O. Schütz: Begegnung von Kirche und Welt

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Titel
Begegnung von Kirche und Welt. Die Gründung katholischer Akademien in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1975


Autor(en)
Schütz, Oliver M.
Reihe
Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 96
Erschienen
Paderborn 2004: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
670 S.
Preis
€ 80,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Große Kracht, Zentrum für Zeithistorische Forschung

„Ich meine, wenn es für einen Deutschen schon nicht leicht ist, Intellektueller zu sein, so ist es, wenn er außerdem noch Katholik ist, doppelt unangenehm…“ Heinrich Böll, von dem dieses Zitat stammt, wusste, wovon er sprach.1 Angefeindet wurde er nicht nur von der konservativen Publizistik seiner Zeit, sondern auch aus dem eigenen Milieu: Die in der frühen Bundesrepublik weit verbreitete Intellektuellenfeindlichkeit fand im katholischen Raum einen aufnahmebereiten Resonanzboden. Die „unlustige Krittelei“ der Intellektuellen, so der geistliche Direktor des Zentralkomitees der deutschen Katholiken 1960, zeuge meist doch nur von „Maulheldentum“ und „einfältiger Aktionsunfähigkeit“.2 Auch hierin spiegelt sich ein Stück des traditionellen ‚katholischen Bildungsdefizits’ wider, das sich häufig nur mit dem Ressentiment zu helfen wusste. Anders als in Frankreich oder Polen gab und gibt es in Deutschland kein ‚Centre catholique des intellectuels’ und keinen ‚Klub der katholischen Intelligenz’, wohl aber eine stattliche Anzahl Katholischer Akademien, deren Gründungsgeschichte in dem vorliegenden Werk im Detail rekonstruiert wird.

Im ersten, quantitativ gewichtigsten Teil seiner 670 Seiten starken Arbeit, die als kirchengeschichtliche Dissertation an der Universität Frankfurt entstanden ist, untersucht Schütz die jeweiligen Entstehungszusammenhänge der insgesamt 22 zwischen 1945 und 1975 gegründeten Katholischen Akademien in Deutschland. Bei seiner Rekonstruktionsarbeit schreitet Schütz Akademie um Akademie sorgfältig ab, so dass 22 kleine monografische Studien entstanden sind. Im Einzelnen werden die Gründungsinitiativen, die sich häufig aus dem Zusammenspiel von Laien, Geistlichen und Ortsbischof entwickelt haben, minutiös geschildert, das Leitungspersonal wird vorgestellt und es werden Fragen der Finanzierung, der baulichen Gegebenheiten, der Programmgestaltung und Besucherzahlen angeschnitten, sofern sie anhand des archivalischen Materials geklärt werden konnten. Der Blick bleibt dabei stets auf die Institution als solche gerichtet; das Innenleben, die Praktiken und Kommunikationsströme, die durch sie hindurchgingen, treten demgegenüber eher zurück.

Zunächst schildert Schütz die so genannten „Sozialakademien“ (S. 21-173), die die sozialpolitischen Schulungen des 1933 aufgelösten „Volksvereins für das katholische Deutschland“ und anderer Vorbilder aus der Weimarer Zeit fortsetzten. Bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit zeigten sich in den Diözesen Köln, Münster, Paderborn und Aachen erste Bemühungen um eine Wiederbelebung der katholischen Erwachsenenbildung, die zum Teil auf die Initiative der vielerorts entstandenen Katholikenausschüsse zurückgingen, zum Teil aber auch von einzelnen katholischen Sozialethikern, insbesondere aus den Orden der Jesuiten und Dominikaner, angestoßen wurden. Zu den wichtigsten Einrichtungen dieser Art zählen sicherlich das Franz-Hitze-Haus in Münster und die Kommende in Dortmund.

Von diesem Typ unterscheidet Schütz die eigentlichen „Katholischen Akademien“ (S. 174-381), d.h. die Diözesanakademien und katholischen Landesakademien, deren Gründung vor allem in die 1950er-Jahre fällt und die häufig dem Modell der bereits einige Jahre zuvor entstandenen Evangelischen Akademien nachgebildet waren. Zum Großteil als allgemeine Bildungseinrichtungen im Sinne der ‚katholischen Aktion’ zur Schulung einer neuen Laienelite gedacht, entwickelten sich die Diözesan- und Landesakademien im Laufe der 1950er und 1960er-Jahre fort zu öffentlichen Begegnungsstätten zwischen ‚Kirche und Welt’. Der Dialog zwischen Glauben und Wissenschaft, Christentum und Politik, Katholizismus und moderner Kultur trat dabei zunehmend in den Vordergrund, der bloße Schulungsgedanke trat demgegenüber zurück. Vor allem die Landesakademien – wie etwa die Katholische Akademie in Bayern – konnten in ihren Tagungsprogrammen über die Jahre hinweg ein beachtliches Niveau aufweisen; viele Diözesanakademien glitten hingegen häufig auf die Ebene bloßer Erwachsenenbildung zurück.

