A. Chaniotis: War in the Hellenistic World

Cover
Titel
War in the Hellenistic World. A Social and Cultural History


Autor(en)
Chaniotis, Angelos
Erschienen
Malden 2005: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
XXIV, 308 S.
Preis
$27.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Daubner, Archäologisches Institut, Universität zu Köln

Krieg in der hellenistischen Welt - dazu assoziiert man zuallererst die großen Schlachten der Diadochenkämpfe, weiterhin die teilweise noch größeren der etablierten hellenistischen Königreiche untereinander, man denkt an die Schlacht von Raphia, an Antiochos' III. Anabasis und schließlich an die brutale Demontage der griechischen Welt durch die Römer. Um all das geht es hier nicht: Chaniotis bietet vielmehr eine Betrachtung der sozialen Aspekte der hellenistischen Kriege. Noch nicht allzulange ist sich die Altertumsforschung der Tatsache aktiv bewusst, dass es innerhalb der und neben den großen Auseinandersetzungen, welche die Handbücher prägen, Städte und Stämme gab, denen offensichtlich, wenn auch natürlich in kleinerem Maßstab, sehr daran gelegen war, ständig Kriege mit- und gegeneinander zu führen. So geht es in vorliegendem Werk also unter anderem um junge Bürger, Söldner, Generäle, Wohltäter, Ärzte, Ingenieure, Frauen, Landwirtschaft, Beute, Götter, Rechtfertigungen, Blut, Kunst, Gräber und Erinnerung.

Der geografische Rahmen beschränkt sich auf Griechenland, die Inseln und Kleinasien. Aus anderen Gegenden werden lediglich einige Beispiele herangezogen. Diese Einschränkung, die im Vorwort begründet wird, ist sicher nachvollziehbar, bedenkt man den langen Zeitraum und vor allem den gewaltigen geografischen Bereich, den ein Buch über die hellenistische Welt abdecken muss. Diese Umstände führen auch dazu, wie Chaniotis ebenfalls im Vorwort darlegt, dass keiner der behandelten Aspekte erschöpfend ausgeführt werden kann und folglich der Leser einiges vermissen wird. Dies ist jedoch kein Mangel, da es sich um einen einführenden Überblick handelt und jedem Kapitel eine detaillierte und aktuelle Liste weiterführender Literatur folgt.

Im einführenden Kapitel ("The Ubiquitous War") wird die Allgegenwärtigkeit des Krieges in der hellenistischen Welt dargelegt. Die Gründe für Kriege waren vielfältig: Expansion, dynastische Konflikte, Bürgerkriege, Verteidigung gegen äußere Feinde. Die häufigen lokal begrenzten Kriege zwischen Nachbarstädten gingen zumeist um ein Stück Land. Das zweite Kapitel "Between Civic Duties and Oligarchic Aspirations: Devoted Citizens, Brave Generals, and Generous Benefactors" zeigt, wie wichtig es für das Selbstbild der autonomen Polis war, eigene Kriege führen zu können. In den besonders konservativen Regionen und Städten (Kreta, Sparta, Boiotien) wird diese Tatsache klarer deutlich, aber auch für die anderen Poleis war es notwendig, Stadtmauern und Festungen zu unterhalten sowie Bürgeraufgebote oder Söldner gegen die Nachbarstadt schicken zu können. Alle mit der Kriegführung und der Verteidigung zusammenhängenden Kosten boten den städtischen Eliten eine Bühne für ihre Selbstdarstellung. Dass sich dadurch jedoch bereits in hellenistischer Zeit eine institutionalisierte Klasse privilegierter Bürger herausgebildet haben soll, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Das ist m.E. eine Entwicklung, die erst unter römischem Einfluss beginnen konnte, den Chaniotis andernorts auch für fundamental und zerstörerisch hält (S. 133, 139f., 216).

Kapitel 3 ("The Age of War: Fighting Young Men") hebt mit der Beobachtung an (Beispiele sind Kreta, Pisidien und junge Könige), dass junge Männer durchaus kriegerischerer Gesinnung gewesen waren als ältere. Anschließend werden die Zeugnisse zur militärischen Ausbildung und zu Übergangsriten für junge Krieger untersucht. Chaniotis betont dabei, dass die Institution der Ephebie vielerorts wiederbelebt wurde, also nicht kontinuierlich fortbestand. In Kapitel 4 ("The Interactive King: War and Ideology of Hellenistic Monarchy") beschreibt Chaniotis die kriegerische Ideologie des hellenistischen Königtums, das seine Legitimation im besonderen Maße auf die Sieghaftigkeit aufbaute. Die jedoch gut erkennbare Notwendigkeit dynastischer Legitimität wird in ihrer Bedeutung höchst gering eingeschätzt. Die Könige verbrachten die meiste Zeit auf Feldzügen: Die Heerführerschaft war eine der wichtigsten Funktionen des makedonischen Königs. Sie mussten den ideologischen Balanceakt vollführen, gleichzeitig als siegreicher, gottgleicher Kriegsheld und als Friedensbringer aufzutreten.

