W. Harris u.a. (Hgg.): Ancient Alexandria

Cover
Titel
Ancient Alexandria between Egypt and Greece.


Herausgeber
Harris, William V.; Ruffini, Giovanni
Reihe
Columbia Studies in the Classical Tradition 26
Erschienen
Anzahl Seiten
XVIII, 296 S.
Preis
$99.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Pfeiffer, Forschungszentrum Griechisch-Römisches Ägypten, Universität Trier

Der zu besprechende Band vereinigt die Beiträge einer 2002 in Columbia abgehaltenen Tagung und umfasst ein breites Spektrum von Themen, die mit Alexandria von seiner Gründung bis zur arabischen Eroberung in Zusammenhang stehen. Dieses soll im Folgenden kurz umrissen werden.1

In "Creating a Metropolis: A Comparative Demographic Perspective" möchte W. Scheidel mit Hilfe von "analytical constructs" und "models" zu qualifizierten Ergebnissen der demografischen Entwicklung in Alexandria kommen. Methodisch greift er nicht auf die antiken Quellen, sondern auf einen Vergleich mit Tokyo/Edo zurück. Nach einer Bevölkerungsexplosion im 3. Jahrhundert v.Chr. habe die Einwohnerzahl bei 300.000 stagniert, mehr als 500.000 Einwohner habe es nie gegeben. Problematisch ist, dass Scheidel wichtige historische Einschnitte (Ptolemaios VIII., Caesar, Judenpogrome, Caracalla) außer Acht lässt. Seine Ansicht, dass die römerzeitliche Stadterweiterung keinen allzu großen Einfluss auf die demografische Entwicklung hatte, weil große Teile des Stadtgebietes aus Gärten und dergleichen bestanden hätten, ist zudem mit nichts zu belegen.

J. Baines beschäftigt sich in seinem für die weiteren Forschungen zur Multikulturalität Ägyptens grundlegenden Beitrag (allerdings ohne spezifischen Alexandriabezug) mit der "Egyptian Elite Self-Presentation in the Context of Ptolemaic Rule". Eindrucksvoll weist er anhand von "unscheinbaren" Details nach, dass "realistische" griechische Darstellungselemente auf die ägyptische Kunst eingewirkt haben. Er hält es für wahrscheinlich, dass Ägypter sich in Gräbern mit gräkoägyptischem Mischstil nach dem Beispiel des Petosiris bestatten ließen, aber auch umgekehrt Griechen als "Ägypter" bestattet wurden. Baines meint, dass sich in der Elite eine Mischgesellschaft entwickelt habe, die eine Symbiose ägyptischer und griechischer Kultur mit sich brachte. Man dürfe also nicht mehr nach Ethnien unterscheiden, vielmehr führten verschiedene Lebenssituationen zu "different ethnic affiliations". Den jüngst edierten Epigrammen des Hofdichters Poseidipp ist der Beitrag von S. Stephens, "Posidippus' Poetry Book: Where Macedon Meets Egypt" gewidmet. In ihrer Analyse der thematischen Anordnung der Epigramme zeigt sie, wie Poseidipp die Ptolemäer als legitime Erben Alexanders des Großen darstellte.2

N. Bonacasa versucht in "Realismo ed eclettismo nell'arte alessandrina" die Entwicklungen der alexandrinischen Kunst als Reflex auf die angebliche innenpolitische Kehrtwende nach der Schlacht von Raphia 217 v.Chr. zu deuten. Diese sei Anreiz für die Enstehung des alexandrinischen Realismus und für die eines gräko-ägyptischen Mischstiles gewesen. Eine Hinwendung der Ptolemäer zu den Ägyptern läßt sich jedoch bereits in der Regierungszeit Ptolemaios' III., wenn nicht gar früher feststellen. Das Jahr 217 v.Chr. stellte also keinen wirklichen innenpolitischen Einschnitt dar.3 In "Les hiérothytes alexandrins: une magistrature grecque dans la capitale lagide" beschäftigt sich F. Burkhalter mit der Aufgabe der alexandrinischen Priester, die den Titel eines Hierothyten trugen. Sie führten eine Art Staatsnotariat (für Ehe- und Scheidungsverträge) und wurden unter den Ptolemäern instituiert, verschwanden dann aber nach der Neuorganisation der Verwaltung durch die Römer. Burkhalter versucht nachzuweisen, dass der Amtssitz der Hierothyten beim "Verwaltungstor" der Basileia lag.4

Anhand der Papyri geht L. Capponi in "The Oikos of Alexandria" dem Landbesitz Alexandrias in römischer Zeit nach. In ganz Ägypten gab es alexandrinische Ländereien, die steuerrechtlich privilegiert waren. Wahrscheinlich war der oikos der Stadt als Bezeichnung dieses Landes eine römische Einführung, möglich sei aber, dass er bereits 51 v.Chr. im Zusammenhang mit dem Einfluss Caesars auf die ägyptischen Verhältnisse entstanden ist.5 E. Birnbaum wertet in ihrem Beitrag "Portrayals of the Wise and Virtuous in Alexandrian Jewish Works: Jews' Perceptions of Themselves and Others" jüdische literarische Texte (teils vermuteter) alexandrinischer Herkunft aus. Die positiven Erfahrungen der Ptolemäerzeit zeichnen den Aristeasbrief aus, die negativen der Römerzeit die Weisheit Salomons und die Werke Philos. Gemeinsam sei allen die Vorstellung einer jüdischen Superiorität. Ein wichtiges jüdisches ptolemäerzeitliches Werk ist leider ausgelassen - das Buch Jesus Sirach.

