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Titel
Protest im Radio. Die Berichterstattung des Bayerischen Rundfunks über die Studentenbewegung 1967/1968


Autor(en)
Eichler, Antje
Reihe
Studien zur Geschichte des Bayerischen Rundfunks 3
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
250 S.
Preis
€ 45,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kathrin Fahlenbrach, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Während die historische Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre lange Zeit den Protagonisten der damaligen Revolte vorbehalten war, setzen sich in den letzten Jahren zunehmend jüngere Forscher mit den Hintergründen und Auswirkungen der so genannten „68er-Bewegung“ auseinander.1 Über die Grenzen der Disziplinen hinweg wird dabei immer wieder konstatiert, dass die Studentenbewegung in bis dato für soziale Bewegungen ungekannter Weise die Aufmerksamkeit der Massenmedien nutzen konnte.

Leider gibt es allerdings bisher noch kaum empirische Studien, die den damit verbundenen Fragen nachgehen: Wie haben die Massenmedien ganz konkret auf die Studentenbewegung reagiert, wie stark waren die Protestthemen auf deren Agenda tatsächlich vertreten und wie wurden sie bewertet? Antje Eichler hat mit ihrer Diplomarbeit einen der ersten Schritte in diese Richtung unternommen. Im Rahmen der ‚Studien zur Geschichte des Bayerischen Rundfunks’ hat sie genau diese Fragen am Beispiel des Hörfunks in Bayern untersucht.

In einer breit angelegten Inhaltsanalyse erforscht sie für den Zeitraum von 1967 bis 1968 auf fundierte Weise, wie der Bayerische Rundfunk auf die Proteste der Studenten reagiert hat, wie er deren Themen in das eigene Programm integriert hat und wie sie dort bewertet wurden.

Maßstab für die Beurteilung dieser Medienreaktionen bilden die im öffentlich-rechtlichen Programmauftrag verwurzelten Kriterien der Vielfalt und Ausgewogenheit. Diese Kriterien bezieht sie vor allem auf die formale und inhaltliche Vielfalt in Aufbau und Struktur der Beiträge bzw. Programme sowie der zu Wort kommenden sozialen Gruppen.

Aber auch rundfunkinterne und -externe Einflussfaktoren werden bei der Analyse berücksichtigt: Neben den bekannten Nachrichtenfaktoren (wie Aktualität, Personalisierung usw.) sind dies die persönlichen Einstellungen von Journalisten und Redakteuren, institutionelle Einflüsse diverser Rundfunkorgane (hierarchische Entscheidungsstrukturen, Machtverhältnisse) und politische Einflüsse (vor allem durch den Rundfunkrat).

Um die Themen in den Hörfunkbeiträgen des Bayerischen Rundfunks identifizieren und kategorisieren zu können, skizziert Eichler vorab die wichtigsten Themen, die auf der Protestagenda der Studentenbewegung standen, wie den Schahbesuch, die Debatte um Hochschulreformen, den Protest gegen den Vietnamkrieg, den Kampf gegen autoritäre Strukturen bzw. die allgemeine Gesellschaftskritik usw. Diesen Themenkatalog entwickelt sie auf der Basis einiger einschlägiger historischer Studien zur Studentenbewegung, v.a. von Wolfgang Kraushaar.

Nach einigen Bemerkungen zur historischen Programmentwicklung des Hörfunkprogramms Ende der 1960er-Jahre, die vor allem durch die Konkurrenz des Fernsehens geprägt war, wird der Fokus der Programmanalyse schlüssig eingegrenzt: Untersucht werden vor allem Beiträge aus der Politik- und der Kulturredaktion sowie aus dem Jugendfunk. Die fokussierten Redaktionen und ihre Mitarbeiter werden im Vorfeld der Analyse ebenso charakterisiert wie die Rundfunkleitung und die Kommunikationskultur des Senders (wozu auch Interviews mit den Beteiligten geführt wurden). Damit werden wesentliche senderinterne Bedingungsfaktoren beschrieben, welche die Berichterstattung zur Studentenbewegung im Bayerischen Rundfunk beeinflussten.

In der Inhaltsanalyse wertet Eichler Sendemanuskripte, Archivmaterial, Interviews und Briefwechsel vor allem danach aus, auf welche Art und in welchem Umfang der Bayerische Rundfunk die im Zusammenhang mit der Studentenbewegung relevanten Themen behandelte und wie er die im Zusammenhang mit der Studentenbewegung relevanten Gruppen zu Wort kommen ließ. Der hiermit verbundene Leitfragenkatalog ist präzise und zugleich umfassend gestellt und beinhaltet sowohl formal-quantitative als auch qualitative Aspekte.
Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse bestätigen in vieler Hinsicht bisherige Hypothesen, liefern aber auch überraschende Beobachtungen. So bestätigt die Studie, dass v.a. die den Nachrichtenfaktoren entsprechenden Themen besonders im Fokus der Berichterstattung standen: Dies ist in erster Linie die Gewaltdebatte, die ab 1968 durch zunehmende Protestaktionen in den Vordergrund der Themen-Agenda rückte. Auch wurden sowohl die allgemeinen gesellschaftspolitischen Gründe für die Studentenproteste als auch aktuelle gesellschaftskritische Fragen häufig thematisiert und diskutiert, insbesondere in den Beiträgen der Kulturredaktion. Abstraktere Themen wie die Medien- und Kapitalismuskritik fanden dagegen speziell in der politischen Berichterstattung kaum Berücksichtigung, was angesichts ihres mangelnden Ereignisbezugs im Sinne der Nachrichtenwerttheorie naheliegend ist.

