger marktgefährdet seien, scheint überholt. Daniel Zimmermann (geb. 1966) darf sich zwar zur exklusiven Gruppe der etwa 3.000 deutschen Lektoren zählen, ist aber weniger mit Bücherlesen als vielmehr mit der Netzwerk-Betreuung verschiedener Autoren, dem Planen und Kalkulieren von Buchprojekten nahe am Markt beschäftigt. Was nicht läuft, gefährdet den Verlag und damit die eigene Existenz.

Für Thorsten Wehber (geb. 1963) folgten nach der Promotion keine rosigen Zeiten, sondern viele Bewerbungen, Absagen, die Ochsentour über späte Praktika, befristete Arbeitsstellen in Unternehmensarchiven, schließlich Umschulungsversuche. Nach mehreren Ortswechseln ist er nun Referent für Sparkassengeschichte in Bonn und klärt vor allem interne wie externe Anfragen zur Geschichte deutscher Sparkassen. Die Promotion sieht er wie alle anderen weniger als Voraussetzung seiner Tätigkeit denn als Sinnstiftung in eigener Sache.

Dennoch ist „der Doktor“ als Statusplus verlockend, wie Elke Pfnür (geb. 1969) einräumt. Sie kombinierte ein praxisorientiertes Geschichts-Diplomstudium mit Nebenjobs und Praktika, besuchte Wirtschaftskurse und Bewerbermessen, gelangte schließlich in ein Trainee-Programm der HypoVereinsbank und wechselte nach einer Prüfung zur Diplom-PR-Beraterin aus einem PR-Job in Tokio zur „Corporate History“ der HypoVereinsbank, wo sie Anfragen bearbeitet, aber auch den Internet-Auftritt der entsprechenden Seiten der Bank mitgestaltet.

Auch für Martin Tiedemann (geb. 1950) war der Weg zum Lehrer und Studienleiter mit Jobs etwa als osthessischer Schuhverkäufer gepflastert. Erst in letzter Sekunde vor der Umschulung zum EDV-Techniker kam das Angebot der Schule. Dort lernte Tiedemann, dass neben dem „entdeckenden Lernen“ die im Studium kaum vermittelte pädagogische Praxis über Wohl und Wehe der Lehrerseele entscheidet. „Respekt erzeugt in der Regel Respekt“, schreibt er und empfiehlt neben schülerorientiertem Unterricht vor allem „Gelassenheit“ – auch angesichts ständiger Kürzungen und drohender Zentralisierung von Bildung. Zu Geschichte passten auch Nebenfächer wie Religion und Ethik, die zurzeit an Schulen gesucht würden (zurzeit!).

Peter Tauber (geb. 1974) unterbrach seine Dissertation für einen Job bei der Jungen Union Hessen, wurde Landesgeschäftsführer und ist heute „Mädchen für alles“ („Persönlicher Referent“) der hessischen Kultusministerin. Forschungsbezogen zu studieren ist für ihn mit den Worten Dieter Langewiesches „der Königsweg zur Qualifikation in offene, im voraus nicht bekannte Berufsfelder“.

Die sind für den Historiker sicher noch vielfältiger als die exemplarischen 14 Lebensläufe. So hat auch der Rezensent als Historiker promoviert und ist seit fünf Jahren Teilhaber einer kleinen Medienproduktionsfirma. Auch im Bereich Fernsehen, Radio und Zeitung lassen sich immer wieder historische Inhalte unterbringen, wobei es nur wenigen gelingt, sich den Lebensunterhalt mittels Radio- und Zeitungszulieferung zu sichern. Gelegenheiten, historische Stoffe für das Fernsehen aufzubereiten, sind lukrativer, aber auch seltener. So treibt schon die Struktur der Medien oft aus der Geschichte heraus, wobei man bei der Recherche in der Gegenwart immer wieder auf spannende historische Stoffe und Zeitzeugen mit frappierenden Geschichten stößt. Und das ist es wohl, was Bloch mit dem „Menschenfresser“ meinte: Egal ob Hungerkünstler oder Erfolgsmensch, überall, wo menschliche Spuren sind, findet der Historiker eine Betätigung. Ob sie angemessen oder überhaupt bezahlt wird, ist heute allerdings keineswegs sicher.

Anmerkung:
1 Bloch, Marc, Apologie der Geschichte oder Der Beruf des Historikers, München 1985, S. 25 (frz. Erstausg. Paris 1949).

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