In "Alexandria and Middle Egypt: Some Aspects of Social and Economic Contacts under Roman Rule" ist M. Abd-el-Ghani der Ansicht, dass ein Großteil der Stadtbevölkerung vom Land stamme, andererseits Alexandriner geschäftlich in der Chora aktiv waren - letzteres verwundert nicht. Er nimmt weiterhin an, dass die Munizipalisierung Ägyptens und die constitutio Antoniniana zu einem Ende der privilegierten Stellung der alexandrinischen Bürger führten. Vollkommen uneinsichtig ist die Feststellung, dass "the ethnic barrier and antipathy between the native Egpytians on the one hand and the Romans and Alexandrians on the other seems to have been obvious" (S. 177). Hierfür fehlen eindeutige Quellenzeugnisse - gerade dies hätte dringend diskutiert werden müssen. In "Galen's Alexandria" betrachtet H. von Staden das Umfeld, das Galen in Alexandria vorfand. Er weist zudem nach, dass es keinen Beleg für eine Verbindung von Galens Lehrern mit Alexandria bzw. mit einer so genannten "alexandrinischen Schule der Anatomie" gab.

Chr. Haas geht es in dem Aufsatz "Hellenism and Opposition to Christianity in Alexandria" um die kulturelle Identität der Heiden im spätantiken Alexandria. Der alexandrinische Polytheismus war hauptsächlich von der ägyptischen Religion geprägt. Man sollte also eine Dichotomisierung Hellene versus Christ aufgeben, oft handele es sich nämlich nur um eine interpretatio Graeca ägyptischer Inhalte. Das hilft aber nicht darüber hinweg, dass es in der Perzeption der Christen eine tiefe Kluft zum Heidentum gab, dessen Vertreter man nun einmal als "Hellenen" bezeichnete. Der Beitrag "Some unpublished wax figurines from upper Egypt" von M. Haggag ist einem Wachsfigurenensemble gewidmet, das bei Ausgrabungen in Mittelägypten gefunden wurde und dem Schadenszauber diente. Die Stücke zeigen, dass noch in christlicher Zeit pagane magische Praktiken fortgeführt wurden. Es wird allerdings nicht ersichtlich, weshalb der Aufsatz "highly relevant for Alexandria itself" (S. VIII) ist.

In "Late Antique Pagan Networks from Athens to the Thebaid" möchte G. Ruffini mit Hilfe des in der Soziologie und Anthropologie entwickelten Methodeninstrumentariums der "social network analysis" auf historische Erklärungen, die in der Persönlichkeit der Akteure liegen, verzichten. Es geht ihm um den Nachweis, dass die intellektuelle Welt Alexandrias in der Spätantike eher mit Athen als mit Oberägypten verbunden war, und um strukturelle Begründungen für das Auseinanderbrechen des Netzwerks. Es bleibt die Frage, ob er auch ohne Computerprogramme zu seinen Ergebnissen gekommen wäre. M. El-Abbadi, nach Auskunft der Herausgeber der "doyen" alexandrinischer Studien (S. VIII), beschreibt in seinem Beitrag "The Island of Pharos in Myth and History" die Bedeutung der Pharosinsel in der Odyssee und in der nachfolgenden griechischen Literatur. Interessant ist die Feststellung, dass die Gründungslegende der Stadt im Alexanderroman für Ägypter verfasst worden sei, die bei Polybios überlieferte Version dagegen für Griechen. Leider fehlt der Hinweis darauf, dass F. de Polignac dies bereits 1992 ausgeführt hat.6 So bietet El-Abbadi insgesamt nichts Neues.

Es bleibt festzuhalten, dass der Band Beiträge von unterschiedlicher Qualität aufweist, neben neue Ergebnisse treten in weiten Teilen deskriptive Aufsätze. Fast alle bieten aber einen guten Einblick in die jeweilige Thematik. Die beiden Abhandlungen mit neuen methodischen Ansätzen (Scheidel und Ruffini) vermögen nicht gänzlich zu überzeugen. Herausragend und von bleibendem Wert ist dagegen die Studie von Baines.

Anmerkungen:
1 Das Literaturverzeichnis ist nicht komplett (Dunand 1999 und 2002 fehlen), bei Welles 1962 lies: Historia 11 (nicht 2). Eine ausführliche Besprechung mit anderen Schwerpunkten von M. S. Venit findet sich in: Bryn Mawr Classical Review, 2005.07.62.
2 Das Epigramm 87 AB weist Stephens auf S. 70 Berenike I., auf S. 81 Berenike II. zu. Unverständlich ist, weshalb bestimmte Epigramme, insbesondere AB 39, erst postum für Arsinoe II. verfasst worden sein sollen.
3 Bonacasa zitiert sich 24 mal selbst, bespricht aber den Skulpturenfund von Tell-Timai, ohne Lembke, K., Eine Ptolemäergalerie aus Thmuis/Tell Timai, in: JdI 115 (2000), S. 113-146, hinzuzuziehen.
4 P. Bingen 45 (der "Kleopatrapapyrus") ist eine königliche Verfügung und keine synchoresis. Zu BGU IV 1050,24-30 fehlen die Neulesungen von Pestman, Papyrological Primer, Nr. 14.
5 Lies auf S. 121 statt P.Fay. 82 = Sel.Pap. II 296: P.Fay. 87 = Sel.Pap. II 371.
6 Polignac, F. de, The Shadow of Alexander, in: Jacob, Chr.; Polignac, F. de (Hgg), Alexandria, third century BC. The knowledge of the world in a single city, Alexandria 2000 (Original: Alexandrie IIIe siècle av. J.-C., tous les savoirs du monde ou l'rêve d'universalité des Ptolémées, Paris 1992).

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