Auch die „Akademiegründungen unter dem Eindruck des Konzils“ (S. 382-529), denen sich Schütz im dritten Kapitel seiner Gründungsgeschichten zuwendet, konnten, so scheint es zumindest, trotz der Konzilseuphorie und der allgemeinen Aufbruchstimmung der 1960er-Jahre nicht mehr an die Ausstrahlungskraft der frühen Akademieidee aus dem ersten Nachkriegsjahrzehnt anschließen. Die Nachzügler unter den Diözesanakademien, wie etwa die Katholischen Akademien in Berlin und Schwerte oder das Ludwig-Windthorst-Haus im emsländischen Lingen, hatten bereits in ihrer Gründungsphase mit einer veränderten religiösen Lage zu kämpfen, die in den 1970er-Jahren allerdings auch ihre älteren Schwestern in Mitleidenschaft zog: „Die Aufgabe der Elitenbildung und Sammlung der Führungskräfte, einst der Grundimpuls der kirchlichen Akademien, wich mit dem Ausbleiben der Eliten und der ‚Denunzierung jedes Elite-Denkens’ im Zuge der Studentenbewegung einem Bedürfnis nach breiterer Bildungsarbeit.“ (S. 612) Heute unterscheidet sich das Angebot der Katholischen Akademien in der Tat nur noch in wenigen Fällen von demjenigen anderer Anbieter auf dem Gebiet der katholischen Erwachsenenbildung.

Die Rekonstruktion der jeweiligen institutionellen Gründungsgeschichten der 22 untersuchten Akademien erstreckt sich auf die ersten 500 Seiten des Buches. Allein die archivalische Arbeit, die hierfür in den jeweiligen Diözesanarchiven betrieben wurde, nötigt Respekt ab. Mitunter wiederholen sich jedoch viele Vorgänge, wenn auch mit jeweils anderen Akteuren und in anderen lokalen Kontexten. Hier wäre eine stärker systematische bzw. vergleichende Vorgehensweise wünschenswert gewesen. So bleibt es hingegen bei einem Katalog von 22 mehr oder weniger ähnlichen Gründungsgeschichten, die nicht wirklich auf einander bezogen werden.

Die Zusammenschau der einzelnen Gründungsgeschichten wird allerdings im zweiten Teil der Arbeit, der die letzten 90 Seiten einnimmt, in Teilen nachgeholt (S. 527-619). Unter der Überschrift „Hintergründe und Zusammenhänge“ lässt der Autor hier noch einmal die verschiedenen Gründungsmomente und Kontexte, die bereits zuvor punktuell angeklungen waren, Revue passieren. Vor allem drei Bedingungsfaktoren scheinen demnach zur Welle der katholischen Akademiegründungen nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich beigetragen zu haben: zunächst die neue Wertschätzung der Laien als Träger eines eigenständigen ‚Apostolats’, sei es im Rahmen des hierarchisch gebundenen Mandats der ‚katholischen Aktion’ oder im Zuge eines mündigen Laientums im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils, zweitens und damit verbunden die Krise des traditionellen Verbandskatholizismus, die neue Formen des gesellschaftspolitischen Wirkens katholischer Laien nötig und möglich machte, sowie drittens der Vorlauf der Evangelischen Akademien, die hier als erste nach dem Zweiten Weltkrieg institutionelles Neuland betraten.3

Mit seiner Entstehungsgeschichte der Katholischen Akademien in der Bundesrepublik Deutschland hat Oliver Schütz ohne Zweifel ein Grundlagenwerk vorgelegt. Zum ersten Mal wird hier ein Gegenstand in seiner Breite sichtbar, der bislang in der zeitgeschichtlichen Katholizismusforschung nur punktuell angerissen wurde: die Bereitschaft der katholischen Kirche, sich nicht nur mit Fragen der modernen Kultur und Gesellschaft im Dialog auseinanderzusetzen, sondern für diese Begegnung ein eigenes institutionelles Forum zu schaffen. Das weit beachtete Treffen von Joseph Kardinal Ratzinger und Jürgen Habermas in der Katholischen Akademie in Bayern im Januar 2004 zeigt, welche Impulse hiervon noch heute ausgehen können. Die traditionelle Intellektuellenfeindschaft im deutschen Katholizismus konnte allerdings auch der Akademiegedanke nicht wirklich brechen. Die „christliche Wahrheit“, so hieß es 1958 auf einem Treffen des ‚Leiterkreises der Katholischen Akademien in Deutschland’, sei nun einmal anders beschaffen „als die Wahrheitsfindung durch Diskussion“ (S. 576).

Anmerkungen:
1 Böll, Heinrich, Querschnitte. Aus Interviews, Aufsätzen und Reden, hg.v. Böll, Viktor; Matthaei, Renate, Köln 1977, S. 162.
2 Hanssler, Bernhard, Das Gottesvolk der Kirche, Düsseldorf 1960, S. 86f.
3 Allerdings wird die von Schütz mehrfach betonte Vorbildfunktion der protestantischen Einrichtungen nicht weiter entfaltet und die interessante Frage eines möglichen interkonfessionellen Kulturtransfers nicht gestellt. Hier hätte die Berücksichtigung der Arbeiten von Rulf Jürgen Treidel zu den Evangelischen Akademien oder der vergleichenden Studie von Axel Schildt über die Evangelische Akademie Loccum und das Franz-Hitze-Haus in Münster methodisch sicherlich einigen Gewinn gebracht; vgl.: Treidel, Rulf Jürgen, Evangelische Akademien im Nachkriegsdeutschland. Gesellschaftspolitisches Engagement in kirchlicher Öffentlichkeitsverantwortung, Stuttgart 2001; Schildt, Axel, Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre, München 1999, S. 111-165.

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