Auffallend ist allerdings, dass der Vietnamkrieg in der Berichterstattung des Bayerischen Rundfunks offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle spielte. Während er in anderen ARD-Anstalten an dritter Stelle der Berichterstattung über die Studentenbewegung stand, lag er im Hörfunkprogramm des Bayerischen Rundfunks nur an sechster Stelle (S. 80 ff.). Nun ist der Vietnamkrieg bekanntlich als der erste ‚Fernsehkrieg’ in die Geschichte eingegangen und sowohl Historiker als auch Medienwissenschaftler gehen weitgehend übereinstimmend davon aus, dass gerade die massenmedial vermittelten Kriegsbilder die US-Regierung weltweit in einen schweren moralischen Legitimationskonflikt brachten.

Aufgrund ihrer Analyseergebnisse bezweifelt Antje Eichler nun, dass der Vietnamkrieg ein massenmediales Ereignis dieser Größenordnung gewesen ist. Angesichts der eingegrenzten Fokussierung ihrer Studie überzeugt dies allerdings wenig. Denn ihre Ergebnisse beziehen sich einzig auf die Hörfunkberichterstattung, für die naturgemäß die symbolträchtigen und emotionalen Bilder vom Grauen des Krieges nicht vermittelbar sind. Aber auch die Eingrenzung auf den Bayerischen Rundfunk lässt einen Rückschluss auf die Massenmedien allgemein nicht zu, v.a. da sie an anderer Stelle zeigt, wie sehr dessen Berichterstattung regional ausgerichtet war. Mit denselben Einschränkungen muss man auch ihre Beobachtung bewerten, dass gerade die neuen symbolischen Protestaktionen im BR-Hörfunk kaum thematisiert worden sind (S. 81).

Auch wenn teilweise also zu sehr von den Einzelfalldaten auf die allgemeine Medienrezeption der Studentenbewegung geschlossen wird, bietet die empirische Studie viele aufschlussreiche Einsichten. Differenzierte Ergebnisse bietet die Studie etwa zur Frage, welche sozialen Gruppen sich wie häufig zu Themen der Studentenbewegung äußern konnten. Auch wenn insgesamt alle relevanten Gruppen zu Wort kommen, ist hier eine starke quantitative Unausgewogenheit zu beobachten: Denn an erster Stelle stehen die Politiker, Studenten waren die zweitstärkste Gruppe, an dritter Stelle sind Gewerkschaftsvertreter repräsentiert (S. 83 ff). Unter den Politkern waren es v.a. die Landespolitiker, die sich zu den studentischen Themen äußern konnten. Da es sich hierbei v.a. um CSU-Politiker handelte, die zu den Protesten äußerst negativ eingestellt waren, ergibt sich quantitativ eine starke Dominanz negativer Einstellungen zur Studentenbewegung. Da Eichler aber neben der quantitativen Auswertung auch qualitative Kriterien der Bewertung untersucht hat, ergibt sich in der Gesamtschau ein wesentlich differenzierteres Bild. So zeigt sie, dass in der Kulturredaktion, in der Jugendfunkredaktion, aber auch in der Politik-Redaktion die Redakteure den Studenten weitgehend positiv gegenüber eingestellt waren. Dies kommt nicht nur durch entsprechende Kommentare zum Ausdruck, sondern auch durch die Sendelänge, die sie den studentischen Vertretern und ihren Sympathisanten zusprechen. Die Wertschätzung der Redakteure macht sich ebenso in der Hintergrundberichterstattung der Kulturredaktion bemerkbar.

Auch Veränderungen im zeitlichen Verlauf werden deutlich: Während im Jahr 1967 die Studentenproteste weitgehend positiv repräsentiert waren, beobachtet Eichler 1968 eine Wende ins Negative – sowohl in der quantitativen Darstellung studentischer Themen als auch in ihrer Bewertung. Seit den Osterunruhen beschränkte sich das Themenspektrum immer mehr auf die Gewaltfrage. Während 1967 viele Hintergrundberichte gesendet wurden, verengte sich die Perspektive 1968 auf aktuelle Protestaktionen, die vor allem unter dem Aspekt der Gewaltanwendung behandelt wurden. Die medienstrategische Entscheidung der Studenten, durch spektakuläre Aktionen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hat sich damit in gewisser Weise gegen sie selbst gerichtet.

Auch wenn ihre Ergebnisse auf einer Einzelfallanalyse basieren, hat Antje Eichler mit ihrer Studie einen wichtigen Schritt zur empirischen Erforschung der medialen Resonanz auf die Studentenbewegung getan, die diverse Anregungen für eine weitergehende Auseinandersetzung mit dem „Medien-Mythos `68“ bietet.

Anmerkung:
1 Vgl. etwa das ‚Internationale Forschungskolloquium Protestbewegungen’: http://www.ifk-protestbewegungen.org/

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