Das fünfte Kapitel "War as a Profession: Officers, Trainers, Doctors, Engineers" behandelt die Professionalisierung der Kriegführung, die, wie auch die wichtigsten kriegstechnischen Innovationen, schon im 4. Jahrhundert entwickelt war. Professionelle waren allerdings ein Kennzeichen der großen Heere und machten deshalb die Bürgeraufgebote nicht obsolet. Das nicht immer spannungsfreie Verhältnis zwischen Königen oder Dynasten und ihren Söldnertruppen zeigt sich in Verträgen, von denen einige inschriftlich überliefert sind, sowie in der Notwendigkeit von Landschenkungen an Veteranen. Dass die Ansiedlung von Veteranen und auch von aktiven Soldaten in Form von so genannten Militärkolonien erfolgt sein soll, entspricht der gängigen Forschungsmeinung. Diese Theorie ist jedoch aus den Verhältnissen im ptolemäischen Ägypten und in Rom abgeleitet: Die wenigen Hinweise aus Syrien, Kleinasien und Griechenland zwingen nicht dazu, dort eine identische Institution anzunehmen. Weitere Experten, die das Kriegswesen erforderte, waren Ausbilder, taktische Spezialisten, Erfinder sowie vor allem Ärzte, welchen aus guten Gründen zahlreiche Ehreninschriften errichtet wurden. Zusätzlich zu den physischen Wunden der Krieger sind m.E. auch Traumata beachtlicher Größenordnung anzunehmen. Einige der epidaurischen Heilungswunder sprechen für eine solche Interpretation, aber die Erforschung der antiken Quellen hinsichtlich solcher Phänomene steht erst am Beginn.1

Das sechste Kapitel "The Gender of War: Masculine Warriors, Defenseless Women, and Beyond" kann leider seinen Gegenstand nur andeuten, da soziale Probleme, Witwen und Waisen als Kriegsfolgen in den Quellen kaum erwähnt werden. Frauen hatten als Zuschauerinnen teil am männlichen Handwerk des Krieges, auch lebten sie mit ihren Männern in Garnisonen und Festungen. Die Frauen und Kinder Unterlegener waren Beute des Siegers; über ihr Schicksal erfahren wir aus der antiken Literatur, die an militärischen Operationen interessiert war, wenig. Die Leiden der Frauen bleiben anonym. Die hohen Kosten des Krieges macht Chaniotis in Kapitel 7 "The Cost and Profit of War: Economic Aspects of Hellenistic Warfare" deutlich. Garnisonen kosteten Geld, und Mauern wurden mit großem Aufwand errichtet. Das Land litt zudem sehr unter den Verwüstungen der Kriegszüge; die vehementesten Langzeitfolgen hatte wohl die Vernichtung von Terrassenanlagen. Mit dem Eingreifen der Römer wurden auch die sozialen Folgen durch die größere Gewalttätigkeit, die häufigere Zerstörung von Städten und die Massenversklavungen einschneidender. Es gab freilich auch Kriegsgewinnler: Nicht nur Beute- und Sklavenhändler, auch Söldner, Ausbilder, Ärzte, Handwerker, Bauhütten, Künstler und nicht zuletzt Historiker profitierten in einem globalisierten Wirtschaftssystem vom allgegenwärtigen Krieg, so dass sich so etwas wie ein Gleichgewicht eingependelt haben könnte, das schließlich von den Römern zerstört wurde.

Die Kürze des 8. Kapitels ("An Age of Miracles and Saviors: The Effects of Hellenistic Wars on Religion") zeigt, dass die Entwicklung der griechischen Religion und ihre Vermischung mit den östlichen Religionen ein Forschungsgebiet ist, auf dem noch viel zu tun bleibt. Entsprechend gibt Chaniotis nur einen andeutenden Überblick über die zunehmend verehrten kriegerischen Götter sowie den Kulttransfer in die neuen Siedlungsgebiete und zeigt die Rolle von Heiligtümern, Wundern und religiösen Ritualen im Kriegskontext. Kapitel 9 ("The Discourse of War") ist zentral, grundlegend und weist neue Wege für eine objektive, vom scheinbar rechtsstaatlichen Vergleichsbild des römischen Staats- und Sakralrechts unabhängige Untersuchung des griechischen Kriegsrechts. Chaniotis belegt, dass die Entscheidung, einen Krieg zu führen, ein komplizierter Akt war. Jeder Krieg musste gerechtfertigt sein, d.h. für eine gerechte Sache geführt werden, sonst konnte man kaum mit dem Wohlwollen der Götter rechnen, und es gab wohl klar definierte Konzepte und Prinzipien für Eroberungen. Dies alles klingt nach Selbstverständlichkeiten, aber eine vielfach von unangebrachter Geschichtsphilosophie und vom Glauben an die welthistorische Mission Roms erfüllte Forschung, die in den Griechen der hellenistischen Zeit politisch desinteressiertes, egoistisches "Herdenvolk" und in ihren Anführern blindwütige Machtmenschen, Mörder und Eroberer gesehen hatte, stellte gar nicht die entsprechenden Fragen.

Mit der Darstellung des Krieges befasst sich Chaniotis in Kapitel 10 ("Aesthetics of War"). Da Bilder, die unsublimiert Gewalt darstellen, sowohl in der Bildkunst, als auch in der Dichtung rar waren, konzentriert sich Chaniotis auf die Frage, wie die Geschichtsschreibung den Krieg präsentierte. Insbesondere die Schlachtszenen des Polybios werden analysiert. Deren Konstruktion folgt einem Schema, das uns noch aus dem modernen Spielfilm vertraut ist: Truppenaufstellung, Ansprache des guten Feldherrn, Angriff, verwirrende Massenszenen, close-ups auf zentrale Protagonisten und ihre Zweikämpfe. Dies ist die etablierte Reihenfolge einer Schlachtbeschreibung von Homer bis Peter Jackson. Die Wunden und das Blut schmücken den Sieger - in der Literatur. In der Bildkunst werden heroische Gestalten idealisch dargestellt; der Realismus beschränkt sich auf niedere Genres und Barbarenbilder.

In "The Memory of War", dem 11. Kapitel, beschreibt Chaniotis die Elemente der ritualisierten Memorialkultur der Griechen, die historisches Wissen und Identität produzierte und vermittelte, mehr als jeder Historiker. An Siege erinnerten Inschriften, Tropaia, Erzählungen und Feste. Siege konnten eine neue Ära einleiten, Kriege strukturierten die Erinnerung an die eigene Geschichte und den Umgang der Griechen miteinander. Die Römer teilten das kulturelle Gedächtnis der Griechen nicht; sie interessierten sich nicht für deren Argumente. Rom war "just another of the non-Hellenic aggressors" (S. 216). Auf ein zusammenfassendes Kapitel folgen eine ausführliche Bibliografie und nicht minder ausführliche Indices.

Chaniotis ist es gelungen, eine große Zusammenschau zu einem der komplexesten Themen der griechischen Geschichte zu liefern. Seine profunde Kenntnis der Inschriften und sein Darstellungs- und Problematisierungsvermögen haben ein Referenzwerk hervorgebracht, an dem künftig kein Weg mehr vorbeiführen wird. Kritik an Details wäre wohlfeil und wenig hilfreich.2 Das Buch ist ein Wegweiser durch die verstreuten und vielfältigen Quellen zur Sozialgeschichte des Hellenismus unter besonderer Berücksichtigung des Krieges und wirft unzählige Fragen auf, die eine weiterführende Behandlung lohnten.

Anmerkungen:
1 Vgl. zuletzt Tritle, Lawrence A., Alexander and the Killing of Cleitus the Black, in: Heckel, Waldemar; Tritle, Lawrence A. (Hgg.), Crossroads of History. The Age of Alexander, Claremont 2003, S. 127-146.
2 Besonders zum Ende hin fehlen einige Male Quellenangaben (S. 197, 209, 226, 241). Griechische Zitate sind in Umschrift gegeben, was verwundert - schließlich handelt es sich nicht um ein Buch für Laien -, bis man anhand der griechischen Titel im Literaturverzeichnis erkennt, dass der Verlag offenbar unfähig zu einer korrekten Umsetzung der griechischen Schrift ist. Der eine oder andere bedeutende Aspekt, der eine ausführlichere Behandlung verdiente, ist zu knapp angerissen, etwa die Konfliktregulierung durch auswärtige Vermittlung oder die Bevölkerungsumsiedlungen. Auch sollte geklärt werden, inwieweit die häufig herangezogenen Beispiele aus kretischen Poleis taugen, für die hellenistische Welt allgemein zu gelten, hat doch Chaniotis selbst kürzlich andernorts (Das antike Kreta, München 2004, S. 97ff.) die Außenseiterrolle des hellenistischen Kreta betont.

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